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Forschung und Lehre am Mediendom der Fachhochschule Kiel

 

Inhalt

 

Immersive Kuppelumgebungen

Der Bereich immersiver Visualisierungen hat sich in den vergangenen Jahren dynamisch entwickelt. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Forschung über virtuelle Realitäten, d.h. aus Computerwelten, die Werkzeugmaschinen im Rechner abbilden, den Flug von Flugzeugen simulieren oder auch eine Reise in das Universum am Computer möglich machen. Eine „immersive“ Umgebung lässt dabei den Unterschied zwischen Realität und Simulation verschmelzen. Der Betrachter wähnt sich inmitten des Geschehens, erfährt die Computerbilder als erlebte Wirklichkeit, kann zwischen der künstlichen Welt und einer realen nicht entscheiden.

Ästhetische Wirkungen entstehen in der Verbindung von Projektion und Sound, aus Symmetrie und Geometrie, Dimensionalität, Farb- und Tonfluss. Physiologische Wirkungen erzeugen ungewohnte Wahrnehmungen, führen multimodal und multicodal in ganzheitliche Erfahrungsräume.

Als Rechenleistungen preiswert verfügbar wurden, begann die Verbreitung virtueller Realtitäten in Projektionskuppeln. Im Jahr 2001 wurde im Planetarium des American Museum of Natural History in New York erstmals eine Kuppelprojektion auf der Basis von Großrechenanlagen realisiert, die das Weltall virtuell als Erlebnisraum abbildete. Dieser war in Echtzeit erfahrbar und band digital vorgefertigte Filmsequenzen im „Fulldome-Format“ ein. Bereits ein Jahr später wurden immersive Illusionen auf der Basis von PC-Clustern möglich. Seitdem gibt es weltweit über 250 Installationen mit zunehmenden Wachstumssraten.

Im Jahr 2008 gründete sich die internationale Organisation „IMERSA“, die das Ziel hat, bestehende Netzwerke von Forschenden und Anwendern auf internationaler Ebene zusammenzuführen. Im deutschsprachigen Bereich arbeiten seit 2003/2006 die Bauhaus-Universität in Weimar, die Hochschule für Gestaltung in Offenbach, die Muthesius-Kunsthochschule und die Fachhochschule Kiel im Forschungsumfeld immersiver Medien – weitere Hochschulen signalisieren Interesse. Aus ihrem Lehr- und Forschungsumfeld hat sich das Fulldome-Festival in Jena als Kommunikations- und Präsentationsort herausgebildet.

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Immersion im Mediendom

Die Fachhochschule Kiel erhielt bereits im Jahr 2003 ein Forschungslabor für immersive Kuppelprojektionen - als erste Einrichtung dieser Art in Europa. Es trägt den Namen Mediendom. Seitdem wurden hier eine Reihe von Forschungsprojekten durchgeführt oder begleitet, z.B. die intermediale Tanzinszenierung „ich-quadrat“, gefördert aus Mitteln des Hochschul- und Wissenschaftsprogramm. Im Kuppelraum nahmen Kameras und am Körper angebrachte Sensoren die Bewegungen der Tanzenden auf und gaben sie in digitaler Form an ein Rechnersystem weiter. Es interpretierte in Echtzeit die Tanzbewegungen und veränderte daraus die Projektionen und Klangcollagen. So entstand ein künstlerisch modifiziertes Abbild der Bewegungen in den Bild- und Klangwelten, Tänzer und Medium bildeten zusammen einen künstlerischen Raum.

Verfolgt man im filmischen Bereich die Entwicklung von Aufnahme und Montage bis heute, so zeigt sich, dass sich Kamerapositionen und Montagekonventionen nach dem klassischen 180 Grad-Prinzip richten (obwohl der Mensch maximal einen 160 Grad Sehbereich abdecken kann). Das 180-Grad-Prinzip baut auf die Handlungsachse einer Szene auf und besagt, dass der Zuschauer auf einer Seite der Handlungsachse bleibt, ähnlich wie beim Proszenium im Theater. Die Einhaltung dieses Prinzips garantiert eine kohärente Erzählweise. Die Kontinuität bezieht sich dabei sowohl auf die innersequentielle Kontinuität einer aufgelösten Szene im gleichen Raum, als auch auf die transsequentielle Kontinuität einer Handlung über mehrere und verschiedene Räume und Orte hinweg.

In der neuen 360-Grad-Dramaturgie steht der Zuschauer sozusagen auf der Handlungsachse, d.h. er befindet sich mitten in der Handlung und nicht wie bisher davor, er ist emotional nicht mehr rezeptiv sondern produktiv. Für die Mise en Scène bedeutet das ein radikales Umdenken. Die wissenschaftlich/künstlerische Entwicklung eines auf diese Belange zugeschnittenen neuen Paradigmas (oder mehrere Paradigmata), einer 360-Grad-Dramaturgie, ist daher zwingend.

Die aufwachsende Generation ist den Umgang mit dem Computer und der Spielekonsole gewohnt. Deshalb wird sie auch im „Kino der Zukunft“ Interaktionen wahrnehmen wollen. Stephen Spielberg sagte kürzlich zu diesem Thema: „In the future there is going to be a movie theater that allows the audience to be active members in the story-telling process. … Some day in the not too distant future you will be able to go to a movie and the movie will be all around you. … You will be in your seat with hand controls where you can rotate your seat, lean back, lean forward, have complete control over your seat to be able to keep up with all the imagery that is going to take you on a mind-blowing journey.“ Dieses neue Kino wird Paradigmen und Bildsprachen erfordern, die es erst zu entwickeln gilt. Der Studienschwerpunkt „Immersive Medien“ gibt Studierenden des Studienganges Multimedia Production an der Fachhochschule Kiel die Möglichkeit, diese Entwicklung in forderer Front wahrzunehmen und mit zu gestalten.

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Immersion in den Studiengängen Multimedia-Production

 

Themen immersiver Bildsprachen sind im Curriculum akkreditierten Studiengänge Multimedia-Production integriert, im Curriculum des Master of Arts ist eine Schwerpunktbildung im Bereich immersiver Medien möglich. Der Mediendom stellt ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Hochschullandschaft dar. Gemäß der „Neuen Phänomenologie“ nach Hermann Schmitz können im Mediendom Studien zu den Körper integrierenden, immersiven Medien durchgeführt werden. Selbst wenn nicht alle Studierenden den Studienschwerpunkt immersive Medien wählen, so ist es doch sinnvoll, jedem Studierenden die Möglichkeit zu geben, durch phänomenologische Studien den Körper einschließende immersive Medien von direkt vor Augen getragenen immersiven Medien (wie z.B. Head Mounted Displays) und anderen teilimmersiven Medien wie auf planen Bildschirmen erkundbaren virtuellen 3D Welten abzugrenzen. Eine rein theoretische Betrachtung wäre hierfür nicht ausreichend.

Der Ansatz der Kieler Studiengänge Multimedia Production ist es, in breiten Themenfeldern Qualifikationen zu vermitteln und auf diese Weise auf Berufsfelder vorzubereiten. Die Multimedia-Unternehmen der Gegenwart und Zukunft erwarten crossmediale Kenntnisse und Fähigkeiten. Die ideale Mischung scheint aus speziellen, profunden Sachkenntnissen in bestimmten Wissensgebieten zu bestehen – bei gleichzeitiger flexibler Umsetzungskompetenz, also breit gefächerter Fachkenntnis in klassischen und neuen Medientechniken. Dazu ist die Kenntnis immersiver Präsentationswirkungen ein zukunftsorientiertes Teilsegment.

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Kieler Hochschulen als Premiumpartner

Das künstlerische Gestaltungsfeld immersiver Kuppeln wird in enger Kooperation mit der Muthesius-Kunsthochschule bearbeitet. Daraus bereits Produktionen, die mit internationalen Preisen ausgezeichnet wurden. Die Design-Music-Show „Alien Action“ erhielt als erste Fulldome-Video-Produktion den international renommierten iF-Award 2007. Die internationale Experten-Jury des EUROPRIX – Wettbewerbes wählte die Produzenten Ralph Heinsohn und Dominic Bünning in den Kreis der 21 besten europäischen Nachwuchsproduzenten 2007. Die Veranstaltung wurde im Jahr 2008 für den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland nominiert. Die angehenden Kommunikationsdesigner Nico Uthe und Bastian Böhm gewannen auf dem internationalen Domefest in Chicago am 3. Juli 2008 den Preis für „Best Student Production“ und den Preis für „Best of Show“ - zwei von insgesamt sechs ausgelobten Preisen. Ihre Kuppelproduktion „Sciafobia“ wurde bereits im April 2008 mit dem „Award for Best Performance“ beim 2. FullDome Festival in Zeiss-Planetarium in Jena ausgezeichnet.

Projekte mit Instituten der Christian-Albrechts-Universität sind tägliche Praxis, insbesondere mit dem Institut für Experimentelle und Angewandte Physik, dem Institut für Informatik, dem Zoologischen Institut und dem Leibniz-Institut für Meereswissenschaften IFM Geomar.

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Internationale Kooperationen

An der Fachhochschule Kiel gibt es ein umfangreiches Spezialwissen über die technologischen Grundlagen der neuen, digitalen Bildgeneratoren. Es fußt auf einer engen Zusammenarbeit mit dem Marktführer der neuen digitalen Zuspieltechnologie, der amerikanischen Firma Evans & Sutherland, in deren Rahmen die Fachhochschule an der technischen Entwicklung der kommenden Generation von Bildgeneratoren beteiligt ist. Die Erschließung des visuellen Gestaltungsraumes erfolgt ebenfalls in hochschulübergreifenden Kooperationen, an denen neben bereits genannten Hochschulen z.B. die Gradschool in Potsdam oder die Dalarna-Universität in Schweden eingebunden waren.

Infolge des Know-how-Vorsprunges ist am Standort Kiel durch Projekte und Spin-Offs ein Kompetenzcluster entstanden, das sich im Bereich immersiver Kuppelprojektionen international als Think-Tank reputiert hat. Daraus sind mehrfach Ausgründungen entstanden. Ein Beispiel ist die Firma allsky.de, die über die weltweit größte Bibliothek an 360°-Motiven verfügt. Sie wurde im Rahmen eines Existenzgründungsstipendiums von ersten Absolventen des Studienganges Multimedia-Production aufgebaut.

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Projekte im Jahr 2008/2009

Die europäische Weltraumagentur ESA hat anlässlich des Jahres der Astronomie 2009 eine 360°-Produktion an das Forschungs- und Entwicklungszentrum der Fachhochschule Kiel vergeben, die international aufgeführt werden wird. Allein im deutschsprachigen Bereich werden sich 30 Planetarien beteiligen. Darin wird erstmals reales Schauspiel mit computergenerierten 3D-Welten auf einer 360°-Bildfläche kombiniert. Hierfür wurde eine digitale Kinokamera an der Fachhochschule modifiziert. Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Produktion werden grundlegend für künftige Produktionen der internationalen Planetariergemeinschaft sein. Zugleich sind auch Studienprojekte des Studiengangs Multimedia-Production in die Produktion eingebunden.

Die VolkswagenStiftung hat ein Gemeinschaftsprojekt des Zentrums für Multimedia der Fachhochschule Kiel und des Botanischen Gartens der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ausgezeichnet. Die Stiftung nimmt das kommende „Darwinjahr“ 2009 zum Anlass, die Bedeutung der Evolutionsbiologie für die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche herauszustellen und das Thema einer breiten Öffentlichkeit näherzubringen. Dazu wird eine immersive 360°-Produktion über Orchideen am Mediendom produziert und international verbreitet werden.

Weitere Projekte sind „Unser Sonne – Stern des Lebens“ und „Raketentechnik“ in Kooperation mit dem Institut für Experimentelle und Angewandte Physik sowie „Wolkenkamerabilder“ mit dem IFM-Geomar der Christian-Albrechts-Universität Kiel.

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Der Bereich immersiver Medien der Fachhochschule Kiel deckt eine Lücke in der anwendungsbezogenen Medienausbildung zum Themenbereich Science-Communication in Deutschland ab. Die Entwicklung immersiver Bildsprachen und die Erforschung ihrer Paradigmen weist auf künftige Kommunikationsformen, die im Bereich der Wissenschaftsvermittlung wie im Bereich marktorientierter Produktpräsentation Schlüsselkompetenzen darstellen werden. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ – diese alte Weisheit wird durch immersiven Medien eine Fortschreibung finden. Sie bewirken mehr als „tausend Bilder“. Das Beherrschen immersiver Darstellungsformen wird in der zunehmenden Reizüberflutung unser Gesellschaft eine Schlüsselqualifikation darstellen. Dies gilt für viele Anwendungsbereiche, auch für neue Formen des Lernens.

Propositionen werden in Form von Netzwerken kodiert. „Die Knotenpunkte des Netzwerkes kann man als Ideen, als Gedanken auffassen, die Verknüpfungen als Assoziationen zwischen diesen“ [Kluwe, R.H.: Gedächtnis und Wissen]. „Lernen ist ein ‚konstruktiver Prozess’, in dem der Lernende aktiv unter Berücksichtigung sozialer, situationaler und kultureller Gegebenheiten sich eine Bedeutung des Sachverhaltes erzeugt“ [Urhahne, Prenzel: Computereinsatz im naturwissenschaftlichen Unterricht]. Die Lernumgebung sollte

  • situiertes Lernen mit Hilfe von authentischen Beispielen
  • Lernen in multiplen Kontexten
  • Lernen unter multiplen Perspektiven
  • Lernen im sozialen Kontext
  • Lernen mit instruktionaler Unterstützung

enthalten.

In der immersiven Szenerie erreichen die Botschaften die Lernenden multimodal und multicodal. Die Medienvielfalt spricht mehrere Sinnesmodalitäten (Augen. Ohren usw.) an. Bilder sorgen über das imaginale System für einen visuellen Input und liefern ganzheitliche analoge Abbildungen aufgenommener Sachverhalte. Besonders das bewegte Bild, z.B. die Animation, besitzt die Fähigkeit, Imagination dynamischer Vorgänge zu ersetzen. Das neue technische System in Kiel bietet wie nie zuvor die Möglichkeit, Dynamik zum zentralen Gestaltungselement der Visualisierung zu machen. Indem mit Hilfe unterschiedlicher Darstellungsformen ein Lernen aus multiplen Perspektiven erfolgt, wird der Boden für propositionale Verknüpfungen gelegt.

Untersuchungen belegen, dass der Bildüberlegenheitseffekt und die Anwendung bildhafter Mnemotechniken dazu führen, dass bis zu 50% mehr Textinhalt korrekt behalten wird] und es bei Untersuchungen an Probanden bis zu 50% mehr kreativen Lösungen bei Transferaufgaben kommt.

Ein ganz wesentlicher Teil zur Stützung der Mnemotechniken ist nicht nur der Ton in Form von Sprache, sondern vor allem auch in Form der Musik. Ihre dramatischen Fähigkeiten versetzen den Lernenden gleichermaßen in eine spannungsgetragene wie in sich ruhende Lernhaltung. Besonders Mädchen finden über diese Art der emotionalen Berührung zu einer wesentlich offeneren Lernhaltung.

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Jahrbuch immersiver Medien

Als Forum für die vielschichtigen Entwicklungen immersiver Kuppelmedien gibt der Fachbereich Medien der Fachhochschule Kiel seit 2007 das „Jahrbuch immersiver Medien“ heraus.

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Kontakt

Eduard Thomas, Leiter des Zentrums für Kultur- und Wissenschaftskommunikation

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