Ein Mann vor einer roten Skulptur© J. Kläschen

Bratislava durch die Linse

von Joachim Kläschen

„Mir war klar, dass ich die Erasmus-Chance nutzen wollte“, erinnert sich der 23-Jährige Student. „Die gewohnte Umgebung hinter sich zu lassen und sich auf etwas Neues einzulassen, das hat mich gereizt.“ Patricks Wahl fiel auf die slowakische Hauptstadt Bratislava – angesichts der Statistiken des International Office, das an der FH die ‚outgoings‘ betreut, eine ungewöhnliche Entscheidung, denn viele FH Studierende, die das Erasmus-Programm nutzen, zieht es vor allem nach Norwegen, Spanien und das Vereinigte Königreich.

„Es gab viele gute Gründe für Bratislava“, holt Patrick aus. „Die Stadt hat eine spannende Architektur, die mittelalterliche Burgen mit Moderne zusammenbringt, und in der Umgebung gibt es auch eine beeindruckende Natur, wie das Tatra-Gebirge. Wie Hamburg ist Bratislava eine Stadt mit einem tollen Nachtleben, in der man vergleichsweise günstig leben kann und – besonders wichtig für mich – die dortige Hochschule für Bildende Künste VŠMU hat einen Schwerpunkt auf Film.“

Nach seinem Entschluss organisierte sich Patrick auf der Webseite ‚Erasmusu‘ ein WG-Zimmer und schmiedete Pläne, was er jedem nur empfehlen kann: „Ich habe mir eine Liste von Orten gemacht, die ich unbedingt sehen wollte. Das hat mir schließlich sehr geholfen, denn die Zeit in einer neuen Umgebung mit neuen Bekannten und einer neuen Hochschule vergeht rasend schnell.“ Beim Ansehen wollte es Patrick allerdings nicht bewenden lassen und beschwerte sein Gepäck mit seiner Film- und Fotoausrüstung.

Eigentlich hatte sich der Multimedia-Production-Student vorgenommen, seinen Aufenthalt zu verfilmen, doch das ambitionierte Projekt erwies sich als zu aufwändig: „Hinter einer Minute Film stecken schon mal 20 Stunden Arbeit“, erklärt Patrick. „Das hätte ewig gedauert. Ich habe zwar dennoch viel gefilmt, aber mich schließlich auf Fotografie konzentriert. Ein gutes Foto braucht zwar auch eine halbe Stunde, aber so konnte ich schnell mehr zeigen. Außerdem finde ich es sehr entspannend, die Technik aufzubauen dann und auf den richtigen Moment zu warten. Wenn man den erwischt, kann man etwas von einem Ort mitnehmen oder einen Moment festhalten, der einmalig ist.“

In Bratislava angekommen stelle Patrick fest, dass es in seiner neuen Heimat auf Zeit keinen Mangel an interessanten Motiven gab. „Ich wollte nicht nur die üblichen Postkarten-Motive einfangen, sondern war auf der Suche nach neuen und interessanten Ansichten. Ich habe meine digitale Spiegelreflexkamera eigentlich immer dabeigehabt und immer wieder auch die Einheimischen nach Geheimtipps gefragt, aber auch der Zufall hat mir geholfen“, erinnert sich der Student.

Für zusätzliche Motivation sorgte, dass seine Bewerbung als ‚Social-Media-Ambassador‘ beim International Office der FH Kiel erfolgreich war. Seine Aufgabe war es fortan, interessante Fotoeindrücke seines Studienortes im Ausland auf seinem Instagram-Kanal zu veröffentlichen. „Das war ein schönes Taschengeld und es hat mich noch mehr motiviert, außergewöhnliche Seiten von Bratislava zu finden zu zeigen. Auch haben mir die Stadt, die Atmosphäre und die Menschen so gefallen, dass ich gerne mehr Studierende für Bratislava interessieren wollte.“

Auch die Hochschule für Bildende Künste entsprach voll Patricks Erwartungen. In kleinen Kursen, teils bei Filmpreisträgern, durften die Film-Studierenden entsprechend ihrer Interessen selbst die inhaltliche Ausrichtung mitbestimmen – ob sie sich dem Medium von der theoretischen Seite annähern oder praktische Erfahrungen sammeln wollte. Schnell starteten die Studierenden in Projekte, und die gute Vernetzung und der unkomplizierte Umgang innerhalb der Hochschule gaben den Ambitionen einen zusätzlichen Schub.

„Ich wollte ein dokumentarisches Stück über Tanz machen“, erinnert sich Patrick. „Eine E-Mail an die Leiterin des Instituts für Tanz, und der Stein kam ins Rollen. Es war einfach alles sehr unkompliziert.“ Allerdings sorgte der Ausbruch der Corona-Pandemie dann unverhofft für eine Vollbremsung. „Die Umstellung auf die Online-Lehre dauerte gut zwei Wochen, in denen auch das Leben in der Stadt einschlief“, schildert Patrick. „Wo vor Tagen noch hunderte junger Menschen bis in die Nacht zusammensaßen, herrschte plötzlich Leere. Auch Treffen mit anderen Studieren waren bald nicht mehr möglich. Das war bedrückend, so eine Wende erleben zu müssen.“

Wie viele andere ‚Outgoings‘ entschloss sich auch Patrick schließlich aufgrund der unsicheren Lage seinen Aufenthalt im Ausland abzubrechen. Da mittlerweile jedoch der Durchgangsverkehr durch Tschechien eingestellt war, wurde die Rückreise zur denkwürdigen Expedition: Sein WG-Mitbewohner fuhr Patrick mit Sack und Pack über die Grenze in das österreichische 900-Einwohner-Dorf Berg, von wo aus er über Wien mit dem Zug nach Kiel zurückfuhr.

In Videokonferenzen brachte Patrick von der Förde aus sein Auslandssemester an der Hochschule für Bildende Künste zu Ende. Trotz der verfrühten Abreise war der Aufenthalt für ihn dennoch eine wichtige Erfahrung. „Ich habe viel über Facetten des Dokumentarfilms gelernt. Diese Vielfalt hat mich so begeistert, dass ich mittlerweile an einem eigenen Dokumentarfilm arbeite, in dem ich mich selbst und meine Familie reflektiere.“

Und auch zurück in der Heimat lässt Bratislava den Filmemacher nicht los. „Im Herbst werde ich für zwei oder drei Wochen wieder dorthin fahren, um mich mit meinen WG-Bewohnern und meinen neuen Freunden zu treffen. Es war eine großartige Zeit in Bratislava und ich hoffe, dass ich mit meinen Bildern auch andere für diese tolle Stadt im Herzen von Europa begeistern kann.“

© Fachhochschule Kiel