Luftbild© J. Klimmeck

FH-Nachbar GEOMAR: Wissensdrang im Wasser und in der Luft

von Martin Geist

Dem Wasser verbunden, dabei fest auf der Erde stehend und zugleich dem Himmel nah: So präsentiert sich der vielleicht besonderste Nachbar der Fachhochschule Kiel, das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Gemeint ist diese Beschreibung strikt wissenschaftlich, denn das GEOMAR beschäftigt sich tatsächlich mit allen drei Elementen. Und das immer wieder innerhalb von Projekten, die weltweit Aufmerksamkeit erregen. Wie es sich in einer guten Nachbarschaft gehört, spielt dabei gern auch mal die FH eine Rolle.

Als studierte Meteorologin hat es Prof. Katja Matthes zumindest aus laienhafter Perspektive betrachtet vor allem mit dem Himmel. Am 1. Oktober 2020 trat sie die Nachfolge des nunmehrigen Ruheständlers Prof. Peter Herzig an und wurde Direktorin der Forschungseinrichtung. In ihrer neuen Aufgabe steht die Forschung weiterhin im Fokus, nur dass sich natürlich ihr Spektrum zum Forschungsmanagement hin erweitert hat und es zum wichtigen Teil ihrer Arbeit geworden ist, gute Forschung möglich zu machen. Mit der Kieler Meeresforschung ist sie bestens vertraut. Schon seit 2012 widmet sie sich am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und in der der Christian-Albrechts-Universität angedockten Professur der Klimaforschung und weiß insofern ganz genau: „Klimaforschung kann man nicht ohne den Ozean machen.“

Diese breite Perspektive ist auch institutionell untermauert. Spätestens seit im Jahr 2004 das Institut für Meereskunde und das GEOMAR Forschungszentrum für Marine Geowissenschaften zusammengelegt wurden, kam zusammen, was von der Sache her schon immer zusammengehörte, betont Dr. Andreas Villwock, der als Leiter der Abteilung Kommunikation & Medien für die Öffentlichkeitsarbeit des Zentrums zuständig ist und in dieser Funktion häufiger mit Schülerinnen und Schülern zu tun hat. „Ich erzähle dann gern, dass es im Prinzip ziemlich egal ist, ob man Meteorologie, Ozeanographie oder Geophysik macht “, erläutert er die inhaltliche Dimension: „Es geht im Kern immer um Wellenausbreitung, nur eben in verschiedenen Medien.“

Und so zeigt sich im Forschungsalltag dieser Einrichtung stets neu, wie das Medium Wasser mit dem Medium Luft und darüber hinaus den zahllosen Facetten der Biologie zusammenhängt. Das Grundverständnis des Ozeans im globalen Wirkungssystem ist das eigentliche Thema, und zwar tatsächlich in einem denkbar umfassenden Sinn. Der zeigt sich zum Beispiel an der Frage, was die Meere eigentlich mit dem Klima zu tun haben? „Der Ozean bedeckt mehr als 70 Prozent der Erdoberfläche und speichert 20 bis 30 Prozent des CO2“, betont Prof. Matthes. Zudem tauscht das Meer unentwegt Wärme mit der Atmosphäre aus. Unterm Strich führt all das zu komplexen Vorgängen, indem unter anderem Strömungen zu Wasser und in der Luft zur Freisetzung von Gasen oder auch Energie führen und mithin entscheidend die Art prägen, wie die Menschen leben und wirtschaften.

Jede Menge Wissen zu diesen Vorgängen speichert der Ozean. „Er ist unser Langzeitgedächtnis“, betont die GEOMAR-Direktorin, um diesen Satz mit einem Beispiel aus der Klimaforschung zu veranschaulichen. Gelänge es tatsächlich, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, so würde das bedeuten, dass der Meeresspiegel, der gegenwärtig jährlich um rund vier Millimeter wächst, trotzdem noch weitere Jahrzehnte ansteigen wird. Das hängt schlicht damit zusammen, dass die Meere enorme Mengen an Wärme speichern und diese Energie nur sehr langsam wieder abgeben. Die (Klima-)Sünden von heute rächen sich also noch Generationen später. Andererseits verweist Katja Matthes auf die doppelte Pufferfunktion des Ozeans. So wie er einerseits die Erderwärmung nachwirken lässt, könnte er andererseits Teil der Lösung sein, indem seine Fähigkeit zur CO2-Speicherung durch menschliches Zutun gestärkt wird. „Mit Seegras oder Makro-Algen wäre so etwas wie eine Unterwasser-Aufforstung denkbar, um das Problem zumindest zu entspannen, bis nachhaltige Konzepte greifen“, erklärt die Expertin. Zugleich räumt sie aber ein, dass solche Varianten des sogenannten ‚Klima-Engineering‘ durchaus umstritten sind und eine langfristig verantwortungsvolle Klimapolitik nicht ersetzen können.

Das umso mehr, als der Mensch noch weit davon entfernt ist, die Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre wirklich komplett durchdrungen zu haben. Treten etwa Flüsse über die Ufer oder fallen Stürme besonders stark aus, streiten nach wie vor selbst Fachleute darüber, ob es Einzelereignisse sind oder sich verstetigende Folgen des Klimawandels zugrunde liegen. Prof. Mojib Latif, ebenfalls ein GEOMAR-Meteorologe und ein Klimaforscher, der die Arbeit seiner Zunft verständlich wie kaum jemand anders erklären kann, betrachtet dabei die Häufigkeit extremer Wetterlagen als wichtiges Indiz. Will heißen: Kommt es nachweisbar in kürzeren Abständen zu Orkanen oder Hochwasser, spricht vieles dafür, dass der Klimawandel zumindest ein wesentlicher Teil des Problems ist.

Erforscht wird am GEOMAR aber nicht nur das globale Klima, sondern auch der Zustand der Meere an sich. Wie verändern sich bei steigenden Wassertemperaturen oder veränderten Strömungsverhältnissen die Populationen an Fischen und anderen Lebewesen? Verdrängen womöglich bestimmte Arten die angestammten? Solche Themen sind ebenso Gegenstand von Projekten wie die Auswirkungen der Fischerei auf die Ökosysteme.

Breite Aufmerksamkeit erregte vor wenigen Monaten die „Sonne“, derzeit das modernste Forschungsschiff Deutschlands. Forschende des GEOMAR waren damit auf der Jagd nach Mikroplastik im Meer, damit untersucht werden kann, ob kleinste Partikel an Kunststoff Muscheln, Wattwürmern und anderen Meeresbewohnern schaden können. Falls dem so sein sollte, bestünde im Gegenzug vielleicht die Möglichkeit, Mikroplastik speziellen Bakterien zum Fraß vorzusetzen und damit unschädlich zu machen. „Wir können Mikroplastik überall nachweisen, können aber die Wirkmechanismen noch nicht genau nachvollziehen“, beschreibt Prof. Matthes den Stand der Dinge. Das Kieler Helmholtz-Zentrum, das als eine der weltweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Meeresforschung gilt, wird also noch eine ganze Weile mit dem Thema beschäftigt sein.

Mindestens genauso gilt das für das Verständnis der Ressourcen des Ozeans. Manganknollen oder Gashydrate haben Potenzial für Rohstoff- und Energieversorgung, Nahrung aus dem Meer ist ein anderes sehr wichtiges Thema. Sollen Ressourcen in sensiblen marinen Ökosystemen genutzt werden, ist es aber besonders wichtig, die Chancen und Risiken solcher Eingriffe zu untersuchen, um Umweltschäden weitestgehend zu begrenzen.

Im zu der Einrichtung gehörenden Zentrum für marine Wirkstoffforschung, GEOMAR BioTech, steht ebenfalls die Zukunft im Fokus. Nachdem beispielsweise Kosmetik aus Ostsee-Algen schon manchen Teint pflegt, könnten eines Tages vielleicht auch Arzneimittel beziehungsweise deren Wirkstoffe aus dem Meer gewonnen werden. Zweifellos ein spannendes Forschungsgebiet, das aber trotz mancher Fortschritte noch einen laAuf der anderen Seite kommt potenziell nicht nur Gutes aus dem Meer, sondern zuweilen auch Katastrophales. Sturmfluten verbreiten an den Küsten dieser Welt regelmäßig Angst und Schrecken; handelt es sich um einen durch ein Erdbeben unter Wasser ausgelösten Tsunami, kann es zu regelrecht desaströsen Ausmaßen kommen. Verhindern werden sich solche Ereignisse wohl nie lassen, ein großes Ziel der Wissenschaft ist es aber, sie verlässlich genug vorauszusagen, um die betroffenen Regionen zur richtigen Zeit evakuieren zu können. Während für dieses Thema besonders das ebenfalls unterm Dach der Helmholtz-Gemeinschaft angesiedelte Deutsche Geoforschungszentrum in Potsdam zuständig ist, befassen sich die Kieler Fachleute mit den Folgen von marinen Naturgefahren wie Hangrutschungen und Vulkanausbrüchen.

Schon Konkretes tut sich derweil ums Problem Munition im Meer. Klar ist, dass Explosionen von unter Wasser liegenden Kriegsbomben großen Schaden anrichten können. Ebenso offensichtlich sind zudem die den Wasser-Lebewesen drohenden Gefahren, wenn diese Bomben TNT und andere Gifte freisetzen. Wie sich die Minen bergen und entsorgen lassen, dazu hat sich das GEOMAR schon reichlich Kompetenz erarbeitet. Praktisch angewandt werden könnte diese Kompetenz auch innerhalb der TransMarTech GmbH, einer noch jungen Gesellschaft zur Förderung des maritimen Wissenstransfers, der neben dem GEOMAR und der FH Kiel noch weitere Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsbetriebe angehören.

Überhaupt, so betont die Direktorin des GEOMAR, pflege man mit der FH eine „sehr gute Zusammenarbeit“. Besonders im Bereich der Messtechnik, die wegen der sehr speziellen Fragestellungen in den einzelnen Forschungsvorhaben nicht von der Stange zu haben ist, erweisen sich die Fachkräfte vom anderen Ufer der Schwentine als wertvolle Stützen des Erkenntnisgewinns.

Bereits angelaufen ist außerdem ein recht spektakuläres Projekt, um gemeinsam ein Autonomes Unterwasser-Vehikel (AUV) zu bauen. „Die Beteiligten sind sehr zuversichtlich, dass das mit vereinten Kompetenzen zu schaffen ist“, berichtet GEOMAR-Sprecher Villwock, nach dessen Angaben ein etwa zwei bis drei Meter langer Unterwasserroboter vorgesehen ist, der bis zu 6000 Meter tief tauchen kann.

Solches Miteinander könnte sich dank eines räumlichen Faktors künftig sogar entscheidend mehren. Noch sind die ungefähr 1000 Forschenden und mitarbeitenden Studierenden des GEOMAR jeweils grob zur Hälfte auf dem Westufer und auf dem Ostufer tätig, bald schon werden sie aber an einem Standort vereint sein. Mit einer Gesamtfläche von 30.000 Quadratmetern sowie fast 250 Büros und 170 Laboren entsteht auf dem Gelände des Seefischmarkts einer der größten Meeresforschungsstandorte in Europa. Der erste Spatenstich wurde im Frühling 2017 getan, fertiggestellt sein soll der Erweiterungsbau im ersten Quartal 2022.

Meteorologin Matthes, die wie ihr gesamter Fachbereich vor dem Wechsel ins neue Amt ihren Platz im Düsternbrooker Weg hatte, kann sich durchaus vorstellen, dass diese Zusammenlegung unter den Beschäftigten teilweise gemischte Gefühle auslöst. „Besonders denjenigen, die auf dem Westufer wohnen, fällt es sicherlich nicht leicht“, meint sie und verweist zugleich auf viele Vorteile. Ein „fantastischer Blick“ biete schließlich auch der zudem mit einem architektonisch eindrucksvollen Bau hervorgehobene zentrale Sitz auf dem Ostufer. Vor allem aber werden nach ihrer Überzeugung die Vorteile der kürzeren Wege deutlich überwiegen. Und als dauerhafte Erinnerung an den Forschungsstandort auf dem Westufer bleibt immerhin das Aquarium samt Seehunden erhalten.

Nicht nur erhalten, sondern ausgebaut werden soll indes der Wissensstandort Ostufer. Gemeinsam mit dem seinerseits erst im Juli 2020 berufenen FH-Präsidenten Björn Christensen – und im guten Einvernehmen mit der Kieler Rathausspitze – setzt sich Prof. Matthes dafür ein, diesen Teil von Kiel grundsätzlich zu stärken und zu entwickeln. Schnell von der einen auf die andere Seite der Schwentine zu kommen, ist unbedingt Bestandteil dieses Ansinnens. Die GEOMAR-Chefin hofft auf eine auch an der FH schon ins Auge gefasste „tolle Fährverbindung, vielleicht sogar autonom“. Und zeigt sich darüber hinaus offen für Ideen, um diese natürliche Hürde zu überwinden. Angesichts des künftig mehr denn je geballten Sachverstands an der Schwentine wäre es wohl auch gelacht, wenn dieses Ziel nicht erfüllt werden könnte.

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