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Warum gibt es den Internationalen Frauentag?

von Hartmut Ohm

Am 19. März 1911 wurde in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz der erste Internationale Frauentag gefeiert, bald darauf auch in anderen Ländern. Seit 1917 findet er immer am 8. März statt. Die Nationalsozialisten verboten diesen Tag, an dem für die Rechte der Frauen gekämpft wird, sie erhoben den Muttertag in den Rang eines offiziellen Feiertages. Bald nach der Befreiung Deutschlands gingen aber auch die Frauen hier wieder für ihre Rechte auf die Straße.

Warum gibt es den Internationalen Frauentag eigentlich, und was bedeutet er uns heute? Hartmut Ohm aus der Campusredaktion fragte Dr. Marike Schmeck, die Gleichstellungsbeauftragte der FH Kiel.

Warum gibt es den Internationalen Frauentag?

Am internationalen Frauentag demonstrieren seit über 100 Jahren Frauen für die Gleichstellung und gegen die Diskriminierung von Frauen. Die bisherigen Errungenschaften der Frauenbewegungen, von denen auch die junge Frauengeneration profitiert, wurden den Frauen keineswegs geschenkt, sondern sind hart von ihnen erkämpft worden. Und noch immer gibt es strukturelle Barrieren, die dazu führen, dass Frauen nicht die gleichen Lebens- und Berufschancen haben wie Männer. Darum demonstrieren am Internationalen Frauentag unterschiedliche Frauengruppierungen, die sich politisch engagieren und ihre jeweiligen politischen Forderungen in die Öffentlichkeit tragen.

Warum ist dieser Tag heute immer noch wichtig?

Im Grundgesetz steht „Frauen und Männer sind gleichberechtigt“, im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, dass niemand aufgrund seines Geschlechts benachteiligt werden darf. In der modernen Gegenwartgesellschaft erleben wir aber ein Auseinanderklaffen zwischen der Norm der geschlechtlichen Gleichstellung und dem Stand ihrer tatsächlichen Umsetzung – besonders sichtbar im Kontext von Arbeit, Beruf und Familie.  Aber auch Gewalt gegen Frauen, insbesondere Partnergewalt, ist ein konstantes Problemfeld im Geschlechterverhältnis.

Darüber hinaus bietet der Internationale Frauentag auch eine Plattform für Kritik an kulturellen Setzungen von Heteronormativität oder Geschlechterbinarität, die dazu führen, dass bestimmte Gruppen innerhalb unserer Gesellschaft mit mehr und andere mit weniger Privilegien ausgestattet sind.

Was sind zurzeit die größten Probleme im Bereich Gleichberechtigung?

In vielen Ländern der Welt haben Frauen nicht das Recht, über ihr Leben und ihren Körper selbst zu bestimmen. Sie sind im besonderem Maße von Gewalt betroffen, erleben sexuelle Übergriffe und Missbrauch, Genitalverstümmelung oder werden – bisweilen bereits im Kindesalter - zwangsverheiratet oder auch zwangsprostituiert. Vielerorts haben sie keinen oder nur bedingten Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Rechtsprechung. Dies sind nur einige Beispiele, die Bandbreite von Ungleichbehandlungen und Menschenrechtsverletzungen ist vielfältig.

Und bei uns in Deutschland?

Faktisch verhält es sich so, dass Frauen in Deutschland noch immer den Großteil der unbezahlten privaten Fürsorgearbeit leisten, im Durchschnitt bedeutend weniger verdienen als Männer, selten einflussreiche Führungspositionen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik bekleiden und in der Konsequenz unzureichend in richtungsweisende gesellschaftliche Entscheidungsprozesse eingebunden sind.

Wie kann gendergerechte Sprache helfen, Gleichberechtigung herzustellen?

Sprache schafft Bewusstsein. Sprache erzeugt Bedeutungen, erzeugt Bilder in unseren Köpfen und formt darüber unsere soziale Wirklichkeit. Wer sprachlich benannt wird, erhält Sichtbarkeit, Anerkennung und Legitimation.

Frauen haben lange darum gerungen, in der Sprache sichtbar gemacht zu werden und nicht bloß mitgemeint zu sein. Wenn ich immer nur in der männlichen Form vom Topmanager, Politiker oder Chefarzt spreche, dann werde ich in meiner Vorstellung diese Positionen auch eher mit Männern verknüpfen und sie tendenzielle eher für geeignet halten, bestimmte Funktionen zu übernehmen.

Dabei sind die Anforderungen komplexer geworden, denn auch Menschen, die sich nicht innerhalb der Norm der Zweigeschlechtlichkeit zuordnen können oder wollen, haben einen berechtigten Anspruch darauf, in der Sprache sichtbar und damit wahrnehmbar zu sein. In der Sprache abgebildet zu werden, ist von elementarer Bedeutung für die soziale Existenz. Denn wenn ich sprachlich nicht repräsentiert bin, dann werden ich und meine Rechte und Bedürfnisse weniger wahr- und erstgenommen.

Was sollten Männer tun, um Frauen im Kampf für die Gleichberechtigung zu unterstützen?

Männer erkennen zunehmend, dass auch sie von einer gleichberechtigteren Gesellschaft profitieren würden, dass althergebrachte Zuschreibungen an ihr Geschlecht ebenfalls Zwänge und Erwartungen beinhalten, mit denen sich vor allem jüngere Männer nicht mehr vollumfänglich identifizieren.  Viele Männer setzen sich heute daher bereits - auf nationaler wie internationaler Ebene - aktiv für gleiche Rechte von Frauen ein. Das können gerne noch mehr werden.

Eine zentrale Voraussetzung ist dabei die Bereitschaft von Männern, sich mit Frauen zu solidarisieren, sich aktiv für Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen und zu diesem Zweck auf die Privilegien zu verzichten, die Männern in unserer Gesellschaft nicht aufgrund ihrer Leistung, sondern aufgrund ihres Geschlechts zuteilwerden. 

Gibt es auch etwas, dass Sie sich von den Frauen wünschen?

Ich wünsche mir von Frauen, dass sie das Erreichte nicht für selbstverständlich begreifen und die Leistungen vergangener Frauengenerationen anerkennen und wertschätzen. Dass sie sich nicht zufrieden geben oder gar rückwärts wenden, sondern auch zukünftig bereit sind, für Gleichstellung und die Gleichbehandlung von Menschen einzutreten.

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