Hans Klaus© Grope

Heute in der Reihe „Wie wird man eigentlich Professor*in?“: Dr. Hans Klaus

von Lena Kuhn

Herr Klaus, Sie haben in Nürnberg studiert und – nach Stationen in der Praxis – promoviert. Danach gingen Sie als Professor nach Stuttgart. Wie kamen Sie dann am Ende dazu, nach Schleswig-Holstein an die FH zu gehen und hier zu unterrichten?

Meine erste Professur hatte ich in Stuttgart. Professuren gibt es nicht wie Sand am Meer, also habe ich mich beworben. Das ging gut, allerdings gefiel es mir in Stuttgart nicht. In der Kessellage war es mir ein bisschen zu eng. Und so habe ich mich Anfang 1990 an mehreren Hochschulen, gestreut über Deutschland, beworben. So hatte ich im Juli 1990 zwei Stellen zur Auswahl: Eine in Konstanz und eine in Kiel. Schön weit auseinander. Kiel fand ich damals für mich interessanter. Auch, weil ich meine Professur – ursprünglich war in Kiel nur ABWL ausgeschrieben – um Unternehmensführung erweitern konnte.

Und da sind Sie dann geblieben.

Da bin ich bisher geblieben, weil dann ja auch Kinder kamen, familiäre und freundschaftliche Bindungen entstanden. Außerdem ist Kiel ein schöner Standort. In Kiel habe ich mich auch deshalb beworben, weil es in Schleswig-Holstein liegt, und Schleswig-Holstein war schon mein Urlaubsort, seit ich 18 Jahre alt war. Der Spruch „dort arbeiten, wo andere Urlaub machen“ bzw. wo ich Urlaub machte, der traf dann auch ein bisschen auf mich selbst zu.

Sie haben ja noch mitbekommen, wie die FH, bevor sie einen Campus in Dietrichsdorf bekam, mit ihren Standorten über die Stadt verteilt war. Wie war das damals?

Wir hatten uns alle daran gewöhnt. Und ich auch, ganz schnell, nachdem ich anfing. Das war eben so mit zwei Standorten unseres Fachbereichs. Der eine am Westring, der zweite Standort im Merkurhaus am Dreiecksplatz. Durch diese Trennung ging der interne Austausch langsam, wir haben viel miteinander telefoniert. Es gab zwei Sekretariate, zwei Teilverwaltungen. Regelmäßig hat eine der Sekretärinnen die Post vom einen Standort zum anderen gebracht und auch wieder zurück. Auch ich als Prodekan musste manchmal von einem Standort zum anderen pendeln. Man tat gut daran zu laufen. Zu Fuß – der Verkehr war damals schon so dicht – war man eine halbe Stunde unterwegs. Die ganze FH war über Kiel verstreut, wir hatten um die zehn Standorte bei fünf Fachbereichen. Von daher war die Koordination, die Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen langsam und auch sehr dürftig. Wir kannten uns auch kaum, und wir taten uns auch deswegen immer schwer, schwerer als heute, uns zu verstehen. Man blieb sich fremd.

Welche Veränderungen bedeutete dann der gemeinsame Campus am Ostufer für Sie?

Es ist ein ganz anderes kollegiales Miteinander. Man ist zusammen auf einem Campus, man geht über den Campus, um irgendetwas zu erledigen, man geht in die Bibliothek oder sich was zu essen holen. Unterwegs trifft man viele: Natürlich seine eigenen Studierenden, aber eben auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachbereichen. Jetzt weiß ich einfach, wer da so in den anderen Fachbereichen tätig ist. Man sieht sich, man stellt sich vor, dann sitzt man gemeinsam in der Mensa oder im Diner, und man schnackt miteinander. So kommt man sich näher. Seitdem gibt es auch über die Fachbereiche hinweg gemeinsame Aktivitäten. Mal gemeinsame Seminare, so wie ich sie zum Beispiel im Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit mache oder auch mal in den technischen Fachbereichen gemacht habe. Das, so denke ich, ist der große Vorteil des gemeinsamen Campus.

Fehlt Ihnen etwas aus der Zeit des dezentralen Standorts?

Wir waren damals der Innenstadt ganz nahe. Wenn man was erledigen wollte, sei es beruflich oder privat, ging das fixer als heute. Heute müssen wir immer um die Hörn herumfahren. Dazu gehört auch, dass es noch einfacher war, die Bibliotheken der Universität und des Instituts für Weltwirtschaft zu nutzen. Das fand ich sehr vorteilhaft. Natürlich gibt es Online-Ressourcen für die wissenschaftliche Tätigkeit und für die Lehre, aber manchmal ist es doch schön, wenn man ein Buch mal in der Hand halten und drin blättern kann. Ich glaube aber, wir sind am Ostufer insgesamt zufrieden.

Sie haben die Bologna-Reform, in der aus Diplom-Studiengängen Bachelor und Master wurden, um Studienabschlüsse international vergleichbar zu machen, erlebt. Wie war das für Sie als Lehrender, diese Reform einmal mitzumachen?

Ich habe die Bologna-Reform wesentlich mit begleitet und bestimmt. Das lag daran, dass ich damals Dekan war. Es machte viel Arbeit, die Studiengänge umzustellen. Und es hat auch für mich aus meinem Erleben heraus, etwas gebracht, was ich nicht so gut fand: Das war die Vorgabe der Modularisierung. Also die Notwendigkeit, Modulbeschreibungen zu erstellen, schon lange, bevor die Module überhaupt durchgeführt werden; ferner die Notwendigkeit, viel mehr zu dokumentieren. Die größte Herausforderung, die wir hatten, war, unsere Studiengänge so zu konstruieren, dass auch die Absolvent*innen von Bachelorprogrammen Kompetenzen erwerben konnten, die sie berufsfähig machen. Das Diplom war etabliert, da hatten wir auch acht Semester Studienzeit. Wir mussten nun den ersten berufsqualifizierenden Abschluss, den Bachelor, in sechs Semestern schaffen. Und das war durchaus anspruchsvoll. Wir haben die Studiengänge neu konstruiert. Dass das Diplom so etabliert war, führte dazu, dass man sich als Hochschullehrer*in auch tatsächlich schlecht gefühlt hat: Die Unternehmensvertreter wollten diese neue Struktur nicht akzeptieren, obwohl die Berufsverbände im Namen der Unternehmen den Bologna-Prozess vehement gefordert hatten. Dass die Unternehmensvertreter den Bachelor überhaupt nicht akzeptieren wollten und nicht recht wussten, was ein Master ist, empfanden wir als große Herausforderung. Ich habe deshalb eine jahrelange Tournee gemacht zu Unternehmen und Verbänden, um zu erklären, was ein Bachelor bzw. ein Master „kann“. Das war ein hartes Stück Arbeit. Immer und überall war die Frage, was soll das denn, warum macht ihr Hochschulen das, warum bietet ihr uns nicht mehr das Diplom? Immer wieder war zu erläutern: Es gibt gute Gründe, nämlich die internationale Vergleichbarkeit und dass die Studierenden früher in die Arbeit kommen; und die Absolvent*innen erwerben relevante Kompetenzen.

Gibt es weitere Meilensteine in den zurückliegenden 30 Jahren Ihrer Lehrtätigkeit?

Es war schon ein Meilenstein, nach Kiel zu wechseln. Denn die Kultur in dieser Hochschule, die Kultur in Schleswig-Holstein ist anders, als ich es vorher gewohnt war. Jede Kultur in jeder Organisation ist eigen, und meine alma mater, die Uni Nürnberg, war anders gestrickt. Kiel kannte ich nicht – ich hatte immer an der Westküste Urlaub gemacht – in Kiel war ich erstmals im Juni 1990 zu meiner Bewerbung.

Und im Oktober habe ich hier begonnen. Dann habe ich ganz schnell in den Gremien mitgearbeitet. Ich war nach anderthalb Jahren Mitglied des Senats und des Konvents und fand es sehr spannend, diese unterschiedlichen Subkulturen zu balancieren. Da man sich nicht kannte, hat man sich auch weniger gut verstanden, und man musste viele Unterschiede balancieren. Ein weiterer Meilenstein war natürlich die Übernahme des Dekanats. Innerhalb dieses Zeitraums war der Umzug auf den Campus, den ich für unseren Fachbereich mitorganisierte. Ich arbeitete auch in unserem Fachbereichstag, der Bundesdekanekonferenz, mit und leitete diese zehn Jahre lang, auch noch nachdem ich aus dem Dekanat ausgeschieden war. Schließlich begann ich die Mitarbeit am Deutschen Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen und an den Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse, die wir 2005 und 2017 verfasst haben.

Sie haben sich ja viel mit Hochschulentwicklung befasst. Was aus Ihrer Lehre konnten Sie da mitnehmen, und was aus Ihrer Lehre konnten Sie direkt in die Arbeit da übertragen?

Hochschulentwicklung, das war mein Thema: Da befasse ich mich vor allem mit inhaltlichen Fragen. Welche Kompetenzen soll ein*e Absolvent*in, welche Kompetenzen darf man von ihr*ihm erwarten, oder eben auch nicht? In dem Zusammenhang wirkte ich erstens mit bei den Arbeiten für die Einordnung der Wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge im DQR. Zweitens kam die Arbeit am Hochschulqualifikationsrahmen, bei dem wir deutlich gemacht haben, worin denn der Kern hochschulischer Bildung besteht. Neben BWL habe ich auch Wirtschaftspädagogik studiert, sodass ich die Erkenntnisse aus den Grundfragen der Methodik und der Didaktik zu nutzen versuche, um die Studierenden zu fördern,  damit sie nicht nur Wissen anhäufen, sondern eben auch ihr Wissen verstehen und zwar auf der Basis fachlicher Grundlagen und breiter Allgemeinbildung. Dass sie methodisch sauber arbeiten, in der Wissens-Anwendung und Wissens-Erzeugung, dass sie dabei mit anderen Menschen zusammenarbeiten und kommunizieren, und dass sie dabei, das ist mir ein echtes Anliegen, wissenschaftliche Professionalität walten lassen: systematisch vorgehen, wenn sie ein Problem lösen wollen, Grenzen der Problemlösung und des eigenen Wissens und Könnens reflektieren, und die Ergebnisse immer als vorläufig begreifen. Das ist unser Verständnis von Wissenschaftlichkeit, das stärker zur Geltung zu bringen ist. Da sollten wir noch einiges ändern. Gerade weil ich selber so lange Dekan war und in so vielen Gremien mitarbeitete, erlebte ich (und erlebe immer noch) die Herausforderungen, wenn man was verändern möchte: im Festhalten am Althergebrachten. Das gilt für den einzelnen Menschen, aber besonders für Kollektive oder für Organisationen. Gleichzeitig bin ich ein unermüdlicher Verfechter davon, dass unsere Absolvent*innen ein hochschulisches, wissenschaftlich begründetes Selbstverständnis für ihre Arbeit haben.

Was hat sich denn fachlich in den letzten 30 Jahren geändert?

Es gibt offenkundig immer wieder neue Rechnungslegungsvorschriften, veränderte Rechtsformen, ausdifferenzierte Kosten-Leistungs-Rechnungs-Systeme oder neue Publizitätsvorschriften. Was ist daran im Studium wichtig? Es ist nicht sinnvoll, den Studierenden zuzumuten, alle diese Einzelheiten zu lernen. Die Studierenden sollen sich Grundlagen erarbeiten, um fähig zu sein, Neuerungen wie die genannten immer wieder aufzufangen, aufzufassen, einzuordnen und dann damit zu arbeiten. In der Unternehmensführung gibt es immer wieder neue Buzzwords, neue Trends. Ein Beispiel: New Work. So ein Buzzword, finde ich, kann man nur verstehen, wenn man in der Lage ist, die Kerne hinter solchen Neuigkeiten und Modewörtern zu sehen und zu verstehen. Vor Kurzem fand ich in meinen Unterlagen einen Aufsatz eines Kollegen zum „Paradigma der neuen Dezentralisation“ von 1996 wieder, der beschreibt, was heute unter dem Schlagwort New Work in den Medien auftaucht, insbesondere in Social Media und im Internet. Mit anderen Worten wird hier ein ganz ähnlicher Inhalt, eine ganz ähnliche Thematik aufgegriffen. Wir diskutieren schon ganz lange darüber, wie menschliche Arbeit aussehen muss, damit der Mensch sich nicht abgestoßen fühlt, sondern Freude an der Arbeit hat, weil er sich selbst einbringen kann. Solche Aspekte haben sich in der Unternehmensführungslehre nicht wirklich inhaltlich geändert, werden unter neuen Bezeichnungen dann „sexy“. Wirklich neu ist, dass wir heute in der Managementlehre verstärkt den systemischen Ansatz, das systemische Denken diskutieren: Vieles von dem, was wir beobachten, was wir erleben und was wir in Unternehmen steuern müssen, hängt wechselseitig miteinander zusammen; und wir können nicht sagen, dass, wenn wir eine Stellschraube drehen, genau das Bezweckte herauskommt. Diese Entwicklung freut mich vor allem, weil ich schon in den 1980er Jahren dazu gearbeitet und publiziert habe.

Wie haben sich Studierende in den letzten 30 Jahren Ihrer Lehrtätigkeit verändert?

Die Studierenden verändern sich laufend, wie wir Menschen uns alle verändern, das ist ja ein Spiel im Wechsel der Generationen. Uns Älteren sagt man nach, dass wir als Nachkriegsgeneration oder Baby Boomer lebten, um zu arbeiten. Plakativ gesagt, arbeiteten junge Menschen heute, um zu leben. Menschen möchten eben auch, und das ist ein wichtiger Punkt, in der Arbeit Freude erleben. – Das galt aber für frühere Generationen auch. Manchmal scheinen unsere Studierenden sehr eng eingenommen von diesem Zeitgeist: Sie interessieren sich manchmal etwas stärker als Studierende von früher dafür, unmittelbar verwertbare oder unmittelbar anwendbare Tools zu erlernen. Alles muss – überspitzt gesagt – Spaß machen. Ich sage, natürlich sollen Lernen und Studieren Spaß machen, besser: Studieren soll Freude machen. Das ist, finde ich, ein wichtiger Unterschied. Freude entsteht, wenn man ein bisschen bohrt, sich anstrengt, um dann sagen zu können: ich habe das begriffen, ich habe mir das erarbeitet. Nicht die Beherrschung kurzfristig gültiger Tools, sondern etwas Tiefergehendes. Und das wird deshalb wichtig, weil berufliche Aufgaben typischerweise offene, schlecht strukturierte Aufgaben sind. Die Welt ändert sich umgehend und rasch. Was heute geeignet ist an Instrument, das muss morgen nicht mehr geeignet sein. Also brauche ich die Kompetenz, einschätzen zu können, welche Instrumente geeignet sein könnten. Und dazu brauche ich tief reichende und breit aufgestellte Kompetenzen. Ich wünsche mir, dass die Studierenden ihre Neugierde auf den Erwerb solcher breit angelegten, tief gehenden Kompetenzen richten, dass sie diese Kompetenzen ausbauen. Ich glaube da wirklich an die Fähigkeiten und an das Können-Wollen unserer Studierenden.

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