Ein Mann in Deutschland Trikot, posiert vor einer roten Backsteinwand.© J. Tresp

‚Unser‘ Mann für London 2012 – Olympionik und FH-Student Hannes Baumann

von Jana Tresp

Gleichzeitig erfolgreich studieren und Leistungssport betreiben – das kann funktionieren. Den Beweis liefert Hannes Baumann. Er studiert Schiffbau und Maritime Technik an der Fachhochschule (FH) Kiel und beginnt gerade mit seinem Master. Im Sommer trat er mit seinem Teamkollegen Tobias Schadewaldt in der Bootsklasse ‚49er‘ bei den Olympischen Spielen in London an. Jana Tresp hat sich mit dem segelnden Studenten unterhalten.

Jana Tresp (JT): Waren die Olympischen Spiele Ihr Kindheitstraum?

Hannes Baumann (HB): Sozusagen. Ich komme aus Berlin und habe mit elf Jahren auf dem Müggelsee Segeln gelernt. Später bin ich auf eine Berliner Sportschule gegangen und habe dort in der 9. Klasse mit dem Leistungssport angefangen. Von da an waren die Olympischen Spiele mein großes Ziel.

Zu den Spielen in Peking hatte ich es schon einmal probiert, bin in der Ausscheidung aber leider nur Zweiter geworden. Dieses Mal hat es geklappt. Das Erlebnis war atemberaubend: der Einmarsch ins Stadion, die Abschlussfeier, der Austausch mit den anderen Athletinnen und Athleten. Der Wettkampf war auch toll und sehr intensiv, aber leider haben mein Partner Tobias Schadewaldt und ich nicht das Ergebnis erzielt, das wir uns vorgestellt hatten: Wir haben die Top Ten knapp verpasst, aber so ist Sport nun mal.

In vielen Disziplinen wie Kugelstoßen oder Schwimmen treten mehrere Athletinnen und Athleten pro Land an, beim Segeln hingegen nur ein Team oder eine Sportlerin, ein Sportler pro Bootsklasse. Das macht die Sportart so besonders. Wir waren das einzige 49er-Team aus Deutschland. Unsere Konkurrenz im eigenen Lager war groß; dass wir uns dagegen durchsetzen und so für die Olympischen Spiele qualifizieren konnten, war ein großer Schritt für uns.

JT: 49er? Ist das die Bootsklasse, in der Sie segeln?

HB: Genau. Bei vielen Booten leitet sich der Name von der Länge des Bootes ab: in diesem Fall 4,90 Meter. Der 49er ist ein Skiff, eine leichte Segeljolle mit Schwert, die zu zweit gesegelt wird und das schnellste Boot im olympischen Zirkus ist. Er ist vergleichbar mit einem großen Surfbrett, weil die Seglerinnen oder Segler – anders als bei anderen Bootstypen – stehen und nicht sitzen: Damit können sie im Trapez, also der langen Leine, die vom Mast ausgeht, ihr Körpergewicht weiter nach außen verlagern.

JT: Also ist es ein aktiveres Segeln als auf anderen Bootstypen?

HB: Aktiver ist schwer zu sagen. Der 49er unterscheidet sich im Anforderungsprofil von anderen Booten. Es ist koordinativ anspruchsvoller als beispielsweise ein Laser. Diese Einhandjolle ist dafür zum Beispiel kräftemäßig anspruchsvoller. Auf dem 49er ist es ziemlich wacklig. In einem Schwimmbad ohne Wind aufs Wasser gesetzt, würde das Boot einfach umkippen. Außerdem ist der 49er unglaublich schnell, so dass auch Entscheidungen sehr schnell getroffen werden müssen, während die Seglerinnen und Segler von Kielbooten sich die Situation noch einmal ‚in Ruhe‘ anschauen können.

JT: Wie viele Rennen sind Sie bei den Olympischen Spielen insgesamt gesegelt?

HB: 15 – das 16. Rennen ist das sogenannte Medalrace, in dem die Top Ten um die Medaillen fahren. Da konnten wir dann nur noch zuschauen.

JT: Aus der Olympia-Berichterstattung ging hervor, dass Sie einige Probleme hatten.

HB: Leider sind wir etwas holperig in die Wettkämpfe gestartet, die Anspannung ist bei den Olympischen Spielen auch nicht gerade klein. Im ersten Rennen hatten wir einen Frühstart, mussten umdrehen und das Feld von hinten aufrollen. Im zweiten Rennen hatten wir einen Knoten im Spinnaker-Fall. Am zweiten Tag sind wir gekentert. Danach ging es zwar bergauf, aber am Ende fehlten uns vier Punkte für die Top Ten.

JT: Wie waren die Segelbedingungen vor Ort?

HB: Unglaublich gut – immer vier bis fünf Windstärken, meistens klare Sicht und viel Sonne.

JT: Wie haben Sie sich auf die Olympischen Spiele vorbereitet?

HB: Im Großen und Ganzen haben wir die Saisonvorbereitung nicht anders gestaltet als sonst: regelmäßiges Training, am Weltcup-Zirkus teilnehmen und die Europa- oder Weltmeisterschaft mitsegeln. Viele, die sich für die Olympischen Spiele qualifizieren, denken, sie müssen alles anders machen. Wir sind unserer Linie treu geblieben – damit sind wir schließlich bisher erfolgreich gesegelt.

JT: Wie lang dauert eine Segelsaison normalerweise?

HB: Grundsätzlich kann man sagen: Je professioneller man das Ganze betreibt, desto zeitintensiver ist es auch. In Berlin konnte ich nur von April bis Oktober segeln, weil im Winter die Seen zugefroren waren. Aber seit ich professionell segele, trainiere ich das ganze Jahr über. Im Frühjahr auf Mallorca, im Winter oft auf der Südhalbkugel, in Australien oder auf den Bahamas – dann finden dort Weltcups statt. Am Anfang schauen wir, welches unsere Hauptwettkämpfe sein werden, um unsere individuelle Trainings- und Wettkampfsaison danach planen zu können. Normalerweise fangen wir im Januar oder Februar an zu trainieren. Nach der Europameisterschaft im September ist die Regattasaison eigentlich vorbei.

JT: Wie lange segeln Sie schon mit Ihrem jetzigen Partner Tobias Schadewaldt zusammen?

HB: Miteinander seit 2008 – gegeneinander segeln wir schon länger, denn er ist wie ich vorher auch Laser gesegelt. Er hatte für Peking schon einmal eine Olympiakampagne gestartet und war in der Qualifikation knapp gescheitert. Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt hat mein damaliger Steuermann aufgehört. Tobias Schadewaldt hatte Lust, den 49er einmal auszuprobieren – so sind wir ein Team geworden. Ich bin Vorschoter geblieben, er hat den Steuermann übernommen. Das muss natürlich passen. Ein Segelteam verbringt sehr viel Zeit miteinander.

JT: Wie viel Zeit?

HB: Anfangs haben Tobias und ich sechs Tage die Woche trainiert: Morgens haben wir studiert, nachmittags sind wir gesegelt. In der Zeit habe ich ihn häufiger gesehen als meine Freundin. Außerdem sind wir durchschnittlich 150 Tage im Ausland.

JT: Auf Ihrer Homepage gibt es unter der Rubrik ‚Team‘ den Punkt ‚was der Körper hergibt‘. Bei Ihnen steht dort: ₵ HF bei Ballermann ca. 179. Was bedeutet das?

HB: ‚HF‘ steht für Herzfrequenz und ‚Ballermann‘ ist ein umgangssprachliches Wort für ‚viel Wind‘. Segeln hat immer noch den Ruf, aus ‚Rumsitzen, Kaffee trinken und über den Teich schippern‘ zu bestehen. Mit dieser Angabe wollten Tobias und ich zeigen, dass dem nicht so ist.

JT: Seit 2010 gibt es die sogenannte Kooperationsvereinbarung zwischen dem Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband und den Hochschulen. Dadurch sollen sportbedingte Nachteile von studierenden Kaderathletinnen und Kaderathleten durch größtmögliche Flexibilität bei der Studienplanung ausgeglichen werden. Auch die FH Kiel ist Partnerhochschule des Spitzensports. Was bedeutet das für Sie?

HB: Die Hochschule hat mich immer sehr dabei unterstützt, mein Studium und das Segeln unter einen Hut zu bringen. Sogar schon vor dieser Kooperationsvereinbarung. Wenn beispielsweise eine Prüfung ansteht und ich aufgrund eines Wettkampfs nicht daran teilnehmen kann, darf ich diese nachschreiben. Außerdem hat die FH mich von meiner Anwesenheitspflicht befreit. Dadurch kann ich meine Trainingslager und Wettkämpfe so gestalten, wie ich es für richtig halte. In der Regel gehe ich am Anfang des Semesters zu meinen Professorinnen und Professoren und rede mit ihnen über meine sportlichen Vorhaben. So wissen sie Bescheid und wundern sich nicht, wenn ich unregelmäßig an den Lehrveranstaltungen teilnehme.

JT: Wie lange können Sie Segeln als Spitzensport betreiben?

HB: Das hängt zum Großteil von der Bootsklasse ab. Beim Starboot, einem Kielboot, das zu zweit gesegelt wird, sind einige Sportlerinnen und Sportler Mitte 40. Surferinnen und Surfer sind im Durchschnitt etwas jünger, weil der Sport sehr viel Fitness und Kondition abverlangt. Aber generell gibt es keine Altersgrenze. Solange ich die entsprechende Leistung erbringe, kann ich auch die Wettbewerbe mitsegeln.

JT: Was sind Ihre nächsten sportlichen Ziele?

HB: Wer die Olympischen Spiele erlebt hat, möchte auf jeden Fall noch einmal dabei sein. Daher heißt das große Ziel Rio de Janeiro. Auf dem Weg dahin liegen ein paar Welt- und Europameisterschaften. Die Top Ten zu erreichen, ist natürlich immer schön. Bei der letzten WM haben wir immerhin den 11. Platz belegt. In der Weltrangliste sind wir dritter. Da ist also auch noch Luft nach oben.

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