Zwei Frauen© A. Diekötter

Digitale Hochschulentwicklung mit dem Hochschulforum Digitalisierung

von Lena Kuhn

Mit Prof. Dr. Doris Weßels und Prof. Dr. Saskia Bochert ein Gespräch online zu führen bedeutet, mit zwei absoluten Profis der Digitalisierung im Internet zu sitzen. Professionelle Hintergründe, schnelles Bedienen der Software. Keine Frage, die im Gespräch aufkommt, darf faktisch ungenau bleiben. Während eine spricht, sucht die andere die Antworten zu Fragen, die sie sich gegenseitig zuspielen. Die Kunst des gegenseitigen Ergänzens trotz kleiner Delays in Bild und Ton haben die beiden gemeistert. Fragt man nach dem Hochschulforum Digitalisierung (HfD), muss man für eine Nachfrage mehrere Anläufe nehmen. Und viel Zeit einplanen. Denn es gibt viel zu sagen.

Zwei Schritte zurück: Was ist denn eigentlich das Hochschulforum Digitalisierung? „Das ist ein Konglomerat von ganz vielem,“ beschreibt Bochert. „Für mich ist es ein Ort, an dem ich mich deutschlandweit vernetzen kann.“ Ein Netzwerk für die Digitalisierung der Lehre und alle, die daran interessiert seien. Aber auch eine Toolbox, an der sie sich für ihre Lehre bedienen könne. Zum Nachlesen, für Tipps und Insights. Weßels sucht währenddessen die Definition heraus und ist prompt damit einverstanden: „Ein öffentlich finanzierter Think Tank, der sich mit Hochschulbildung im digitalen Zeitalter auseinandersetzt.“ Damit gehe sie überein, möchte aber noch ergänzen: „Für mich ist das eine Community, in der man diejenigen trifft, die wirklich an Digitalisierung und strategischer Weiterentwicklung von Hochschule interessiert sind.“ Offenkundig begeistert schwärmt sie von den Formaten, die sie thematisch passend findet. Die Teilnehmenden nennt sie „innovationsfreudige, gestaltungsfreudige Mitstreiter“. Warum streiten? „Wir brauchen mehr Tempo, so wie es uns die Wirtschaft an vielen Stellen vormacht“, mahnt die Professorin für Wirtschaftsinformatik. „Beim Hochschulforum Digitalisierung haben wir noch nie jemanden getroffen, der sagte, das ginge nun aber zu schnell“, so Weßels.

Als „welcoming“ beschreibt Bochert die Menschen, die sie dort bisher trafen. Und wie würde sie den Mehrwert der Community beschreiben? „Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, sondern können auf die Ergebnisse anderer Akteure zurückgreifen.“ Besonders schätzt sie den Austausch über Hochschulen und Bundesländer hinweg: „Es gab eine ganze Serie an Blog-Beiträgen zur Rechtslage von Online-Klausuren. Niederschwellig und gut zu überblicken, von denen auch wir an der FH Kiel lernen können“. In der Wirtschaft, so die Professorin, sei es normal, dass das Umfeld betrachtet werde. „Unternehmen, die ihre Mitarbeiter*innen motivieren, sich zu vernetzen und externen Input in den Betrieb bringen, sind natürlich erfolgreicher“. Diese Möglichkeit, das ist Bochert wichtig, besteht nicht nur für Menschen, die in der Lehre tätig sind. Neben dem Fokus auf Menschen, die in der Hochschuldidaktik oder der IT beschäftigt sind, liegt auch ein Fokus auf Studierenden. „Wir treiben das ja nicht nur von unserer Seite aus. Wir wollen gemeinsam etwas entwickeln“, erklärt die Professorin für allgemeine Betriebswirtschaftslehre.

Im Sommer hatten Weßels und Bochert an einer Veranstaltung mit dem Titel Digital Summer School teilgenommen. Im Kern ging es darum, dass sich hier verschiedene Hochschulangehörige in kollegialen Beratungen bei der Entwicklung ihrer Lehre im digitalen Raum weiterhelfen. Die Teams waren gemischt und interdisziplinär zusammengesetzt. „Ein wichtiger Termin damals war der Check-in mit Studierenden, die uns berichteten, wie das erste Online-Semester für sie lief. Das war sehr wertvoll.“ Unter anderem veröffentlichen die Studierenden auch Blogbeiträge, die beide Professorinnen als sehr wertvoll erachten. Generell sind Blogbeiträge ein wichtiger Teil des Engagements. „Wenn wir Ideen für einen Beitrag hatten, hat das immer unkompliziert geklappt,“ berichtet Weßels. Gemeinsam mit Kollege Jens Langholz haben die beiden eine Serie veröffentlicht. „Die Reaktion auf Blogbeiträge ist so viel schneller, so viel intensiver und niedrigschwelliger als die Reaktionen auf eine Veröffentlichung in einer klassischen Zeitschrift,“ verrät sie. „Die ist auch nicht immer positiv,“ gibt Bochert lachend zu. Das Tempo gefalle allerdings, „so brauchen wir das für Veränderungsprozesse.“

Gefunden haben die beiden das Hochschulforum Digitalisierung übrigens auf unterschiedliche Arten. Weßels kam über einen Call for Paper mit dem Programmmanager des HfD in Kontakt, Bochert wurde auf einen Newsletter des Forums aufmerksam gemacht. „Bereits in den ersten Wochen und Monaten der Corona-Zeit waren die Impulse und Ideen aus dem HfD besonders hilfreich, schon allein deshalb, weil es viele Hinweise gab, wie man Lehre online gut gestalten kann,“ so Bochert. „Das Forum ist eine zusätzliche Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen,“ beschreibt sie. Gemeinsam mit Weßels und anderen Kieler Akteuren veranstaltet sie seit zwei Jahren das Format Hochschule der Zukunft. „Da ist das Hochschulforum eine schöne Schnittstelle, um Mitstreiter*innen für das Thema zu finden.“

Mit ihrer Gruppe aus der Digital Summer School trifft sie sich auch nach Ende des Projektes weiterhin einmal im Monat. „Da wurde auch schon einiges übertragen. Ein studentisches Team von mir bearbeitet gerade ein Start-up-Projekt eines Professors aus der Gruppe.“ Ein anderer Teilnehmer beliefert sie mit Jingles für ihren Podcast. Input für ihre Lehre habe sie bereits integriert, beschreibt sie. „Mir ist das schon mehrfach passiert, dass ich bei KI-Veranstaltungen, die gar nicht vom Hochschulforum Digitalisierung ausgerichtet wurden, auf Menschen traf, die uns kannten und wussten, dass man sich an der Fachhochschule Kiel mit der Hochschule der Zukunft beschäftigt“, freut sich Weßels stolz. Dass man in der Pandemie keine neuen Menschen kennengelernt habe, kann sie eindeutig verneinen. „Mir geht es genau anders herum. Ich konnte im vergangenen Jahr sehr viele neue Kontakte aufbauen. Es geht ja online viel schneller!“ Die Möglichkeit, virtuell an Veranstaltungen des Netzwerks teilzunehmen, schätzt auch Bochert: „An vielen der Veranstaltungen hätte ich in Präsenz gar nicht teilnehmen können. Das, was wir hier jetzt machen, einfach schnell miteinander sprechen, macht das Kennenlernen neuer Leute viel einfacher. Die Schwelle ist niedriger.“

Man könne das Hochschulforum Digitalisierung als bloße Ressource nehmen, oder den Netzwerk-Effekt völlig ausschöpfen. Und das, ganz eindeutig, ist die Idee der beiden Professorinnen am Fachbereich Wirtschaft. Statt zum bloßen Selbstzweck haben sie dabei aber ein großes Bild im Blick. Bochert: „Als einzelne Hochschule ist es ungleich schwieriger, ein solches Veränderungstempo in der Hochschulentwicklung zu entwickeln.“ „Die Motivation ist die, etwas zu gestalten, etwas zu verbessern,“ fügt Weßels hinzu. „Wir wollen damit diesen besonderen Herausforderungen begegnen, Entwicklungen antizipieren und uns so schlussendlich wettbewerbsfähig und zukunftsorientiert aufstellen.“ Dafür sind beide auch lokal aktiv, treffen sich mit Vertretern der Kieler Hochschulen im Netzwerk Hochschule der Zukunft regelmäßig, um Hochschulentwicklung zu gestalten. „Wir merken jetzt, wie schnell das gehen kann, wenn wir uns online treffen. Das hätten wir vorher gar nicht so geschafft. Und das wird uns nach Corona sehr beschäftigen. Wenn wir zurückspringen in die analoge Welt, werden wir einen Effizienz-Verlust erleiden,“ prognostiziert sie.

Die Möglichkeit, in kurzer Zeit völlig neue Menschen zu treffen, möchte sie nicht mehr missen. Bochert geht es genauso. „Zu vielen Vorträgen und Veranstaltungen, die ich spannend fand, hätte ich keinen Zugang gehabt, wenn sie nicht digital gewesen wären.“ Sie schätzt auch, dass so manche Hürden, mit wichtigen Personen zu sprechen, wegfallen. Diesen Anstoß von außen, den brauche es manchmal. Weßels erzählt, wie sie den Vorsitzenden der Hochschulrektorenkonferenz, Prof. Dr. Peter-André Alt, für einen Impulsvortrag gewinnen konnte: „Das war relativ einfach. Ich habe ihm eine Mail geschickt und ihn eingeladen. Und dann hat er für eine Veranstaltung meiner Projektmanagement-Community im Februar den Eröffnungsvortrag gehalten.“ Sie lacht. „Das ging ratz-fatz.“ Denn für ihn sei es ja auch unkompliziert. „Er ist ja auch mit einem Klick bei uns.“ Dass man das nicht vorher schon mal probiert hat, ärgert sie fast. „Tragischerweise hatten wir die Möglichkeiten ja schon. Wir haben uns nur nicht getraut.“ Umso mehr nimmt sie es nun wahr. „So viel Inspiration zu kriegen, so viel Austausch zu erleben, Gleichgesinnte zu treffen und sich Mut zu machen. Ich bin dankbar dafür, dass so live miterleben zu dürfen.“

Der Mehrwert steckt für Bochert auch in der Art, wie Veranstaltungen organisiert werden. „Es ist oft ziemlich familiär.“ In den kleinen Gruppen in den Workshops nimmt sie das meiste mit. „Da stellt ein Mitglied vor, wie ein echtes Instrument in der Lehre angewendet werden kann. Und weil man sich aussuchen kann, was man hört, sitzt man direkt mit anderen Interessierten aus ganz Deutschland zusammen.“ Auch bei der Digital Summer School fühlte sie sich wohl. Dort wurde ebenfalls mit kleinen Gruppen gearbeitet. „Die Heterogenität dieser Gruppe ist total bereichernd.“ Dass der Moderator dieser Veranstaltung zu dem Thema forschte, war für sie auch bemerkenswert. Dort waren die beiden übrigens die einzigen Teilnehmenden aus Norddeutschland. Das hat aber nicht unbedingt System, denkt Bochert. „Wenn man sich anguckt, wo deutschlandweit die größten Hochschulen sitzen, dann findet man diese Verteilung bei solchen Veranstaltungen oft wieder.“

Bei der Frage, ob die beiden Professorinnen Meilensteine des Hochschulforums Digitalisierung erlebt haben, runzelt Weßels die Stirn. „Das ist nicht wirklich ein Projekt, wo man Meilensteine hat. Ich fände es auch eher abschreckend.“ Sie wolle kein Rädchen im Getriebe sein, das von einem Meilenstein zum nächsten hechele. „Da würde ich mich fremdbestimmt fühlen. Das würde es für mich unattraktiver machen.“ Bochert schlägt vor, das anders herum zu betrachten: „In Retrospektive kann man vielleicht eher von erreichten Meilensteinen sprechen. Das Organisieren von so großen Veranstaltungen wie dem University Future Festival komplett digital mit so vielen Teilnehmer*innen zählt sicher dazu.“ Auch das Erreichen von 1.000 Aktiven auf der Vernetzungsplattform des HfD im Sommer 2019 könne so ein nachträglicher Meilenstein sein. Die Plattform, Mattermost, nutzte Bochert bereits, um eigene Veranstaltungen zu bewerben – mit Erfolg. „In unserem Workshop Hochschule der Zukunft im Herbst 2020 war eine Teilnehmerin dabei, die nicht aus Kiel kam,“ berichtet Bochert.

Ob sie einen erleichterten Einstieg in die Corona-geprägte Online-Lehre hatten, weil sie Mitglieder des HfD sind, wissen beide nicht so ganz. „Zu manchen Informationen hatten wir vielleicht leichter Zugang,“ so Bochert, „aber das hätte man wahrscheinlich auch ohne das Hochschulforum Digitalisierung machen können.“ Die politische Relevanz des Netzwerks ist für beide ein wichtiger Punkt. An vielen Stellen, so beschreibt Weßels, gibt es Überlappungen mit anderen Netzwerken, die sich etwa mit Künstlicher Intelligenz befassen. Sie schätzt die politische Dimension als „extrem hoch“ ein. „Wir sehen die Notwendigkeit, uns schnell zu entwickeln, und dafür braucht es Mitstreiter*innen, die gemeinsam die Politik bewegen möchten.“ „Hochschulen sind glücklicherweise autonomer als Schulen. Nichtsdestotrotz kann und sollte man einigen Stellen noch ein bisschen aufs Gas drücken.“ Bochert stimmt zu. „Wir müssen uns nichts vormachen: Mit lokalen Initiativen wie dem Netzwerk Hochschule der Zukunft können wir mehr bewegen, wenn wir so große Apparate wie das Hochschulforum Digitalisierung hinter uns haben.“ Die Außenwirkung sei nicht zu unterschätzen. „Wir stellen uns jedes Mal vor. Name und Hochschule. Damit geben wir eine Außenwirkung ab. Und das ist nicht nur persönlich bereichernd, sondern hilft uns hoffentlich auch, die Organisationsentwicklung aktiv zu fördern.“ Ein Blick auf die Uhr und in den Warteraum. Eine Stunde ist vergangen, die nächste Gesprächspartnerin aus dem Netzwerk, die irgendwo in Deutschland sitzt, ist bereit. Die schnelle Vernetzung eben.

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