Gut am frühen Aufstehen: (meistens) begrüßt einen der Himmel etwa so. (Foto: Brahms)© M. Brahms
Da Gute am frühen Aufstehen: (meistens) begrüßt einen der Himmel etwa so. (Foto: Brahms)

Die Sache mit der Selbstoptimierung: Teil 2

von Mariesa Brahms

Mariesa Brahms aus der Campusredaktion hat sich in die Selbstoptimierung gestürzt. Ist es ein Hype, oder kann sie ein ‚besserer‘ Mensch werden?

To-Do-Listen entfachen bei mir ein ungutes Gefühl. Dabei können sie gar nichts dafür. Irgendwann wurden sie zweckentfremdet von ihrem Ur-Dasein als bloße Erinnerungsstützen kleiner Aufgaben, die man andernfalls vergessen hätte. Von wem? Ich habe eine leise Ahnung, dass die Täter*innen sich „Wellness“ oder „Self-Care“ in die Profil-Beschreibung schreiben. Heute, so schlägt es mir Instagram vor, soll ich jedenfalls meinen morgigen Tag Punkt für Punkt in mein Notizblock schreiben. Zeitfenster zur Erholung inklusive. Selten hatte ich so viel Lust, morgen aufzustehen.

Erster Punkt nach dem Aufstehen zur unchristlichen Stunde: Journalling. Genauer gesagt, aufschreiben, wofür ich dankbar bin. Drei Sachen sind das Maß, an das ich mich halten soll, hat meine Recherche ergeben. Drei Sachen sind nicht viel, und es gibt in meinem Leben mit Sicherheit weit mehr als nur drei Dinge, für die ich dankbar bin. Nur um viertel nach fünf Uhr in der Früh fällt mir nicht mehr ein, als „Die Freiheit, mein Leben so zu gestalten, wie ich es will“. Hört sich jetzt höchst gesellschaftlich an, fast politisch. Ich fürchte, es ist bloß ein zynischer Ausdruck meines Unmutes über die frühe Stunde – der Trotz als Reaktion auf Berge an Punkten, die ich abarbeiten muss.

Für den erleichterten Start in den Tag, mache ich Musik an. Irgendwas, wo man einfach gute Laune haben muss. Aber bevor Udo Jürgens seine Lobeshymne auf südeuropäische Genussmittel schmettert, mache ich die Musik wieder aus. Schließlich schläft ja sonst noch jede*r im Haus.

Mein Frühstück ist griechischer Joghurt mit Nüssen, Beeren und ein wenig Honig. Dazu Kaffee, allerdings nur eine Tasse, und viel Wasser. Ich sitze alleine am Frühstückstisch. It’s lonely at the top.

Wer an dieser Stelle Inspiration braucht: Mein Tagesablauf sah an allen drei Tagen ungefähr gleich aus: morgens das kurze Briefing mit mir selbst, dann Frühstück, dann bis zur Mittagspause durcharbeiten. Oder eher Abarbeiten. Eben alles erledigen, was einen am Nachmittag von der körperlichen Ertüchtigung abhalten könnte.  

Passend zum Zeitfenster „Arbeit, Schreiben, Lernen“ am Vormittag: An dieser Stelle möchte ich mich für alle unbeantworteten E-Mails entschuldigen, die mich nach meiner Mittagspause erreicht haben. Denn früh in meinem Selbstversuch bemerke ich ein fast peinliches Verpflichtungsgefühl dem exakten Einhalten meiner To-Do-Liste gegenüber. Das beißt und streitet sich mit meinem Befreiungsdrang, der sich seit drei Tagen in mir eingenistet hat, um die Oberhand in meinem Frontalkortex. Das Verpflichtungsgefühl schlägt sich nicht schlecht. Ich ertappe mich immer öfter dabei, fast zwanghaft auf die Abarbeitung der Liste zu bestehen. In meinem Kopf ist ein kleiner Selbstoptimierungs-Influencer eingezogen, der mich von einem Programmpunkt zum nächsten hetzt.

Das durchdiktieren des eigenen Tages, ja, der eigenen Woche ist im Grunde nichts anderes als das, was ich in den Semesterferien vermeiden möchte: minimaler Platz für Spontaneität. Während meines Studentin-Daseins muss ich mich während des Semesters an den Stundenplan halten. Manchmal zwingt mich dieser, eine oder zwei Stunden Wartezeit zwischen Veranstaltungen abzusitzen. Eigentlich dreht sich mein Alltag doch eh schon um einen Plan. Warum sollte ich mir zu allem Überfluss noch selbst einen machen müssen? Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Wut lege ich in jeden der 10.000 Schritte, die ich am Ende des Tages gefälligst erreicht haben soll. Keine Angst, ich arbeite daran! Ich gehe gerade spazieren.

Zuhause angekommen gibt es für mich nur noch einen Punkt auf der Liste: Kochen. Und zwar frisch, wenn’s geht. Für mich gibt’s Shakshuka, pochierte Eier in einer Sauce aus Tomaten, Chilischoten und Zwiebeln. Das ist leicht zuzubereiten und auch finanziell zu stemmen. Eine weitere Entdeckung meines Selbstversuches ist nämlich, dass die Selbstoptimierung, wie sie auf Instagram stattfindet, Teil einer Vermarktungsstrategie von Protein-Riegeln und sonstiger Kostbarkeiten zu sein scheint. Sagen wir es so: Jeden Tag 2,50 Euro für einen Riegel à 40 Gramm auszugeben, würde mich auf lange Sicht in die Arme von Schuldenberater*innen treiben.

Das Antworten auf WhatsApp-Nachrichten von Freund*innen und Familie ist terminlich am Ende des Tages angesiedelt. Ich hoffe wirklich, niemand von ihnen liest diesen Text. Wer möchte schon gerne ein Punkt auf einer To-Do-Liste sein?

Was ich aus meinem Selbstversuch mitgenommen habe, sind ein Zwangsverhalten im Anfangsstadium und die Erkenntnis, dass Selbstoptimierung eben höchstindividuell ist. Daher hat es mir nicht geschadet, mich drei Tage zu quälen: Schließlich habe ich herausgefunden, dass ich mein Optimum nicht durch eine durchgetaktete To-Do-Liste finde.

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