Von der Industriebrache zum Campus

Am 1. Juli 2019 feierte die Fachhochschule Kiel ihren 50. Geburtstag. Aus diesem Anlass haben wir uns mit der Geschichte unseres aktuellen Standorts auseinandergesetzt und interessante Fakten gesammelt.

Eine Hochschule ohne Campus

Die Fachhochschule Kiel wurde dieses Jahr 50 Jahre alt, auf dem jetzigen Standort in Dietrichsdorf befindet sie sich aber erst seit den 90er Jahren. Zuvor war die Hochschule auf fünf Standorte in Kiel verteilt. Weder eine gemeinsame Bibliothek, noch ein gemeinsames Hörsaalgebäude waren vorhanden. Der Austausch zwischen den Fachbereichen und das Durchsetzen gemeinsamer Interessen gestaltete sich entsprechend schwierig.

Vor dem Umzug ans Westufer befand sich der Fachbereich Wirtschaft in der Olshausenstraße 40 auf dem Gelände der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Zusätzlich waren Räumlichkeiten in der Preußerstraße (Nähe Dreiecksplatz) angemietet. An der Ecke Olshausenstraße/Westring hielt damals noch die Straßenbahn. Die ehemals gepflasterte Straßenkreuzung ist heute stark frequentiert und wird in der Vorlesungszeit täglich von tausenden Autos und Universitätsstudierenden überquert.

Industrie am Ostufer

Der heutige Standort der Hochschule galt ab dem 14. Jahrhundert als begehrter Industriestandort für Fischer und Müller. 1863 wurde dort die größte, teils mit Wasserkraft betriebene Kornmühle des Deutschen Reichs, die Langesche Mühle, errichtet. Insgesamt verfügte sie über sechs Geschosse und sechzig Mahlgänge. Die Mühle (ab 1881 Baltische Mühle und ab 1914 Holsatia-Mühle) musste zweimal neu aufgebaut werden. Einmal nach einem Brand 1874 und nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. 1992 wurde sie wegen ihrer hohen Umweltbelastung geschlossen und 2008 abgerissen.

Metall – Maschinen – Schiffe

1838 siedelte sich die „Maschinenbauanstalt und Eisengießerei Schweffel & Howaldt“ in Dietrichsdorf an. 1876 kam die „Kieler Schiffswerft“, aus der die Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW) entstand, hinzu. Die Schiffe, die die Docks in Dietrichsdorf verließen, wurden immer größer. Ein Stapellauf war oft mit einem riesigen Event verbunden, zu denen hunderte von Kielern als Zuschauer kamen. Außerdem baute HDW, vor allem im Zuge der beiden Weltkriege, Marineschiffe und U-Boote.

HDW durchlebte mehrere Krisen. Während der Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren hatte die Werft kaum Aufträge und konnte nur durch kleinere Arbeiten für die Deutsche Reichsbahn überleben. Im Zweiten Weltkrieg wurden große Teile der Werft zerstört. 80 Prozent der Gebäude und 60 Prozent der Maschinen waren nach Bombenangriffen unbrauchbar. Doch davon konnte sich HDW im Zuge des Wirtschaftswunders erholen. In den 1950er Jahren erreichte das Unternehmen einen Höchststand von 13.407 Mitarbeitern.

Ein sterbender Stadtteil

In den achtziger Jahren platzte die Fachhochschule am Westufer aufgrund der steigenden Zahl an Studierenden aus allen Nähten. Gleichzeitig erlebte Dietrichsdorf einen bedenklichen Wandel. HDW zog sich Anfang der 80er Jahre aus dem Stadtteil zurück und verlegte seine Produktion nach Gaarden. Auch die Großbetriebe Hell und Sohst gingen. Was blieb, war eine Industriebrache mit leerstehenden Gebäuden. Viele der 20.000 Dietrichsdorfer verloren ihren Job und verließen den Stadtteil.

Umzug ans Ostufer

1988 schlug die Landesregierung erstmals vor, die Fachhochschule Kiel zentral in Dietrichsdorf unterzubringen. Vor allem aufgrund der Lage stieß der Vorschlag auf viel Kritik. Allerdings gab es innerhalb Kiels keine andere Alternative für einen gemeinsamen Campus. Schließlich verlegte die Hochschule 1991 ihren Sitz offiziell nach Dietrichsdorf. Der Umzug aller Fachbereiche (mit Ausnahme der Standorte in Osterrönfeld und Eckernförde) war 1997 abgeschlossen.

Umbau des Verwaltungsgebäudes

Der Fachbereich Wirtschaft befindet sich heute in den ersten drei Stockwerken des Hochhauses auf dem Campus. Dieses wurde Anfang der 60er Jahre als Verwaltungsgebäude von HDW errichtet. Außerdem wurde auf dem Dach eine Sternenwarte errichtet, die es Besuchern ermöglicht, bei Dunkelheit den Mond und die Sterne zu beobachten.

Für den Einzug der Fachhochschule wurde das Gebäude umgebaut: Die Fassade und die Fenster wurden erneuert und die Technik komplett modernisiert. Zu Zeiten von HDW lag das Gebäude noch an der „Sokratesstraße“. Der ehemalige Mitarbeiterparkplatz wurde für die FH umgestaltet und 1996 zum „Sokratesplatz“ ernannt. Der Name stammt übrigens nicht unmittelbar von dem griechischen Philosophen, sondern von einem US-Kreuzer, den HDW 1881 gebaut hat.

Studieren, wo Gastarbeiter lebten

Spannend ist auch die Geschichte der Seminarpavillons, die sich nördlich des Hauptgebäudes befinden. Diese wurden Mitte der 60er Jahre als Wohn-Baracken errichtet und dienten als Unterkunft für Gastarbeiter aus der Türkei. Insgesamt 180 Menschen lebten zu der Zeit des Wirtschaftswunders dort. Die Baracken wurden mit einem extra dicken Betonboden gebaut. Der Grund: Man vermutete, dass das Baugelände mit Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg verseucht sei. Um ihre Sicherheit müssen die Studierenden allerdings nicht fürchten. Das Gebiet wurde untersucht und ist bombenfrei.

Viele Wege führen zur Fachhochschule

Mit der Fähre zur Vorlesung fahren – auch das macht die Fachhochschule Kiel einzigartig. Mit dem Umzug der Fachhochschule baute die Schlepp- und Fährgesellschaft Kiel (SFK) 1996 den Fähranleger Dietrichsdorf.

Der Campus wurde ursprünglich für 3.800 Studierende geplant. Heute sind es etwa 7.000. Daher wird das Verkehrskonzept immer wieder erweitert. Ohne die Fachhochschule wäre das Ostufer bei weitem nicht so gut an den ÖPNV angeschlossen wie heute. Die Abfahrten der Buslinie 11 wurde mit steigender Zahl der Studierenden seit den 90ern mehrmals ausgeweitet. Seit 2011 verkehrt die Linie 60S zwischen der Universität und der Fachhochschule. 

Text: Isabelle Wieser
(veröffentlicht: 25.10.2019)