Künstlergespräch

Ralf Meyer: „Nichts war wie es bleibt“

Von: Jessica Sarah Schulz

Mit zahlreichen Fotografien eröffnet Ralf Meyer am 10. Oktober die 25. Bunkerwoche. Unter dem Titel „Nichts war wie es bleibt“ präsentiert er seine freien Arbeiten aus dem Bereich der dokumentarischen Fotografie. Der gebürtige Bremer studierte Kommunikation-Design mit dem Schwerpunkt Fotografie an der Muthesius Kunsthochschule. Seit Mitte der neunziger Jahre ist er als freischaffender Fotograf für Magazine und Unternehmen tätig und arbeitet zudem frei. Als Dozent, Lehrbeauftragter und Professor unterrichtet er in und außerhalb von Hochschulen. Ralf Meyer erhielt schon zahlreiche Auszeichnungen. So wurde sein Bildband „Architektonische Nachhut“ in das Werk „Deutschland im Fotobuch“ aufgenommen und gelang unter die besten Bücher über Deutschland der vergangenen 100 Jahre. Kaum verwunderlich, denn der Fotograf richtet seine Kamera nicht auf Offensichtliches, sondern auf unscheinbare Nuancen und Details.

Sie schreiben Ihre Arbeiten der künstlerischen Dokumentarfotografie zu. Welche Aspekte der Realität faszinieren Sie? Was wollen Sie dem Betrachter zeigen, was er nicht mit eigenen Augen erkennen würde?

Der Begriff „künstlerische Dokumentarfotografie“ bezeichnet das Zitieren aus der Wirklichkeit und das Interpretieren durch die subjektive Sehweise des Fotografen. Somit eine persönliche Stellungnahme.

Wir alle wissen aber, dass ein Bild immer zweimal entsteht: einmal durch den Akt des Fotografierens, ein zweites Mal in der Anschauung durch den Betrachter. Mit meinen Fotografien gebe ich dem Betrachter eine Bildersammlung von Orten, Situationen und Begegnungen an die Hand, bei deren Entstehung dieser nicht anwesend war. Mit seinem Fundus an Erfahrung und Wissen kann er diese Bilder aber nun mit seinen eigenen Überlegungen füllen und „neu“ sehen.

Sie haben sich von 2001 bis 2006 mit der Dokumentation der architektonischen Hinterlassenschaften des Dritten Reiches sowie deren Um-, Neu- und Weiternutzung beschäftigt. Ab Oktober stellen Sie ihre Arbeiten in einem Bunker aus, der sich von einem Werkschutzbunker der Howaldtswerke-Deutsche Werft zu einem Ort der Kreativität, Kultur und Kommunikation gewandelt hat. Was reizt Sie daran, Ihre Werke an diesem Ort in einer Einzelausstellung zu präsentieren?

In der Arbeit „Architektonische Nachhut“ war es das Ziel zu beobachten, wie das Leben heute in und um jene Bauten herum aussieht, die während des Nationalsozialismus entstanden sind. Im Vordergrund stand nicht die reine Abbildung der Fassaden, sondern wie wir mit der Architektur einer vergangenen Gesellschafts- und Geschichtsepoche umgehen und wie sie Teil des täglichen Lebens ist.

Es passt natürlich perfekt, gerade diese Arbeit dann in eben einem solchen Gebäude, dem heutigen Bunker-D, zu präsentieren. Aber auch die anderen gezeigten Arbeiten erfahren eine besondere Aufladung durch diesen Ort, der die Zeit transportiert.

Nicht „Nichts bleibt, wie es war“, sondern „Nichts war wie es bleibt“ lautet der Titel Ihrer Ausstellung. Warum haben Sie sich für dieses Wortspiel als Titel entschieden, was soll es implementieren?

Die Betrachtung von Geschichte ist immer ein Diskurs, eine sich ständig wandelnde Wahrnehmung und Einschätzung. Heute also einen historischen Moment mit „Genau so war es!“ zu bezeichnen, ist kaum möglich.

Trotzdem machen wir alle oft genau dies und erschaffen damit ein dauerhaft schiefes Bild dessen, was vielleicht einmal ganz anders war. Die Wortdrehung verdeutlicht, wie wir auf angebliche „Wirklichkeiten“ hereinfallen können.

Ihre Motive reichen von architektonischen Hinterlassenschaften des dritten Reichs über bekannte Persönlichkeiten wie Roberto Blanco - welche Themen beschäftigen Sie in Ihrer Kunst?

Alle meine fotografischen Arbeiten verbindet das Interesse an den ganz unterschiedlichen Entwicklungen und Ereignissen der jüngeren deutschen Geschichte. Welche zeitweise nebeneinander sichtbar werden und so abbildbar sind.
Der Architekturhistoriker Prof. Werner Durth nannte dies die „Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Zeit-Schichten“: Letztlich ist alles miteinander verbunden.        

Worauf sollten die Besucher Ihrer Ausstellung „Nichts war wie es bleibt“ sich einstellen?

Die meisten meiner fotografischen Serien arbeiten im Zusammenspiel mit Textinformationen. Oft ist das Bildwichtige gar nicht vordergründig sichtbar, doch mit dem Wissen um den Kontext wird eine andere und neue Betrachtung des Bildes provoziert.

Die Motive der Serie „Seekabelendstellen“ beispielsweise sind auf den ersten Blick klassische Landschaftsfotografien. Nach dem Lesen des Begleittextes verkehrt sich deren Wirkung jedoch von lieblich nach bedrohlich.

Sich auf diese inhaltliche Auseinandersetzung mit Fotografie einzulassen, bedeutet für den Besucher der Ausstellung eine fotografische Zeitreise.