Eröffnungsrede

Einführende Worte der Kunsthistorikerin Dr. Dagmar Lekebusch im Rahmen der Vernissage zur Ausstellung: Entrevista von Karin Weissenbacher

Fotos: Andreas Diekoetter (zum Vergrößern bitte klicken)

„Sehr geehrte Damen und Herren,


ich freue mich, Ihnen die passionierte Künstlerin Karin Weißenbacher vorstellen und deren Werk näher bringen zu dürfen. Freuen Sie sich auf Werke, durch die Sie in phantasievolle Welten eintauchen und die unterschiedlichste Geschichten erzählen. Und das Geschichtenerzählen wurde der Künstlerin in die Wiege gelegt, so die Künstlerin, denn sie liebt seit jeher Geschichten und dabei vor allem diejenigen aus dem brasilianischen Heimatland ihrer Mutter.

Außerdem entwickelte Karin Weißenbacher bereits als Mädchen einen engen Bezug zur Natur. Nicht nur, dass ihr Tiere wichtig waren, vielmehr konnte sie sich in Naturbeobachtungen vertiefen und empfand dabei tiefe Zufriedenheit.

Kunst war für sie desgleichen schon immer ein Teil ihrer Realität, weshalb es nicht erstaunlich war, dass sie sich bei der Berufswahl für die Kunst entschied. Ihr Weg führte sie letztlich auf die Schlossinsel am Rantzauer See in Barmstedt. Dort bertreibt sie erfolgreich die Galerie Atelier III, in der sie ihre künstlerischen Inspirationen in die Tat umsetzt und nicht nur die Räume, sondern auch das Umfeld mit ihren Werken belebt und seit Jahren prägt.

Ihre künstlerischen Inspirationen findet Karin Weißenbacher in Begegnungen, Geschichten, Seelenzuständen und Gefühlen. All das bewirkt unterschiedliche innere Spannungen, die zu Impulsgebern ihrer Kunstwerke werden. Und für Karin Weißenbacher ist:

Kunst ihr Leben, Leben ist für sie Kunst, Kunst ist für sie lebendig.

Das was Karin Weißenbachers Kunst ausmacht, ist die Vielfältigkeit. Diese Vielfältigkeit ist Ausdruck für eine Leidenschaft des Wechsels und die Fähigkeit, die Gattungen Malerei und Skulptur beziehungsweise Plastik miteinander zu verschmelzen. Bei intensiver Betrachtung der Arbeiten wird erkennbar, dass sie sowohl thematisch als auch technisch im Dialog miteinander stehen.

Dies erklärt auch den Ausstellungstitel ENTREVISTA, der aus dem portugiesischen Wortschatz stammt und eine weitere Einladung an Sie bereithält: Gehen Sie in den Dialog, führen Sie Zwiegespräche oder Interviews. Doch tun Sie das bitte nicht nur untereinander, sondern vor allem mit den Kunstwerken selbst.

Betrachten Sie Holzschnitt, Plastik und Bild als lebendiges Gegenüber, das nur darauf wartet, dass Sie ihm Fragen stellen, wie einem lebendigen Interviewpartner.

Ihre Gesprächspartner*innen werden Sie in symbiotischen Welten finden, in denen sich Phantasie, Mythologie, antike sowie religiöse Anleihen und die Welt der Märchen zu unerwarteten Aussagen vereinen. Es entstehen neue Mischwelten! Und diese Mischwelten erfordern stets einen Blick hinter die Kulissen. Denn nichts so ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Dies gilt beispielsweise bei dem grünen Frosch, der ihnen sicher schon ins Auge gestochen ist. Seine Größe und Farbe machen es unmöglich, ihn zu übersehen. Mit seiner Krone erlaubt er umgehend die Assoziation zu dem Märchen des Froschkönigs. Doch halt: Ist er wirklich ein Symbol für das Märchen? Im Märchen ist der Frosch der verzauberte Prinz, der auf seine Erlösung durch die Prinzessin wartet. Da wir als Betrachter*innen nicht den erlösenden Kuss geben können, muss es einen Umkehrschluss geben. Erlöst der Frosch vielleicht uns? Zeigt er uns, dass wir vergebens auf den Traumprinzen oder die Traumprinzessin warten? Will er andeuten, dass wir unseren Traummenschen möglicherweise bereits vor Augen haben und nur die Einschätzung, dass wir das Beste noch nicht gefunden haben, uns daran hindert, dies zu erkennen?

Neben solchen Skurrilitäten begegnen uns in der Welt der Tiere unter anderem sympathische Drachen oder etwa eine würdevolle Katze, deren Beziehung zur wachenden Sphinx nicht zu verleugnen ist. Dass die Katze ihr Vorbild nicht der realen Welt findet, zeigt sich zusätzlich in ihrer ornamentalen Oberflächenbehandlung. Wie sehr Karin Weißenbacher die Verfremdung liebt, zeigt sich in dieser Katze zudem darin, dass die Glasur dem Ton den Anschein von Bronze verleiht. Dadurch entstehen auf der Oberfläche Lichtspiegelungen, die besondere Lebendigkeit verleihen.
Das Licht übernimmt in allen Arbeiten eine bedeutende Funktion. Zum Erreichen von Lichtreflexen werden gezielt Blattgold und andere Schlagmetallen eingesetzt oder Metallschattierungen leuchten durch mehrere Farbschichten hindurch. Durch diesen Metalleinsatz entstehen irreale Lichtreflexe, die die Werke weltlichen Gesetzmäßigkeiten entheben und sie übersinnlichen Sphären zuführen.

Das Licht übernimmt in allen Arbeiten eine bedeutende Funktion. Zum Erreichen von Lichtreflexen werden gezielt Blattgold und andere Schlagmetallen eingesetzt oder Metallschattierungen leuchten durch mehrere Farbschichten hindurch. Durch diesen Metalleinsatz entstehen irreale Lichtreflexe, die die Werke weltlichen Gesetzmäßigkeiten entheben und sie übersinnlichen Sphären zuführen.

Ein weiteres Verbindungselement zu diesen Sphären ist auch in Weißenbachers Büsten zu finden. In der Plastik Gedankenflug – Olga nehmen neben den im Haar sitzenden stilisierten Vögeln auch die nach oben strebenden Haare Verbindung nach oben auf, was immer das OBEN auch ist: Himmel, Kosmos, Göttlichkeit, Freiheit …

Dies gilt desgleichen für die wie Flügel ausgebreiteten Haare der ausdrucksstarken Lykka aus weißem Ton, deren Porträthaftigkeit überzeugt.

Eindeutige Porträthaftigkeit finden Sie auch in den drei Infanten, deren Vorbilder im engen Umfeld der Künstlerin zu finden sind.

Hoheitlich, wie die von Diego Velázquez gemalte Infantin des spanischen Königshauses, treten uns auch die drei Kinderporträts von Karin Weißenbacher entgegen: Berik mit Tamarin, Hanno mit Rotkehlchen und Jonte mit Eule.

Drei Kinder, drei Tierattribute, drei Momentaufnahmen, dreimal intensives Beobachten!

Alle drei Porträts treten uns auf den ersten Blick fotorealistisch gegenüber. Und der Blick des Kindes Hanno mit den strahlend blauen Augen ist es auch, der uns in den Bann zieht. Sein Blick ist nicht auf den Betrachter gerichtet, sondern geht nach innen. Blieben diese Augen die einzige blaue Farbquelle, bliebe auch unser Blick darauf haften. Doch das Blau wiederholt sich im Pullover des Kindes und damit beginnen unsere Augen zu wandern. Diese Wanderung durch das Bild macht deutlich, dass der anfänglich bemerkbare Fotorealismus im Umraum des Kindes endet. Denn Umgebung im natürlichen Sinn ist nicht gemeint. Vielmehr handelt es sich um eine in verschieden hellen und dunklen Tönungen abgestimmte Ornamentik aus senkrechten Streifen. Diese sowie geritzte, geschwungene grafische Strukturen durchdringen partiell den Körper des Kindes. Diese Durchdringung und das Wechselspiel der einzelnen Bildelemente untereinander hebt das Ansinnen von Fotorealismus gänzlich auf und entrückt das Kind in eine irreale Sphäre.

Dieser Eindruck gipfelt bei allen drei Infanten in der über den Köpfen befindlichen Aureole aus Blattgold, deren Reliefhaftigkeit ein lebendiges Spiel von Licht und Schatten hervorruft. Ob diese Aureole als Strahlenkranz oder als Nimbus begriffen werden will, wenn wir es mit europäisch kulturellem Hintergrund betrachten oder als brasilianische Kopfbedeckung namens Cangaço, bleibt ein ungelöstes Rätsel.

Sicher ist jedoch, dass die goldene Aureole einer Ehrung gleicht kommt. Gemeint ist eine Ehrung dieses speziellen Kindes in seinem Individualismus und die aller Kinder in ihrem beneidenswerten Bei-Sich-Sein. Eine Würdigung, die in der Realität unmöglich ist.

Haben wir mit den Infanten das kindliche Lebensalter und die damit verbundene Unbedarftheit - im positiven Sinne - zum Überdenken erhalten, lassen Sie uns nun der Welt der erwachsenen Reisenden zuwenden.

Diese 30 modellierten Figuren sind innerhalb von 30 Tagen entstanden und stehen ganz im Gegensatz zu den porträthaften Zügen der Infanten. Vielmehr finden die Figurinen ihren Ausdruck in starker Reduzierung und Gestik.

Erkennbar werden menschliche Verhaltensweisen und Gefühle, die von zugewandt bis ablehnend über entspannt bis hin zu zurückhaltend und interessiert reichen.

Einen Spannungsbogen erreicht die Künstlerin durch die Gruppierungen der Figurinen, deren Zusammengehörigkeit durch die Verwendung unterschiedlich farbiger Tonerden provoziert wird und ein Nachdenken über deren Fragestellungen anstößt:

Woher kommen die Figuren? Sind Sie einsam? Suchen Sie Gemeinschaft?

Wer weiß ….


Was haben sich die Figuren mitzuteilen? Wie sieht ihr Dialog aus?

Wer weiß ….

Wenn auch Fragen unbeantwortet bleiben, ist etwas ganz eindeutig: Die Statuetten nehmen durch die vergleichbare reliefhaft zerklüftete Oberflächenstruktur direkten Kontakt zu den als Triptychon und Diptychon komponierten Holzschnitten auf. Die waagrechten, senkrechten und diagonalen Kerben stammen von schweren metallischen Trennschreiben, die bei der Steinbearbeitung verwendet werden. Die Platten dienten der Künstlerin ursprünglich als Unterlage für den künstlerischen Bearbeitungsprozess ihrer Steinskulpturen. Dementsprechend waren die Platten vor der Erhebung zum Wandobjekt ein Abfallprodukt. Karin Weißenbacher erkannte jedoch die Möglichkeiten der zerschundenen Platten, sie zu neuem Leben erwecken zu können. Mit ihnen setzte sie ein Zeichen für Verletzung und gleichzeitig ein solches für mögliche Heilung und Verwandlung.

Die Künstlerin reinigte und ölte die Platten, verrieb auf ihnen in mehreren Schichten Farbpigmente in Öl und beobachtete deren Entwicklungsbreite auf den Platten. Die ehemals zerschundenen Platten, die nicht nur für die Verletzungen durch den Arbeitsprozess stehen, sondern sinnbildlich für menschliche Verletzungen, wurden veredelt, geheilt und erhielten ein neues Leben.

Die Holzschnitte schließen den Kreis, der sich um alle Arbeiten Karin Weißenbachers spannt und der da heißt Leben. Er bringt das Selbstverständnis der Künstlerin zum Ausdruck, dass Kunst ihr Leben ist, dass Leben Kunst ist und Kunst etwas Lebendiges für sie ist. Und nur zwischen etwas Lebendigem kann Dialog entstehen:
Dialog zwischen den Kunstwerken, Dialog zwischen Kunstwerk und uns, Dialog zwischen uns untereinander.

Willkommen, sehr geehrte Damen und Herren, in der Ausstellung ENTRVISTA!“

© Copyright 2019– Alle Inhalte, insbesondere Texte, Fotografien und Grafiken sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung, Bearbeitung und Übersetzung der Rede, bleiben vorbehalten, Dr. Dagmar Lekebusch.