Uschi Koch

„Kunst ist nicht in der Beweispflicht“

Uschi Koch im Gespräch mit Lyssa Plothe

Es war das Licht, das sie seinerzeit hergebracht hatte. Nun sitzt Uschi Koch in ihrem Dachzimmeratelier in der alten Tischlerei und blickt hinaus ins gelbe Herbstlaub des nahen Baums, der Himmel darüber spannt sich in einem klaren Blau. In der Mitte des Raumes steht ein Arbeitstisch, ausgetretene Dielen bilden den Boden, neben dem kleinen Fenster lädt eine bequeme Recamière zum Verweilen ein, darüber kleinere Arbeiten an der weißgekalkten, rohen Atelierwand zwischen einer Gruppe von Fotos und einem Spiegel. Ein großes Regal voll mit Materialien gleich am Eingang. Nahe dem Dachfenster hängt von der Decke ein Brett, belegt mit Köpfen. Fertige und fast fertige Arbeiten lagern hier, eine jede aus Beton und um die zwölf Kilogramm schwer.

„Einen Ort, an dem ich das Gefühl habe, die Jahreszeiten zu verpassen, könnte ich mir zum Arbeiten nicht vorstellen“, sagt die zierliche Künstlerin. Uschi Koch, Jahrgang 1963, studierte Bildhauerin und nun bald zwanzig Jahre freischaffende Künstlerin, nimmt einen Katalog zur Hand. Er zeigt ihre ersten fotografischen Arbeiten, entstanden ab 1997, meist mit Freunden als Modellen, später mit Tänzern des Balletts. „Das hier in eine Dunkelkammer zu verwandeln, das Abhängen von sieben Fenstern, war immer ein unheimlicher Aufwand, sagt die Künstlerin und schmunzelt.

Doch egal, mit welcher Technik sie arbeitet, seit jeher ist sie fasziniert vom Körper, von den durch Haltung, Bewegung, Schwung transportierten Regungen des Menschlichen aus dem Inneren ins Äußere. Als Tochter eines Bildhauers ist ihr aber auch eine ästhetische Schule, eine innere Haltung zum Arbeiten in die Wiege gelegt worden, „schließlich verbrachte ich von klein auf viel Zeit im Atelier meines Vaters“. Fragt man Uschi Koch, wie sie von den Fotografien zum plastischen Arbeiten kam, so wendet sie ein: „Ich habe mich nie als Fotografin begriffen.“ Immer hat sie hinterher noch mit dem Bild gearbeitet - mal das Aktmodell hinter neonfarbenen Wortschablonen verborgen, mal aus verschiedenen Ansichten desselben Motivs eine mehrdimensionale Ausstellungscollage erstellt. Bewegungen erscheinen so im Resultat oft angedeutet, die Wahrnehmung der Details wird übergenau, die Deutungshoheit dessen, was passiert, bleibt jedoch beim Betrachter. 

Nach der Arbeit mit körperlichen Darstellungen der Modelle, mit Fotografie der Bewegung, ist der Beginn einer plastischen, langsameren Arbeitsweise für die Künstlerin nur folgerichtig gewesen. Hinwendung, Abwendung, Begegnung und Berührbarkeit – diese Themen finden sich bis heute auch in Kochs Plastiken wieder. Die Gesichter, gearbeitet als zweischalige Betongüsse, entwickeln durch Kochs eindrücklichen Stil, durch Linienschärfung und Lebensgröße sowie eine Blicklenkung der Figuren eine ungeheure Intensität. Der kühle Farbton des Betons wird durch zurückgenommene Farbigkeit der Augen und Lippen, oft auch durch eine Gelbpigmentierung während der Versiegelung der Oberfläche zu einem lebendigen Mischton. Entscheidend für die Wirkung auf den Betrachter ist dabei gleichermaßen die exakte Oberflächenbearbeitung. „Auch mein Vater liebte Oberflächen, meine Werke laden zur Berührung ein“, sagt die Künstlerin.

Ebenso macht jedoch Uschi Kochs eigener Stil, genau den Moment der Haltung abzupassen, bevor eine Handlung gegenständlich wird, die Besonderheit ihrer Werke aus. Die Figuren bleiben eindrücklich, aber nahbar. Dabei arbeitet sie in den Gesichtern und Oberkörpern beinahe ohne verzerrte, grimassierende Haltungen: „Eine Skulptur ist Ausdruck des Bleibenden, dessen, was ist“, erklärt die Bildhauerin. „Grimassen sind oft zu stark für die Präsenz dieser Kunstform.“

Steigt man die Stufen von Kochs Atelier hinab, so findet man sich in den Räumlichkeiten des Holzbildhauers Volker Tiemann und der auch malerisch und grafisch arbeitenden Nana Schulz wieder. Beide absolvierten mit der Frau im Dachzimmer das Bildhauerstudium an der Kieler MuthesiusHochschule, die Ateliergemeinschaft währt seit 2002. „Es ist ein intensives Arbeiten, wir sind phasenweise alle parallel täglich hier“, sagt Uschi Koch. Kunst erschaffen in der Klausur eines Einzelateliers, das liegt ihr nicht. Zugänge zur Kunst zu bieten, das ist der gelernten Erzieherin wichtig: Koch arbeitet auch als Museumspädagogin im Auftrag der Kieler Stadtgalerie, hat immer wieder auf längeren Reisen die Wirkung von Kunst in der Welt und auf die Welt ergründet. Etwa in Nicaragua mit einer Dokumentation über Wandmalerei oder in fünf Monaten als Stipendiatin der Ludwigstiftung auf Kuba. „Kunst wirkt auf den Einzelnen, auch auf einem Hochschulcampus“, ist sich Uschi Koch sicher. „Und wenn es nur ein Werk ist, das dem Passierenden immer wieder eine kleine aufmerksame Begegnung entlockt, so ist es stimmig“, findet die Künstlerin.

Uschi Koch selbst entschloss sich 2015, nach einem intensiven Begegnungs- und Schaffensjahr, kleinteiliger und schneller zu arbeiten. So entstand eine Reihe gebrannter und gewachster Keramiken, großteils orientiert an der figürlichen Malerei von Hieronymus Bosch. Die Künstlerin präsentiert sie frei von reliquienhafter Schwere, in ihren Ausstellungen gänzlich neutral auf weißer Wand. Kunst soll einladen zur Begegnung mit dem Werk und sich selbst, findet sie: „Ich brauche nichts zu erklären“. Das ist für sie der Vorteil, den die Kunst gegenüber der Wissenschaft hat: „Wir müssen keine Beweisführung tätigen. Aber was wir machen, ist ähnlich.“ Kunst und Wissenschaft, sie forschten an denselben Fragen: „Warum sind wir Mensch, unter was für Einflüssen stehen wir? Was ist unser Daseinssinn, was umgibt uns?“ Große Fragen, auf die Uschi Koch mit ihrem Schaffen eine feine, konzentrierte Antwort gibt.

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