Fernseher, auf dem ein Weihnachtsfilm läuft und Weihnachtsdekoration.© Langhof

Alle Jahre wieder die gleichen Filme

von Kristina Langhof

Woran es liegt es, dass wir jedes Weihnachten dieselben Filme sehen, obwohl wir sie inzwischen vermutlich mitsprechen können - das erklärt Prof. Dr. Tobias Hochscherf vom Fachbereich Medien. 

Herr Hochscherf, warum gehören für viele Menschen Filme wie „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, „Kevin allein zuhaus“ oder „Der kleine Lord“ zu jedem Weihnachtsfest und „Dinner for One“ zu jedem Silvester, obwohl die Handlung bekannt ist?

Ich glaube, dass das mehrere Gründe hat. Ein Grund ist natürlich, dass Filme besonders emotional wirken und uns dann natürlich emotional auch auf etwas einstimmen können. Die Filme, die jetzt viel geguckt werden, sind Familienfilme, romantische Komödien, und Weihnachtsfilme gehören natürlich auch dazu, damit wir uns emotional auf das Fest einstimmen können. Und dadurch, dass uns ja der persönliche Kontakt fehlt, ist das vielleicht in diesem Jahr noch sehr viel stärker der Fall, weil wir die realen Erfahrungen auf dem Weihnachtsmarkt beispielsweise nicht machen können. Eigentlich gehe ich dahin, rieche das Gebäck, Glühwein, kann mich mit Leuten unterhalten, höre die Musik, sehe die Lichter. Und das können wir jetzt fast nur noch medial erleben, oder im engsten Familienkreis. Das ist ein Grund.

Der zweite Grund ist glaube ich, dass Feste immer auch etwas von einem Ritual haben, und Medien strukturieren unseren Tagesablauf, unsere Jahreszeiten zu einem gewissen Teil und geben uns dann auch Halt. Also dazu einmal ein Beispiel, das nichts mit Weihnachten zu tun hat: Für viele Familien war es Jahrzehnte lang so, dass nach der Tageschau, wenn das Telefon geklingelt hat, man nicht mehr rangegangen ist. Das heißt, die Tagesschau hat den Arbeitstag von der Freizeit getrennt. Um 19:50 Uhr hat man das Telefon noch abgenommen, um 20:15 Uhr nicht mehr. Und genau das machen natürlich auch die Weihnachtsfilme. Die Weihnachtsfilme strukturieren für uns auch ein Stück weit das Jahr. Deshalb auch die gleichen Filme, die man immer wieder guckt. Also Chevy Chase mit „Schöne Bescherung“, oder „Oh Tannenbaum“ mit Martina Gedeck, oder Aschenputtel und, und, und. Die Filme haben etwas Rituelles für uns, genauso wie der Baum, genauso wie der Schmuck, oder die Lieder, oder wie sonst der Weihnachtsmarkt gehören sie einfach dazu, weil sie für uns Weihnachten bedeuten. Und deshalb sind diese Filme auch so wichtig. Als rituelles Erinnern und als gefühlsmäßige Einstimmung.

Können Filme den Körper auch dazu bringen, Glückshormone auszustoßen?

Ja, das ist auch wissenschaftlich nachgewiesen. Das heißt, dass das Nachempfinden durch einen Film den tatsächlichen Empfindungen sehr nahekommt. Und, dass man im Kino Angst, Freude und so weiter genauso empfinden kann wie im echten Leben. Und es geht nicht nur um Emotionen, es geht auch um Atmosphäre. Filme schaffen eine sehr dichte Atmosphäre, die man natürlich nur durch die Mitteilung „Bald ist Weihnachten“ nicht automatisch auslösen würde. Normalerweise unterstützt Film quasi das echte Weihnachtsgefühl und die Weihnachtsatmosphäre. In diesem Jahr ist die Weihnachtsatmosphäre wie gesagt auf die eigenen vier Wände beschränkt, und deswegen ist der Film so wichtig. Und Kino und Film haben natürlich zu Weihnachten auch eine soziale Funktion. Normalerweise haben wir uns ja daran gewöhnt, dass wir viele Sachen auch alleine gucken, und deshalb fällt es uns schwer, darüber zu reden. Dadurch, dass zu Weihnachten aber alle die gleichen Sachen gucken, ist das anders. Also beispielsweise kann man sich über die Luke Mockridge Weihnachtsserie auf Netflix unterhalten, die ja auch lange Zeit Nummer eins in Deutschland war in den letzten Wochen. Damit haben diese Serien dann, selbst wenn man sie nicht zusammen geguckt hat, etwas Gemeinschaftsstiftendes. Das, was die Medien in den 80er Jahren hatten. Alle haben auf dem Pausenhof, auf der Arbeit oder auf dem Campus über die gleichen Filme gesprochen. Und so ist es mit diesen Weihnachtsfilmen- und Serien natürlich auch. Das heißt, dass da Menschen, die völlig unterschiedlich sind, die gleichen Medien konsumieren und sich dann darüber unterhalten können, was im Rest des Jahres natürlich immer mehr abhanden kommt durch das Medienüberangebot, das wir haben. Und die allseits dominierende Corona-Pandemie, über die überall gesprochen wird. Da tut es auch mal gut, wenn man sagt: „Mensch ich habe einen Weihnachtsfilm gesehen“. Deshalb ist zum Beispiel die Bundschuhreihe von Andrea Sawatzki sehr beliebt. Das wird dann auch generationsübergreifend gesehen.

Glauben Sie, dass die Leute auch in 20 Jahren noch die gleichen Filme sehen werden oder dass es dann neue „Klassiker“ geben wird?

Populärkultur kann adaptiert werden und an die nächste Generation weitergebenen werden. Die Frage ist, ob das, was wir da sehen, auch zeitlich noch so relevant ist. Also versteht eine neue Generation das noch, und sind die Rollenbilder, die da präsentiert werden, noch akzeptabel? Deswegen hatten wir auch die lange Diskussion, ob man nicht Kinderbücher beispielsweise umschreiben sollte, wenn dort Begriffe verwendet werden, die wir heute als rassistisch klassifizieren würden, und ob man das dann angleichen kann. Und wenn aber klassische Weihnachtsfilme diesen Test der Zeit überstehen, dann können sie auch weitergegeben werden. Und Weihnachten ist ja generell auch ein Nostalgiefest der Generationen, wo man sich an die vergangenen Weihnachten erinnert. Das heißt, das ist auch dieses nostalgische Zurückblicken. Ich möchte für meine Kinder das gleiche haben, das ich auch hatte und deshalb wird das geguckt. Das ist natürlich ein zutiefst psychologischer Wunsch. Und genauso entdecke ich das bei meinen eigenen Kindern, die natürlich auch mit 80er Jahre Kultur aufwachsen, mit der sie gar nichts zu tun haben, weil ich in den 80er Jahren Kind und Jugendlicher war. Und das ist ja das Interessante und deshalb auch „Schöne Bescherung“ mit Chevy Chase. Also ich weiß nicht, ob meine Kinder sich das alleine ausgesucht hätten, aber den Film können sie mittlerweile auch auswendig, genauso wie andere Sachen, die wir dann gucken, mit denen wir aufgewachsen sind.

Welche Filme gehören für Sie persönlich zu jeder Weihnachtszeit oder jedem Silvester dazu?

Also Silvester immer wieder „Dinner für One“, das ist klar. Aber auch „Ekel Alfred“ gehört dazu, und manchmal auch der Countdown am Timessquare oder in Berlin. Andere Filme, die wir eigentlich sehr, sehr gerne gucken sind wie gesagt Chevy Chase „Schöne Bescherung“, und auch Märchenfilme. Es gibt aber auch neue Sachen immer wieder wie beispielsweise diese Weihnachtsserie mit Luke Mockridge auf Netflix, die mir durchaus sehr gut gefallen hat, und die ganze österreichische Serie mit Martina Gedeck finde ich auch immer wieder gut, „Oh Tannenbaum“, „Oh Palmenbaum“ und so weiter. Und natürlich „Die Familie Bundschuh“ von Andrea Sawatzki. Das sind so die Sachen, die bei uns immer wieder geguckt werden. Und „Der kleine Lord“. Es gibt aber noch einen Unterschied zwischen Adventszeit und Heiligabend. Heiligabend ist es eher „Der kleine Lord“, in der Adventszeit dann eher die anderen Sachen.

Würden Sie den Leuten in der aktuellen Zeit empfehlen, mehr Filme zu schauen?

Also ich glaube durchaus, dass Kino eine kompensatorische Funktion hat. Also diese weihnachtliche Stimmung und Atmosphäre kann man durch Filme erlangen, und Filme sind natürlich auch immer Problemlösung. Also wenn ich jetzt Familien sehe, die ein turbulentes Weihnachtsfest haben voller Missverständnisse und Streit, kann ich natürlich auch emotional durchleben, was ich vielleicht in meiner Familie verhindern möchte und lerne vielleicht auch Lösungsmöglichkeiten kennen und andere Perspektiven auf ein Problem. Das haben ja auch viele Weihnachtsserien, dass sie sich mit den Ängsten auseinandersetzen, die wir auch haben, aber auf eine humorvoll komische, manchmal dann auch sehr versöhnliche Art. Und das kann natürlich auch auf Weihnachten vorbereiten, klar. Aber ich empfehle, grundsätzlich immer Filme zu gucken. (lacht)

Vielen Dank für das Gespräch!

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