Frau erklärt etwas am Beamerbild© R. Knauer

Die Perspektive des Kindes berücksichtigen – Kindertageseinrichtungen in Schweden

von viel.-Redaktion

Gastbeitrag von Prof. Dr. Sylvia Kägi und Prof. Dr. Raingard Knauer (Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit)

Der Blick in die Praxis von Erziehung und Bildung in anderen Ländern schärft auch den Blick für die Fachpraxis im eigenen Land. Unter diesem Motto organisieren Prof. Dr. Sylvia Kägi und Prof. Dr. Raingard Knauer vom Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Fachhochschule Kiel zusammen mit Prof. Dr. Ursula Stenger von der Universität Köln seit vier Jahren Exkursionen mit dem Schwerpunkt Erziehung und Bildung. Die diesjährige Exkursion führte insgesamt 40 Studierende und Lehrende (28 Teilnehmende von der FH-Kiel und zwölf von der Universität Köln) vom 5. bis zum 8. Oktober nach Stockholm. Auf dem Programm standen Besuche in Kindertageseinrichtungen, einer inklusiven Schule sowie Vorträge zur Kindheitspädagogik an der Universität Stockholm und zur Sozialen Arbeit an der Södertörns Högskola.

Schweden steht insbesondere im Vorschulbereich für eine demokratische Pädagogik, die das Kind in den Mittelpunkt stellt. Gemeinsam mit Kindern die Welt immer wieder neu zu verstehen, ihre Weltsicht ernst zu nehmen und sichtbar zu machen – das ist ein zentraler Aspekt des schwedischen Curriculums für „Vorschulerziehung“ – Pre-Schools wie Kindertageseinrichtungen dort genannt werden. Besonders beeinflusst wurde dieser Ansatz durch Prof. Dr. Gunnila Dahlberg von der Universität Stockholm. Sie fragt u. a.: „Wie muss sich Frühpädagogik in einer sich verändernden Welt gestalten?“. In Anlehnung an die Reggio-Pädagogik aus Italien hat sie u. a. im „Stockholm-Projekt“ damit begonnen, die Pre-Schools in Netzwerke einzuweben, in denen gemeinsam die Fragen „Was ist eine gute Kindheit“ und „Wie co-konstruieren wir Bildungsprozesse gemeinsam mit den Kindern?“ immer wieder neu reflektiert werden. In ihrem Vortrag, den wir uns angehört haben, gab sie sehr beeindruckend Einblicke in die Herausforderungen, wie die Perspektive der Kinder und ihre Aneignungsprozesse sichtbar gemacht werden können.

Wie sich dieser Anspruch in der Praxis wiederfindet, konnten wir bei Besuchen in verschiedenen Pre-Schools erahnen. Auch wenn die einzelnen Einrichtungen sehr unterschiedlich arbeiten, wurde an vielen Stellen das Bemühen deutlich, Kindern möglichst viele Anregungen zu geben, die Welt selbst auf ihre eigene Art und Weise zu entdecken: durch die Gestaltung einer anregungsreichen Umgebung und durch das Sichtbar-Machen der Ideen und Sichtweisen der Kinder.

Die Perspektive des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen, ist auch eine Herausforderung für Schulen – insbesondere inklusiv arbeitende Schulen. Eindrücke davon, wie das gelingen kann und vor welchen Herausforderungen diese stehen, erhielten wir bei unserem Besuch in der Eriksdalsskolan, einer der größten inklusiven Schulen in Schweden. Hier arbeiten Lehrkräfte, Sonder- und Sozialpädagoginnen und -pädagogen, sowie Psychologinnen und Psychologen eng zusammen, um jedem Kind Teilhabe an schulischer Bildung zu ermöglichen.

Ergänzt wurden diese Eindrücke durch einen Vortrag von Dr. Sylwia Koziel, die Social Work an der Södertörns Hogskola lehrt und Einblicke in das System der Kinder- und Jugendhilfe und hier vor allem Angebote der Familienbildung eröffnete.

Untergebracht waren wir sehr maritim in der MS Rygerfjord, einem Jugendherbergsschiff mitten in Stockholm. Der morgendliche (angesichts früher Termine häufig etwas müde) Blick der Exkursionsteilnehmerinnen und -teilnehmer fiel auf das Stadshuset von Stockholm, dem Ort, an dem alljährlich auch die Verleihung der Nobelpreise stattfindet. Das war umso interessanter, weil die Exkursion just in die Nobel-Woche fiel – also die Woche, in der die Namen der Preisträgerinnen und Preisträger 2015 bekannt gegeben wurde.

Die Exkursion bot uns an vielen Stellen die Möglichkeit, durch einen Blick in „die Fremde“ auch „das Eigene“ wieder neu reflektieren zu können. Wichtig dafür waren neben dem Pro-gramm vor allem die vielen Gespräche – beim Frühstück, Abendessen und nicht zuletzt auf den zahlreichen Wegen (und manchmal auch Umwegen), die wir gemeinsam zurücklegten.

Beim Abschlussfoto der Kieler Teilnehmenden kurz vor dem Rückflug (hier auch die Lehrenden Prof. Dr. Ariane Schorn, Prof. Dr. Marita Sperga, Prof. Dr. Vassilis Tsianos und Verena Winter) überlegten viele schon: Wohin geht die nächste Exkursion, die uns anregt, unseren Blick auf Erziehung und Bildung zu reflektieren, zu verunsichern und dadurch immer wieder neu zu schärfen?

© Fachhochschule Kiel