Zwei Freuen© P. Knittler

Lernen – ein Leben lang

von Annette Göder

Dass lebenslanges Lernen notwendig ist, um die Herausforderungen der Zeit zu meistern, ist keine neue Erkenntnis. Denn schon im 17. Jahrhundert erkannte der Pädagoge Johann Comenius, dass das ganze Leben eine Schule ist. Im Gespräch mit Annette Göder geben die Leiterin des Zentrums für Lernen und Lehrentwicklung (ZLL) der FH Kiel, Dr. Christiane Metzger, und die stellvertretende Leiterin, Dr. Mareike Kobarg, Auskunft darüber, inwiefern Aspekte des ‚Lebenslangen Lernens‘ auch an der FH Kiel eine Rolle spielen und welchen Beitrag das ZLL leistet, um Studierende und Lehrende beim Lernen und Lehren zu unterstützen.

Was versteht man unter den Begriffen ‚Informationskompetenz‘ und ‚Selbstkompetenz‘, die zum Konzept des ‚Lebenslangen Lernens
 gehören?

Christiane Metzger: Es gibt für die Begriffe – wie auch für das Lebenslange Lernen – keine einheitlichen, eindeutigen Definitionen. Unter Informationskompetenz versteht man im Allgemeinen, dass Personen in der Lage sind, sich neue Informationen zu beschaffen und diese in der Weise zu nutzen, wie es für ihr Ziel sinnvoll ist. Doch es ist nicht nur wichtig, Informationen zu sammeln, sondern sie auch zu bewerten. Gerade in der heutigen Zeit der Informationsflut spielt dieser Aspekt eine wichtige Rolle.

Mareike Kobarg: Selbstkompetenz bezogen auf Lernen bedeutet zu wissen, wie man selbst gut lernen kann. Wir alle sammeln Erfahrungen in Hinblick darauf, was für ein Lerntyp wir persönlich sind. Einige lernen gut mit Hilfe von Literatur, andere durch Videos, manche im Kontakt mit anderen, einige durch schriftliche, andere durch mündliche Auseinandersetzung mit den Lerninhalten. Selbstkompetenz bedeutet auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, also Selbstvertrauen, sowie Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Wir müssen ständig Entscheidungen treffen, sei es im beruflichen oder privaten Bereich. Es gilt, seine Stärken und Schwächen zu kennen, eigene Interessen und Neigungen zu erkennen, so zu handeln, wie es nötig ist, um diesen nachzukommen und dranzubleiben, wenn es schwierig wird.

Können Sie ein Beispiel für Motivationshürden nennen?

Mareike Kobarg: Im Studium können beispielsweise schwierige mathematische Inhalte behandelt werden. Möglicherweise gehen damit auch unangenehme Erinnerungen an den Mathe-Unterricht in der Schule einher.

Wie kann man sich zum Lernen motivieren?

Mareike Kobarg: Es ist hilfreich, für sich selbst eine Sinnhaftigkeit herauszustellen. Um beim Beispiel zu bleiben: Es könnte helfen, sich klarzumachen: Wenn ich wissen möchte, wie ein Schiff schwimmt, ist es sinnvoll, über die mathematischen Zusammenhänge Bescheid zu wissen. Ein weiteres Beispiel: Wenn man eine Sprache erlernt, macht es Mühe, Vokabeln zu lernen. Es kann mich motivieren, wenn ich mir ins Bewusstsein rufe, dass ich die Sprachkenntnisse benötige, um mich im beruflichen Kontext oder auf einer Reise verständigen zu können. Leichter fällt das Lernen auch oft, wenn man im Hinblick auf den Lernprozess, aber auch die Inhalte, eigene Entscheidungen treffen kann.

Christiane Metzger: Für die Motivation ist es gut, wenn die von außen gestellte Aufgabe mit den eigenen Zielen zur Deckung kommt. Ich kann auch einzelne Lerneinheiten auf mein größeres Ziel beziehen und mir beispielsweise sagen: Selbst, wenn mir Mathe nicht gefällt, setze ich mich jetzt an die Aufgabe, weil der Bachelor-Abschluss mein persönliches Ziel und Voraussetzung für meinen Berufswunsch ist.

Auch Lerngruppen können hilfreich sein. Ich erkläre anderen etwas, festige so meine eigenen Kenntnisse, übe mich in Fachkommunikation und erlebe mich im besten Fall als kompetent und wirksam. Auf der anderen Seite wird mir etwas verdeutlicht und ich lerne auf diese Weise neue Dinge dazu.

Eine weitere Möglichkeit zur Motivation besteht darin, sich die Aufgabe sozusagen in Häppchen einzuteilen. Das kann bedeuten, sich die Kapitel eines Buches einzeln vorzunehmen, was zu mehreren Erfolgserlebnissen führt.

Ist Lebenslanges Lernen Ihrer Meinung nach heute besonders wichtig, weil sich die Zeiten schneller ändern?

Christiane Metzger: Die Anforderung, Kompetenzen zu erwerben, um im beruflichen und persönlichen Leben gut zurechtzukommen, hat sich eher verstärkt als verringert. Lebenslanges Lernen ist wichtig, um nicht abgehängt zu werden. Ich nehme wahr, dass sich Lebenslanges Lernen heute hauptsächlich auf den beruflichen Kontext bezieht. Doch so war es ursprünglich nicht gemeint. Die Begrifflichkeit bezog sich gleichwohl auf die Persönlichkeit.

Inwiefern spielt Lebenslanges Lernen für Studierende an der FH Kiel eine Rolle und was für Angebote macht Ihr Zentrum für sie?

Christiane Metzger: Etwa die Hälfte der Studierenden kommt aus einer Berufstätigkeit heraus und hat so schon viele Erfahrungen gesammelt. Diese Studierenden haben sich für Weiterbildung und einen Berufsaufstieg entschieden. Für das Studium sind bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich. In den Interdisziplinären Wochen, die im ZLL koordiniert werden, können Studierende unter anderem solche studienrelevanten Schlüsselkompetenzen erwerben, beispielsweise zum Zeit- und Selbstmanagement.

Was bedeutet Lebenslanges Lernen für Lehrende?

Mareike Kobarg: Im Gegensatz zu Lehrern und Lehrerinnen an allgemeinbildenden Schulen und Berufsschulen durchlaufen Lehrende an Hochschulen keine standardisierte didaktische Ausbildung. Wir im ZLL machen Angebote für die Lehrenden, die ihnen dabei helfen können, ihre Lehre so zu gestalten, dass das Lernen der Studierenden unterstützt wird.

Gleichzeitig müssen sich Lehrpersonen mit der fachlichen Entwicklung in ihrem Bereich befassen, um inhaltlich am Puls der Zeit zu sein. Außerdem sollten sie sich auf den Generationswechsel der Studierenden einstellen. Denn jede Generation ‚tickt‘ anders, was auch Auswirkungen auf die Lehre haben kann. Eine Aufgabe für Lehrende besteht darin, immer wieder zu reflektieren, was in der Lehre und mit der Studierendengruppe gut funktioniert und zum Lernen beiträgt und wie neue Erkenntnisse und Methoden in die Lehre integriert werden können.

Was für Angebote stehen Lehrenden zur Verfügung?

Mareike Kobarg: Zum einen beraten wir Lehrende. Dabei kann es zum Beispiel um die Frage nach geeigneten Prüfungsformaten gehen oder um Möglichkeiten, ein gutes Lernklima zu schaffen. Neben Beratung und Coaching bei der individuellen Lehrentwicklung bieten wir Veranstaltungen in unterschiedlichen Formaten wie Workshops oder den ‚Tag der Lehre‘ an. Diese Veranstaltung hat zum Ziel, Impulse zur Gestaltung der Lehre zu setzen und den Austausch unter Lehrenden über Lehrkonzepte und -erfahrungen zu fördern.

Christiane Metzger: Darüber hinaus unterstützen wir Lehrende, insbesondere Studiengangsleiter und -leiterinnen oder auch Dekanatsmitglieder, in der Weiterentwicklung von Studiengängen. Anlässe für solche Entwicklungsprozesse können beispielsweise neue Anforderungen aus der Berufswelt, personelle Veränderungen im Kollegium oder Rückmeldungen aus Evaluationen sein. Wir unterstützen dann zum Beispiel beim Herausarbeiten von Zielen des Entwicklungsprozesses, bei der Planung und Durchführung von Veranstaltungen oder durch hochschuldidaktische Inputs, zum Beispiel zur Entwicklung des Curriculums.

Außerdem bringt sich das ZLL in die strategische Ausrichtung und Weiterentwicklung von Blended‐Learning‐Aktivitäten ein, das heißt in die didaktisch sinnvolle Verbindung von E-Learning und Präsenzlehre, und berät und unterstützt Lehrende bei der Umsetzung entsprechender Vorhaben.

Seit Beginn der Corona-Pandemie haben Sie noch mehr Workshops und Hilfestellungen für Studierende und Lehrende in Bezug auf Online-Formate gegeben. Wie schätzen Sie diesen Lernprozess ein?

Christiane Metzger: Es haben sich in kurzer Zeit ganz neue Möglichkeiten aufgetan. Es gab einen Durchbruch bezüglich der Nutzung von digitalen Werkzeugen, der sonst viel länger gedauert hätte. Die Hemmschwelle ist vielfach überwunden. Viele Lehrende haben unterschiedliche Möglichkeiten erprobt. Manche haben dabei einen sehr hohen Standard erreicht. Aber es gibt noch Potenzial, auch für die Hochschule als Organisation, zum Beispiel in Bezug auf die aktive Teilhabe von Studierenden an der synchronen Online-Kommunikation in den Lehrveranstaltungen oder in Bezug auf Prüfungen. Insgesamt gilt es zu untersuchen, inwieweit Elemente der Online-Lehre die Präsenz-Lehre langfristig bereichern können, was nach der Pandemie an digitalen Werkzeugen sowie Praktiken bleibt und welche Szenarien für welche Lernziele sinnvoll sind.

In den Bundesländern haben – mit Ausnahme von Bayern und Sachsen – Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen das Recht auf Bildungsurlaub für zumeist fünf Tage im Jahr. Wie beurteilen Sie diese Möglichkeit und machen Ihrem Eindruck nach die FH-Beschäftigten davon Gebrauch?

Mareike Kobarg: Bei uns im Team wird Bildungsurlaub teils wahrgenommen und teils nicht. Ich habe einmal an einem Angebot teilgenommen. Ich denke, dass das Bedürfnis nach neuem Input bei vielen FH-Mitarbeitenden durch eigene Forschungen oder Kontakte zu Praxispartnern und -partnerinnen bereits abgedeckt ist. Doch grundsätzlich finde ich das Angebot eine gute Errungenschaft und im Rahmen von lebenslangem Lernen ein sinnvolles Angebot.

Inwieweit spielt interdisziplinäres Lernen eine Rolle für das Lebenslange Lernen und wo spiegelt es sich an der FH Kiel wider?

Mareike Kobarg: Interdisziplinäres Lernen spielt eine wichtige Rolle im langfristigen Lernprozess. Im ZLL werden in jedem Semester die Interdisziplinären Wochen koordiniert. In dieser Zeit laufen keine regulären Veranstaltungen und die Studierenden der FH können zwei Wochen lang verschiedene Seminare und Workshops besuchen und dabei über den Tellerrand blicken. Dieses Programm vermittelt den Studierenden unter anderem die Botschaft: ‚Bleibt neugierig und kommt mit Studierenden anderer Fachrichtungen ins Gespräch!‘

Christiane Metzger: Auch unter Lehrenden spielt die interdisziplinäre Arbeit eine Rolle. Es haben sich zum Beispiel Teams von Lehrenden gebildet, die Modulangebote zu den Themen ‚Klimawandel und Klimaschutz‘, ‚Robotik in der Pflege‘, ‚Industrie 4.0‘ und ‚Mobilität‘ machen. Sie befassen sich mit aktuellen Herausforderungen. Das betrifft natürlich ebenfalls viele Forschungsvorhaben an der Fachhochschule. Vernetzung beim lebenslangen Lernen ermöglicht neue Erkenntnisse und Entwicklungen, die sowohl der Hochschule als auch der Gesellschaft zugutekommen können.

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