Eine Frau© J. Mai
Fotoatelier Jürgen Mai Darmstadt

Von den Baby-Boomern zur Generation Z

von Mariesa Brahms

Frau Menne, Sie haben in mehreren Führungsetagen gearbeitet. Unter anderem bei der Lufthansa. Wenn Sie zurückblicken auf Ihre Anfänge, können Sie sich noch an Ihr erstes Bewerbungsgespräch erinnern? Was haben Sie auf die obligatorische Frage nach Ihren Kompetenzen geantwortet?

Ich kann mich daran erinnern, dass mein Chef gesagt hat, er stellt mich trotz meines Englischs ein (lacht). Und ich denke, ich habe gesagt, ich kann gut analytisch denken und ich kann gut kommunizieren, also überzeugen.

Woher haben Sie diese Skills? Aus dem Studium, aus Ihrer Ausbildung oder aus dem Elternhaus?

Ich denke, es wird immer ein Ziegelstein dazu getan. Gerade, wenn es um Kommunikation geht, lernt man viel zu Hause; und dann natürlich auch in der Schule. Ich war auf der Ganztagsschule, im Kieler Hans-Geiger-Gymnasium, wo wir sehr viel argumentiert und debattiert haben. Ich glaube, das war damals noch anders als heute. Dann kamen Stationen wie Klassensprecherin und Mannschaftskapitänin. Ich habe im Anschluss eine Lehre als Steuerfachgehilfin gemacht, wo ich eigenständig Buchhaltung erledigt habe. Ich hatte eigene Mandanten, da lernt man mehr als im Studium, vor allem das Argumentieren und das professionelle Auftreten. Mein BWL-Studium hat mir da weniger geholfen. Das hat dann aber mein analytisches Denken gefördert.

Sie haben 1989 bei der Lufthansa angefangen. Hatten Sie damals mehr männliche Kollegen als weibliche?

Ja, wir waren die ersten zwei Frauen. Vor mir und meiner Kollegin gab es keine Frauen in der internen Revision, wo ich angefangen habe.

Welche Kompetenzen haben Ihnen damals geholfen?

Humor und Geduld (lacht) im Umgang mit den Kollegen. Es war damals schon ein bisschen gönnerhaft, wie die männlichen Kollegen aufgetreten sind. Die haben uns schon sehr wie Mädchen behandelt. Und da muss man schon klarmachen, dass man eigene Ansprüche hat und was Frau wert ist. Da muss man schon deutlicher werden, ohne zickig zu sein. Deswegen der Humor. Teilweise ist es heute noch so. Ich habe junge Mentees und bin erstaunt, was die sich manchmal auch heute noch anhören müssen.

Haben Sie den Humor mitgebracht oder ihn sich angeeignet?

Das ist eine gute Frage. Ich glaube, den habe ich von meinem Vater. Der hat immer ganz coole Sprüche gemacht. Da übt man selber coole Sprüche, das hilft einem, und dann ist man auch schlagfertig. Meine Kollegin war auch ähnlich im Typus. Wir haben uns darin bestärkt, dass wir nicht alleine waren. Wir haben uns das gespiegelt, oft gesagt ‚es geht mir auch so, es ist aber erträglich‘. Weil die Männer nicht unangenehm oder übergriffig waren. Das gibt es ja auch. Die waren eben eher gönnerhaft, väterlich. Damit kann man ja leben. Da haben wir uns dann angeguckt und ein bisschen die Augen verdreht und oft gedacht‚ was denkt er eigentlich, was ich nicht kann‘ und dann gibt sich das. Seit ich Vorständin geworden bin, traut sich sowas niemand mehr. Da werde ich alleine schon durch meine Position sehr ernst genommen.

Als Aufsichtsrätin bekommen Sie sicherlich viel vom Umgang zwischen den Geschlechtern in verschiedensten Unternehmen mit. Begegnet Ihnen dieses Gönnerhafte manchmal noch?

Das ist schwer zu verallgemeinern, weil es wirklich sehr abhängig vom Unternehmen ist. Ich werde ja in die Aufsichtsräte berufen, weil ich was kann. Da wird meine Expertise schon ernst genommen. Was dann eher gönnerhaft verläuft oder oft mit einem Augenverdrehen quittiert wird, ist, wenn ich sage, dass eine Frau in den Vorstand geholt werden sollte. Dann kommt so eher dieses ‚Okay, den Spruch musste sie jetzt machen, sie ist ja eine Frau‘. Das gibt es schon, ja.

Sie haben auch im Ausland gearbeitet. Nicht nur in Europa, sondern auch in Nigeria. Welche Kompetenz hat Ihnen da geholfen?

Empathie. Man muss sich einfühlen in die Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eine völlig andere ist. Die fahren mit kleinen Transportbussen zwei Stunden durch feuchtnasse, heiße Wege bis ins Büro. Sie sind eigentlich schon kaputt, wenn sie ankommen. Im vielen Fällen haben sie auch viele Kinder zu ernähren und haben oft auch keine entsprechende Ausbildung. Da muss man viel Verständnis haben. Aber es war absolut möglich, dort ein tolles Team aufzubauen. Diese anderen Wohn- und Lebensverhältnisse zu verstehen, ist wichtig. Das war in London im Übrigen nicht anders. Da lebte mein Team zwar nicht in ganz so prekären Verhältnissen, aber hatte auch unendlich lange Arbeitswege. Ich denke, das Verstehen der persönlichen Situationen von Menschen hilft immer und überall. Noch mehr, wenn man sich in anderen Kulturkreisen befindet, sollte man nichts als selbstverständlich voraussetzen. Diese Sachen werden einem weder in der Schule noch in der Universität beigebracht. Und gerade das sind die Sozialkompetenzen, die eigentlich so wahnsinnig wichtig sind. Das Thema Zuhören, das Thema Empathie. Ich habe übrigens eine Mentee, die wurde abgelehnt für eine Position mit der Begründung, sie sei zu empathisch. Da springe ich fast auf den Tisch! Man kann ja trotz Empathie durchsetzungsfähig sein. Man kann trotzdem Menschen sagen ‚So geht es nicht‘. Das schließt sich nicht aus. Was auch wichtig ist: mit Widersprüchen leben zu können. Die Welt ist ja nicht schwarz-weiß. Damit umgehen zu können, dass man zum Beispiel ein Büro nicht schließen will, aber schließen muss. Das sind Beispiele für Sozialkompetenzen, die man nicht vermittelt bekommt und meistens lernt man die eben, indem man aus Fehlern lernt.

Stichwort Sozialkompetenzen – werden die Ihrer Meinung nach in Bewerbungsverfahren ausreichend honoriert?

Ich glaube, viele Personalabteilungen machen es sich einfach und gehen eher nach fachlicher Kompetenz. Wobei heute schon wertgeschätzt wird, wenn jemand beispielsweise ein Freiwilliges Soziales Jahr in Ghana verbracht hat. Ein bestimmtes soziales Engagement wird honoriert, weil damit oft soziale Kompetenz verbunden wird. Rational wird die Notwendigkeit von Sozialkompetenzen schon verstanden. Aber es ist ja schwierig festzustellen, ob eine Sozialkompetenz wirklich vorhanden ist.

Dabei sind Sozialkompetenzen gerade in Führungspositionen wichtig, oder?

Absolut. Der Punkt ist: Je höher die Position, desto wichtiger sind Sozialkompetenzen. Weil sie ja nicht mehr die Expertin oder der Experte sind. Da gibt es dann ja Menschen um sie herum, die das alles viel besser können als sie. Schon als Abteilungsleiterin hatte ich Mitarbeiter, die ihr Thema besser kannten als ich. Als Finanzvorstand natürlich umso mehr. Soll heißen: In Führungspositionen geht es eigentlich darum, Mitarbeitern und Kunden zuzuhören, daraus dann eine Strategie zu erarbeiten und diese dann zu kommunizieren. So kommen wir wieder zum Thema Kommunikation - Zuhören und Menschen mitnehmen. Das ist tatsächlich ein Problem. Ich habe neulich ein Diagramm gesehen zur Frage ‚Warum gibt es so wenig Frauen in Führungspositionen‘. Am Anfang der Karriere ist ganz viel Teamkompetenz wichtig. Sie müssen sich einfügen, arbeiten zusammen und feiern Erfolge. Irgendwann kippt es dann. Dann kommen die Ellbogen, da kommen Egozentriker und Narzissten hoch. Da muss sich was ändern. Aus meiner Sicht ist es eine wesentliche Kompetenz für die Zukunft, Teamplayer zu sein. Gemeinsam etwas zu erreichen.

Sie können auf viele Jahre Arbeitserfahrung zurückschauen, haben sicherlich einige Kollegen in den Ruhestand verabschiedet, jüngere Kollegen begrüßt. Welche Kompetenzen bringt die Generation Z mit, die die Älteren nicht haben?

Meine Generation, also die Baby-Boomer, denkt eher linear. Ein Schritt nach dem anderen. Es geht viel um das Optimieren. Ihre Generation, die Digital Natives, haben eher einen gesamtheitlichen, systemischen Blick. Was gut ist, denn die Systeme hängen eben zusammen. Den Fehler hat meine Generation gerade auch im Hinblick auf die Umwelt gemacht. Beispielsweise haben wir lange gedacht, man kann die Landwirtschaft als isoliertes Segment betrachten. Was damit zusammenhängt, wurde außer Acht gelassen. Da übersieht man dann, dass wenn man Schädlinge ausrottet, die gesamte Biodiversität zerstört wird. Dieses gesamtheitliche Denken ist eine Kompetenz, die ich eher in der jungen Generation vermute. Und natürlich das selbstverständliche Umgehen mit Technik. Was künftig wichtig sein wird, ist künstliche Intelligenz zu erfassen und keine Angst davor zu haben. Da erlebe ich viele Menschen in meinem Alter, die Angst vor Technik haben. Wie schädlich das ist, sehen wir ja jetzt bei Corona. Wenn Sie kein Handy haben oder nicht wissen, was ein QR- Code ist, bekommen Sie keinen Impftermin. Man muss da bis zum Lebensende dranbleiben.

Wenn dem so ist, müssten dann nicht Konsequenzen daraus gezogen werden?

Dass die Baby-Boomer aussterben? (lacht)

So würde ich das ungern formulieren. Aber wäre es beispielsweise einer schnelleren Digitalisierung dann nicht zuträglich, wenn man Führungspositionen in großen Unternehmen mit Digital Natives besetzt? Und junge Menschen früh an die Führungsverantwortlich heranführt?

Absolut. Eins meiner Themen ist Diversität und damit meine ich nicht nur Geschlechter. Ich habe gerade erst einen Vortrag darüber gehalten, dass man Jung und Alt zusammenführt. Dass man Menschen am Tisch sitzen hat, die eine andere Sicht auf die Welt mitbringen. Jetzt nehmen Sie mal die Autoindustrie mit BMW als Beispiel. Für meine Generation hatte das Auto noch einen anderen Stellenwert, der Führerschein war ein Muss. Deshalb ist in vielen Köpfen das Auto heute noch ein Prestigeobjekt. Da ist nur wenig Platz für Verständnis, wenn junge Leute sagen: ‚Ich brauche kein Auto‘. Deswegen ist es unabdingbar, Vertreter der jüngeren Generation am Tisch sitzen zu haben. Damit sie den Begriff der Mobilität mitprägen können. Jugendlich naiv darf es dann aber auch nicht sein. Ich weiß nicht, ob Ihnen die Bahlsen-Erbin bekannt ist. Die hatte einmal unbedacht irgendwas zu den Medien gesagt, daraus wurde dann ein Skandal. Ihr fehlte die nötige Bedachtsamkeit, die sich dann aus Berufserfahrung ergibt. Ich denke, man sollte das dann in einem Tandem machen. Eine gute Kombi zu finden aus Bedacht und Innovation.

Und welche Kompetenz Ihrer Generation vermissen Sie bei den jungen Menschen, die ins Berufsleben starten?

Ich weiß, dass ich mir für meine Generation mehr von der Offenheit der Jungen wünschen würde. Dass wir loskommen von unseren etablierten Lösungswegen. Was die junge Generation angeht: Ich glaube nicht, dass es gut wäre, bedächtiger zu werden und mehr nachzudenken. Das macht es ja gerade aus, diese Risikobereitschaft, das Impulsive. Was ich als Kompetenz bei jungen Leuten gerade weniger sehe, ist Debatten- und Konfliktbereitschaft. Indem man sagt, ‚Ich nehme eine andere Position ein und damit finden wir am Ende eine bessere Lösung‘. Da sehe ich viel Wunsch nach Harmonie. Also diese Bereitschaft, einen anderen Standpunkt anzusehen, die fehlt mir etwas.

Spielen Sie auf die Cancel Culture an?

Auch. Aber vor allem dieses Thema ‚Man darf die Jugend nicht überfordern.‘ Ja, dieses sehr Behütete. Angenommen, eine Vorlesung behandelt das Thema Burka. Und dann vielleicht auch mal eine Frau aufsteht, die sagt, sie fühlt sich wohl unter der Burka. Das wird gar nicht angehört, diese Vorlesung dürfen wir nicht machen, weil das geht gleich in die falsche Richtung. Das ist eine schädliche Tendenz.

Da bin ich anderer Auffassung. Ich habe schon den Eindruck, dass die jüngere Generation gerade an politischen Themen interessiert ist und auch gerne debattiert. Themen wie Black Lives Matter werden meiner Erfahrung nach eher angenommen.

Es ist ja nachweislich so, dass Ihre Generation politischer ist, als die davor und auch klarer Forderungen stellt. Was ich meine, ist die Scheu vor Widersprüchen. Man muss sagen dürfen, dass die israelische Siedlungspolitik falsch ist. Das heißt dann aber trotzdem nicht, dass man den Angriff der Hamas auf Israel unterstütze. Universitäten sollten dem Gründer der AfD, Bernd Lucke, der ja Wirtschaftsprofessor ist, erlauben, eine Vorlesung zu halten. Dann muss man sich aber auch mit seinen Argumenten auseinandersetzen und diese widerlegen und nicht von vornherein sagen, dass der gar nicht sprechen darf. Sonst kommt keine politische Debatte zustande. Wenn man die nicht zulässt, ist das nicht okay. Zum Thema Identitätspolitik: Was ich ganz spannend finde, ist die Diskussion um BIPOC. Damit werden alle mitgenommen, also schwarze und indigene Menschen. Und eigentlich wäre es das Beste, wenn wir uns nicht in immer kleinere Gruppen einteilen, sondern sagen: Wir sind Menschen. Darüber habe ich neulich mit Aminata Touré, der Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtages gesprochen. Worauf wir uns geeinigt haben: Es muss allen klar sein, dass wir alle gleichwertige Menschen sind. Damit das auch der oder die Letzte versteht, muss das sanktioniert werden. Aber sich als Gruppe immer kleiner zu machen, macht die Sache meiner Meinung nach nicht gleicher, sondern ungleicher.

Womöglich helfen sprachliche Unterscheidungen einigen Menschen bei ihrer Identifikation.

Offensichtlich. Ich verstehe, wo es herkommt. Ich, als weiße, etablierte Frau, kann noch so oft sagen, „Wir sind alle gleich“. BIPOC erleben jeden Tag Rassismus und Diskriminierung. Was ich ja gar nicht nachfühlen kann, weil es mir nicht passiert. Ich habe volles Verständnis dafür, dass Minderheiten durch diese Begriffe ihre Gemeinschaft stärker repräsentieren. Dadurch lassen sich dann ja auch wirksamer Rechte einfordern. Aber es bereitet mir etwas Unwohlsein. Ich fürchte, das fragmentiert unsere Gesellschaft. Aber um noch einmal auf die Kompetenzen zurückzukommen: Wichtig ist, sich in der Jugend mit Widersprüchen auseinanderzusetzen und zu akzeptieren, dass es Widersprüche gibt.

Seit 2018 betreiben Sie eine Galerie hier in Kiel. Welche neue Kompetenz haben Sie während dieser Zeit für sich entwickelt?

Improvisation. Als Führungskraft in einem Großkonzern versucht man, alles Außerplanmäßige zu vermeiden, und vieles wird einem abgenommen. Da bekommt man alle Papiere zurechtgelegt und man wird chauffiert. Das führt aber auch dazu, dass es Vorstände gibt, die sich nicht mehr alleine auf einem Flughafen zurechtfinden, weil sie die Begleitung gewohnt sind. Ich habe sogar von Vorständen gehört, die sich auf die Rückbank ihres Privatautos gesetzt haben, weil sie es gewohnt waren, gefahren zu werden. Und da sind wir wieder bei den Kompetenzen – die kann man nämlich auch verlieren, wenn man sie nicht trainiert. In meiner Galerie bin ich nun auf mich allein gestellt. Zudem sind die Künstlerinnen und Künstler, mit denen ich zu tun habe, besondere Menschen mit individuellen Ansprüchen, auf die ich eingehen muss. Aber das hält wach und tut gut.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Menne!

© Fachhochschule Kiel