Audiodiskreption

 

„Blinde sollen Blumen hören“, das ist plakativ, beschreibt aber kurz und treffend den Inhalt des Projekts mit dem sperrigen Namen: „Barrierefreie Landesgartenschau 2008 – Pilotprojekt, um eine neue Veranstaltungsqualität für blinde und sehbehinderte Menschen zu entwickeln“. Die Landesgartenschau fand 2008 in Schleswig statt und wurde für alle Menschen zu einem intensiven Erlebnis. Der Fachbereich Medien der Fachhochschule Kiel setzte dieses einzigartige Projekt um. Leiter war Professor Dr. Bernd Vesper. Ihm zur Seite standen Silke Haas und Mark Schlichting.

Blinde und sehbehinderte Menschen können die Blumen, Pflanzen und Gärten nicht oder nur eingeschränkt sehen, aber sie können hören. Also wurden ihnen ausgewählte Exemplare eben  beschrieben. Am Eingang erhielten sie einen kleinen, intelligenten Kasten, der zum einen auf  Serviceeinrichtungen wie Toiletten und Restaurants hinwies, vor allem aber das Herzstück der Landesgartenschau, ihre florale Vielfalt und Farbigkeit in Worte fasste. Es ist eine Kunst, naturgetreue Bilder im Kopf durch Worte entstehen zu lassen.
Einige Fernseh- und Kinofilme haben schon zusätzliche Texte für Blinde. In den Sprechpausen der Schauspieler gibt ein Sprecher wichtige Informationen, um das Geschehen auch nur akustisch verfolgen zu können. Das Verfahren heißt Hörbeschreibung – Audiodeskription.

Anke Nicolai, Vorsitzende des Vereins Hörfilm e.V. – Vereinigung deutscher Filmbeschreiber, und ihre Kollegin Hela Michalski sind an die Fachhochschule nach Kiel gekommen, um die Mitarbeitenden des Projekts barriefreie Landesgartenschau in die Kunst der Filmbeschreibung einzuweisen. „Ein Team besteht immer aus Blinden und Sehenden“, erklärt Hela Michalski. Sie selbst ist blind und auch nur sie kann beurteilen, wann wichtige Informationen fehlen, um den Film auch für Nichtsehende verständlich zu machen.

Der Dokumentarfilm „So funktioniert der Nord-Ostsee-Kanal“ soll beschrieben werden.
Im Film ist zu sehen, wie große Kreuzfahrtschiffe, Tanker, Containerfrachter, kleine Schuten und unzählige Sportboote durch Kanal und Schleusen fahren. Ein Sprecher erklärt, warum es nicht zu Chaos und Havarie auf der meist befahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt kommt.
Um die einzelnen Bilder, Szenen und Sequenzen zu beschreiben bleibt kaum Zeit. Die Sprechpausen sind kurz und im Film passiert viel. Die Entscheidung, was beschrieben werden soll, ist schwierig. Der hellgraue Rauch, der aus dem Schornstein steigt oder quillt er doch eher? Die kleine, weiße Möwe, die von links nach rechts durch Bild fliegt? Oder besser die übereinander gestapelten Containerreihen auf dem grauen Frachter? Ein paar Sekunden sind zu kurz, um alle Einzelheiten.

„Wichtig ist, dass der blinde Zuhörer den roten Faden behält und der Geschichte folgen kann“, sagt Anke Niolai. Also den Wechsel von Schauplätzen und Personen erzählen. Hela Michalski hakt immer wieder nach, wenn sie einen Übergang nicht verstanden hat oder die Beschreibungen falsche Bilder oder Assoziationen erzeugen. Das Team feilscht um Formulierungen. Wortklauberei. Bildlexika helfen dabei, den richtigen Ausdruck zu finden. Anke Nicolai hilft auf die Sprünge, wenn das Team ins Stocken kommt, die Worte rar werden und es einfach keine zutreffende Beschreibung zu geben scheint.
Nach zwei Tagen ist die Hörbeschreibung für den Dokumentarfilm fertig.
Ein weiterer wichtiger Meilenstein für das Projekt barrierefreie Landesgartenschau wurde erfolgreich erreicht.