Bon­ner Ethik-Er­klä­rung

In den For­schungs­vor­ha­ben die­ser För­der­li­nie hat sich rasch ge­zeigt, dass in die­sem sen­si­blen For­schungs­be­reich ein be­son­de­res Au­gen­merk auf ethi­sche As­pek­te ge­rich­tet wer­den muss. Die Mit­glie­der des Netz­werks „Se­xua­li­sier­te Ge­walt gegen Kin­der und Ju­gend­li­che in päd­ago­gi­schen Kon­tex­ten“ haben daher ge­mein­sam Emp­feh­lun­gen für die For­schung gegen se­xua­li­sier­ter Ge­walt in päd­ago­gi­schen Kon­tex­ten ent­wi­ckelt und als sog. Bon­ner Ethik-Er­klä­rung ver­ab­schie­det. Sie gibt For­sche­rin­nen und For­schern Ori­en­tie­rung hin­sicht­lich ethi­scher Ver­ant­wort­bar­keit und recht­li­cher Grund­la­gen ihrer Stu­di­en.

Bon­ner Ethik-Er­klä­rung

Poel­chau, Heinz-Wer­ner; Bri­ken, Peer; Waz­la­wik, Mar­tin; Bauer, Ull­rich; Fe­gert, Jörg M.; Ka­vemann, Bar­ba­ra  

Emp­feh­lun­gen für die For­schung zu se­xu­el­ler Ge­walt in päd­ago­gi­schen Kon­tex­ten

Ent­wi­ckelt im Rah­men der BMBF-For­schungs­li­nieFor­schung gegen se­xua­li­sier­te Ge­walt gegen Kin­der und Ju­gend­li­che in päd­ago­gi­schen Kon­tex­ten“  

For­sche­rin­nen und For­scher, die im päd­ago­gi­schen Feld zu se­xu­el­ler Ge­walt ar­bei­ten, wer­den mit Fra­gen zur ethi­schen Ver­ant­wort­bar­keit und zu den recht­li­chen Be­din­gun­gen ihres Han­delns kon­fron­tiert und su­chen nach einer Ori­en­tie­rungs­hil­fe in der Pra­xis. Diese Emp­feh­lun­gen wol­len dar­auf erste Ant­wor­ten geben, ohne ins De­tail gehen zu kön­nen. Sie sol­len als Grund­la­ge einer wei­te­ren Dis­kus­si­on die­nen und stüt­zen sich auf die Ethik-Vor­ga­ben der Deut­schen Ge­sell­schaft für Er­zie­hungs­wis­sen­schaft, der Deut­schen Ge­sell­schaft für Psy­cho­lo­gie und des Be­rufs­ver­ban­des Deut­scher Psy­cho­lo­gin­nen und Psy­cho­lo­gen, der Deut­schen Ge­sell­schaft für So­zio­lo­gie und des Be­rufs­ver­ban­des Deut­scher So­zio­lo­gin­nen und So­zio­lo­gen, der World Me­di­cal As­so­cia­ti­on (De­kla­ra­ti­on von Hel­sin­ki) und auf die Re­ge­lun­gen der Ethik­kom­mis­sio­nen me­di­zi­ni­scher Fa­kul­tä­ten. 

 

A. All­ge­mei­ne for­schungs­ethi­sche Über­le­gun­gen  

Wer eine For­schungs­ar­beit mit, am und über Men­schen durch­führt, muss das Wohl und die Rech­te des Men­schen schüt­zen. Die Ge­ne­rie­rung neuen Wis­sens darf nie über die Rech­te und In­ter­es­sen des In­di­vi­du­ums ge­stellt wer­den. Die Ri­si­ken, die sich durch die For­schung er­ge­ben kön­nen, sind so­weit wie mög­lich zu mi­ni­mie­ren. Alle am For­schungs­pro­zess Be­tei­lig­ten tra­gen dafür die Ver­ant­wor­tung, wes­halb je­de_r For­schen­de eine an­ge­mes­se­ne Qua­li­fi­zie­rung zur Durch­füh­rung ethi­scher und si­che­rer For­schung haben muss. Dabei ist die Pro­jekt­lei­tung für die Si­che­rung die­ser Qua­li­fi­zie­rung ver­ant­wort­lich. In­ter­view­er_in­nen, die in die­sem Feld – quan­ti­ta­ti­ve oder qua­li­ta­ti­ve – Er­he­bun­gen durch­füh­ren, müs­sen vor Durch­füh­rung der In­ter­views ge­schult sein, um die spe­zi­fi­schen An­for­de­run­gen, die sich aus der The­ma­tik se­xu­el­ler Ge­walt gegen Kin­der und Ju­gend­li­che er­ge­ben, zu er­fül­len. 

1. Sinn, Zweck und An­la­ge der For­schungs­ar­beit und ihre spä­te­re prak­ti­sche Um­set­zung müs­sen vor dem Feld­zu­gang prä­zi­se for­mu­liert und do­ku­men­tiert sein und den all­ge­mein gel­ten­den Re­geln guter wis­sen­schaft­li­cher Pra­xis ent­spre­chen. Auch die Frage, was die For­schung pro­duk­tiv der Pra­xis (z.B. der po­li­ti­schen, (so­zi­al-)päd­ago­gi­schen, psy­cho­so­zia­len oder me­di­zi­ni­schen Pra­xis) zu­rück­gibt, soll im Vor­feld ge­klärt wer­den. 

Be­las­ten­de Si­tua­tio­nen für die Pro­ban­d_in­nen kön­nen da­durch ein­ge­grenzt wer­den, dass…

  • ...ge­prüft wird, ob nicht ver­gleich­ba­re Daten be­reits vor­lie­gen und hin­rei­chend pu­blik sind und somit eine nicht zwin­gend not­wen­di­ge Re­pli­ka­ti­on ver­mie­den wer­den kann;
  • …das Un­ter­su­chungs­de­sign und die ver­wen­de­ten Un­ter­su­chungs­in­stru­men­te und -me­tho­den ge­eig­net sind, um die Fra­ge­stel­lung wis­sen­schaft­lich fun­diert zu be­ant­wor­ten bei gleich­zei­tig mög­lichst ge­rin­ger Be­las­tung für die Pro­ban­d_in­nen;
  • …nur sol­che Fra­gen ge­stellt oder Items vor­ge­legt wer­den, die zum Er­rei­chen des Un­ter­su­chungs­ziels er­for­der­lich sind. 

 

2. Sinn, Zweck, Ziel und An­la­ge der Un­ter­su­chung müs­sen den zu un­ter­su­chen­den Per­so­nen in einer ihnen ver­ständ­li­chen Form zuvor er­läu­tert wer­den und das Ver­ständ­nis ge­si­chert sein. Die Be­deu­tung der Un­ter­su­chung für die Wis­sen­schaft, die Ge­sell­schaft sowie den päd­ago­gi­schen oder (me­di­zi­nisch-) the­ra­peu­ti­schen Fort­schritt darf weder über- noch un­ter­trie­ben wer­den. So­fern es sich um (wirt­schafts­na­he oder dritt­in­ter­es­sen­ge­lei­te­te) Auf­trags­for­schung han­delt, muss dies of­fen­ge­legt wer­den. 

 

3. Die Teil­nah­me als Pro­ban­d_in an einer sol­chen For­schung… 

  • …muss immer frei­wil­lig und mit in­for­mier­tem Ein­ver­ständ­nis (Con­sent) er­fol­gen. Bei Sur­vey­for­schung ist zen­tral, dass Pro­ban­d_in­nen ein­wil­li­gungs­fä­hig sind und damit die Trag­wei­te der Ein­wil­li­gung über­schau­en kön­nen. Bei In­ter­ven­ti­ons­stu­di­en ist grund­sätz­lich zu­sätz­lich das ak­ti­ve Ein­ver­ständ­nis der Er­zie­hungs- oder Sor­ge­be­rech­tig­ten bzw. des Vor­munds ein­zu­ho­len. Ist das Ein­ho­len des Ein­ver­ständ­nis­ses der Er­zie­hungs- oder Sor­ge­be­rech­tig­ten bzw. des Vor­munds nicht mög­lich und/oder sind Pro­ban­d_in­nen nicht ein­wil­li­gungs­fä­hig, muss die Do­ku­men­ta­ti­on der Grün­de schrift­lich er­fol­gen und die Zu­stim­mung (As­sent) der_­des Pro­ban­d_in muss in An­we­sen­heit einer ver­stän­di­gen Ver­trau­ens­per­son aus ih­re­m_s­ei­nem Um­feld ab­ge­ge­ben wer­den. Dies muss eben­falls schrift­lich do­ku­men­tiert wer­den. Die Be­tei­li­gung an der Un­ter­su­chung muss je­der­zeit ohne An­ga­be von Grün­den ab­ge­bro­chen wer­den kön­nen, ohne dass sich dar­aus für die_­den Pro­ban­d_in noch für ei­ne_n Drit­te_n ir­gend­wel­che ne­ga­ti­ven Kon­se­quen­zen er­ge­ben. 
  • …kann auch nach dem Ab­schluss einer Be­fra­gung oder eines In­ter­views ab­ge­bro­chen wer­den. Hier­für kann ein End-Zeit­punkt ver­ein­bart wer­den. Dies gilt auch dann, wenn An­ony­mi­tät zu­ge­si­chert wurde. 
  • …darf nicht zu Aus­sa­gen oder Po­si­tio­nie­run­gen de­s_­der Pro­ban­d_in füh­ren, die er_­sie sonst nicht ein­neh­men würde. In­ter­pre­ta­tio­nen, Deu­tun­gen und Be­wer­tun­gen von Sei­ten de­s_­der For­scher_in sind als sol­che in Ab­gren­zung zu den Aus­sa­gen de­s_­der Pro­ban­d_in nach­voll­zieh­bar kennt­lich zu ma­chen.

 

4. Wer­den Ver­fah­ren der Pseud­ony­mi­sie­rung ge­nutzt, so sind diese den Pro­ban­d_in­nen ein­ge­hend zu er­läu­tern und auf mög­li­che Pro­ble­me hin­zu­wei­sen (z.B. auf die Mög­lich­keit, nach der Ver­öf­fent­li­chung der Un­ter­su­chung wegen sehr klei­ner Grup­pen auf Ein­zel­ne zu­rück zu schlie­ßen). Grund­sätz­lich ist nach bes­tem Wis­sen und Ge­wis­sen alles zu un­ter­neh­men, damit die Rück­führ­bar­keit nicht ge­ge­ben ist.

5. Wenn An­ony­mi­sie­rung oder Pseud­ony­mi­sie­rung an­ge­strebt und zu­ge­si­chert wer­den, muss dies… 

  • …von der Be­fra­gungs­si­tua­ti­on über die Tran­skrip­ti­on, die Da­ten­ein­ga­be, die Da­ten­si­che­rung bis zur Aus­wer­tung und zur Ver­öf­fent­li­chung ein­ge­hal­ten wer­den; 
  • …auch nach der Ver­öf­fent­li­chung der For­schungs­er­geb­nis­se fort­ge­führt wer­den; 
  • …in Ver­schwie­gen­heits­ver­ein­ba­run­gen der Be­tei­lig­ten ab­ge­si­chert wer­den (auch z.B. bei Da­ten­ver­ar­bei­tung durch Drit­te). 

 

6. Es kön­nen Si­tua­tio­nen der Kin­des­wohl­ge­fähr­dung oder un­mit­tel­bar be­vor­ste­hen­der Ge­fahr be­stehen, in denen die An­ony­mi­tät/Pseud­ony­mi­sie­rung nicht auf­recht­erhal­ten wer­den kann. Die dafür gel­ten­den recht­li­chen Be­stim­mun­gen sol­len den For­schen­den be­kannt sein. Vor mög­li­chen In­ter­ven­tio­nen soll das Vor­ge­hen immer in der For­scher_in­nen­grup­pe unter Ein­be­zie­hung der Lei­tung be­spro­chen und do­ku­men­tiert wer­den. Die be­trof­fe­nen Kin­der oder Ju­gend­li­chen sol­len in der Regel in diese Klä­run­gen ein­be­zo­gen wer­den. Wenn sich so die Si­tua­ti­on nicht klä­ren lässt, soll eine fach­lich ver­sier­te Be­ra­tungs­in­sti­tu­ti­on kurz­fris­tig kon­tak­tiert wer­den. Bei Ge­fahr im Ver­zug muss den recht­li­chen Vor­ga­ben gemäß ge­han­delt wer­den. 

 

B. Nor­men und ein­zu­hal­ten­de Ver­fah­ren

1. Recht­li­che Vor­ga­ben  

Der recht­li­che Rah­men für em­pi­ri­sche For­schun­gen mit Kin­dern und Ju­gend­li­chen ist im Grund­satz den meis­ten For­scher_in­nen be­kannt. Das sog. „Bun­des­kin­der­schutz­ge­setz“ re­gelt u.a., wer zwar als (Be­rufs-)Ge­heim­nis­trä­ger_in be­son­ders zur Ver­schwie­gen­heit ver­pflich­tet ist, aber auch einen Be­ra­tungs­an­spruch (nach § 4 KKG, §8b SGB VIII) durch eine „in­so­weit er­fah­re­ne Fach­kraft“ ge­gen­über dem Ju­gend­amt hat. Im We­sent­li­chen sind wei­ter­hin die Vor­ga­ben des Da­ten­schut­zes von Be­deu­tung. Be­son­ders im Be­reich des Schut­zes von Kin­dern und Ju­gend­li­chen und im Da­ten­schutz sind die recht­li­chen Vor­ga­ben be­wusst eng ge­fasst, um so­wohl ak­tu­ell als auch für das zu­künf­ti­ge Leben die Ge­fahr von (psy­chi­schen) Ver­let­zun­gen und Stig­ma­ti­sie­run­gen zu mi­ni­mie­ren und die Auf­ar­bei­tung be­las­ten­der Er­leb­nis­se zu er­mög­li­chen. Der Da­ten­schutz wird ge­setz­lich auf Bun­des­ebe­ne (Bun­des­da­ten­schutz­ge­setz) und auf der Ebene der Län­der ge­re­gelt. Die sich dar­aus er­ge­ben­den Kon­se­quen­zen müs­sen bei der Ent­wick­lung und Um­set­zung der For­schungs­ar­beit ge­prüft wer­den. 

So­fern sich die For­schung auf die Schu­le rich­tet, sind die dort gel­ten­den (Lan­des-!)Ge­set­ze und Er­lass­re­ge­lun­gen von Be­deu­tung, die ver­schie­de­ne spe­zi­fi­sche Re­ge­lun­gen zum Da­ten­schutz be­inhal­ten. 

Die For­schen­den müs­sen über die Rolle und die Auf­ga­ben der Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den bei der Ab­wen­dung und Ahn­dung von straf­recht­lich re­le­van­ter se­xu­el­ler Ge­walt in­for­miert sein. Die Ein­schal­tung der Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den muss im Ein­zel­fall kri­tisch unter Ein­be­zug der Be­trof­fe­nen ge­prüft wer­den. Hier­zu alle De­tails dar­zu­stel­len, ist nicht An­lie­gen die­ser Emp­feh­lun­gen. 

Aus for­schungs­eh­ti­scher Sicht spielt der Da­ten­schutz eine zen­tra­le Rolle. Zen­tra­le Ge­dan­ken des Da­ten­schut­zes in die­sem Zu­sam­men­hang sind:

  • Das Recht auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung be­deu­tet, dass per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten nur auf­grund eines Ge­set­zes oder durch Ein­wil­li­gung de­s_­der Be­trof­fe­nen er­ho­ben, ver­ar­bei­tet und ge­spei­chert wer­den dür­fen. 
  • Öf­fent­li­che Stel­len (also auch Schu­len) dür­fen Daten nur in­so­weit und so lange er­he­ben und ver­ar­bei­ten, wie dies durch ein Ge­setz be­stimmt ist. For­schungs­ar­bei­ten von Hoch­schu­len und Hoch­schul­an­ge­hö­ri­gen sind in die­sem Zu­sam­men­hang nicht den öf­fent­li­chen Stel­len zu­zu­rech­nen. Sie un­ter­lie­gen daher nicht dem Ge­set­zes­vor­be­halt. 
  • Per­so­nen­be­zo­ge­ne oder per­so­nen­be­zieh­ba­re Daten dür­fen nur er­ho­ben, ver­ar­bei­tet und ge­nutzt wer­den, wenn die Ein­wil­li­gung de­s_­der Be­trof­fe­nen zu deren Ver­wen­dung vor­liegt. Daten über das Se­xu­al­le­ben dür­fen nur er­ho­ben und ver­ar­bei­tet wer­den, wenn sich die Ein­wil­li­gung ex­pli­zit auch auf diese Fra­gen be­zieht. 
  • Die Auf­be­wah­rung und Lö­schung von per­so­nen­be­zo­ge­nen und per­so­nen­be­zieh­ba­ren Daten sowie der pro­jekt­in­ter­ne Aus­tausch müs­sen eben­so den Da­ten­schutz­re­ge­lun­gen ge­nü­gen. Web­ba­sier­te (‚cloud‘) oder an Drit­te ver­ge­be­ne Ver­ar­bei­tun­gen müs­sen ihnen eben­falls ent­spre­chen. Auch bei Be­richts­le­gung und Ver­öf­fent­li­chun­gen von For­schungs­er­geb­nis­sen sind die gel­ten­den Da­ten­schutz­richt­li­ni­en zu be­ach­ten. 

Wis­sen­schaft­li­che Un­ter­su­chun­gen an Schu­len dür­fen nach den Län­der­re­ge­lun­gen nur nach Ein­wil­li­gung der Teil­neh­mer_in­nen/Pro­ban­d_in­nen (s.o.) und nur dann durch­ge­führt wer­den, wenn die Bil­dungs- und Er­zie­hungs­ar­beit nicht ge­fähr­det wird. In fast allen Län­dern be­dür­fen der­ar­ti­ge For­schungs­ar­bei­ten der Zu­stim­mung des zu­stän­di­gen Mi­nis­te­ri­ums. Wegen der je­wei­li­gen Re­ge­lun­gen in den Län­dern emp­fiehlt sich – auch bei On­line-Be­fra­gun­gen oder Video-Auf­zeich­nung – eine früh­zei­ti­ge Kon­takt­auf­nah­me mit dem Mi­nis­te­ri­um. 

2. Be­tei­li­gung von Ethik­kom­mis­sio­nen  

Für eine ex­ter­ne Be­gut­ach­tung ethi­scher As­pek­te der For­schungs­pro­jek­te sind die zu­stän­di­gen Ethik-Kom­mis­sio­nen ein­zu­schal­ten. So­fern an der ei­ge­nen Hoch­schu­le oder in der zu­stän­di­gen Fach­ge­sell­schaft keine Ethik­kom­mis­si­on be­steht oder wenn eine be­stehen­de do­ku­men­tiert, keine Be­gut­ach­tung des For­schungs­vor­ha­bens vor­neh­men zu kön­nen, soll­ten der Ethik-Kodex der Deut­schen Ge­sell­schaft für Er­zie­hungs­wis­sen­schaft als Maß­stab, die Ethi­schen Richt­li­ni­en der DGPs und des BDP, die Mus­ter-Be­rufs­ord­nung für die Psy­cho­lo­gi­schen Psy­cho­the­ra­peut_in­nen und Kin­der- und Ju­gend­li­chen­psy­cho­the­ra­peut_in­nen, die Vor­ga­ben der Deut­schen Ge­sell­schaft für So­zio­lo­gie und des Be­rufs­ver­ban­des Deut­scher So­zio­lo­gin­nen und So­zio­lo­gen, oder die WMA De­cla­ra­ti­on of Hel­sin­ki – Ethi­cal Princi­ples for Me­di­cal Re­se­arch In­vol­ving Human Sub­jects her­an­ge­zo­gen wer­den. Die Prü­fun­gen und die an­ge­wand­ten Maß­stä­be sind zu do­ku­men­tie­ren. 

For­schen­de aus dem Be­reich der Heil­be­ru­fe müs­sen die je­wei­lig zu­stän­di­gen Ethik-Kom­mis­sio­nen an ihren Hoch­schu­len bzw. die be­rufs­recht­li­chen Be­ra­tun­gen durch die Lan­des­ärz­te­kam­mer oder Psy­cho­the­ra­peu­ten­kam­mern nut­zen. Zu den Be­gut­ach­tungs­ver­fah­ren lie­gen die Ver­fah­rens­we­ge fest (Stan­des­re­ge­lun­gen, In­ter­net­auf­tritt der je­wei­li­gen Hoch­schu­len). An­de­re Fa­kul­tä­ten bzw. Fach­be­rei­che haben ein­zel­ne Ethik-Kom­mis­sio­nen (z.B. Fa­kul­tä­ten für Psy­cho­lo­gie) oder ganze Hoch­schu­len haben für die ge­sam­te Ein­rich­tun­gen Ethik­kom­mis­sio­nen. 

 

C. Emp­feh­lun­gen zum Vor­ge­hen bei Of­fen­ba­rung oder Auf­de­ckung von Miss­brauch

Im Zuge der For­schung mit Kin­dern und Ju­gend­li­chen kann es dazu kom­men, dass sich ein_e Pro­ban­d_in of­fen­bart und die_­der Un­ter­su­chen­de von se­xu­el­len Ge­walt­ak­ten oder Miss­hand­lun­gen er­fährt. So­wohl for­schen­de Per­so­nen aus der Grup­pe der in § 4 KKG ge­nann­ten Be­rufs­ge­heim­nis­trä­ger_in­nen (Ärz­t_in­nen, Psy­cho­lo­g_in­nenn, Be­ra­ter_in­nen, Lehr­kräf­te, So­zi­al­päd­ago­g_in­nen etc.) als auch „Per­so­nen, die be­ruf­lich in Kon­takt mit Kin­dern oder Ju­gend­li­chen ste­hen“, haben einen An­spruch auf Be­ra­tung auf­grund des § 8b SGB VIII ge­gen­über dem ört­li­chen Trä­ger der Ju­gend­hil­fe. Im For­schungs­de­sign ist si­cher­zu­stel­len, dass eine ad­äqua­te, pro­fes­sio­nel­le Be­ra­tung für die Un­ter­su­chungs­per­son be­reit­ge­stellt wer­den kann (z.B. über die be­reits im Vor­feld or­ga­ni­sier­te Zu­sam­men­ar­beit mit Be­ra­tungs­stel­len, frei­en Trä­gern, kin­der- und ju­gend­psych­ia­tri­schen Ein­rich­tun­gen mit ent­spre­chen­der Ex­per­ti­se etc.). 

Unter der Vor­aus­set­zung, dass ein sol­ches Vor­ge­hen mit dem Kind/Ju­gend­li­chen be­spro­chen wurde und ana­log zu § 4 KKG die vor­ge­ge­be­ne Schritt­fol­ge ein­ge­hal­ten wird, kann ein Ein­griffs­han­deln zum Schutz des Kin­des oder des Ju­gend­li­chen an­ge­regt wer­den, wenn dies dem Schutz­in­ter­es­se nicht wi­der­spricht. Es ist des­halb im For­schungs­de­sign zu be­schrei­ben, wie in sol­chen Si­tua­tio­nen die Dia­lek­tik der Wah­rung des Da­ten­schut­zes und der Si­cher­stel­lung des Per­so­nen­schut­zes ge­währ­leis­tet wer­den kann. In jedem Fall muss deut­lich sein, dass die_­der Un­ter­su­chen­de im For­schungs­kon­text nicht the­ra­peu­tisch tätig sein kann. Im Sinne der_­des Be­trof­fe­nen kann es aber auch sinn­voll sein, be­hörd­li­che oder an­de­re Stel­len nicht zu in­for­mie­ren. Im Ein­zel­fall ist eine Ab­wä­gung vor­zu­neh­men und zu do­ku­men­tie­ren. Diese Ab­wä­gung soll­te nicht al­lein von der_­dem For­schen­den, son­dern min­des­tens im For­scher­team unter Ein­be­zie­hung der Pro­jekt­lei­tung er­fol­gen. 

Für Si­tua­tio­nen, in denen eine Of­fen­le­gung von Er­fah­run­gen mit se­xu­el­ler Ge­walt er­folgt, sol­len In­for­ma­tio­nen über Hilfs­an­ge­bo­te (Be­ra­tungs­mög­lich­kei­ten, -stel­len etc.) be­reit­ge­hal­ten wer­den. Bei Pro­jekt­start soll fest­ge­legt wer­den, wer wann und wie kon­tak­tiert wird. 

So­wohl für Pro­ban­d_in­nen als auch für die Wis­sen­schaft­ler_in­nen kann es bei der Aus­ein­an­der­set­zung mit der Fra­ge­stel­lung, der Ad­mi­nis­trie­rung eines Fra­ge­bo­gens, bei der Durch­füh­rung eines In­ter­views oder durch an­de­re Ein­flüs­se zu schmerz­haf­ten Er­in­ne­run­gen ei­ge­ner ne­ga­ti­ver Er­leb­nis­se oder gar zur Trig­ge­rung psy­chi­scher Sym­pto­me im Zu­sam­men­hang mit frü­he­ren Trau­ma­ti­sie­run­gen kom­men. In die­sem Fall muss die_­der For­schen­de eine Be­ra­tung der_­des Pro­ban­d_in er­mög­li­chen be­zie­hungs­wei­se eine Be­ra­tung/Su­per­vi­si­on für die For­schen­den ge­währ­leis­tet sein. Hier­für müs­sen im Vor­feld die ent­spre­chen­den Vor­aus­set­zun­gen ge­schaf­fen wer­den. Es soll­te auch si­cher­ge­stellt wer­den, dass die Zeit bis zur Über­ga­be an pro­fes­sio­nel­le Hilfe mög­lichst si­cher, ge­bor­gen und schä­di­gungs­frei ge­stal­tet wird. Eine reine Über­ga­be von Lis­ten/Adres­sen zur pro­fes­sio­nel­len Hilfe reicht des­halb nicht aus (ge­mein­sa­me Erst­an­spra­che, Hand zu Hand Über­ga­be der be­trof­fe­nen Per­son u.ä.). Jede Un­ter­su­chungs­per­son ist auf sol­che Si­tua­tio­nen hin zu schu­len. Über die Ge­schäfts­stel­le des UBSKM (http://​www.​hilfeportal-​missbrauch.​de) kann eine ak­tu­el­le Liste von Fach­be­ra­tungs­stel­len für Be­trof­fe­ne und Fach­leu­te zum Thema se­xu­el­ler Miss­brauch ein­ge­holt wer­den, die in der Wohn­ort­nä­he ihrer In­ter­view­part­ner_in­nen lie­gen bzw. wo sich die For­schen­den auch selbst Un­ter­stüt­zung holen kön­nen. 

 

D. Schluss  

Die oben aus­ge­führ­ten Hin­wei­se und Hand­lungs­emp­feh­lun­gen kön­nen den Ein­druck er­we­cken, dass die Feld­for­schung zu se­xu­el­ler Ge­walt unter Ein­hal­tung aller Rechts­vor­schrif­ten, Ethi­k­an­for­de­run­gen und guter wis­sen­schaft­li­cher Pra­xis nicht be­wäl­tig­bar sei. Dies ist nicht so! Wis­sen­schaft­li­che For­schung in die­sem Feld ist zur Er­wei­te­rung des Wis­sens für einen ef­fek­ti­ven Schutz von Kin­dern und Ju­gend­li­chen not­wen­dig. Wegen der gro­ßen Trag­wei­te der mög­li­chen Hand­lun­gen ist es aber auch not­wen­dig, dass je­de_r Wis­sen­schaft­ler_in sich vor Ein­tre­ten einer mög­li­chen Pro­blem­si­tua­ti­on mit den Hand­lungs­op­tio­nen be­schäf­tigt – dies auch, ob­wohl die Wahr­schein­lich­keit des Auf­tre­tens be­schrie­be­ner Si­tua­tio­nen ge­ring ist. Je­de_r Wis­sen­schaft­ler_in soll­te dar­auf hin­wir­ken, dass ge­mein­sa­me Stan­dards/Check­lis­ten/Un­ter­su­chungs­richt­li­ni­en zwi­schen der me­di­zi­ni­schen For­schung und Be­hand­lung sowie der päd­ago­gisch-so­zi­al­wis­sen­schaft­li­chen For­schung und prak­ti­schen Ar­beit ent­ste­hen.

 

Ethi­sche Richt­li­ni­en der Fach­ge­sell­schaf­ten:

Ethik­ko­dex der Deut­schen Ge­sell­schaft für Er­zie­hungs­wis­sen­schaft (DGFE): www.​dgfe.​de/​wirueber-​uns/​ethikkodex.​html

Ethi­sche Richt­li­ni­en der Deut­schen Ge­sell­schaft für Psy­cho­lo­gie (DGPs) und des Be­rufs­ver­bands Deut­scher Psy­cho­lo­gin­nen und Psy­cho­lo­gen (BDP): www.​dgps.​de/​index.​php?​id=96422&​L=0

Ethik­ko­dex der Deut­schen Ge­sell­schaft für So­zio­lo­gie (DGS) und des Be­rufs­ver­ban­des Deut­scher So­zio­lo­gin­nen und So­zio­lo­gen (BDS): www.​soziologie.​de/​de/​nc/​die-​dgs/​eth​ikko​mmis​sion/​ethik-​kodex.​html?​sword_​list[]=ethik

De­kla­ra­ti­on von Hel­sin­ki der World Me­di­cal As­so­cia­ti­on (WMA): www.​wma.​net/​en/​30p​ubli​cati​ons/​10policies/​b3/​index.​html