De­ter­mi­nan­ten des An­zei­ge­ver­hal­tens nach Straf­ta­ten gegen die se­xu­el­le Selbst­be­stim­mung

(DASsS)

Pro­jekt­da­ten

Lauf­zeit

Sep­tem­ber 2012 - Juli 2015

Pro­jekt­ver­ant­wort­li­cher

Prof. Dr. Die­ter Döl­ling, Ru­precht-Karls-Uni­ver­si­tät Hei­del­berg

Kon­takt

do­el­ling(at)krimi.​uni-hei­del­berg.de

Pro­jekt­ko­or­di­na­ti­on

trei­bel@​krimi.​uni-hei­del­berg.de

www.​dasss-​studie.​de

Hin­ter­grund des Pro­jekts

Straf­ta­ten gegen die se­xu­el­le Selbst­be­stim­mung ge­hö­ren zu den De­lik­ten mit einem sehr gro­ßen Dun­kel­feld. Nur ein ge­rin­ger Teil der De­lik­te ge­langt zur An­zei­ge. Die Grün­de der Nicht-An­zei­ge der Be­trof­fe­nen gel­ten als all­ge­mein be­kannt: So geht man davon aus, dass Be­trof­fe­ne aus Scham und aus Angst vor dem Straf­ver­fah­ren schwei­gen. Stu­di­en, die die Fak­to­ren sys­te­ma­tisch un­ter­su­chen, die zu einer An­zei­ge bzw. Nicht-An­zei­ge füh­ren, gibt es in Deutsch­land je­doch nur we­ni­ge. Au­ßer­dem gibt es wenig Er­kennt­nis­se über den Zu­sam­men­hang von An­zei­ge­ver­hal­ten und Be­wäl­ti­gung der se­xu­el­len Ge­walt­er­fah­run­gen. Diese For­schungs­lü­cken zu schlie­ßen war An­lie­gen der Stu­die.

Fra­ge­stel­lung

Wel­che Fak­to­ren haben Ein­fluss auf das An­zei­ge­ver­hal­ten Be­trof­fe­ne se­xua­li­sier­ter Ge­walt?

Wel­cher Zu­sam­men­hang zeigt sich zwi­schen die­sen Fak­to­ren und dem An­zei­ge­ver­hal­ten?

Unter wel­chen Be­din­gun­gen steigt die Wahr­schein­lich­keit einer An­zei­ge nach se­xua­li­sier­ter Ge­walt?

Lässt sich ein Zu­sam­men­hang zwi­schen An­zei­ge­ver­hal­ten und Tat­be­wäl­ti­gung bei den Be­trof­fe­nen fest­stel­len? 

Wel­che Hand­lungs­emp­feh­lun­gen las­sen sich aus den Be­fun­den ab­lei­ten?

Stu­die

Die Stu­die be­stand aus zwei Tei­len:
Im ers­ten Teil der Stu­die wur­den 27 Be­trof­fe­ne in leit­fa­den­ge­stütz­ten qua­li­ta­ti­ven In­ter­views dazu be­fragt, unter wel­chen Be­din­gun­gen und aus wel­chen Grün­den es nach der Tat zu einer An­zei­ge kam, bzw. was eine An­zei­ge ver­hin­der­te. Zu­sätz­lich wur­den vier Ex­per­t_in­nen (Op­fer­an­wäl­t_in­nen und psy­cho­lo­gi­sche Be­ra­ter_in­nen) be­fragt, die männ­li­che Be­trof­fe­ne im Hell­feld be­glei­tet hat­ten. Auf Grund­la­ge die­ser In­ter­views wur­den Hy­po­the­sen ent­wi­ckelt, wel­che Ein­fluss­fak­to­ren zu einer An­zei­ge bzw. Nicht­an­zei­ge führ­ten.
Um diese Hy­po­the­sen zu prü­fen, wurde als zwei­ter Teil der Stu­die eine On­line-Be­fra­gung an einer gro­ßen Grup­pe von Be­trof­fe­nen (N = 1.406) durch­ge­führt. Ziel­grup­pe so­wohl der qua­li­ta­ti­ven In­ter­view­stu­die als auch der quan­ti­ta­ti­ven On­line-Be­fra­gung waren Er­wach­se­ne (ab 18 Jah­ren), die ir­gend­wann in ihrem Leben Opfer einer se­xu­el­len Grenz­ver­let­zung ge­wor­den waren, un­ab­hän­gig von Tat­um­stän­den und Schwe­re des Über­griffs und un­ab­hän­gig davon, ob es zu einer An­zei­ge ge­kom­men war oder nicht.
Be­glei­tet wurde die Stu­die über ihre ge­sam­te Lauf­zeit durch ein Ex­per­t_in­nen­gre­mi­um, dem Fach­kräf­te aus un­ter­schied­li­chen päd­ago­gi­schen Ar­beits­fel­dern, aus Fach­be­ra­tungs­stel­len, der Po­li­zei, Jus­tiz und Op­fer­hil­fe an­ge­hör­ten. Auf­ga­be des Ex­per­t_in­nen­gre­mi­ums war es, päd­ago­gi­sche und pra­xis­be­zo­ge­ne As­pek­te von Be­ginn an ein­zu­brin­gen.

Aus­ge­wähl­te Er­geb­nis­se

1. Die An­zei­ge­wahr­schein­lich­keit steigt, wenn ...

... Be­wei­se für die Tat vor­lie­gen,
... die Tat von Be­trof­fe­nen als „Un­recht“ er­kannt wird,
... Be­trof­fe­ne po­si­ti­ve Er­war­tun­gen an das Straf­ver­fah­ren haben,
... Be­trof­fe­ne über so­zia­le Res­sour­cen ver­fü­gen, 
... Be­trof­fen sich früh nach der Tat mit­tei­len,
... das so­zia­le Um­feld der Be­trof­fe­nen eine An­zei­ge aktiv un­ter­stützt.  

2. An­zei­ge­ver­hal­ten und Be­wäl­ti­gung sind von­ein­an­der un­ab­hän­gi­ge Di­men­sio­nen.

Pra­xis­be­zug

Es ist un­er­läss­lich, In­for­ma­tio­nen zu fol­gen­den The­men nied­rig­schwel­lig zur Ver­fü­gung zu stel­len:

  • Adres­sen von Fach­be­ra­tungs­stel­len und Mög­lich­keit an­ony­mer Spu­ren­si­che­rung
  • rechts­staat­li­che Prin­zi­pi­en und Straf­bar­keit se­xu­el­ler Grenz­ver­let­zun­gen, Ab­lauf eines Straf­ver­fah­rens
  • sen­si­bles Ver­hal­ten ge­gen­über Be­trof­fe­nen

Die Frage einer An­zei­ge muss in jedem Fall in­di­vi­du­ell ent­schie­den wer­den.

Pu­bli­ka­tio­nen

Ver­öf­fent­licht:

Trei­bel, An­ge­li­ka (2016): Emp­feh­lun­gen zur Durch­füh­rung vik­ti­mo­lo­gi­scher In­ter­views. Zum Um­gang mit mög­li­chen Be­las­tun­gen bei der Be­fra­gung von Be­trof­fe­nen se­xu­el­ler Grenz­ver­let­zun­gen. Trau­ma und Ge­walt, 10 (2). S. 160-164.

In Vor­be­rei­tung:

Trei­bel, An­ge­li­ka; Döl­ling, Die­ter; Her­mann, Die­ter: De­ter­mi­nan­ten des An­zei­ge­ver­hal­tens nach Straf­ta­ten gegen die se­xu­el­le Selbst­be­stim­mung. In: Fo­ren­si­sche Psych­ia­trie, Psy­cho­lo­gie, Kri­mi­no­lo­gie. In Ar­beit.

Trei­bel, An­ge­li­ka; Döl­ling, Die­ter; Her­mann, Die­ter: Die Straf­ver­fol­gung se­xu­el­ler Grenz­ver­let­zun­gen. In: Ret­kow­ski, Alex­an­dra; Trei­bel, An­ge­li­ka; Tui­der, Eli­sa­beth: Hand­buch Se­xua­li­sier­te Ge­walt und päd­ago­gi­sche Kon­tex­te. Theo­rie, For­schung, Pra­xis. Wein­heim: Beltz Ju­ven­ta. In Ar­beit.

Trei­bel, An­ge­li­ka: Die On­line-Be­fra­gung als In­stru­ment zur Er­for­schung se­xu­el­ler Ge­walt.  In: Ret­kow­ski, Alex­an­dra; Trei­bel, An­ge­li­ka; Tui­der, Eli­sa­beth: Hand­buch Se­xua­li­sier­te Ge­walt und päd­ago­gi­sche Kon­tex­te. Theo­rie, For­schung, Pra­xis. Wein­heim: Beltz Ju­ven­ta. In Ar­beit.