30 Jahre am Fach­be­reich - Ein Ge­spräch mit Prof. Dr. An­dre­as Thie­mer

Dr. An­dre­as Thie­mer, Pro­fes­sor für Volks­wirt­schafts­leh­re an un­se­rem Fach­be­reich fei­ert die­ses Jahr sein 30-jäh­ri­ges Ju­bi­lä­um an der Fach­hoch­schu­le Kiel. Zu die­sem An­lass habe ich mit ihm über seine Amts­zeit ge­spro­chen:

Wel­che mar­kan­ten Er­eig­nis­se sind bei Ihnen be­son­ders in Er­in­ne­rung ge­blie­ben in Ihrer Zeit am Fach­be­reich Wirt­schaft?
Allem voran zählt dazu der Umzug un­se­rer Hoch­schu­le vom West- an das Ost­ufer, zumal die­ser in meine Zeit als Pro­de­kan fiel. Zu­nächst war es eine Her­aus­for­de­rung, der wir uns nur zö­ger­lich ge­stellt hat­ten, da wir be­fürch­te­ten, am Ost­ufer in einer Art „re­gio­nal-po­li­ti­schen In­ves­ti­ti­ons­rui­ne“ zu ver­kom­men und letzt­lich ver­ges­sen zu wer­den. Doch zum Glück kam es dann an­ders. Unser Rek­to­rat und das nach­fol­gen­de Prä­si­di­um haben dafür ge­sorgt, dass wir am Ost­ufer eine aus­ge­zeich­ne­te In­fra­struk­tur zur Ver­fü­gung haben und un­se­re Be­fürch­tun­gen sich somit un­be­grün­det er­wie­sen. Die Hoch­schu­le hat durch die­sen Schritt enorm ge­won­nen.

Eine wei­te­re große Her­aus­for­de­rung für un­se­ren Fach­be­reich war na­tür­lich die Um­stel­lung vom Di­plom auf die Ba­che­lor- und Mas­ter­stu­di­en­gän­ge. Da gab es lang­wie­ri­ge und kon­tro­ver­se Dis­kus­sio­nen. Das Tolle war aber, dass die­ser große Fach­be­reich es dann doch ge­schafft hat, eine Lö­sung zu fin­den, die alle mit­tra­gen konn­ten, und dar­über das kol­le­gia­le Mit­ein­an­der nicht zer­brach.

Was war Ihr au­ßer­ge­wöhn­lichs­tes Er­leb­nis in der Zu­sam­men­ar­beit mit Stu­die­ren­den?
Das au­ßer­ge­wöhn­lichs­te Er­leb­nis bot zwei­fels­oh­ne 2020 das erste „Co­ro­na-Se­mes­ter“ im Lock-down. Über­ra­schen­der­wei­se war dies ein – in mei­ner Zu­sam­men­ar­beit mit Stu­die­ren­den – be­son­ders pro­duk­ti­ves Se­mes­ter, in dem sich die Stu­die­ren­den äu­ßerst mo­ti­viert und leis­tungs­be­reit zeig­ten. In die­ser Zeit gab es eine be­mer­kens­wert po­si­ti­ve Rück­kopp­lung und eine neue Form der Dank­bar­keit von Sei­ten der Stu­die­ren­den. Dies lag si­cher­lich auch daran, dass ich nicht un­vor­be­rei­tet auf die On­line-Lehre traf. Ich hatte schon seit vie­len Jah­ren in un­se­rem On­line-Stu­di­en­gang un­ter­rich­tet und konn­te mit einem Maus­klick von Prä­senz- auf On­line­leh­re um­stel­len und so­fort star­ten. Dar­über hin­aus waren die Stu­die­ren­den, die ich un­ter­rich­te­te, keine Stu­di­en­an­fän­ger und waren somit schon in das Hoch­schul­le­ben in­te­griert. Auch hatte sich noch keine „Zoom-Mü­dig­keit“ breit ge­macht und alle waren neu­gie­rig auf das Ex­pe­ri­ment „On­line-Lehre“. So war das Se­mes­ter zwar an­stren­gend, aber en­de­te für den ganz über­wie­gen­den Teil mei­ner Stu­die­ren­den mit einem po­si­ti­ven Lern­er­folg.

Gibt es etwas in Ihrer Lauf­bahn, das Sie im Nach­hin­ein be­trach­tet, an­ders ge­macht hät­ten?
Als Pro­fes­sor an der Fach­hoch­schu­le Kiel zu ar­bei­ten ist für mich nach wie vor ein sehr schö­ner Beruf und ich be­reue es nicht, diese Lauf­bahn ein­ge­schla­gen zu haben. So habe ich meine Dienst­zeit - die re­gu­lär im März ge­en­det hätte - auch gerne ver­län­gert, als meine Kol­leg*innen mich um Un­ter­stüt­zung baten. Ich freue mich daher auf noch zwei wei­te­re Se­mes­ter.

Wel­che po­li­ti­sche Ent­schei­dung der letz­ten 30 Jahre hatte Ihrer Mei­nung nach als Volks­wirt die grö­ß­te Aus­wir­kung?
Das ist eine schwie­ri­ge Frage. Oft sind es Ket­ten von Ent­schei­dun­gen und Ent­wick­lun­gen, die die grö­ß­te Wir­kung auf die Wirt­schaft haben. An­fang der 90er Jahre fiel der ei­ser­ne Vor­hang und er­mög­lich­te die Wie­der­ver­ei­ni­gung Deutsch­lands. Nicht un­ab­hän­gig davon wurde die eu­ro­päi­sche Wirt­schafts- und Wäh­rungs­uni­on voll­endet. Diese In­te­gra­ti­on von Wirt­schafts­räu­men, die wir als Zeit der „Glo­ba­li­sie­rung“ er­leb­ten, war ein rie­si­ges volks­wirt­schaft­li­ches Ex­pe­ri­ment, das den Öko­no­men viele neue Er­fah­run­gen und Daten lie­fer­te. Vor allem für Eu­ro­pa hatte es po­si­ti­ve Fol­gen, wie ein sta­bi­les Wirt­schafts­wachs­tum, Wohl­stands­ver­meh­rung und eine re­la­ti­ve Kri­sen­fes­tig­keit, die uns auch über die Fi­nanz­kri­se half.

Lei­der sehe ich nun, dass die­ser po­si­ti­ve Trend ab­bricht und in eine an­de­re Rich­tung drif­tet. Ent­wick­lun­gen wie der Brexit, wie­der­auf­kei­men­der Na­tio­na­lis­mus in vie­len Staa­ten und Krieg mit­ten in Eu­ro­pa be­dro­hen mas­siv die In­te­gra­ti­ons­ge­win­ne der letz­ten Jahr­zehn­te. Alles spricht dafür, dass ein neuer ei­ser­ner Vor­hang in Rich­tung Russ­land und China ent­steht. Dabei er­for­dert die glo­ba­le Her­aus­for­de­rung des Kli­ma­wan­dels doch eine ver­stärk­te in­ter­na­tio­na­le Ko­ope­ra­ti­on statt Iso­la­ti­on. Diese Ent­wick­lung trifft vor allem die jün­ge­re Ge­ne­ra­ti­on, die nun er­fah­ren muss, dass ein frei­zü­gi­ger und of­fe­ner Aus­tausch mit an­de­ren Län­dern alles an­de­re als eine Selbst­ver­ständ­lich­keit ist.

Wel­chen Tipp hät­ten Sie für Leh­ren­de, die auch mal die 30 Jahre am Fach­be­reich er­rei­chen möch­ten?
Das geht nur, wenn man Feuer und Flam­me für sein Fach­ge­biet ist, so­dass man auch den Wunsch ver­spürt, immer wie­der ein Paar Fun­ken davon an die nächs­te Stu­die­ren­den-Ge­ne­ra­ti­on wei­ter­zu­ge­ben. Als Pro­fes­sor*in hat man das ein­zig­ar­ti­ge Pri­vi­leg, die Lehr­frei­heit zu nut­zen und sei­nen ei­ge­nen Lehr­stil zu ge­stal­ten und wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Zu­sam­men mit guten Rah­men­be­din­gun­gen und net­ten Kol­leg*innen, ist es ein wun­der­ba­rer Job, der einen über 30 Jahre hin­weg er­fül­len kann.

Was wün­schen Sie sich für un­se­ren Fach­be­reich in den nächs­ten Jah­ren?
Mit ver­än­der­ten Prio­ri­tä­ten bei den staat­li­chen Aus­ga­ben wird die Fi­nan­zie­rung der Hoch­schu­len wie­der stär­ker unter Druck ge­ra­ten, zumal der de­mo­gra­fi­sche Wan­del uns mit sin­ken­den Stu­die­ren­den­zah­len er­reicht. Gleich­zei­tig wird das Auf­kom­men der KI-ge­stütz­ten Lehre die Art und Weise re­vo­lu­tio­nie­ren, wie wir stu­die­ren und leh­ren. Der Fach­be­reich könn­te damit vor einer schwie­ri­gen Phase der Kon­so­li­die­rung und Neu­ori­en­tie­rung ste­hen.
Ich wün­sche mir, dass unser Fach­be­reich diese Her­aus­for­de­run­gen meis­tert und un­se­ren Stu­die­ren­den wei­ter­hin eine erst­klas­si­ge Aus­bil­dung bie­ten kann. Dies er­for­dert aber, dass die Kol­leg*innen die Ge­stal­tungs­frei­heit und Deu­tungs­ho­heit über ihre Lehr­in­hal­te be­wah­ren kön­nen. Auch in Zei­ten des Wan­dels darf nicht ver­ges­sen wer­den, dass unser Fach­be­reich aus einem Team von Men­schen be­steht, die ihre Lei­den­schaft und ihr En­ga­ge­ment in ihre Ar­beit ein­brin­gen.

Ich möch­te an die­ser Stel­le mei­nen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen für das an­ge­neh­me Ar­beits­um­feld dan­ken. Be­son­ders her­vor­he­ben muss ich die freund­schaft­li­che At­mo­sphä­re, die in un­se­rem In­sti­tut für Volks­wirt­schafts­leh­re all die Jahre herrsch­te. Ein herz­li­ches Dan­ke­schön geht auch an die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen in der Ver­wal­tung, von denen ich immer sehr ge­dul­dig und hilfs­be­reit Un­ter­stüt­zung er­hielt!


Vie­len Dank, Prof. Dr. An­dre­as Thie­mer!

Text: Amely Hun­klin­ger
(ver­öf­fent­licht: 15.03.2023-ra)