Ge­ne­ra­ti­ve KI: Soll­ten Un­ter­neh­men mit ChatGPT und Co. ar­bei­ten?

E-Mails schrei­ben, den Ge­schäfts­be­richt prü­fen oder ein Bild für einen So­ci­al-Media-Post er­stel­len – für all das und noch viel mehr könn­ten Un­ter­neh­men ge­ne­ra­ti­ve künst­li­che In­tel­li­genz nut­zen. Die In­te­gra­ti­on von Tools wie ChatGPT in den Ar­beits­all­tag ver­spricht Zeit­er­spar­nis und ef­fi­zi­en­te­res Ar­bei­ten. Aber wie sieht der Nut­zen kon­kret aus, wenn Un­ter­neh­men diese Tech­no­lo­gie ein­set­zen?

Dar­über haben wir mit Prof. Dr. Doris We­ßels ge­spro­chen, die an der Fach­hoch­schu­le Kiel Wirt­schafts­in­for­ma­tik lehrt und For­schungs­spre­che­rin für Di­gi­ta­li­sie­rung und KI ist. Als füh­ren­de Ex­pert*in für KI im Bil­dungs­be­reich hat Prof. We­ßels an der Fach­hoch­schu­le be­reits am 1. Sep­tem­ber 2022 das KI-Kom­pe­tenz­zen­trum Künst­li­che In­tel­li­genz und wis­sen­schaft­li­ches Ar­bei­ten (VK:KIWA) mit­ge­grün­det, ist in di­ver­sen na­tio­na­len und in­ter­na­tio­na­len KI-Fach­gre­mi­en tätig und lei­tet meh­re­re For­schungs­pro­jek­te zum Thema KI.

Ge­ne­ra­ti­ve KI in Un­ter­neh­men: Al­ter­na­tiv­los?
Auf die Frage, ob deut­sche Un­ter­neh­men ge­ne­ra­ti­ve KI schon heute nut­zen soll­ten, hat Prof. We­ßels mit Blick auf die in­ter­na­tio­na­le Wett­be­werbs­fä­hig­keit eine klare Ant­wort. „Un­be­dingt, auch wenn es zu­nächst nur ein vor­sich­ti­ges Her­an­tas­ten und Ex­pe­ri­men­tie­ren ist. Je spä­ter der Ein­stieg in diese Sprung­in­no­va­ti­on er­folgt, desto schwie­ri­ger wird es, auf den fah­ren­den Zug noch auf­zu­sprin­gen. Diese KI-Werk­zeu­ge zei­gen ein sehr hohes Po­ten­zi­al für Zeit­er­spar­nis­se und Qua­li­täts­ver­bes­se­run­gen, wenn sie kom­pe­tent und ver­ant­wor­tungs­be­wusst ein­ge­setzt wer­den. Der is­rae­li­sche His­to­ri­ker Yuval Noah Ha­ra­ri hat in sei­nem ak­tu­el­len Best­sel­ler NEXUS sehr zu­tref­fend dar­auf hin­ge­wie­sen, dass mit ge­ne­ra­ti­ver KI ein neuer ‚Ak­teur‘ die Bühne un­se­res Le­bens be­tre­ten hat. Ge­ne­ra­ti­ve KI ist deut­lich mehr als ein klas­si­sches di­gi­ta­les Werk­zeug, weil sie ei­gen­stän­dig Hand­lun­gen aus­füh­ren, z.B. Ent­schei­dun­gen tref­fen und neue Ideen ent­wi­ckeln kann. Das haben wir als Mensch­heit bei Soft­ware-In­no­va­tio­nen noch nie zuvor er­lebt, führt aber auch zu einem neuen Span­nungs­feld von gro­ßen Po­ten­zia­len und neu­ar­ti­gen Her­aus­for­de­run­gen, mit denen sich nicht nur Un­ter­neh­men, son­dern auch wir als Ge­sell­schaft aus­ein­an­der­set­zen müs­sen.“

In Zu­kunft werde es so­wohl im Ar­beits­le­ben wie auch im pri­va­ten Um­feld kaum noch mög­lich sein, auf den Ein­satz ge­ne­ra­ti­ver KI zu ver­zich­ten. „Ob wir Text, Soft­ware­code, Bil­der, Musik oder Vi­de­os pro­du­zie­ren wol­len – ge­ne­ra­ti­ve KI ist in einer un­über­schau­bar gro­ßen und kon­ti­nu­ier­lich wach­sen­den Fülle von Tools ver­füg­bar und zieht au­ßer­dem in immer mehr IT-Lö­sun­gen als Co­pi­lot, KI-Bot, KI-Agent oder Ava­tar ein. Von daher gilt sie be­reits heute als om­ni­prä­sent."

Aus­wir­kun­gen von KI-Ein­satz auf den Ar­beits­markt noch un­klar
Be­den­ken müsse man beim Ein­satz von ge­ne­ra­ti­ver KI al­ler­dings, dass die Tech­no­lo­gie wei­ter­hin Schwä­chen habe. In be­stimm­ten Fäl­len lie­fern KI-Sys­te­me ver­zerr­te Er­geb­nis­se, er­fin­den Fak­ten („Hal­lu­zi­na­ti­on“) und be­vor­zu­gen oder be­nach­tei­li­gen be­stimm­te Grup­pen bzw. In­di­vi­du­en („Bias“). Ob­wohl es in die­sen Be­rei­chen große Fort­schrit­te gebe, könne in naher Zu­kunft nicht mit einer feh­ler­frei­en Lö­sung ge­rech­net wer­den. „Das sind und blei­ben Cha­rak­te­ris­ti­ka ge­ne­ra­ti­ver KI. Die wird man ver­mut­lich nie ganz aus­mer­zen kön­nen.“

Zudem hätte der Ein­satz von ge­ne­ra­ti­ver KI di­rek­te Kon­se­quen­zen auf Ar­beit­neh­men­de. „Wir wer­den na­tür­lich Ver­än­de­run­gen in den Be­rufs­bil­dern haben. Das wird ar­beits­markt­po­li­ti­sche Aus­wir­kun­gen haben, das ist ganz klar.“ Wie diese aus­se­hen wer­den, gilt es - trotz di­ver­ser Stu­di­en zu den Aus­wir­kun­gen auf den Ar­beits­markt - al­ler­dings noch ab­zu­war­ten. Der­zeit seien die Ex­per­ten­mei­nun­gen dazu noch „sehr un­ein­heit­lich“.
Prof. We­ßels er­läu­tert: „Wir haben auch in der Ver­gan­gen­heit bei den Aus­wir­kun­gen di­gi­ta­ler In­no­va­tio­nen immer wie­der Ein­schät­zun­gen von Ex­per­ten er­lebt, die sich so nicht be­stä­tigt haben.“

In­te­gra­ti­on von ge­ne­ra­ti­ver KI: Schu­lung von Mit­ar­bei­ten­den ist es­sen­zi­ell
"Für Un­ter­neh­men stellt sich der­weil die Frage, wie eine ge­lun­ge­ne In­te­gra­ti­on der Tech­no­lo­gie aus­se­hen kann. Eine Her­aus­for­de­rung sei es, mit der Schnell­le­big­keit der Tech­no­lo­gie Schritt zu hal­ten", so Prof. We­ßels. „Diese Ent­wick­lung ist ein­fach sehr viel schnel­ler als alles, was wir in der Ver­gan­gen­heit bei IT-In­no­va­tio­nen er­lebt haben. Das Be­wusst­sein für das Tempo der Ver­än­de­run­gen muss noch viel stär­ker in die Köpfe der Un­ter­neh­mens­lei­tun­gen rü­cken.“ Einen be­son­de­ren Stel­len­wert werde zu­künf­tig die kon­ti­nu­ier­li­che Schu­lung der Mit­ar­bei­ten­den ein­neh­men: „Un­ter­neh­men müs­sen sich in­ten­siv be­mü­hen, diese Ver­än­de­rungs­ge­schwin­dig­keit in dem Kom­pe­tenz­er­werb der Mit­ar­bei­ter*innen ab­zu­bil­den und alle mög­li­chen Hil­fe­stel­lun­gen dafür zu geben.“ Wich­tig sei es, in hoher Re­gel­mä­ßig­keit für die Or­ga­ni­sa­ti­ons­an­ge­hö­ri­gen Schu­lungs- bzw. Qua­li­fi­zie­rungs­an­ge­bo­te an­zu­bie­ten. „Es geht darum, kon­ti­nu­ier­lich zu schu­len und be­trieb­li­che Qua­li­fi­zie­rungs­maß­nah­men mit deut­lich hö­he­rer Prio­ri­tät und schnel­le­rer Tak­tung an­zu­ge­hen, weil sich die Tech­no­lo­gie so ra­sant wei­ter­ent­wi­ckelt.“

AI Lea­der­ship als zen­tra­le Zu­kunfts­kom­pe­tenz
Für eine er­folg­rei­che In­te­gra­ti­on von ge­ne­ra­ti­ver KI sei es ent­schei­dend, dass sich Un­ter­neh­men mit der neuen Füh­rungs­rol­le be­schäf­ti­gen, die Men­schen in der „Füh­rung“ von KI-Tools über­neh­men müs­sen. „Das AI Lea­der­ship wird aus mei­ner Sicht DIE neue Zu­kunfts­kom­pe­tenz, um ge­ne­ra­ti­ve KI ver­ant­wor­tungs­voll und un­ter­stüt­zend in der Ar­beits­welt ein­zu­set­zen. Ziel ist es, KI so zu nut­zen, dass sie mensch­li­che Ar­beit op­ti­mal er­gänzt, ohne die Kon­trol­le über Ent­schei­dun­gen an die Tech­no­lo­gie zu ver­lie­ren. Das ist die Chan­ce, die wir haben - und wer diese Kom­pe­tenz nicht ent­wi­ckelt, der kann die Po­ten­zia­le nicht nut­zen und läuft au­ßer­dem noch Ge­fahr, einen Kon­troll­ver­lust zu er­lei­den.“

Text: Tom Nel­son
(ver­öf­fent­licht: 28.11.2024-ra)