Se­xu­al­wis­sen­schaft und se­xu­el­le Bil­dung

For­schungs­pro­fes­sur

Pro­jekt­da­ten

Lauf­zeit
Mai 2014 bis April 2020

Pro­jekt­ver­ant­wort­li­che
Prof. Dr. med. Ha­rald Stum­pe, Hoch­schu­le Mer­se­burg
For­schungs­pro­fes­sur: Prof. Dr. Heinz-Jür­gen Voß

Kon­takt
heinz-ju­er­gen.voss(at)hs-mer­se­burg.de

Hin­ter­grund des Pro­jekts

Neben der Fa­mi­lie bil­den In­sti­tu­tio­nen von Bil­dung und Er­zie­hung die zen­tra­len So­zia­li­sa­ti­ons­in­stan­zen für Kin­der und Ju­gend­li­che. Auch die se­xu­el­le So­zia­li­sa­ti­on fin­det in die­sen Ein­rich­tun­gen statt, unter an­de­rem, weil Kin­der und Ju­gend­li­che dort auf Gleich­alt­ri­ge tref­fen, mit denen sie sich über ihre Fra­gen, Ein­stel­lun­gen und Er­fah­run­gen aus­tau­schen. Nicht zu­letzt aber auch, weil sie an die­sen Orten oft auch erste se­xu­el­le Er­fah­run­gen ma­chen. Den dort Tä­ti­gen, den Leh­rer_in­nen, So­zi­al­päd­ago­g_in­nen und an­de­ren Fach­kräf­ten, kommt des­halb die große Ver­ant­wor­tung zu, Kin­der und Ju­gend­li­che in ihrer se­xu­el­len So­zia­li­sa­ti­on zu be­glei­ten, Rah­men­be­din­gun­gen zu schaf­fen, die von einer Kul­tur ge­prägt sind, in denen es Kin­dern und Ju­gend­li­chen mög­lich ist, selbst­be­stimmt und ge­schützt vor Grenz­ver­let­zun­gen und se­xua­li­sier­ter Ge­walt, einen po­si­ti­ven Bezug zu ihrer Se­xua­li­tät zu ent­wi­ckeln.
In der Pra­xis zei­gen sich je­doch Leer­stel­len: Be­stehen­de Aus- und Fort­bil­dungs­an­ge­bo­te für Leh­rer_in­nen zu Se­xua­li­tät und spe­zi­ell se­xua­li­sier­ter Ge­walt sind in­halt­lich zu­meist nicht um­fas­send genug kon­zi­piert. Der Be­reich der am­bu­lan­ten Hil­fen zur Er­zie­hung war von der bun­des­wei­ten Fort­bil­dungs­of­fen­si­ve, bei der ca. 7000 Mit­ar­bei­ter_in­nen in sta­tio­nä­ren Ein­rich­tun­gen fort­ge­bil­det wur­den, aus­ge­nom­men. In­ter­sek­tio­na­le Per­spek­ti­ven, die ver­schie­de­ne Un­gleich­heits-Di­men­sio­nen und Mehr­fach­dis­kri­mi­nie­run­gen be­rück­sich­ti­gen, fin­den kaum oder kei­nen Ein­gang in die be­stehen­den Kon­zep­te.

Fra­ge­stel­lung

Wie kann se­xu­el­le Auf­klä­rung der Prä­ven­ti­on se­xu­el­ler Ge­walt die­nen?

Wie ist durch Se­xu­al­päd­ago­gik und se­xu­el­le Bil­dung eine ver­bes­ser­te se­xu­el­le Selbst­be­stim­mung er­reich­bar, die die Ab­wehr und die Ver­ar­bei­tung se­xu­el­ler Grenz­ver­let­zung er­leich­tert?

Wel­che Be­din­gun­gen per­so­nel­ler und in­sti­tu­tio­nel­ler (ggf. auch struk­tu­rel­ler) Art wir­ken an päd­ago­gi­schen Ein­rich­tun­gen (und in der Le­bens­welt von Kin­dern und Ju­gend­li­chen) för­der­lich für se­xu­el­le Selbst­be­stim­mung?

Stu­die

Die Daten der qua­li­ta­ti­ven Stu­die wur­den mit­tels leit­fa­den­ge­stütz­ter halb­of­fe­ner Ex­per­t_in­nen-In­ter­views er­ho­ben. Be­fragt wur­den Fach­kräf­te in Schu­len und den am­bu­lan­ten Hil­fen zur Er­zie­hung (Teil­pro­jekt Se­xu­el­le Bil­dung, n= 25) sowie Fach­kräf­te in Ver­ei­nen und Ein­rich­tun­gen der So­zia­len Ar­beit, die ent­we­der mit einer in­ter­sek­tio­na­len Aus­rich­tung ar­bei­ten oder bei deren Adres­sat_in­nen Er­fah­run­gen mit Mehr­fach­dis­kri­mi­nie­run­gen an­zu­neh­men sind (Teil­pro­jekt In­ter­sek­tio­na­li­tät, n= 18). Die Er­he­bung er­folg­te in Sach­sen-An­halt, Sach­sen und Ber­lin. Für die wei­te­re Er­he­bung von Daten bzw. die Rück­kopp­lung der Er­geb­nis­se sind Grup­pen­dis­kus­sio­nen und In­ter­views mit Ju­gend­li­chen ab 2017 vor­ge­se­hen. Die Er­geb­nis­se sol­len in ein Fort­bil­dungs­kon­zept für die Pra­xis ein­flie­ßen.

Um einen ge­lin­gen­den Theo­rie-Pra­xis-Trans­fer zu er­mög­li­chen, wer­den die mög­li­chen In­hal­te und die Me­tho­dik eines sol­chen Kon­zep­tes mit Ko­ope­ra­ti­ons­part­ner_in­nen der So­zia­len Ar­beit ge­tes­tet und eva­lu­iert. Zu­sätz­lich sol­len der kol­le­gia­le Aus­tausch und die Ver­net­zung von Fach­kräf­ten ge­för­dert wer­den. Ab 2017 wird dies in einem re­gio­na­len Ar­beits­kreis zum Schutz von Kin­dern und Ju­gend­li­chen vor se­xua­li­sier­ter Ge­walt mit Fach­kräf­ten aus ver­schie­de­nen Ein­rich­tun­gen und trä­ger­in­tern mit einem Team der am­bu­lan­ten Hil­fen zur Er­zie­hung an­ge­strebt.

Aus­ge­wähl­te Er­geb­nis­se

Die Er­geb­nis­se der In­ter­views wei­sen u.a. auf die Not­wen­dig­keit eines ge­lin­gen­den Theo­rie-Pra­xis-Trans­fers bei An­ge­bo­ten der Fort- und Wei­ter­bil­dung hin. Von den Fach­kräf­ten wird die Not­wen­dig­keit theo­re­ti­scher wie prak­ti­scher Un­ter­set­zung ge­se­hen und dar­auf ver­wie­sen, dass zum Ge­lin­gen die­ses Trans­fers be­stimm­te Be­din­gun­gen und Kom­pe­ten­zen bei­tra­gen kön­nen.

 

  •  Be­son­ders sol­che An­ge­bo­te sind ge­fragt, bei denen ei­ner­seits eine „ge­mein­sa­me Spra­che“ ge­spro­chen wird, die die The­men der Pra­xis auf­grei­fen oder die theo­re­ti­schen In­hal­te ent­spre­chend auf­be­rei­ten und die von Per­so­nen mit Pra­xis­er­fah­rung durch­ge­führt wer­den.
  • An­ge­bo­te, die als pra­xis­fern er­lebt wur­den oder bei denen die Re­fe­ren­t_in­nen nicht als Prak­ti­ker_in­nen oder aus­rei­chend pra­xis­er­fah­ren er­lebt wur­den, fin­den da­ge­gen deut­lich we­ni­ger Ak­zep­tanz. Wich­tig scheint auch, dass sich die An­ge­bo­te an der Aus­bil­dung ori­en­tie­ren und dort an­schlie­ßen.
  • Das Grund­kon­zept einer Fort­bil­dung muss fle­xi­bel und si­tua­tiv an­ge­passt wer­den und die In­ter­es­sen der Adres­sat_in­nen ein­ge­bun­den wer­den.
  • In Kon­zep­ten müs­sen die Bio­gra­fie der Per­so­nen und damit Mög­lich­kei­ten der Selbst­er­fah­rung und -re­fle­xi­on be­rück­sich­tigt wer­den.
  • Struk­tu­rel­le Be­din­gun­gen kön­nen den Trans­fer be­hin­dern. Ins­be­son­de­re ei­ni­ge Pro­jek­te mit in­ter­sek­tio­na­ler Aus­rich­tung er­hal­ten nur pro­jekt­ge­bun­de­ne Mit­tel oder zeit­lich be­grenz­te Fi­nan­zie­run­gen für kurze Zeit­räu­me und halbe Stel­len. Die dort Tä­ti­gen be­fin­den sich da­durch oft in pre­kä­ren Be­schäf­ti­gungs­si­tua­tio­nen oder den Ein­rich­tun­gen fehlt es an Res­sour­cen für for­ma­le und or­ga­ni­sa­to­ri­sche Auf­ga­ben.

 

Pu­bli­ka­tio­nen

Ver­öf­fent­licht:

Bra­deh­le, Doris; Voß, Heinz-Jür­gen; Klotz, Theo­dor; Stau­den­mey­er, Bet­ti­na (2017): Drit­ter Deut­scher Män­ner­ge­sund­heits­be­richt - Se­xua­li­tät von Män­nern. Gie­ßen: Psy­cho­so­zi­al.

Kat­zer, Mi­chae­la; Voß, Heinz-Jür­gen (Hrsg.) (2016): Ge­schlecht­li­che, se­xu­el­le und re­pro­duk­ti­ve Selbst­be­stim­mung - pra­xis­ori­en­tier­te Zu­gän­ge. Gie­ßen: Psy­cho­so­zi­al-Ver­lag.

Krol­zik-Mat­thei, Katja; Voß, Heinz-Jür­gen (2016): Für eine Dis­kus­si­ons­kul­tur: eine Kul­tur des Hin­se­hens und -hö­rens in der of­fe­nen Ju­gend­ar­beit schaf­fen. In: So­zi­al­ma­ga­zin, 41. S. 90-96.

Krol­zik-Mat­thei, Katja; Voß, Heinz-Jür­gen (2016): Ge­walt kommt in den Blick: über ak­tu­el­le For­schun­gen und De­bat­ten. In: Hen­ning­sen, Anja; Tui­der, Eli­sa­beth; Tim­mermanns, Ste­fan (Hrsg.): Se­xu­al­päd­ago­gik kon­tro­vers. Wein­heim: Beltz. S. 105-119.

Linke, Tors­ten (2017): Hal­tun­gen, Kom­pe­ten­zen, Kon­zep­te. Se­xu­el­le Bil­dung als Quer­schnitts­auf­ga­be in der So­zia­len Ar­beit. In: Blät­ter der Wohl­fahrts­pfle­ge. Schwer­punkt Se­xua­li­tät; 164. S. 43-46.

Voß, Heinz-Jür­gen (2017): Das Thema Se­xua­li­tät in der Qua­li­fi­ka­ti­on für So­zia­le Ar­beit: Be­dar­fe in Aus-, Fort- und Wei­ter­bil­dung. In: Blät­ter der Wohl­fahrts­pfle­ge. Schwer­punkt Se­xua­li­tät. S. 55-58.

Voß, Heinz-Jür­gen (2016): Di­ver­si­ty Kom­pe­tenz: Gleich­ge­schlecht­li­ches se­xu­el­les Tun nicht iden­ti­tär ho­mo­se­xu­ell den­ken. In: Gen­ko­va, Petia; Ring­ei­sen, To­bi­as (Hrsg.): Hand­buch Di­ver­si­ty Kom­pe­tenz: Ge­gen­stands­be­rei­che. Wies­ba­den: Sprin­ger.

In Vor­be­rei­tung:

Linke, Tors­ten: Se­xua­li­sier­te Ge­walt in der Fa­mi­lie. In: Ret­kow­ski, Alex­an­dra; Trei­bel, An­ge­li­ka; Tui­der, Eli­sa­beth (Hrsg.): Hand­buch Se­xua­li­sier­te Ge­walt und päd­ago­gi­sche Kon­tex­te. Theo­rie, For­schung, Pra­xis. Wein­heim: Beltz. In Ar­beit.

Linke, Tors­ten, Hashe­mi, Farid; Voß, Heinz-Jür­gen: Se­xua­li­sier­te Ge­walt und se­xu­el­le Trau­ma­ti­sie­rung im Kon­text von Flucht. In: Ret­kow­ski, Alex­an­dra; Trei­bel, An­ge­li­ka; Tui­der, Eli­sa­beth (Hrsg.): Hand­buch Se­xua­li­sier­te Ge­walt und päd­ago­gi­sche Kon­tex­te. Theo­rie, For­schung, Pra­xis. Wein­heim: Beltz. In Ar­beit.