Prof. Dr.-Ing. Christian Keindorf (links) und Projektmitarbeiter Andreas Glaß mit ihrem Modell eines Wellenkraftwerks.© S. Schaack
Ge­win­nen aus Wel­len Strom: Prof. Dr.-Ing. Chris­ti­an Keindorf (links) und Pro­jekt­mit­ar­bei­ter An­dre­as Glaß von der FH Kiel.

En­er­gie­wen­de auf dem Was­ser

von Frau­ke Schä­fer

Wäh­rend Wind und Sonne als Lie­fe­ran­ten grü­ner En­er­gie längst eta­bliert sind, blei­ben Po­ten­zi­al und Kraft der Wel­len bis­lang weit­ge­hend un­ge­nutzt. Eine For­schungs­grup­pe der Fach­hoch­schu­le Kiel möch­te dies än­dern. Ak­tu­ell fin­den La­bor­un­ter­su­chun­gen an Mo­del­len eines Wel­len­kraft­werks statt. Ein Pro­to­typ soll im kom­men­den Jahr in der Nord­see ge­tes­tet wer­den. Ge­för­dert wird das For­schungs- und Ent­wick­lungs­pro­jekt vom Mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft, Ver­kehr, Ar­beit, Tech­no­lo­gie und Tou­ris­mus des Lan­des Schles­wig-Hol­stein mit Mit­teln der Eu­ro­päi­schen Union.

Das En­er­gie­po­ten­zi­al der Wel­len in Nord- und Ost­see ist – ver­gli­chen mit an­de­ren Re­gio­nen – eher ge­ring. Auch des­halb lag der Fokus auf er­neu­er­ba­ren En­er­gi­en hier­zu­lan­de vor allem auf Solar- und Wind­ener­gie. Au­ßer­dem sind für die Ent­wick­lung von Wel­len­kraft­wer­ken un­ter­schied­li­che In­ge­nieurs­dis­zi­pli­nen aus dem Ma­schi­nen­bau, der Elek­tro­tech­nik, dem Schiff­bau und nicht zu­letzt der Off­shore-An­la­gen­tech­nik er­for­der­lich, sie muss also in­ter­dis­zi­pli­när er­fol­gen. Dar­über hin­aus sind die An­for­de­run­gen an die Tech­no­lo­gie hoch: Die Um­ge­bungs­be­din­gun­gen auf hoher See sind ex­trem, die An­la­gen müs­sen ro­bust, lang­le­big und war­tungs­arm sein. Genau dies hat Pro­jekt­lei­ter Prof. Dr.-Ing. Chris­ti­an Keindorf im Rah­men sei­nes For­schungs­pro­jekts be­rück­sich­tigt. „Sie kön­nen sich die Wir­kungs­wei­se un­se­res Wel­len­kraft­werks fol­gen­der­ma­ßen vor­stel­len. Wenn Sie mit einem Schwimm­rei­fen ins Meer gehen und es kom­men Wel­len, dann be­wegt sich der Schwimm­rei­fen auf und ab. Im Prin­zip funk­tio­niert un­se­re An­la­ge ganz ähn­lich. Ein Schwimm­kör­per wird auf und ab be­wegt, die ki­ne­ti­sche En­er­gie nut­zen wir, um eine Re­la­tiv­be­we­gung zwi­schen dem Schwimm­kör­per und einer Stab­bo­je her­vor­zu­ru­fen. Die Stab­bo­je ent­hält einen Li­ne­ar-Ge­ne­ra­tor, der durch die Auf- und Ab­wärts­be­we­gung der Wel­len durch ein Ma­gnet­feld be­wegt wird und somit elek­tri­sche En­er­gie er­zeugt“, er­klärt Prof. Keindorf.

Das Wel­len­kraft­werk ist letzt­end­lich eine Art hüp­fen­de Boje, die – im Un­ter­schied zu Wind­kraft­wer­ken – kaum zu sehen ist. Bei ihrer Ent­wick­lung haben Keindorf und sein wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter An­dre­as Glaß hohe Maß­stä­be an Nach­hal­tig­keit und Res­sour­cen­ver­brauch ge­setzt. Sie nut­zen vor­wie­gend re­cy­cel­ba­res Ma­te­ri­al, die Ma­gne­ten sol­len für eine mög­li­che Wie­der­ver­wen­dung auf­be­rei­tet wer­den kön­nen. Und nicht nur op­tisch soll das Kraft­werk so wenig wie mög­lich in das Öko­sys­tem Meer ein­grei­fen, er­klärt Glaß: „Das Kraft­werk schwimmt an der Was­ser­ober­flä­che und muss nicht auf­wän­dig über Ramm­pfäh­le im Mee­res­bo­den ver­an­kert wer­den. Wir nut­zen Be­ton­klöt­ze mit An­ker­ket­ten, die nach der Test­pha­se voll­stän­dig ge­bor­gen wer­den kön­nen. Der Foot­print auf dem Mee­res­bo­den ist mi­ni­mal, es fin­det keine Flä­chen­ver­sie­ge­lung statt. Au­ßer­dem wird der Be­trieb des Wel­len­kraft­werks auf der Was­ser­ober­flä­che kaum stö­ren­de Ef­fek­te für die Mee­res­fau­na und -flora haben. Im Ge­gen­teil, wir er­war­ten sogar, dass man­che Vögel das Wel­len­kraft­werk als kur­zen Rast­platz nut­zen wer­den. Es gibt keine ro­tie­ren­den Bau­tei­le im Au­ßen­be­reich, so­dass keine gro­ßen Schal­l­emis­sio­nen zu er­war­ten sind.“

Ak­tu­ell un­ter­sucht das Team im Labor die hy­dro­dy­na­mi­schen Ei­gen­schaf­ten des Wel­len­kraft­werks, also wie sich das Kraft­werk im See­gang ver­hält. „Man spricht auch von Fluid-Struk­tur-In­ter­ak­ti­on, die wir kon­kret für diese An­la­gen­kon­struk­ti­on er­for­schen wol­len, um bes­se­re Vor­her­sa­gen für die Be­triebs­pha­se tref­fen zu kön­nen. Wir mes­sen dafür die Po­si­ti­on, Ge­schwin­dig­keit und Be­schleu­ni­gung in Ab­hän­gig­keit von der Zeit. Im wei­te­ren Ver­lauf mes­sen wir die elek­tro­tech­ni­schen Pa­ra­me­ter, wie Span­nung und Strom­stär­ke, um die elek­tri­sche Leis­tung des Ge­ne­ra­tors op­ti­mie­ren zu kön­nen“, er­klärt Keindorf.

Der nächs­te Mei­len­stein des Pro­jekts wird die Ver­an­ke­rung eines Pro­to­ty­pens in der Nord­see sein. Dafür soll das La­bor­mo­dell hoch­ska­liert und für den rea­len Off­shore-Ein­satz fit ge­macht wer­den. Der Pro­to­typ soll in Schles­wig-Hol­stein ge­fer­tigt, an­schlie­ßend zur For­schungs­platt­form FINO 3 ge­schleppt und in des­sen Nähe ver­an­kert wer­den. Diese For­schungs­platt­form be­fin­det sich nörd­lich von Sylt und wird von der For­schungs- und Ent­wick­lungs­zen­trum FH Kiel GmbH be­trie­ben. Wis­sen­schaft­ler*innen ver­schie­de­ner deut­scher Hoch­schu­len nut­zen FINO 3 seit mehr als zehn Jah­ren für ihre ma­ri­ti­men For­schungs­pro­jek­te.

Erste Ein­satz­mög­lich­kei­ten für das Wel­len­kraft­werk sieht Keindorf in der elek­tri­schen Ver­sor­gung von na­tür­li­chen und künst­li­chen In­seln oder von Off­shore-Aqua-Far­men. Wür­den die Wel­len­kraft­wer­ke spä­ter selbst in Far­men in­stal­liert, wäre auch ein Trans­port des grü­nen Stroms ans Fest­land denk­bar. Be­last­ba­re Aus­sa­gen über die Kos­ten wäh­rend des Be­triebs kön­nen noch nicht ge­trof­fen wer­den. Des­halb sind auch noch keine Sta­tis­ti­ken für die so­ge­nann­ten Le­ve­li­zed Cost of En­er­gy (LCE) über die ge­sam­te Le­bens­dau­er von Wel­len­kraft­wer­ken ver­füg­bar. Diese Art von re­ge­ne­ra­ti­ver En­er­gie­an­la­ge muss erst noch wei­ter er­forscht wer­den.

Ein Video über das Mo­dell des Wel­len­kraft­werks kön­nen Sie hier an­se­hen. 

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