Menschengruppe im Hörsaal© A. Die­köt­ter

Eras­mus-Stu­die­ren­de im Co­ro­na-Shut­down

von Len­nard Woro­bic

Im Rah­men eines Eras­mus-Aus­lands­auf­ent­hal­tes kön­nen Stu­die­ren­de der Fach­be­rei­che In­for­ma­tik und Elek­tro­tech­nik, Ma­schi­nen­we­sen, Me­di­en und Wirt­schaft am Eu­rope­an Pro­ject Se­mes­ter (EPS) teil­neh­men. Die­ses wird schon seit Mitte der 90er Jahre mit aus­län­di­schen Part­ner­hoch­schu­len durch­ge­führt. Das Pro­gramm sieht vor, dass die Eras­mus-Stu­die­ren­den ge­mein­sam mit Kom­mi­li­ton*innen der Part­ner­hoch­schu­le für ein Se­mes­ter an rea­len Pro­jek­ten, die von Un­ter­neh­men ge­stellt wer­den, ar­bei­ten. In die­sem Jahr stellt die Aus­brei­tung des Co­ro­na­vi­rus für EPS-Stu­die­ren­de eine Her­aus­for­de­rung dar. Doch viele las­sen sich von der Pan­de­mie nicht un­ter­krie­gen und be­le­gen die vor­ge­se­he­nen Kurse im Home-Of­fice oder ar­bei­ten on­line in ihren Pro­jekt­grup­pen. 

„Ei­ni­ge Stu­die­ren­de sind im Aus­land ge­blie­ben, zum Bei­spiel in Oslo“, er­zählt Chris­ti­ne Bou­din. Das Te­le­fon der Lei­te­rin des In­ter­na­tio­nal Of­fice lief in den ver­gan­ge­nen Tagen heiß, denn viele Eras­mus-Stu­die­ren­de haben auf­grund der Co­rona­kri­se Fra­gen zum wei­te­ren Ver­lauf ihres Aus­lands­auf­ent­hal­tes. Auch Re­na­te Hahn, zu­stän­dig für die Eras­mus-Out­goings, er­reich­ten die E-Mail-Nach­rich­ten mit­un­ter im Se­kun­den­takt. Et­li­che Stu­dent*innen von Part­ner­hoch­schu­len sind nach wie vor in Kiel – ent­schlos­sen, ihr Aus­lands­se­mes­ter on­line zu be­en­den. „Davor haben wir Re­spekt“, meint Chris­ti­ne Bou­din, schlie­ß­lich haben die Stu­die­ren­den sich ihr Aus­lands­se­mes­ter wohl an­ders vor­ge­stellt und sind nun sehr ent­täuscht. Man­che muss­ten schwe­ren Her­zens ab­bre­chen, da sie von ihren Hoch­schu­len zu­rück­ge­holt wur­den. Bou­din und Hahn be­dau­ern das sehr: „Es tat uns in der Seele weh, als die Stu­die­ren­den wie­der ab­fah­ren muss­ten.“ Vor allem wegen der tol­len Ge­mein­schaft, wel­che sich unter den Eras­mus-Sti­pen­di­at*innen in­ner­halb kür­zes­ter Zeit ge­bil­det hat, fiel der Ab­schied schwer. Un­ge­fähr ein Vier­tel der 44 Aus­tausch­stu­die­ren­den sind mitt­ler­wei­le ab­ge­reist, den Stu­die­ren­den der FH Kiel steht die Ent­schei­dung über ihren Ver­bleib im Aus­land al­ler­dings offen: „Wir wol­len kei­nen zwin­gen, zu­rück­zu­kom­men“, sagt Chris­ti­ne Bou­din ent­schlos­sen. „An­de­re Hoch­schu­len üben da aber mehr Druck aus“, fügt sie hinzu. 

Der­zeit ab­sol­vie­ren Jan Mat­this Sopha und Ve­re­na Hirsch­le aus dem Fach­be­reich Ma­schi­nen­we­sen das EPS im Rah­men ihres Aus­lands­se­mes­ters an der Me­tro­po­li­tan Uni­ver­si­ty in Oslo, Nor­we­gen. „Die Mög­lich­keit, meine Ba­che­lor­ar­beit mit einem Aus­lands­se­mes­ter zu ver­bin­den, war ein gro­ßer An­reiz“, sagt Mat­this. Ve­re­na woll­te sich die Chan­ce, ihren Ba­che­lor in Nor­we­gen zu ma­chen, eben­falls nicht ent­ge­hen las­sen. In ihren Augen ist es eine span­nen­de Auf­ga­be, zu­sam­men mit in­ter­na­tio­na­len Stu­die­ren­den an einem Pro­jekt mit­zu­wir­ken. „Es ist schön, so viel von an­de­ren Län­dern und Kul­tu­ren mit­zu­be­kom­men“, so die Stu­den­tin. Neben der Zu­sam­men­ar­beit im in­ter­na­tio­na­len Team aus Stu­die­ren­den und Leh­ren­den be­geis­ter­te Mat­this sich für das Event „First Fri­day“, wel­ches in Oslo ge­wöhn­lich jeden ers­ten Frei­tag im Monat statt­fin­det. Dort stel­len sich Fir­men mit ihren Pro­jek­ten vor. „Es ist sehr in­ter­es­sant zu sehen, wie sich Fir­men heut­zu­ta­ge prä­sen­tie­ren und wor­auf man bei einer Prä­sen­ta­ti­on ach­ten soll­te“, er­zählt er von der Ver­an­stal­tung. Der Stu­dent hatte in Nor­we­gen be­reits einen fes­ten All­tag, auf dem Pro­gramm stan­den wö­chent­li­che Mee­tings mit der Pro­jekt­grup­pe und dem Su­per­vi­sor sowie zwei wei­te­re Zu­satz­kur­se – Working in Pro­jects (WiP) und Eng­lisch. „Trotz der Ar­beit für das EPS blieb genug Zeit, um Oslo und das Leben in Nor­we­gen ken­nen­zu­ler­nen“, be­rich­tet Mat­this. Auch sei­nem Lieb­lings­sport konn­te er wei­ter­hin nach­ge­hen: „Ich habe mir hier einen Hand­ball­ver­ein ge­sucht und hatte zwei­mal die Woche Trai­ning.“ Nicht nur Mat­this ge­fiel das Leben in Nor­we­gen: „Mein All­tag in Oslo vor Co­ro­na war gro­ß­ar­tig“, schwärmt auch Ve­re­na. Mit ihrer Pro­jekt­grup­pe traf sie sich mon­tags bis don­ners­tags für je vier Stun­den. Auf­grund des gut struk­tu­rier­ten Stun­den­plans ließ sich die Uni mit Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten kom­bi­nie­ren – so blieb noch genug Zeit für Be­su­che im Fit­ness­stu­dio, Sight­see­ing in der Stadt, Kaf­fee­trin­ken mit Freun­den und Party am Wo­chen­en­de. 

Doch wie über­all auf der Welt wurde auch in Nor­we­gens Haupt­stadt das öf­fent­li­che Leben nach und nach ein­ge­schränkt. „Der All­tag hat sich durch Co­ro­na na­tür­lich stark ver­än­dert. An­statt zur Uni­ver­si­tät zu fah­ren, wer­den nun alle Mee­tings und Kurse on­line ab­ge­hal­ten“, be­rich­tet Mat­this. Dafür nutzt seine Hoch­schu­le das Pro­gramm Zoom – „Das funk­tio­niert er­staun­lich gut“, ur­teilt der an­ge­hen­de In­ge­nieur. Es sei kein Pro­blem ge­we­sen, die Mid­term-Prä­sen­ta­tio­nen der Pro­jek­te kurz­fris­tig über Zoom vor­zu­stel­len. Somit kann die Pro­jekt­ar­beit trotz Co­ro­na wei­ter­ge­hen. „Glück­li­cher­wei­se kann ich sagen, dass sich an mei­nem Uni-All­tag nicht viel ge­än­dert hat. Die Os­lo­Met hat sich so­fort die grö­ß­te Mühe ge­ge­ben, um den Un­ter­richt auf­recht­zu­er­hal­ten“, be­rich­tet Ve­re­na, die ge­nau­so wie Mat­this an Zoom-Team­mee­tings teil­nimmt. Ob­wohl die Stu­die­ren­den mo­men­tan einen Gro­ß­teil des Tages in der Woh­nung ver­brin­gen, ver­su­chen sie po­si­tiv ge­stimmt zu blei­ben: „Es ist jetzt aber auch viel Zeit übrig, um zu Hause an­de­re Sa­chen zu ma­chen, wie zum Bei­spiel Nor­we­gisch zu ler­nen“, so Mat­this. Wenn man dann doch hin und wie­der das Haus ver­las­sen möch­te, um sich die Beine zu ver­tre­ten und dabei aber den nö­ti­gen Ab­stand zu an­de­ren Men­schen zu wah­ren, sei die Um­ge­bung Oslos dafür per­fekt ge­eig­net: „Oslo hat un­glaub­lich schö­ne, emp­feh­lens­wer­te Wan­der­we­ge.“

Auch an der FH Kiel blei­ben ei­ni­ge In­co­mings vor Ort, um ihr EPS zu be­en­den. So auch Borys Sme­j­da und Wo­jciech Wa­lew­ski aus dem pol­ni­schen Lodz. „Ich habe mich für das EPS ent­schie­den, um etwas Neues aus­zu­pro­bie­ren“, er­klärt Borys. An der pro­jekt­ba­sier­ten Ar­beit schätzt er die Frei­heit und Fle­xi­bi­li­tät. Sein Kom­mi­li­to­ne Wo­jciech stimmt zu: „Mit un­se­rer re­la­tiv klei­nen Pro­jekt­grup­pe war es mög­lich, einen Stun­den­plan zu ent­wer­fen, der jedem passt.“ Durch Co­ro­na sind die bei­den pol­ni­schen Aus­tausch­stu­den­ten ge­zwun­gen, viel Zeit im Stu­den­ten­wohn­heim zu ver­brin­gen. Von ihren Pro­jekt­be­treu­ern, Pro­fes­sor Olaf Neu­mann und Pro­fes­sor Sönke Schmidt, er­hiel­ten sie alle nö­ti­gen Lern­ma­te­ria­len, so dass sie die Ar­beit on­line fort­set­zen kön­nen. Über On­line-Platt­for­men wie Skype, Zoom oder Dis­cord tau­schen sich die Stu­die­ren­den mit Pro­jekt-Team­mit­glie­dern aus. „Für mein Pro­jekt muss ich viel re­cher­chie­ren“, sagt Wo­jciech – das funk­tio­nie­re auch au­ßer­halb der Se­mi­na­re ohne Pro­ble­me. Le­dig­lich die Tref­fen mit den Fir­men sowie das ge­mein­sa­me Brain­stor­ming in den Kur­sen ließe sich ohne den per­sön­li­chen Kon­takt schlecht er­set­zen. Be­son­ders die In­ter­ak­ti­on mit an­de­ren Eras­mus-Stu­die­ren­den lei­det unter der Co­rona­kri­se. „Am meis­ten feh­len mir die Aus­flü­ge ins Stadt­zen­trum mit an­de­ren Eras­mus­teil­neh­me­rin­nen und -teil­neh­mern“, be­dau­ert Borys. 

Das In­ter­na­tio­nal Of­fice steht un­un­ter­bro­chen in engem Kon­takt mit den Stu­die­ren­den und hat sich einen Über­blick ver­schafft:  Wer hat ab­ge­bro­chen, wer ist noch an der Part­ner­hoch­schu­le, wer tritt nun doch den Heim­weg an? „Na­tür­lich ver­su­chen wir, die best­mög­li­che Lö­sung für die Stu­die­ren­den raus­zu­ho­len – die haben zur­zeit genug Un­kos­ten“, ver­si­chert Chris­ti­ne Bou­din. „Force ma­jeu­re“ (hö­he­re Ge­walt) heißt die Re­ge­lung der EU-Kom­mis­si­on für Eras­mus-Stu­die­ren­de. Die Lage kann sich je­der­zeit än­dern, ak­tu­ell las­sen sich keine lang­fris­ti­gen Aus­sa­gen tref­fen. In­zwi­schen wer­den keine wei­te­ren Eras­mus-För­de­run­gen mehr ver­ge­ben, weder an Stu­die­ren­de noch an Leh­ren­de – ab wann An­trä­ge wie­der mög­lich sind, ist un­ge­wiss. „Wir war­ten dies­be­züg­lich noch auf Vor­ga­ben vom DAAD und der EU-Kom­mis­si­on. Bis zum Ende des Se­mes­ters im Mai/Juni hof­fen wir, mehr zu wis­sen“, so Bou­din. Vor allem hängt alles vom wei­te­ren Ver­lauf der Pan­de­mie ab. 

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