Mann und Frau lachen sich an, stehen sich nahe© J. Königs

Liebe auf den ersten Blick

von Julia Königs

Sie halten sich an den Händen, sehen sich immer wieder in die Augen, lachen; es ist unübersehbar, dass Clémentine und Roberto verliebt sind. Es ist knapp sechs Monate her, dass sich die Französin aus Montpellier und der Mexikaner aus Juárez im September 2018 kennengelernt haben: im Intensiv-Deutschkurs an der FH Kiel, dann auf einer Party mit ihren neuen Kommilitoninnen und Kommilitonen. Obwohl Sprache, Kultur und Heimatland die beiden voneinander trennen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Und sie finden schnell, was sie trotz aller Unterschiede doch verbindet: Musik, gutes Essen und Reisefieber. 

Seitdem sind Clémentine (22) und Roberto (21) ein Paar – und wissen doch, dass sich die gemeinsame Zeit bald abrupt verändern wird. 

Im Interview mit Julia Königs aus der viel.-Redaktion berichtet das junge Paar, was sie zusammenhält und wie sie an ihrer Liebe festhalten wollen. 

Clémentine, Roberto – wie kommt es, dass ihr euch dafür entschieden habt, nach Kiel zu kommen? 

Clémentine: Mir war immer klar, dass ich einen Auslandsaufenthalt in Deutschland machen wollte. Ich studiere aktuell BWL im sechsten Semester und habe an meiner Hochschule in Montpellier von der Option erfahren, einen Doppelabschluss mit der FH Kiel zu machen. Das bedeutet, dass ich sowohl einen deutschen, als auch einen französischen Bachelorabschluss erlangen werde. Dieses Angebot wollte ich unbedingt nutzen. Zwar war ich erst etwas skeptisch, ich hatte noch nie von Kiel gehört und dachte: So weit im Norden? Oh nein, das ist sicher nur kalt und dort scheint keine Sonne. Aber jetzt wo ich hier bin und es langsam Sommer wird, gefällt es mir sehr gut. 

Roberto: Ich war 2014 schon in Deutschland, damals für einen Sprachenaustausch in Berlin. Da ich also schon recht gut Deutsch konnte und dann letztes Jahr an meiner Universität hörte, dass man über das ERASMUS-Programm für ein Jahr in Deutschland studieren konnte, habe ich meine Chance genutzt. Allerdings teilt meine Universität die Zielstädte zu, also kam ich eher zufällig nach Kiel – ich studiere hier im sechsten Semester Mechatronik. 

Was gefällt euch an Kiel? 

Clémentine: Die Kiellinie ist sehr schön und ich mag den Hafen, aber auch in Laboe gehen wir gerne spazieren. Im Schrevenpark bin ich gerne zum Grillen. 

Roberto: Auf der Holtenauer kann man sehr nett bummeln. Ganz anders ist natürlich das Wetter, auch die Architektur kannten wir so nicht. In Kiel sind viele Häuser aus Backsteinen, das ist ungewöhnlich für uns. 

Ihr habt euch zuerst im Deutschkurs kennengelernt, dann auf einer Party mit eurer ERASMUS-Gruppe – habt ihr schnell gemerkt, dass ihr zueinander passt? 

Clémentine: Ja, wir haben entdeckt, dass wir beide Techno-Musik total lieben und gerne reisen. Das ist auch sofort zu unserem gemeinsamen Hobby geworden. Wir sind schon super viel zusammen rumgekommen...in Deutschland haben wir zum Beispiel schon Hamburg, Berlin, Freiburg, Mannheim und Flensburg besucht. 

Roberto: Auch außerhalb Deutschlands sind wir gereist: Krakau, Barcelona, Rom, Paris, Brüssel, Stockholm, Kopenhagen...in Marokko sind wir sogar drei Wochen gewesen.

Clémentine: Das war eine komplett neue Erfahrung für uns. Einerseits ist Marokko so ganz anders als Europa. Andererseits waren wir jeden Tag dauerhaft zusammen. Es war manchmal herausfordernd, aber wir haben es auch sehr genossen und uns immer gut verstanden. 

In Frankreich wart ihr also auch schon zusammen. Auch bei deiner Familie in Montpellier, Clémentine?

Clémentine (lacht): Richtig, Roberto hat meine Familie kennengelernt. 

Roberto: Tanten, Onkel, Geschwister, Cousinen, alle, bis auf deine Eltern! Das kommt auch noch. Es war ein ganz tolles Erlebnis, wir haben viel gelacht. 

Clémentine: Meine Familie mag ihn sehr, sehr gerne. Ich erzähle meinen Eltern natürlich viel von Roberto, wenn wir telefonieren, und sie sind sich sicher, dass wir perfekt füreinander sind. Meine Mutter sagt, dass wir sicher zusammenbleiben, weil ich einen so guten Mann gefunden habe.

Roberto (nimmt ihre Hand): In Mexiko waren wir noch nicht zusammen, aber meine Eltern wissen auch von Clémentine. Sie witzeln gerne: Roberto, warum lernst du so gut Deutsch, wenn du jetzt eine Französin an deiner Seite hast? Jetzt lernen wir beide noch Französisch und Spanisch, damit wir uns auch auf unseren Muttersprachen unterhalten können. 

Clémentine (lacht): Dann sind wir richtig multikulturell und sprechen eine Mischung aus Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch. 

Seid ihr zwischen euch schon auf Probleme gestoßen, weil ihr aus anderen Kulturkreisen kommt?

Clémentine (lacht laut): Oh ja, vor allem die Kommunikation. In Frankreich verstehen sich die Menschen auch oft ohne Worte, unsere Körpersprache ist ganz anders und gibt den richtigen Kontext. Ich rede außerdem weniger über meine Emotionen. Roberto dagegen sagt immer seine Meinung, spricht sehr viel über alle seine Gefühle und möchte das natürlich auch von mir einfordern. Da sehe ich viele Unterschiede. 

Roberto (grinst): Wir merken, dass wir ganz anders aufgewachsen sind. Für Clémentine ist es beispielsweise sehr wichtig, zu bestimmten Zeiten zu essen und sich viel Ruhe zu nehmen. Mir ist das aber ganz egal: Wenn ich mal erst mittags aufstehe, dann will ich halt erst dann frühstücken. 

Clémentine: Da haben wir uns auch schon gestritten. Für mich ist um 12 Uhr eben Mittagszeit und nicht erst Frühstück...das sind so Kleinigkeiten, die eigentlich ganz unwichtig sind, uns aber deutlich machen, was uns unterscheidet. 

Was liebt ihr so sehr aneinander?

Clémentine (beide sehen sich tief in die Augen und lächeln): Er ist sehr offen und sagt immer was er denkt. Ich meine: Er würde niemals lügen. Die Wahrheit ist für ihn das Wichtigste. Das liebe ich an ihm. 

Roberto (sehr gerührt): Mit ihr ist alles einfach. Wir verstehen uns so gut, weil wir dieselben Ansichten vertreten und Leidenschaften haben. Sie ist auch sehr spontan. Mit niemandem könnte ich so gut reisen wie mit ihr. 

In wenigen Monaten müsst ihr beide zurück nach Frankreich und Mexiko, um euren Abschluss zu machen. Wie denkt ihr darüber, dass sich eure gemeinsame Zeit dem Ende zu neigt? 

Roberto: Das stimmt, wir gehen beide zurück, um unseren Bachelorabschluss zu machen, aber danach wollen wir beide noch einen Master anschließen. Das heißt, dass wir entweder noch zwei Jahre getrennt sein werden, oder gemeinsam studieren. Ich möchte gerne in Deutschland weitermachen, aber auf jeden Fall in Europa, damit wir uns sehen können. Ich bin da sehr positiv gestimmt, und auch recht entspannt. Wir werden schauen, was passiert, wenn die Situation eintritt. Jetzt genießen wir die gemeinsame Zeit und die Erlebnisse.

Clémentine: Meinen Master möchte ich in Frankreich oder Deutschland machen, das passt also. Jetzt freuen wir uns erstmal auf den Sommer zusammen, auf Festivals, die Sonne, Schwimmen gehen, das Meer. Es kommt nicht darauf an, an welchem Ort wir sind, sondern nur darauf, dass wir die Zeit auskosten. Ich glaube, wir werden zusammenbleiben. Wenn man es wirklich will, dann funktioniert es. 

ERASMUS hat Zukunft für die Liebe

Die Geschichte von Clémentine und Roberto ist kein Einzelfall. Studien der EU-Bildungskommission zu den Auswirkungen von Auslandsaufenthalten auf Job, Leben und Fähigkeiten haben ergeben, dass rund jede*r vierte der 75.000 befragten ERASMUS-Teilnehmenden aus 34 Ländern im Ausland einen Partner oder eine Partnerin finden und auch heiraten. Auch SPIEGEL Online interviewte 2015 Paare mit ERASMUS-Geschichte. Die Ergebnisse: Trotz großer Distanz in der Anfangszeit nach dem Auslandsaufenthalt, blieben die vier interviewten Paare zusammen. Zwei von ihnen heirateten. Gemeinsam ist allen Erfahrungen, dass die Partner*innen zusammenzogen, nachdem sie ihre Abschlüsse schafften und einen Job fanden. 

Für Clémentine und Roberto, die ebenfalls an ihrer Liebe festhalten, sicher die leichteste Übung: Das reisebegeisterte Paar wird viele Orte finden, die ihnen gefallen könnten. 

© Fachhochschule Kiel