zwei Männer jubeln aus einem geöffneten Schiebedach heraus© J. Gör­mann / S. Söhl
Ziel­ein­fahrt in der Nähe der Lan­dungs­brü­cken in Ham­burg. Fah­rer und Auto haben es heil wie­der nach Hause ge­schafft.

Mit „Schwen­ti­na“ quer durch Nord­eu­ro­pa

von Ann-Chris­tin Wim­ber

Ein­fach mal raus, 16 Tage etwas An­de­res sehen als Com­pu­ter­bild­schirm und Schreib­tisch. Das dach­ten sich auch Ste­fan Söhl und Jonas Gör­mann, beide Mit­ar­bei­ten­de in For­schungs­pro­jek­ten des Fach­be­reichs In­for­ma­tik und Elek­tro­tech­nik der Fach­hoch­schu­le Kiel. Doch ihre Ur­laubs­pla­nung sah nicht Sonne, Strand und Chil­len am Pool vor. Sie mach­ten sich auf den Weg quer durch Nord­eu­ro­pa, 7.500 Ki­lo­me­ter mit dem Auto von Ham­burg zum Nord­kap und wie­der zu­rück. Nicht auf ei­ge­ne Faust, son­dern als Teil­neh­mer des Bal­tic Sea Cir­cles (BSC).

ein Auto, dahinter steht ein Mann©J. Gör­mann
Kaf­fee­pau­se und Fah­rer­wech­sel an einem Fjord am nörd­li­chen Teil der Lo­fo­ten.

Der BSC star­tet in Ham­burg und führt die Teams über Stock­holm Rich­tung Nor­den bis zu den Lo­fo­ten und dem Nord­kap, über Hel­sin­ki und Tal­lin dann wie­der zu­rück nach Ham­burg. Von die­sen Spaß-Ral­lyes gibt es zahl­rei­che – dar­un­ter den Bal­kan-Ex­press durch 14 Län­der oder der Eu­rope­an 5000 von Mün­chen nach Spa­ni­en.  Der Bal­tic Sea Cir­cle star­te­te 2022 zum 11. Mal. Er ist für alle Ral­lye-En­thu­si­as­ten offen. Die ein­zi­gen Vor­aus­set­zun­gen sind ein min­des­tens 20-Jahre-altes Fahr­zeug und die Nut­zung von Stra­ßen­kar­ten. Das Auto von Team Plum & Bum – so nann­ten sich Söhl und Gör­mann in An­leh­nung an Plum­bum, den la­tei­ni­schen Namen von Blei im Pe­ri­oden­sys­tem – war ein 29 Jahre alter Audi 100, den sie extra für die Ral­lye an­ge­schafft und „Schwen­ti­na“ ge­tauft hat­ten. Er wurde be­la­den mit Zel­ten, Schlaf­sä­cken, Koch­ge­schirr und dem BSC-Road­book, dann star­te­ten sie am 19. Juni zur nörd­lichs­ten Ral­lye des Erd­balls.

Ausblick aufs Meer, davor Gestein©J. Gör­mann
Der Glo­bus am Nord­kap mar­kiert die un­ge­fäh­re Reise. Der aben­teu­er­li­che Weg dort­hin war die Aus­sicht und die Er­in­ne­rung wert.

„Das Road­book ist so eine Art Stra­ßen­at­las und Rei­se­füh­rer“, be­rich­tet Gör­mann. „Für jeden Tag gab es einen Rou­ten­vor­schlag sowie be­stimm­te Auf­ga­ben, die man ab­sol­vie­ren soll­te.“ Die Etap­pen waren so ab­ge­stimmt, dass die Teil­neh­men­den an be­stimm­ten Tagen an be­stimm­ten Orten an­kom­men konn­ten – etwa um an den zwei or­ga­ni­sier­ten Par­tys teil­zu­neh­men. An­sons­ten konn­ten Söhl und Gör­mann zel­ten wo sie woll­ten. „Manch­mal hat man ge­se­hen, dass im sel­ben Areal noch an­de­re Teams ge­campt haben, aber die meis­ten hat man auf der Stre­cke ge­trof­fen.“ Die Teams waren un­ter­ein­an­der gut ver­netzt. Sie hat­ten zwei Whats­App-Grup­pen, in denen sie zum einen Bil­der, zum an­de­ren tech­ni­sche Pro­ble­me tei­len konn­ten. Einer der Teil­neh­men­den war vom ADAC, so­dass neben den tech­nisch avi­sier­ten Ral­lye-Mit­glie­dern auch ein pro­fes­sio­nel­ler Schrau­ber Hilfe leis­ten konn­te. „Der Mann war gro­ß­ar­tig. Er ist zum Teil sogar extra zu ir­gend­wel­chen Schrott­plät­zen ge­fah­ren, um Er­satz­tei­le zu holen“, be­rich­tet Gör­mann. Trotz­dem muss­ten ei­ni­ge Teams auf­ge­ben, weil ihre Fahr­zeu­ge ir­repa­ra­blen Scha­den er­lit­ten hat­ten.

ein Mann mit einer Landkarte, die auf einer Motorhaube liegt©S. Söhl
Täg­li­che Ta­ges­pla­nung der Route klas­sisch auf der Mo­tor­hau­be bei ca 9°C in Schwe­den.

Die vor­ge­schla­ge­ne Stre­cken­füh­rung der Ral­lye war für Söhl und Gör­mann kein Muss. „In der Mitte Finn­lands hät­ten wir drei Näch­te ab­seits der Haupt­stre­cke ver­brin­gen sol­len. Doch da waren so viele Mü­cken, dass wir lie­ber di­rekt nach Hel­sin­ki ge­fah­ren sind und uns zwei Tage in ein Hotel ein­ge­mie­tet haben.“ „Ein rich­ti­ges Bett und eine heiße Du­sche waren auch mal wie­der toll“, er­gänzt Söhl.

ein Auto in freier Landschaft©J. Gör­mann
Wild­cam­ping-Spot kurz vor der Gren­ze zu Finn­land.

Mit den im Road­book ge­stell­ten Auf­ga­ben soll­te am Ende der Ral­lye der Sie­ger ge­kürt wer­den. Doch Söhl und Gör­mann hat­ten oh­ne­hin nicht vor zu ge­win­nen. So haben sie nur die Auf­ga­ben ge­macht, die ihnen ge­fie­len – etwa die Wi­kinger­wei­he, bei der man mit Sand von der dä­ni­schen Küste, Ost­see­was­ser, dem Zweig eines schwe­di­schen Baums und schwe­di­schem Me­tall (in Form eines Schlüs­sel­an­hän­gers) auf dem Rü­cken um die Ales Ste­nar – die ver­mut­lich äl­tes­te er­hal­te­ne Schiffs­set­zung in Schwe­den – her­um­krab­beln muss­te. Eine wei­te­re Auf­ga­be war, einen Grenz­be­am­ten auf dem Auto un­ter­schrei­ben zu las­sen. Das er­le­dig­te das Team Plum & Bum gleich zu Be­ginn der Reise. „Wir wur­den di­rekt an der dä­ni­schen Gren­ze her­aus­ge­winkt“, be­rich­tet Söhl. „Wir dach­ten schon, wir müss­ten nun unser kom­plet­tes Auto aus­räu­men, aber der Grenz­be­am­te woll­te nur un­se­re Pässe sehen und zog auch gleich einen Ed­ding, um auf dem Auto zu un­ter­schrei­ben.“ Der Däne kann­te das schon vom Vor­tag, als die erste Grup­pe zur Ral­lye auf­brach. In Hel­sin­ki muss­ten sie die Sta­tue des „Bösen, Bösen Jun­gen“ in der Stadt fin­den; in Schwe­den muss­ten sie unter an­de­rem ein Foto des alten ABBA-Tour­bus­ses auf dem Au­to­fried­hof im Wald ma­chen.

ein Rentier geht auf einer Straße, Sicht aus dem Auto heraus©S. Söhl
Ren­tie­re auf der Stra­ße in Finn­land waren ein re­gel­mä­ßi­ges Ver­kehrs­hin­der­nis. Sie lie­ßen sich von den Autos nicht aus der Ruhe brin­gen.

Auf der Stre­cke nah­men sich Söhl und Gör­mann auch Zeit für Aus­flü­ge. „In Finn­land woll­ten wir mal was An­de­res sehen und sind in den Zoo ge­gan­gen“, lacht Söhl. Au­ßer­dem be­such­ten sie das Dorf des Weih­nachts­man­nes, um schon mal die Weih­nachts­post ab­zu­schi­cken.

Zu den Vor­ga­ben der Ral­lye ge­hör­te auch das Sam­meln von Spen­den für eine selbst ge­wähl­te Or­ga­ni­sa­ti­on. Gör­mann und Söhl hat­ten sich „Viva con Agua St. Pauli e.V.“ aus­ge­sucht. Ziel war es, bis zum Ende der Ral­lye mög­lichst Gel­der in Höhe von 750 Euro ge­sam­melt zu haben. „Wir haben das Ziel über­trof­fen“, be­rich­tet Gör­mann. Ins­ge­samt kamen 1050 Euro zu­sam­men.

Am Bal­tic Sea Cir­cle nah­men zwei Grup­pen mit 200 und 300 Teams teil. Diese kamen unter an­de­rem aus Deutsch­land, den Nie­der­lan­den, Un­garn, Frank­reich und Schwe­den. Der Start­preis be­trug rund 950 Euro pro Zwei­er­team. „Ins­ge­samt haben wir dann noch gut 1.600 Euro für Ben­zin aus­ge­ge­ben“, schätzt Söhl. Trotz der re­la­tiv hohen Kos­ten hat den bei­den die Ral­lye gut ge­fal­len. Sie schau­en schon nach der nächs­ten Tour. Dann aber ohne „Schwen­ti­na“ – das weit­ge­reis­te Auto wird wie­der ver­kauft. Es hat treue Diens­te ge­leis­tet und Team Plum & Bum ohne Pro­ble­me 7.654 Ki­lo­me­ter weit durch Nord­eu­ro­pa ge­tra­gen.

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