Eine Frau© J. Rei­mer

Prak­ti­kum in Co­ro­na-Zei­ten?

von Joa­chim Kläschen

Prak­ti­ka sind ein wich­ti­ger Bau­stein des Stu­di­ums, denn Stu­die­ren­de sam­meln hier wich­ti­ge Er­fah­run­gen und be­kom­men einen bes­se­ren Ein­druck davon, was sie spä­ter im Be­rufs­le­ben er­war­tet. Doch wie läuft ein Prak­ti­kum in Co­ro­na-Zei­ten ab? Die Stu­den­tin­nen Leah Boy­sen und Lena Kuhn be­rich­ten von ihren Er­fah­run­gen.

Was stu­diert ihr an der FH, und wo sind oder waren eure Prak­ti­kums­plät­ze?

Lena Kuhn: Ich stu­die­re Öf­fent­lich­keits­ar­beit und Un­ter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on, ge­ra­de im sechs­ten Se­mes­ter. Ich ab­sol­vie­re ak­tu­ell ein Prak­ti­kum in der Ver­tre­tung des Lan­des Baden-Würt­tem­berg bei der Eu­ro­päi­schen Union. Ei­gent­lich wäre ich jetzt in Brüs­sel, aber weil Bel­gi­en nicht nur sehr stren­ge Ein­rei­se­re­ge­lun­gen, son­dern auch eine echte Ho­me­of­fice-Pflicht hat, mache ich ge­ra­de mein Aus­lands­prak­ti­kum im Ho­me­of­fice und sitze am glei­chen Schreib­tisch vor dem glei­chen Lap­top wie schon die ver­gan­ge­nen bei­den FH-Se­mes­ter. Am ers­ten Prak­ti­kums­tag hab‘ ich mir des­we­gen bel­gi­sche Waf­feln ge­macht.

Leah Boy­sen: Ich stu­die­re Öf­fent­lich­keits­ar­beit und Un­ter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on im sechs­ten Se­mes­ter. Von An­fang Fe­bru­ar bis Ende April habe ich ein Prak­ti­kum bei „Mann beißt Hund“ ge­macht. Das ist eine Agen­tur für Wis­sen­schafts­kom­mu­ni­ka­ti­on in Ham­burg.

Nach wel­chen Kri­te­ri­en habt ihr eure Prak­ti­kums­plät­ze aus­ge­wählt?

Lena Kuhn: Ich woll­te in die po­li­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on. Des­we­gen hatte ich mir eine ganze Liste aus Par­tei­en, Orts­ver­bän­den, Ab­ge­ord­ne­ten, NGOs und Stif­tun­gen her­aus­ge­schrie­ben, bei denen ich mich be­wer­ben woll­te. Mir ging es nicht darum, damit das große Geld zu ver­die­nen. Ent­we­der woll­te ich in Kiel blei­ben, nach Ber­lin fah­ren (so ty­pisch, ich rolle selbst mit den Augen) oder ins Aus­land. Mir war wich­tig, mit dem Prak­ti­kum Hal­tung zu zei­gen. Wenn ich schon drei Mo­na­te Prak­ti­kum mache, dann für etwas, für das ich mich gerne ein­set­ze. Da kommt es mir sehr ge­le­gen, dass ich jetzt für das Mi­nis­te­ri­um für Länd­li­chen Raum und Ver­brau­cher*in­nen­schutz be­rich­ten darf. The­ma­tisch geht es viel um Um­welt- und Na­tur­schutz, daran bin ich stets in­ter­es­siert. 

Leah Boy­sen: Mir war es vor allem wich­tig, dass ich hin­ter mei­nem Ar­beit­ge­ber ste­hen kann, für den ich drei Mo­na­te ar­bei­ten werde. Ich per­sön­lich könn­te kein Prak­ti­kum bei einem Un­ter­neh­men oder einer In­sti­tu­ti­on ab­sol­vie­ren, des­sen Pro­dukt, Dienst­leis­tung, Ein­stel­lung etc. ich mo­ra­lisch nicht ver­tre­ten kann. „Mann beißt Hund“ be­setzt da in mei­nen Augen eine span­nen­de Ni­sche, da sie für Kund*innen aus den Be­rei­chen Wis­sen­schaft, Bil­dung und Ge­sund­heit ar­bei­ten – für mich alles sehr wich­ti­ge The­men, die ich auch selbst in­ter­es­sant finde.

Au­ßer­dem woll­te ich das Prak­ti­kum nut­zen, um noch­mal neue Be­rufs­mög­lich­kei­ten ken­nen­zu­ler­nen. Seit zwei­ein­halb Jah­ren habe ich einen Ne­ben­job im po­li­ti­schen Be­reich im Kie­ler Land­tag, und letz­tes Jahr habe ich ein Prak­ti­kum im bei einem So­ci­al-Start-up im Be­reich PR- und Mar­ke­ting ge­macht. Eine Agen­tur ist da noch­mal etwas ganz An­de­res. Ich glau­be im Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­reich ist es immer hilf­reich zu wis­sen, wie Agen­tu­ren ti­cken. Egal, ob man spä­ter selbst dort lan­det oder von Un­ter­neh­mens­sei­te aus mit ihnen zu­sam­men­ar­bei­tet.

Wie seid ihr an eure Prak­ti­kums­plät­ze ge­kom­men?

Lena Kuhn: Das Prak­ti­kum war im Fach­be­reich aus­ge­schrie­ben, und ich hatte Lust, mal im Aus­land zu leben. Da ich aus Süd­deutsch­land komme, hatte ich auch ein biss­chen Bezug zu Baden-Würt­tem­berg. Ich hab‘ mich ei­gent­lich eher so im Spaß be­wor­ben, weil ich nicht dach­te, dass ich das wirk­lich be­kom­me – ein be­zahl­tes Aus­lands­prak­ti­kum ist ja dann doch nicht üb­lich. Dann war Som­mer, ich hatte ver­ges­sen, dass ich mich be­wor­ben hatte, bis eines Tages eine Be­stä­ti­gung per E-Mail rein­ge­flat­tert kam. Dar­über hab‘ ich mich sehr ge­freut.

Leah Boy­sen: Das war bei mir wirk­lich nicht spek­ta­ku­lär. Ich habe über den PR-Bei­rat der FH Kiel zum ers­ten Mal von „Mann beißt Hund“ ge­hört. Da ich die The­men­fel­der der Agen­tur (Wis­sen­schaft, Bil­dung, Ge­sund­heit) sehr span­nend fand, habe ich mich dann auf deren Web­site um­ge­schaut und zu­fäl­lig ge­se­hen, dass sie einen Prak­ti­kums­platz aus­ge­schrie­ben hat­ten. Dann lief ei­gent­lich alles den „klas­si­schen“ Weg: Ende Mai letz­ten Jah­res habe ich mich bei der Agen­tur be­wor­ben. Zwei Wo­chen spä­ter stand dann schon das Be­wer­bungs­ge­spräch an, wor­auf ich nach kur­zer Zeit die Zu­sa­ge be­kom­men habe. Zu dem Zeit­punkt haben beide Sei­ten noch ge­hofft, dass das Prak­ti­kum im Fe­bru­ar 2021 in Prä­senz statt­fin­den kann. Da sich die Co­ro­na-Si­tua­ti­on aber wie­der sehr ver­schlech­tert hatte, stand dann kurz vor Prak­ti­kums­be­ginn fest, dass ich haupt­säch­lich aus dem Ho­me­of­fice ar­bei­ten werde. Es stand zum Glück zu kei­nem Zeit­punkt im Raum, dass das Prak­ti­kum aus­fällt oder ver­scho­ben wird.

Wie ge­stal­tet sich das Prak­ti­kum wäh­rend Co­ro­na?

Lena Kuhn: Bis kurz vor Prak­ti­kums­be­ginn war nicht klar, ob ich ins Aus­land darf. Des­we­gen war dort sogar schon eine Woh­nung ge­mie­tet. Als klar war, dass ich ver­mut­lich in Deutsch­land blei­ben würde, wuss­te ich: Das wird nicht viel an­ders als im Stu­di­um, ich ar­bei­te ja auch sonst viel ne­ben­bei. Ich ar­bei­te jeden Tag von 9 bis 17.30 Uhr, be­ob­ach­te die Pres­se und be­rich­te an das Mi­nis­te­ri­um für Land­wirt­schaft und Ver­brau­cher­schutz nach Stutt­gart, wenn in Brüs­sel für sie Re­le­van­tes be­schlos­sen wird. Au­ßer­dem be­glei­te ich Aus­schüs­se im Eu­ro­pa­par­la­ment und pro­to­kol­lie­re die Pres­se­kon­fe­ren­zen der Eu­ro­päi­schen Kom­mis­si­on. Für den Som­mer helfe ich bei der Pla­nung einer gro­ßen Ver­an­stal­tung mei­nes Mi­nis­te­ri­ums. Klas­sisch für mei­nen Stu­di­en­gang habe ich au­ßer­dem ein paar Vor­schlä­ge für eine ver­bes­ser­te So­ci­al-Media-Prä­senz vor­legt und warte ge­spannt auf die Mei­nun­gen dazu. Da fast ein Drit­tel des EU-Bud­gets für Agrar­po­li­tik auf­ge­wandt wird, ist meine Auf­ga­be ziem­lich um­fang­reich. Die Farm-To-Fork-Stra­te­gie, die Bio­di­ver­si­täts­stra­te­gie, Er­neue­run­gen be­stehen­der Richt­li­ni­en hin zu mehr Nach­hal­tig­keit, aber auch die Ver­hand­lung des Mer­cosur-Ab­kom­mens oder Tier­wohl­an­ge­le­gen­hei­ten – das war an­fangs schon viel Input. So lang­sam stei­ge ich aber durch, und des­we­gen muss ich lei­der zu­ge­ben, dass ich einer der wich­tigs­ten Ent­schei­dun­gen für die­ses Jahr, der Ver­hand­lung der Ge­mein­sa­men Agrar-Po­li­tik der EU, wirk­lich ent­ge­gen­fie­be­re. Ich hätte nicht ge­dacht, dass ich mich dafür so be­geis­tern kann. Aber weil ich nun weiß, wo die Knack­punk­te sind, wie der Ent­schei­dungs­fin­dungs­pro­zess funk­tio­niert und wel­che Klein­krie­ge sich da auf­tun, bin ich wahr­lich ge­spannt wie ein Flit­ze­bo­gen auf das fi­na­le Er­geb­nis. 

Leah Boy­sen: Ich habe mein Prak­ti­kum fast aus­schlie­ß­lich von zu Hause aus ab­sol­viert. Al­ler­dings hatte ich auch, so­fern ich woll­te, die Mög­lich­keit, einen Tag in der Woche in die Agen­tur zu kom­men. Dort wurde dann dar­auf ge­ach­tet, dass sich in jedem Raum nur eine Per­son auf­hält, Hy­gie­ne- und Ab­stands­re­geln wur­den streng ein­ge­hal­ten, und Tests stan­den allen Mit­ar­bei­ter*innen zur Ver­fü­gung.

Vor mei­nem Prak­ti­kum habe ich mir tat­säch­lich viele Ge­dan­ken dar­über ge­macht, wie ein Ho­me­of­fice-Prak­ti­kum über­haupt funk­tio­nie­ren soll, aber ich war schon in der ers­ten Woche über­rascht, wie rei­bungs­los es lief. Die Kom­mu­ni­ka­ti­on im Team lief haupt­säch­lich über MS Teams. Das war sehr prak­tisch, da man schnell hin- und her-chat­ten kann und es auch eine Video-Anruf-Funk­ti­on gibt, die für jeg­li­che Art von Ge­sprä­chen oder in­ter­ne Mee­tings ge­nutzt wurde.

Meine Patin habe ich die ge­sam­ten drei Mo­na­te nicht ein­mal per­sön­lich ge­se­hen, son­dern aus­schlie­ß­lich über Vi­deo­ge­sprä­che. Auch mit mei­nen an­de­ren vier Be­treue­rin­nen und dem Rest des Teams habe ich haupt­säch­lich per Vi­deo­an­ruf kom­mu­ni­ziert. Mon­tags gab es immer eine große Zoom-Runde, in der sich alle Mit­ar­bei­te­rin­nen und die Ge­schäfts­füh­rung über den ak­tu­el­len Stand aus­tausch­ten. Ab­seits von Ar­beits­the­men wurde auch dar­auf ge­ach­tet, den Aus­tausch un­ter­ein­an­der nicht aus den Augen zu ver­lie­ren. Wir haben zum Bei­spiel ein­mal täg­lich ge­mein­sam On­line-Yoga ge­macht, was immer viel Spaß ge­macht hat. Schön war auch das For­mat „3 Gute Dinge“, in dem wir uns wö­chent­lich mit ab­wech­seln­den Ge­sprächs­part­ner*innen für fünf­zehn Mi­nu­ten über un­se­re Wo­chen-High­lights un­ter­hal­ten haben.

Ge­ra­de zu Be­ginn habe ich mich ge­fragt, ob es zu Hause über­haupt genug für mich zu tun gibt. Aber bei mei­nen Tä­tig­kei­ten wie zum Bei­spiel re­cher­chie­ren, ver­schie­dens­te Texte ver­fas­sen oder So­ci­al-Media-Con­tent er­stel­len, hat der Ort ei­gent­lich keine Rolle ge­spielt. Wir haben viel mit der „Bild­schirm tei­len“ Funk­ti­on ge­ar­bei­tet, so­dass ich den Mit­ar­bei­ter*innen trotz Kon­takt­be­schrän­kun­gen „über die Schul­ter schau­en“ konn­te. Da Kun­den-Mee­tings und Ver­an­stal­tun­gen auch alle on­line statt­ge­fun­den haben, konn­te ich daran eben­falls pro­blem­los von zu Hause aus teil­neh­men.

Wür­det ihr an­de­ren raten, ein „Co­ro­na-Prak­ti­kum“ zu ab­sol­vie­ren?

Lena Kuhn: An sich tut es ganz gut, neue Ufer zu tes­ten. Mein Tipp wäre aber: Bleibt in Deutsch­land. Viele mei­ner Kom­mil­to­nin­nen dür­fen we­nigs­tens an man­chen Tagen ins Büro. Ich werde meine Vor­ge­setz­ten und Mit­prak­ti­kan­tin­nen ver­mut­lich nicht tref­fen, weil nicht ab­seh­bar ist, ob ich nach Bel­gi­en rei­sen darf. Sonst fal­len zwei we­sent­li­che As­pek­te, Aus­lands­er­fah­rung und Netz­wer­ken, ins Was­ser, und das ent­mu­tigt mit­un­ter. Da sich ge­ra­de die Si­tua­ti­on etwas ver­bes­sert und die EU mit dem Grü­nen Impf­pass nun Mög­lich­kei­ten zum Rei­sen wie­der öff­nen möch­te, hoffe ich in­stän­dig, dass die­ser Tipp so lang­sam sein Ge­wicht ver­liert und Rei­sen (auch dienst­li­cher Natur) wie­der mög­lich sind. Mit etwas Glück bin ich der letz­te Schwung an Prak­tis, die ihr Aus­lands­prak­ti­kum aus ihrer WG in Kiel raus voll­zie­hen. Die Lan­des­ver­tre­tung plant ein Fest mit allen Ho­me­of­fice-Prak­ti­kant*innen. Dar­auf freue ich mich be­son­ders – auch weil ich dann meine Vor­ge­setz­ten und Kol­leg*innen zum ers­ten Mal in Per­son ken­nen­ler­nen kann.

Leah Boy­sen: Ich per­sön­lich würde ein „Co­ro­na-Prak­ti­kum“ wei­ter­emp­feh­len. Na­tür­lich geht das nicht in allen Bran­chen, aber ge­ra­de „Büro-Jobs“ kön­nen in den meis­ten Fäl­len ganz ein­fach auch von zu Hause aus er­le­digt wer­den. Ich habe die Er­fah­rung ge­macht, dass man auch auf die­sem Weg sehr gut Ein­bli­cke in das Be­rufs­le­ben be­kommt. Ge­ra­de, da man ak­tu­ell oh­ne­hin nicht so viel un­ter­neh­men kann, fand ich es prak­tisch, diese Zeit sinn­voll zu nut­zen.

Gleich­zei­tig muss man sich aber auch be­wusst sein, dass sich Prak­ti­ka im Ho­me­of­fice immer noch von Prä­senz-Prak­ti­ka un­ter­schei­den. Man muss seine Er­war­tun­gen wirk­lich an die Si­tua­ti­on an­pas­sen, damit man nicht von dem For­mat ent­täuscht wird. Fest steht, dass man den grö­ß­ten Teil der Zeit al­lein vor dem Bild­schirm sitzt. Das kann echt an­stren­gend wer­den. Das le­ben­di­ge Trei­ben im Büro, dass ich sonst kenne, hat mir schon ge­fehlt. Das Zwi­schen­mensch­li­che kommt lei­der etwas zu kurz, auch wenn sich alle Mühe gaben, den Kon­takt auf­recht zu er­hal­ten. Die Be­deu­tung von ge­mein­sa­men Mit­tags­pau­sen und Ähn­li­chem soll­te man nicht un­ter­schät­zen.

Womit man auch erst ein­mal klar­kom­men muss, ist das re­la­tiv hohe Ab­len­kungs­po­ten­ti­al, das zu Hause be­steht. Sei es die Mit­be­woh­ne­rin, die Wä­sche oder das Handy. Da ist es manch­mal gar nicht so leicht, den Fokus zu be­hal­ten. Etwas Selbst­dis­zi­plin braucht man für ein On­line-Prak­ti­kum also schon, um sich auf Dauer mo­ti­vie­ren zu kön­nen.

Die Tat­sa­che, dass nie­mand di­rekt neben einem sitzt, be­deu­tet auch, dass es nicht so­fort auf­fällt, wenn man Schwie­rig­kei­ten hat. Das kann erst­mal ein­schüch­ternd wir­ken, aber ich habe da­durch viel dazu ge­lernt, be­son­ders was das Ver­trau­en in mein ei­ge­nes Kön­nen an­geht. Ich denke auch, dass das For­mat Fä­hig­kei­ten wie Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, Zeit­ma­nage­ment und Ei­gen­stän­dig­keit stärkt, viel­leicht sogar stär­ker als Prä­senz-Prak­ti­ka.

© Fach­hoch­schu­le Kiel