Ein Mann posiert im Freien für die Kamera. Auf seinem blauen Pullover ist eine chinesische Flagge zu erkennen.© L. Berndt

Deutschland punktet nicht nur mit Currywurst und Döner

von Laura Berndt

Ein Jahr vor Antritt ihres 12-monatigen Aufenthalts in Deutschland besuchten acht Studierende der Chinesisch-Deutschen Hochschule für Angewandte Wissenschaften (CDHAW) der Tongji Universität Shanghai eine Summer School der Fachhochschule Kiel (FH Kiel). Eingeladen hatte Prof. Dr. Tobias Specker, Studiengangleiter Internationales Vertriebs- und Einkaufsingenieurwesen, vom Fachbereich Maschinenwesen. Im Lauf einer Woche erfuhren die angehenden Wirtschaftsingenieurinnen und -ingenieure mehr über die Hochschule und die deutsche Kultur. Laura Berndt sprach mit Zhong Xiaoyi (20) über Vorurteile, offensichtliche Unterschiede und den Wunsch, eines Tages in Deutschland zu arbeiten.

LB: Herr Zhong, Sie sind zum ersten Mal in Deutschland. Welche Unterschiede zwischen Ihrem Heimatland und Deutschland sind Ihnen besonders aufgefallen?

ZX: Ich habe drei offensichtliche Unterschiede zwischen unseren beiden Ländern kennengelernt: das Essen, das Stadtklima und die Individualität in puncto Kleidung. Die Deutschen essen meist kalt, viel Brot und bezeichnen ihr Frühstück oder Mittagessen als wichtigste Mahlzeit. In China kommen oft warme Speisen auf den Tisch und uns ist das Abendessen besonders wichtig, weil dann die ganze Familie zusammen kommt. Überhaupt scheint es mir, als hätten wir eine größere Vielfalt an Lebensmitteln und Speisen. Dafür gibt es hier leckere Currywurst und Döner, ein Pluspunkt für Deutschland. Der zweite große Unterschied betrifft das Stadtklima. Shanghai ist dicht bebaut, hier leben 24 Millionen Menschen, das Verkehrsaufkommen ist enorm. Es gibt zu jeder Tageszeit Staus, der Himmel ist durch den Schadstoffausstoß meist bedeckt und die Luft ist verschmutzt. In Deutschland lässt es sich in der Stadt gesünder leben. Der blaue Himmel, die frische klare Luft und die wenigen Autos sind mir direkt aufgefallen. Das finde ich lebensfreundlicher. Was ich auch positiv finde, ist die individuelle und expressive Kleidung der Deutschen. Ich habe schon Skaterinnen, Punks und andere Subkulturen gesehen mit interessanten Outfits, Piercings und Tätowierungen. So etwas gibt es in China eher selten. Mir gefällt, dass die Menschen in Deutschland in diesem Punkt viel freier sind und das machen, was sie wollen. Niemand scheint etwas dagegen zu haben. Vielleicht lasse ich mir während meines Auslandsstudiums ja auch ein Tattoo stechen, Lust hätte ich.

LB: Hatten Sie bestimmte Vorstellungen von den Deutschen, bevor Sie Ihre Reise antraten?

ZX: Natürlich, Vorurteile und Klischees über andere Nationen hat jeder von uns. Bevor ich an der CDHAW mein Studium begann, habe ich immer gedacht, dass Deutsche sehr ernst sind, keinen Humor haben und sowieso niemals lachen. Je mehr wir jedoch die Sprache gelernt und uns mit der Kultur beschäftigt haben, desto mehr konnte ich die Vorurteile abbauen. Unsere Lehrerinnen und Lehrer waren dabei eine große Hilfe. Jetzt, wo ich in Deutschland bin, sehe ich die Dinge mit eigenen Augen und kann sagen, dass die Klischees nicht zutreffen. Wir hatten viel Spaß mit den deutschen Studierenden und sie haben uns alle vom Gegenteil überzeugt. Ich freue mich jetzt noch mehr auf mein Jahr in Deutschland.

LB: Wie gefallen Ihnen denn Kiel und auch die Fachhochschule?

ZX: Sehr gut. Kiel ist eine tolle Stadt mit einer schönen Umgebung. Die Nähe zum Wasser und das viele Grün im Stadtbild sind fantastisch. Vielleicht sind die Menschen hier deshalb so freundlich. Jedenfalls war jeder sehr nett und hilfsbereit. Die Fachhochschule ist schön gelegen und den Campus finde ich wirklich gemütlich und einladend. Außerdem hat die FH ein interessantes Studienangebot. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Studium hier Spaß macht.

LB: Was konnten Sie sich bisher anschauen und werden Sie nach Ende der Summer School noch etwas Zeit in Deutschland verbringen?

ZX: Da wir vormittags Vorlesungen und Vorträge über die Fachhochschule und die deutsche Kultur hatten, blieb uns in den vergangenen Tagen immer der Nachmittag, um die Stadt zu besichtigen. Dabei haben uns deutsche Studierende des Fachbereichs Maschinenwesen begleitet. Wir waren in der Innenstadt, haben uns das Rathaus angesehen, waren im Gießereimuseum und im Computermuseum und dem Mediendom. Außerdem waren wir einen Nachmittag auf der Schwentine rudern, sehr anstrengend, aber auch wirklich witzig. Nach der Summer School reisen wir noch nach München und Stuttgart, bevor wir am 17. September wieder nach Shanghai fliegen. Eins ist aber klar, wir wollen auch während unseres Jahres in Deutschland mehr von dem Land kennenlernen und uns vielleicht auch andere Teile Europas einmal anschauen.

LB: Ihr Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen an der CDHAW ermöglicht es Ihnen, in China und Deutschland zu studieren. Warum haben Sie sich für den Studiengang entschieden?

ZX: Mich hat gereizt, in zwei Ländern zu studieren und nicht das komplette Studium in einer Stadt bleiben zu müssen. In Deutschland haben Wissenschaft und Entwicklung einen großen Stellenwert und deshalb gibt es gute Ausbildungseinrichtungen, das macht das Land für alle Studierenden technischer Studiengänge sehr interessant. Außerdem können wir im zweiten Semester unseres Austauschjahrs ein Praktikum in einem Unternehmen absolvieren. Vielleicht habe ich dadurch die Chance, eine Zeit lang in Deutschland zu arbeiten. Das würde ich gerne ein paar Jahre machen, um Erfahrungen zu sammeln und meinen Horizont zu erweitern. Dann würde ich jedoch wieder nach China gehen wollen, in den Süden des Landes, wo meine Familie wohnt, denn dort ist meine Heimat, da fühle ich mich zuhause.

Hintergrund CDHAW 
2004 gründeten das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das chinesische Bildungsministerium die CDHAW. Mit ihr sollen praxisorientierte Qualifikationsmodelle nach dem Vorbild deutscher Fachhochschulen im chinesischen Bildungssystem etabliert werden. Auf deutscher Seite sind neben der FH Kiel mit dem Fachbereich Maschinenwesen weitere 26 Fachhochschulen am Projekt beteiligt.

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