Ein Mann in Anzug und Winterjacke, posiert im freien und schaut in die Kamera.© FH Kiel

„Unser Ziel ist es, den Bezug zur Realität eines relativ jungen Industriezweigs in Deutschland herzustellen“

von Laura Berndt

Der Ausbau Erneuerbarer Energien (EE), wie Erdwärme, Biomasse, Wind- und Sonnenenergie, schreitet in Deutschland immer weiter voran. Die EE-Branche gehört mittlerweile zu den weltweit am schnellsten wachsenden Industriezweigen. Attraktive Jobs mit guten Aufstiegsmöglichkeiten entstehen, die nach fachspezifisch ausgebildetem Personal verlangen. Dieses kann durch bisherige Studiengänge nicht vollständig abgedeckt werden, wie Prof. Dr.-Ing. Christian Keindorf weiß. Der 38-jährige Entwicklungsingenieur lehrt seit Januar 2015 Offshore-Anlagentechnik am Fachbereich Maschinenwesen der Fachhochschule Kiel (FH Kiel) und möchte das Spektrum der akademischen Ausbildung erweitern.

Laura Berndt (LB): Prof. Keindorf, wie verlief Ihr Werdegang bisher?

Christian Keindorf (CK): Zunächst habe ich Bauingenieurwesen an der TU Braunschweig studiert und anschließend am Institut für Stahlbau der Leibniz Universität Hannover als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet. Dort habe ich vorrangig die Forschung und Lehre für Konstruktionen in Stahlbauweise begleitet, zu denen auch Tragstrukturen für erneuerbare Energiesysteme zählen. Im Jahr 2009 habe ich zum Thema „Tragverhalten und Ermüdungsfestigkeit von Sandwichtürmen für Windenergieanlagen“ promoviert und zwischendurch meine Ausbildung zum Schweißfachingenieur abgeschlossen. Schließlich habe ich den Sprung ins kalte Wasser gewagt und zusammen mit Prof. Schaumann das Ingenieurbüro SKI in Hannover gegründet. Dabei haben wir uns unter anderem auf die planerischen und gutachterlichen Tätigkeiten im Bereich der Tragstrukturen für erneuerbare Energiesysteme fokussiert.

LB: Warum haben Sie den Büro- gegen den Hochschulalltag getauscht?

CK: Dafür gab es zwei Gründe. Durch den direkten Kontakt zur Industrie konnte ich immer wieder sehen, dass es auf diesem Gebiet viele berufliche Quereinsteigerinnen und -einsteiger gibt. Deutschland gehört, anders als Dänemark, England, den Niederlanden oder Norwegen, nicht zu den klassischen Offshore-Ländern, weshalb es nur wenig Fachpersonal – insbesondere für Bauwerke bzw. Anlagen auf hoher See – gibt, das speziell dafür ein Studium abgeschlossen hat. Mit der Professur kann ich mein Wissen an Studierende weitergeben, sie optimal auf ihren künftigen Job vorbereiten und so dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Außerdem habe ich während des Büroalltags festgestellt, dass mir die Zeit für die Entwicklung von innovativen Konstruktionen oftmals fehlte, obwohl die Ideen dafür im Kopf vorhanden waren. An der FH habe ich die Möglichkeit, diese in Form von Forschungsvorhaben anzupacken und der Offshore-Branche somit verbesserte und kosteneffizientere Konzepte für die Anlagentechnik anzubieten.

LB: Was hat die FH Kiel als Arbeitsplatz für Sie interessant gemacht?

CK: Die Planung und Installation von Offshore-Anlagentechnik erfordern das Zusammenspiel zahlreicher interdisziplinärer Disziplinen, deshalb fand ich es sinnvoll, dass ich als Bauingenieur die Expertinnen und Experten aus den Bereichen Maschinenbau, Physik, Elektrotechnik und Informatik unterstütze. Die unmittelbare Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen den einzelnen Ingenieurdisziplinen stellt für mich eine spannende Aufgabe dar – schließlich besteht eine Offshore-Anlage nicht nur aus einem bauwerklichen Teil, sondern auch aus maschinen- und elektrotechnischen Komponenten. 
Außerdem passt der Studiengang „Offshore-Anlagentechnik“ zur Region Schleswig-Holstein – dem Bundesland zwischen den beiden Meeren. Speziell an den Küstenstandorten Kiel und Flensburg liegt das Augenmerk innerhalb der Hochschulausbildung auch auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien, einem Thema, mit dem sich viele Menschen vor Ort identifizieren können. Nicht zuletzt sind in Schleswig-Holstein viele Unternehmen aus dem Bereich der „Green Technology“ ansässig, die für ihre Ingenieuraufgaben Nachwuchs benötigen und die Hochschulen deshalb gerne unterstützen.

LB: Wie würden Sie Fachfremden Ihr Aufgabenfeld erklären?

CK: Im Prinzip ist eine Offshore-Plattform in einem Windpark so etwas wie eine große Steckdose auf hoher See. Die Anforderungen für diese sind jedoch um ein Vielfaches höher als auf dem Festland. Durch unsere Arbeit an der Hochschule und die Forschungskooperationen mit der Industrie tragen wir dazu bei, dass solche Bauwerke standsicher installiert und dauerhaft betrieben werden können – schließlich müssen sie enorme Wind- und Wellenlasten aushalten. Aus diesem Grund stellen wir viele Berechnungen an und durchdenken dabei auch bereits die Fertigung, den Transport von der Werft zum jeweiligen Standort sowie die Montage unter schwierigen Witterungsbedingungen – alles nicht so einfach bei den erforderlichen Dimensionen, die oftmals größer sind als der Kölner Dom. Trotz der Faszination, die das gigantische Ausmaß einer solchen Anlage auslösen kann, sollten die Gefahren nie vergessen werden, die dort draußen lauern. Deshalb beschäftigen wir uns auch mit Themen zum Umwelt- und Arbeitsschutz.

LB: Was wollen Sie Ihren Studierenden vermitteln?

CK: Zunächst einmal fachliches Wissen über Trag- und Gründungsstrukturen von Offshore-Bauwerken, denn sie sollen diese später selbst planen, in der Fertigung begleiten und auf hoher See installieren können. Darüber hinaus möchte ich bei ihnen Begeisterung für das Thema wecken, was meiner Meinung nach vor allem durch den praktischen Bezug in dieser Wirtschaftsregion und die Nähe zum Wasser gelingen kann. Ein Beispiel dafür ist unsere Offshore-Konferenz COOL auf Helgoland, die dieses Jahr bereits zum vierten Mal stattfinden wird. Hier können die Studierenden Anlagentechnik hautnah erleben und sich mit nationalen und internationalen Ansprechpartnerinnen und -partnern aus Politik und Offshore-Wirtschaft über aktuelle Entwicklungen und ihre Tätigkeitsbereiche austauschen. Außerdem möchte ich mit ihnen im Computerlabor verschiedene Anlagen der maritimen Technik virtuell modellieren und berechnen. Nicht zuletzt sollen in Zukunft auch Exkursionen stattfinden, um Unternehmen und Industrieverbände als künftige Arbeitgeberinnen und  -geber vorzustellen. Unser Ziel ist es, den Bezug zur Realität eines relativ jungen Industriezweigs in Deutschland herzustellen!

LB: Welche zusätzlichen Pläne haben Sie für die kommende Zeit?

CK: Prof. Quell und ich wollen zunächst mit dem Bachelorstudiengang „Offshore-Anlagentechnik“ eine Ausbildung zur Generalistin oder zum Generalisten für diesen Industriezweig anbieten, eine weiterführende Vertiefung in den Bereichen Maschinenbau, Schiffbau, Produktionstechnik und Logistik ist möglich. Zusammen mit dem Fachbereich Elektrotechnik und Informatik sind Kooperationen im Bezug auf Elektromobilität und Speichertechnologien denkbar, um den Output erneuerbarer Energien noch besser in das bestehende Versorgungsnetz zu integrieren. Des Weiteren unterstützen wir den Masterstudiengang „Wind Engineering“ an der Fachhochschule Flensburg, durch den die Studierenden ihre Fachkenntnisse im Bereich der Windenergie weiter vertiefen können. Momentan planen wir den Aufbau eines Schweißlabors, der einen praktischen Einblick in eine der Schlüsseltechnologien im Schiff- und Maschinenbau sowie in der Offshore-Anlagentechnik ermöglichen soll. Um den Austausch zwischen Studierenden unterschiedlicher Semester zu fördern, soll der Offshore-Club, der vergangenes Jahr an unserem Fachbereich ins Leben gerufen wurde, weiter ausgebaut werden. Außerdem wünsche ich mir den Aufbau eines Ehemaligennetzwerks, durch das Absolventinnen und Absolventen unseres Studiengangs weiter Kontakt zur FH halten und aktuellen Studierenden bei gemeinsamen Treffen von ihren beruflichen Erfahrungen berichten können.

Kurzbiographie

 

seit Januar 2015: Professor für Offshore Anlagentechnik am Institut für Schiffbau und Maritime Technik an der FH Kiel 
seit 2009: Geschäftsführender Gesellschafter von SKI Ingenieurges. mbH in Hannover 
2009: Promotion an der Fakultät für Bauingenieurwesen der Leibniz Universität Hannover 
2008: Ausbildung zum Internationalen Schweißfachingenieur an der SLV Hannover 
2003 - 2008: wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Stahlbau der Leibniz Universität Hannover 
1997 - 2003: Diplomstudium für Bauingenieurwesen an der TU Braunschweig

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