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OHIOH steht in den Startlöchern

von Lennard Worobic

Die Gesundheitsminister*innen von Bund und Ländern sind mehrheitlich für ein Ende der Corona-Tests für Reiserückkehrende, was in der Politik mitunter auf Widerspruch trifft. Wie sich Infektionsketten effektiv nachvollziehen lassen, beschäftigt Expert*innen nach wie vor. Auch auf dem Campus der FH Kiel wünscht man sich, bald wieder zur Normalität zurückkehren zu können. Dabei leistet eine studentische Initiative tatkräftig Unterstützung. OHIOH (Our Health In Our Hands) will im September eine App veröffentlichen, um Risikogebiete gezielt zu untersuchen. Im April berichtete die Campusredaktion in einem Beitrag bereits über das Vorhaben des Teams um Gründer Tjark Ziehm. Kurz vor dem Launch der App hat Lennard Worobic aus der viel.-Redaktion mit Prof. Dr.-Ing. Michael Prange und Prof. Dr. Christian Krauss, die die wissenschaftliche Leitung des Projekts inne haben, über OHIOH gesprochen.

Herr Prof. Prange, Herr Prof. Krauss, seit diesem Semester stehen Sie OHIOH als wissenschaftliche Leiter zur Seite. Wie sind Sie auf das Projekt aufmerksam geworden und weshalb haben Sie sich dafür entschieden, es zu betreuen?

Prange: Tjark Ziehm hatte sich Anfang April in einer E-Mail direkt an einige Professoren gewandt und um Unterstützung für seine Idee geworben, eine App zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu entwickeln. Die im Rahmen eines Hackathons der Bundesregierung entstandene Initiative OHIOH mit dem Slogan „Our Health In Our Hands“ fand ich sehr spannend, so dass ich gerne einen Gedankenaustausch angeboten hatte, woraus sich im Laufe der letzten Monate ein konkretes Hochschulprojekt entwickelt hat.

Krauss: Ja - die Mail hatte mich auch erreicht (lacht). Ich hatte damals Herrn Ziehm gleich den Tipp gegeben, sich von Anfang an Gedanken über die Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte zu machen. Eine Studie aus dem Jahr 2019 in der Zeitschrift „Nature" hatte nämlich gezeigt, dass nur 15 einfache Merkmale genügen, um aus anonymisierten Daten mit einer Trefferquote von 99,98 % auf eine Person zu schließen. Meine Empfehlung war für Herrn Ziehm, nicht nur „Security by Design“, sondern auch „Data Protection by Design“ in die Konzeptionsphase der App einfließen zu lassen.

Was nehmen Sie persönlich aus der bisherigen Zusammenarbeit mit dem Team um Tjark Ziehm mit?

Prange: Mich begeistert das Engagement, mit dem sich das Team um Tjark Ziehm der Entwicklung der OHIOH App angenommen hat. Es freut mich besonders, dass es sich um ein internationales Team handelt, das virtuell sehr professionell zusammenarbeitet. Die große Offenheit für Kooperationen und für den Aufbau von Netzwerken stellen für das Projekt OHIOH und damit auch für unsere Hochschule einen echten Mehrwert dar. Konkret gibt es schon eine Zusammenarbeit mit der Linux Foundation, IBM und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Krauss: Die Ausführungen von Michael kann ich nur so unterstreichen.

Anfangs mussten die Studierenden alles selbst auf die Beine stellen, das ändert sich durch die Kooperation mit der Fachhochschule Kiel. Inwiefern profitieren beide Seiten von der Zusammenarbeit?

Prange: Als offizielles Hochschulprojekt OHIOH hat das Präsidium ein kleines Budget für Sach- und Personalkosten bereitgestellt, mit dem beispielsweise auch die externen Server-Kosten bezahlt werden können. Viel wichtiger für OHIOH ist aus meiner Sicht aber die institutionelle Verankerung in einer öffentlichen Hochschule. So haben wir hier nicht nur die Möglichkeit, weitere Studierende im Rahmen von Projektarbeiten und Master-Thesen in die angewandte Forschung einzubinden, sondern wir können uns auch um Fördermittel für wissenschaftliche Projekte bewerben.

Bei welchen Aufgaben unterstützen Sie die Studierenden, und wie oft tauschen Sie sich aus?

Krauss: Wir haben ein wöchentliches Meeting, in dem wir alle auf den neuesten Stand gebracht werden. Hier werden aber auch strategische Dinge und Möglichkeiten von weiteren Einsatzgebieten oder Kooperationen besprochen. Des Weiteren versuchen wir, das Projekt in allen Bereichen der Kommunikation nach innen und außen zu unterstützen.

Prange: Richtig. Außerdem bringen wir dabei unsere langjährigen Erfahrungen und Netzwerke mit ein, um den Erfolg von OHIOH etwas zu begleiten.

Die studentische Initiative ist im März infolge des #WirVsVirus -Hackathons der Bundesregierung entstanden. Welche Fortschritte haben die Entwickler*innen seither gemacht?

Prange: Das OHIOH-Team hat in der Entwicklung der OHIOH-App rasante Fortschritte gemacht. Wie häufig in IT-Projekten musste der Programmcode aber mehrfach aufgrund externer Rahmenbedingungen angepasst werden. Es kommen viele aktuelle Technologien zum Einsatz, so dass das OHIOH-Projekt für die Beteiligten auch einen sehr hohen Lerneffekt hat. Ein besonderer Erfolg war, dass OHIOH eine Freischaltung für das Google/Apple Exposure Notification (GAEN) API für Forschungszwecke erhalten hat, was nur wenigen Institutionen gelungen ist. Zum Beginn des Wintersemesters ist eine Campus-App geplant, die von allen Studierenden und Mitarbeitern der Hochschule freiwillig genutzt werden kann. Die erfassten Daten sollen dabei ausschließlich zu Forschungszwecken verwendet werden.

Nicht jeder ist überzeugt von digitalen Lösungen zur Eindämmung von COVID-19. Was würden Sie Menschen sagen, die skeptisch gegenüber Pandemie-Tracing-Apps sind?

Krauss: Überwachungs-Apps stehe ich nach wie vor kritisch gegenüber (lacht). Das ist auch der Grund, warum ich den Quell-offenen (Open Source) und Datenschutz-freundlichen Ansatz von OHIOH so sehr schätze. Alles kann in den falschen Händen auch negative Auswirkungen haben. Gerade der Bereich „Gesundheit“ gehört zu den sensiblen persönlichen Daten und der Schutz von Daten ist hier ein besonders hohes Gut. Die OHIOH-App ist datenschutztechnisch auf dem neuesten Stand und nach meiner Einschätzung unbedenklich.

Prange: Stimmt. Von Anfang wurde im OHIOH-Projekt der Datenschutz berücksichtigt: Transparenz und offener Quellcode sollen die Akzeptanz erhöhen, die OHIOH-App zum eigenen Schutz der Gesundheit zu nutzen. Aktuelle Bewegungs- und Kontaktdaten sind zur Eindämmung von Pandemien durch Unterbrechung der Infektionsketten sehr wichtig, aber ein Tracking oder Tracing einzelner Personen erfolgt nicht.

Über das Ende der Corona-Zeit lassen sich bislang nur Spekulationen aufstellen. Welche Rolle könnte OHIOH in Zukunft für den Umgang mit Pandemien spielen?

Krauss: Das Virus SARS-CoV-2 hat uns gezeigt, wie verletzlich die Menschheit gegenüber einer solchen Pandemie sein kann. Daher ist es wichtig, auch in Zukunft fertige Lösungsansätze in der Tasche zu haben und deren Einsatzgebiete und Auswirkungen zu erforschen. Die Erkenntnisse aus der heutigen Tracing-Forschung könnte in Zukunft viele Menschenleben retten. Dafür lohnt sich der Aufwand.

Prange: Das Corona-Virus hat uns drastisch vor Augen geführt, welche gravierenden Auswirkungen eine derartige Pandemie weltweit für Wirtschaft, Gesundheit und Gesellschaft haben kann. Das hat sicherlich niemand in diesem Ausmaß vorausgesehen. Daher geht es nach der Corona-Krise darum, organisatorisch und durch Einsatz digitaler Technologien dafür zu sorgen, dass sowas in diesem Umfang nicht wieder passieren kann. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus dem Einsatz der OHIOH-App können dazu sicherlich etwas beitragen.

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