Vla­di­mir Sit­ni­kov

"Bis Ber­lin habe ich es nicht ge­schafft"

VLA­DI­MIR SIT­NI­KOV im Ge­spräch mit Lyssa Plo­the

Blei­grau fällt das Kie­ler Herbst­licht durch hohe Alt­bau­fens­ter. Der Be­su­cher fin­det sich wie­der in einem schlich­ten Raum mit hohen De­cken, einem klas­si­schen, höl­zer­nen Schreib­tisch, davor ein ge­müt­li­cher alter Lehn­stuhl. Da­ne­ben Re­ga­le voll mit fla­chen Kis­ten: Künst­ler­bü­cher. Hin­ter den Gäs­ten be­tritt Vla­di­mir Sit­ni­kov den Raum, in der Hand ein Ta­blett. Der Künst­ler bit­tet zu Tee, Kek­sen und zum Ge­spräch. Vla­di­mir Sit­ni­kov er­in­nert, wie alles be­gann – er ist ein lei­ser Mensch.

Unter dem Fens­ter lie­gen Fe­dern auf dem Boden, Stei­ne und Treib­gut, fein­säu­ber­lich sor­tiert auf einer di­cken Un­ter­la­ge. „Das nächs­te Pro­jekt,“ sagt der Künst­ler mit einem Lä­cheln. An den Wän­den fin­den sich Pis­to­len im Pro­fil, grob frei­ge­schnit­ten aus ros­ti­gem Me­tall. Sit­ni­kov hat – wenn man so will – selbst so etwas wie eine ros­ti­ge Ver­gan­gen­heit hin­ter sich. Einst lebte und ar­bei­te­te er in Mos­kau, die Si­tua­ti­on nach der po­li­ti­schen Wende trieb ihn dann hin­aus, der Liebe wegen stran­de­te er im Kie­ler Regen. Der stu­dier­te Buch­ge­stal­ter und Mos­kau­er Kunst­jour­na­list be­gann hier neu: Zu Künst­ler­bü­chern schuf er Ob­jek­te und wid­me­te sich der Ma­le­rei. „Ich be­grei­fe mich als Maler; Bü­cher sind eine Welt, in der ich mich gerne be­fin­de“, er­klärt Sit­ni­kov sein Schaf­fen. Zu den ma­le­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Li­te­ra­ten sei­ner Ju­gend oder sei­nem „Sehn­suchts­ort Ber­lin“ fin­den sich immer wie­der Be­geg­nun­gen der Ge­gen­spie­ler Ost und West: In Kul­tur, Po­li­tik, Prä­gung be­kennt und un­ter­sucht Vla­di­mir Sit­ni­kov mit sei­nem Schaf­fen die Be­geg­nung bei­der Wel­ten.

„Meine Kunst ist nicht vor­ran­gig po­li­tisch.“ Sit­ni­kov sagt das be­stimmt. Je­doch, das fas­zi­nie­ren­de Ge­prä­ge zwei­er Le­bens­wel­ten und deren Ein­fluss­nah­me auf Men­schen, kul­tu­rel­le und po­li­ti­sche Räume - sie las­sen sich nicht ab­strei­ten. Diese Prä­gung, sie ist keine leich­te: Und trotz­dem hat Sit­ni­kovs Wir­ken man­ches Mal den Schalk im Na­cken. Da wer­den li­te­ra­ri­sche Haus­num­mern des Russ­lands der 1940er- und 50er- Jahre neu in­ter­pre­tiert – und im Künst­ler­buch ge­stal­te­risch mit iro­ni­schen Bre­chun­gen ver­se­hen. Da er­schlie­ßt sich dem Be­trach­ter durch die Text-Bild-Kom­po­si­ti­on oft­mals ganz ne­ben­her ein Kom­men­tar zur ge­sell­schaft­li­chen Lage.

Des Künst­lers Wir­ken ent­fal­tet sich zu­rück­ge­nom­men. Oft­mals lie­gen die ver­wen­de­ten Stü­cke, etwa Schall­plat­ten, jahre- oder jahr­zehn­te­lang, bis sie Ver­wen­dung fin­den. Vla­di­mir Sit­ni­kov kann war­ten. Diese Ruhe im Schaf­fen sieht man den Wer­ken an: Sit­ni­kov lässt pas­sie­ren – eine Qua­li­tät, die sich kaum je be­ob­ach­ten lässt in einer Zeit, da der Künst­ler auch gleich­zei­tig in der Welt ste­hen, je­der­zeit Dar­stel­ler und Ver­mark­ter sei­ner Kunst sein soll. Vla­di­mir Sit­ni­kov schafft nicht, um zu zei­gen. Sei­nem Schaf­fen wohnt ein grundin­ne­rer Schöp­fer­drang inne und große Ehr­lich­keit. Die klare For­men­spra­che in Ver­bin­dung mit Le­bens­ernst und wahr­haf­tig be­trie­be­nem Flachs er­zeu­gen eine Wärme und Un­mit­tel­bar­keit, die man sel­ten in einer Kunst fin­det, die große The­men mit sich trägt.

Die Stun­de ist um, zum Ab­schied steht man sich im Flur neben dem Ju­gend­stil-Sofa ge­gen­über. Alles hier atmet Ge­schich­te. Vla­di­mir Sit­ni­kov reicht den Man­tel und dankt für das Ge­spräch. Im Hin­aus­ge­hen bleibt der Ein­druck eines fei­nen Welt­be­ob­ach­ters: Sel­ten war Kunst so po­li­tisch. Nie war Po­li­tik so still.

___

Alle ver­öf­fent­lich­ten Ate­lier­ge­sprä­che und viele wei­te­re Ar­ti­kel über die Kunst auf dem Cam­pus der Fach­hoch­schu­le Kiel, gibt es in der Son­der­aus­ga­be des Cam­pus­ma­ga­zins "viel.​KUNST" nach­zu­le­sen. 

Wenn Sie ein per­sön­li­ches Ex­em­plar des Ma­ga­zins er­hal­ten möch­ten, sen­den Sie uns bitte eine E-Mail an bun­ker-d@​fh-​kiel.​de