Pädagogische Professionalität gegen sexuelle Gewalt: Prävention, Kooperation, Intervention

Juniorprofessur

Die Stärkung und Entwicklung der Professionalität pädagogischer Fachkräfte in Ausbildung, Weiterbildung und Praxis ist eine entscheidende Grundlage für erfolgreiche Prävention und Intervention.

Projektdaten

Laufzeit
Juli 2013 - Juni 2019

Projektverantwortliche
Prof. Dr. Karin Böllert/ Prof. Dr. Ewald Terhart, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Juniorprofessur: Jun.-Prof. Dr. Martin Wazlawik

Kontakt
martin.wazlawik(at)uni-muenster.de

Hintergrund des Projekts

Pädagogische Kontexte sind prinzipiell anfällig für unterschiedliche Formen von Grenzüberschreitungen und sexueller Gewalt. Das bedeutet, dass geeignete Präventions- und Interventionsstrategien entwickelt und implementiert werden müssen, die auf die Kooperation verschiedener Funktionsträger_innen und Professionen angewiesen sind. Dieser Anspruch ist untrennbar verbunden mit der Stärkung pädagogischer Professionalität. Professionalität erschöpft sich nicht darin, über relevantes Wissen zu verfügen, sondern ist auch auf die Entwicklung von professionellen Haltungen angewiesen, und auf die Fähigkeit, das unauflösliche Spannungsverhältnisses von Nähe und Distanz auszubalancieren. Ein wichtiger Ausgangspunkt hierfür besteht in der berufsvorbereitenden Ausbildung, und damit auch in der Hochschullehre, die u.a. von der Münsteraner Juniorprofessur entwickelt und geleistet wird.

Fragestellung

Welche institutionellen und personenbezogenen Faktoren wirken eher prohibitiv gegen mögliche sexuelle Gewalt, welche sind eher begünstigend bzw. gar gefährdend?

Welche Kompetenzen benötigen pädagogische Fachkräfte, um Kinder und Jugendliche gegen sexuelle Gewalt zu stärken, um die Anzeichen bzw. Folgen sexueller Gewalt zu erkennen und Hilfsangebote bereitstellen bzw. vermitteln zu können?

Welche Standards, Strukturen und Inhalte sind für Aus- bzw. Weiterbildungsformate zu erarbeiten, die eine entsprechende Qualifizierung ermöglichen und wie lassen sich diese in bestehende Formate integrieren?

Welche institutionellen und personalen Bedingungen werden benötigt, um die inter-professionelle Zusammenarbeit zwischen den relevanten pädagogischen Berufsgruppen in Bezug auf Prävention von und Hilfe bei bzw. nach sexueller Gewalt erfolgreich zu gestalten?

Studie

In der Arbeitsgruppe wurden zahlreiche Projekte bearbeitet, darunter u.a.: 

 

  • „Sexuelle Gewalt in pädagogischen Einrichtungen - Review von Aufarbeitungsberichten zur Frage nach organisationalen Einflussfaktoren“: Durch ein Systematic Review von Aufarbeitungsberichten werden empirisch fundierte Hypothesen zu organisationalen Einflüssen auf die Entstehung von sexueller Gewalt generiert.
  • „Institutionelle und personale Voraussetzungen für eine gelingende interdisziplinäre Kooperation bei Fällen sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“: Über die Durchführung und Auswertung von Exper_inneninterviews werden strukturelle Bedingungen und personale Kompetenzen ermittelt, die notwendig sind, um bei Fällen sexueller Gewalt erfolgreich zu kooperieren.
  • „Institutionelle Schutzkonzepte in der Schule – Evaluation der Entwicklung von institutionellen Schutzkonzepten und Konzepten zur Gestaltung von „Nähe und Distanz“ (zusätzliche Drittmittel).
  • Weitere Forschungsprojekte befassen sich u.a. mit „Interventionsanlässen und Deutungsweisen pädagogischer Fachkräfte bei sexueller Gewalt“, mit der systemübergreifenden Fallbearbeitung bei Kindesvernachlässigung (Projekt „Konzepte für Kinder“; zusätzliche Drittmittel) sowie mit „Schulsozialarbeit und Kinderschutz: Umsetzungs- und Kooperationsformen.“

 

Ausgewählte Ergebnisse

Aus der Vielzahl von Ergebnissen kann hier nur ein kleiner Ausschnitt präsentiert werden: 

 

  • Das Review von Aufarbeitungsberichten zu sexueller Gewalt in pädagogischen Einrichtungen macht organisationale Bedingung der Entstehung sexueller Gewalt sichtbar: Eine abgeschiedene und unzureichende räumliche Situation von Einrichtungen, eine bedrohliche und kalte Atmosphäre, dysfunktionale Strukturen von Aufsicht und Beschwerdemanagement, unzureichende bzw. fehlgeleitete Dokumentation in Personal- und anderen Akten, ein autoritärer und streng hierarchischer Stil in Personalführung und pädagogischem Umgang, mangelhafte Ausstattung mit und Qualifikation von pädagogischem Personal, fehlender kollegialer Austausch, ausgeprägte Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse, Legitimität von Gewalt als Erziehungsmittel, eine homogenisiernd-negative und objektivierende Perspektive auf Kinder und Jugendliche sowie deren intensive und umfassende Kontrolle.
  • Die Analyse bestehender Konzepte zur Gestaltung von „Nähe und Distanz“ in der Lehrer_innen-Schüler_innen-Interaktion zeigt, dass diese meist wenig elaboriert auf der Setzung „sozialer Normen“ basieren. Deutlich wird, dass der Versuch, Nähe und Distanz in rahmende Konzepte einzubetten, mit einem spezifischen Spannungsfeld einhergeht: Während allgemein gehaltene Normen die Gefahr bergen als Selbstverständlichkeit hingenommen zu werden, besteht bei zu konkret gestalteten Normen die Gefahr, dass sie nicht umgesetzt werden, da sie aufgrund fehlender Praktikabilität abgelehnt und ggf. in der Praxis überformt werden („Compliance-Problem“). Für die Entwicklung institutioneller Schutzkonzepte bedeutet das, dass diese u. a. vom individuellen Engagement und den personalen Eigenschaften der beteiligten Personen, dem Willen der Leitung sowie dem Bewusstsein um die Sinnhaftigkeit präventiver Bemühungen abhängig ist.
  • Die Auswertung von Interviews mit Mitarbeiter_innen von Fachberatungsstellen zu Fragen sexueller Gewalt hat gezeigt, dass fallübergreifende Formen interprofessioneller Zusammenarbeit – etwa in Arbeitskreisen, im Rahmen von Projekten oder Öffentlichkeitsarbeit – eine wichtige Grundlage für fallbezogene Kooperationsformen schaffen kann. Sie ermöglichen es, andere Perspektiven kennenzulernen, Vertrauen zu entwickelt, Wertschätzung zu erfahren und professionelle Übereinkünfte für die weitere Zusammenarbeit zu erreichen. Voraussetzung sind neben individuellem Engagement ausreichende Ressourcen, die entsprechende Teilnahmen ermöglichen.

 

Praxisbezug

  • Spezifische organisationale Risikomerkmale können zur Entstehung bzw. Aufrechterhaltung von sexueller Gewalt in Einrichtungen beitragen.
  • Die Entwicklung und Umsetzung von Schutzkonzepten vor sexueller Gewalt in pädagogischen Einrichtungen erfordert individuelles Engagement und konzeptionelle Sensibilität.
  • Der fallunabhängige fachliche Austausch kann unter positiven Voraussetzungen (interprofessionelle) fallbezogene Kooperation nachhaltig stärken.

 

Publikationen

Veröffentlicht:

Andresen, Sabine; Böllert, Karin; Wazlawik, Martin (Hrsg.) (2016): Aufarbeitung sexueller Gewalt und die Erziehungswissenschaft. Extern herausgegebener Thementeil der Zeitschrift für Pädagogik (ZfPäd). Heft 05/2016.

Bertels, Gesa; Wazlawik, Martin (2013): Jugendliche und Kinder schützen! – Zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Jugendarbeit. Düsseldorf: Verlag Haus Altenberg.

Böllert, Karin; Wazlawik, Martin (Hrsg.) (2014): Sexualisierte Gewalt – Institutionelle und professionelle Herausforderungen. Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Dekker, Arne; Wazlawik, Martin (Hrsg.) (2015): Forschungsethik bei sexueller Gewalt. Herausgeberheft der Zeitschrift für Sexualforschung. Heft 4/2015. Stuttgart: Thieme.

Wazlawik, Martin; Freck Stefan (Hrsg.) (2016): Sexualisierte Gewalt an erwachsenen Schutzbedürftigen. Schutzkonzepte in der Alten-, Kranken- und Wiedereingliederungshilfe. Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften.

In Vorbereitung:

Böllert, Karin; Wazlawik, Martin (Hrsg.): Pädagogische Professionalität und sexuelle Gewalt. Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften. In Arbeit.