Die Zukunft des Fachbereichs - ein fiktives Gespräch mit "Professor Future"

Die Zukunft des Fachbereichs - ein fiktives Gespräch mit "Professor Future"

Sehr geehrter Herr Professor Future, wenn Sie zurück denken an die Pandemie 2020/21. Was waren die einprägsamsten Erlebnisse?
Überrascht hat mich beruflich, dass innerhalb kürzester Zeit alle Kollegen ohne größere Probleme auf Online-Lehre umgestellt hatten und neue Tools nutzten, die viele nie zuvor im Einsatz hatten. Sehr schnell wurden Erfahrungen geteilt und ausgetauscht und so die Effektivität enorm erhöht. Alle fühlten sich in einem Boot, alle zogen an einem Strang.

Anfänglich hatten wir alle den Eindruck, dass die Online-Lehre die gleiche Lehr-Wirksamkeit entfaltete, wie die Präsenzlehre. Nach einiger Zeit mussten wir jedoch feststellen, dass dem leider nicht so war. Offenbar fehlte den Studierenden die soziale Dimension, die es eben auch zum erfolgreichen Lernen braucht.

Leider kam es auch zu Täuschungen bei open-book-Prüfungen und teilweise zur Leistungsvermeidung. Insgesamt konnten wir ein niedrigeres  Involvement vieler Studierenden erleben. Leistungsstarke Studierende kamen besser zurecht als weniger starke, die leider in der Pandemie extrem abfielen und in dieser Zeit schlicht weniger lernten als vor der Pandemie.

Viele Studierende dachten wohl, dass schon das reine Einschalten der Kamera automatisch zum Lernerfolg führen würde oder dass das Downloaden von Videos den selben Effekt erzielen würde wie das frühere Präsenzstudium. Zu spät haben einige von ihnen lernen müssen, dass diese Aktivitäten zu keinerlei Lerneffekt geführt hatten.

Professor Future, wie wird der Fachbereich Wirtschaft in fünf Jahren aussehen?
Sehr ähnlich wie heute. Eine Revolution oder wenigstens eine Evolution der Lehre ist nicht zu erwarten. Wesentliche Innovationsimpulse werden aus Graswurzelbewegungen stammen. Zwar wird es immer mal wieder Veränderungsideen oder Bemühungen dazu geben, diese werden aber zum größten Teil versiegen. An einigen Hochschulen wird es sogar zum Verbot von ZOOM- Konferenzen kommen und der Zwang zur Präsenzveranstaltung nach alter Art wird vorgeschrieben werden. Die LVVO wird im Kern identisch mit der heutigen sein, sie wird nur marginal angepasst werden.

Die Budgets für die staatlichen Hochschulen werden sukzessive verringert werden, aufgrund der eskalierenden Schuldensituation einiger Bundesländer. Dies wird den Mark- und Konkurrenzdruck der Hochschulen erhöhen und deren notwendige aktive Akquise von Studierenden wird zur Standard-Aufgabe der Studiengangleitung werden. Differenzierende Merkmale (KKV/USPs) im Vergleich zu anderen staatlichen, privaten oder rein digital orientierten Hochschulen werden entwickelt werden.

Die Didaktik der Präsenzlehre wird attraktiver werden zum Teil durch die Erfahrungen mit den Remote-Vorlesungen. Vier Stunden lange „Frontal-Vorlesungen“ werden Geschichte. Auch – durchaus unterhaltsame - stundenlange „Vorlesungen“ wird es nicht mehr geben. Die Lehre wird methodischer, inhaltlicher und didaktisch reicher werden. Es wird ein flexibleres Deputats-Abrechnungssystem geben, in dem nicht mehr nur ausschließlich Vorlesungsstunden abgerechnet werden. Beispiel: Eine Vorlesung mit vier Kohorten bedeutet viermal eine gleiche Vorlesung, die viermal gehalten und viermal abgerechnet wird.
Lern-Möglichkeiten sind bereits heute auf öffentlichen Plattformen wie YouTube oder auch bei kommerziellen Lernkursen wie z. B. DataCamp so gut, dass das reine Erarbeiten von Stoff auf externe Plattformen ausgelagert werden kann. Die reine Präsenzlehre in Form von Vorlesungen von Inhalten, die in effektiverer Form im Internet stehen, wird immer mehr an Bedeutung verlieren und das persönliche Coaching - begleitend zu den Inhalten - wird immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Präsenz-Veranstaltungen werden mit neuen interaktiven Ansätzen ausgestattet sein, die durch Online-Veranstaltungen nicht zu ersetzen sind. Insgesamt wird die Lehre qualitativ besser und stärker anwendungsorientiert werden. Auch der Bedarf und die Erwartungen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes werden präziser als heute ermittelt und berücksichtigt werden.

Internationalität, Auslands-Semester und das Erlernen einer zweiten Fremdsprache werden zum Standard.

Hochschulen als Hort der Wissenschaft (Universitäten) oder Hochschulen als reine anwendungsbezogene Dienstleister (Fachhochschulen), diese Unterscheidung wird es nicht mehr geben. Und es wird mehr internationalen Wettbewerb im Bereich der Forschung geben. Frühere Schwellen- oder Entwicklungsländer werden intensiv nachziehen. Das entscheidende Signal wird über die Forschungskompetenz erfolgen. Hochschulen mit dem höchsten Impactstand werden die besten Studierenden bekommen, das meiste Budget erhalten und die besten Kooperationspartner haben.

Kollektive Verantwortungslosigkeit für Modul- oder Studiengänge wird nicht mehr möglich sein. Verantwortliche Professor*innen werden nach Kompetenzen und Fähigkeiten ausgewählt und gegebenenfalls aus der Verantwortung entlassen, wenn sie bestimmte Ziele nicht erreichen. Ziele z.B. = ausreichend Anzahl Studierender für die Studiengänge gewinnen und halten. Die Konsequenz: Erhebliche Qualitätsverbesserung aus Sicht der Studierenden.

Professor Future, und wie wird der Fachbereich Wirtschaft in 25 Jahren aussehen?
In 25 Jahren wird es keine Präsenz- und Kontaktveranstaltungen mehr geben. Intelligente Hologramme halten dann perfekte Vorlesungen mit interaktiven Präsenzelementen. Diese Hologramme können selbstverständlich auch individuell bei den Studierenden zu Hause zum Einsatz kommen und helfen bei Hausarbeiten und interaktiven Trainingseinheiten (die sog. inT-Unit wird erst in 15 Jahren erfunden werden).
Anstelle von „Hörsälen“ wird es „interaktive virtuelle Systemräume“ (ivS) geben und zwar mit Unterstützung interaktiver, intelligenter, sensitiv-materialisierbarer Hologramme (ismH).
Im Jahr 2021 stand das Vermitteln von Just-in-Case-Wissen noch im Vordergrund. Dieses wird vom Just-in-time Wissen verdrängt werden, da nachweislich nur rund 10% des Wissens nach dem Studium gebraucht wird und somit die Vermittlung davon ineffizient ist. Es wird eine Art von Mega-Wikipedia geben, um just-in-time das relevante Wissen zuverlässig abzurufen.

Kreativität gewinnt, im Vergleich zu anderen Kompetenzen und Fähigkeiten, erneut zusätzliche Bedeutung. Wegen der ubiquitären Verbreitung von künstlicher Intelligenz in Kombination mit dem abrufbaren Weltwissen via MEGA-Wikipedia bleibt die Kreativität der Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt.

Wie wichtig es in der Lehre wird, das Kreativitäts-Potenzial der Studierenden zu fördern und wenn möglich auszubilden, zeigt dieses Beispiel:
Die Programmiersprache Python hat nur 20 Befehle. Der Einstieg ist relativ schnell und einfach. Dennoch gibt es gigantische Unterschiede, was Programmierer daraus machen. Selbiges Prinzip gilt für Komponisten und Noten. Der Output, bei gleicher Anzahl von Noten, kann sehr unterschiedlich sein, abhängig von der Kreativität.

Professor Future, wie sieht der Fachbereich Wirtschaft in 100 Jahren aus?
Es wird auch dann noch Hochschulen und Wissenschaftler geben. Technologischer Fortschritt wird großen Einfluss haben. Besonders Schnittstellen zwischen technologischen Quellen und humanoiden Systemen - mit all den manipulativen Gefahren – erhöhen Effizienz und Effektivität in vielen Bereichen. Normal sind dann Schnittstellen zwischen Menschen und Maschinen/Programmen. Der Lernprozess läuft nicht mehr über die Sinnesorgane ab. Das Gehirn wird - anstelle klassischen Lernens - direkt umformatiert. Dies leider immer mit der Gefahr, dass dabei auch
Meinungen und Einstellungen manipuliert werden können. Technisch ist eine direkte Gleichschaltung der Meinungen und Einstellung der Menschen möglich.

Es wird bis dahin die Abschaffung der „Arbeit“ (Arbeit aus der Sicht des Jahres 2021) erreicht sein, nicht aber das Versuchen des Lösens komplexer Probleme. Komplexe, intelligente Maschinen machen die Arbeit von früher teuren Humanressourcen. Sogenannte Kompetenzprüfung (Vermessung des Gehirns bezüglich Kapazitäten und Stärken) findet innerhalb von Sekunden statt. Diese objektiven Messmaßnahmen treten anstelle von Assessment-Center und sog. Intelligenztests an. Dies führt zum quasi-optimalen Einsatz von Humanressourcen.

Isaac Asimov hatte nicht unrecht: Er stellte sich vor, dass für jeden Menschen der Zukunft die Möglichkeit bestehen wird, das zu lernen, was er will, wie er es will und wie schnell er es will. Die Ausbildung werde zu einer Sache des Vergnügens, weil sie aus eigenem Antrieb und nicht durch äußeren Zwang erfolgen werde.

Professor Future, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Text: Matthias Dressler
(veröffentlicht: 25.05.2021-ra)