Ein Mann mit grünem Helm und Warnjacke, schaut in die Kamera.© J. Kös­ter
Auf der Werft ar­bei­tet Tommy Krü­ger vor allem im U-Boot-Bau. An der FH Kiel stu­diert er Elek­tro­tech­nik. Bei­des zu­sam­men ist das IBS.

Büf­feln mit Be­rufs­an­schluss

von viel.-Re­dak­ti­on

Büf­feln mit Be­rufs­an­schluss

von Jan Kös­ter

Große Un­ter­neh­men brau­chen hoch qua­li­fi­zier­te Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter. Doch die wer­den auf dem Ar­beits­markt immer knap­per. Im „In­dus­trie­be­glei­te­ten Stu­di­um (IBS)“ der FH Kiel ar­bei­ten Fir­men und Fach­hoch­schu­le eng zu­sam­men. Den Un­ter­neh­men bringt das pra­xis­er­fah­re­ne Aka­de­mi­ke­rin­nen und Aka­de­mi­ker, die nach dem Stu­di­um nicht erst lange ein­ge­ar­bei­tet wer­den müs­sen. Und auch die Stu­die­ren­den pro­fi­tie­ren vom IBS.

Die Hei­zungs­luft in den In­ge­nieur­bü­ros bei HDW kennt Tommy Krü­ger, Elek­tro­tech­nik­stu­dent an der Fach­hoch­schu­le Kiel, eben­so gut wie den schar­fen Ge­ruch, der beim Schwei­ßen von sehr teu­rem Stahl ent­steht. In der Halle 11 unter dem blau­en 1000-Ton­nen-Por­tal­kran der Kie­ler Werft HDW düns­tet die­ser Ge­ruch aus dem Boden, den Wän­den und jeder Ecke. In der Halle ent­ste­hen Kom­po­nen­ten für U-Boote mit Brenn­stoff­zel­len­an­trieb. Gut mög­lich, dass Tommy Krü­ger in die­sem Be­reich gleich nach dem Be­stehen sei­nes Ba­che­lors ar­bei­ten wird. Zu­min­dest ist ziem­lich si­cher, dass der heute 23-Jäh­ri­ge gleich im An­schluss an sein Stu­di­um einen Job im Thys­sen­Krupp-Kon­zern be­kommt. Der in­ter­na­tio­na­le Werf­ten­ver­bund „Thys­sen­Krupp Ma­ri­ne Sys­tems“, zu dem HDW ge­hört, ist Teil des Kon­zerns.

Im Rah­men des „In­dus­trie­be­glei­te­ten Stu­di­ums (IBS)“ der Fach­hoch­schu­le Kiel ar­bei­tet Tommy Krü­ger neben sei­ner ge­sam­ten Hoch­schul­aus­bil­dung auch be­reits auf der Werft. Dort er­fährt er eine gründ­li­che prak­ti­sche Aus­bil­dung, die sich mit dem theo­re­ti­schen Hör­saal­wis­sen aus der FH zu­sam­men­fügt. Wäh­rend sei­nes sie­ben­se­mest­ri­gen Ba­che­lor­stu­di­ums der Elek­tro­tech­nik hat Tommy Krü­ger einen Aus­bil­dungs­ver­trag mit der Werft, die ihm auch eine mo­nat­li­che Aus­bil­dungs­ver­gü­tung zahlt. Quasi im Ge­gen­zug hat er sich ver­trag­lich ver­pflich­tet, nach sei­nem Ab­schluss zwei Jahre lang für Thys­sen­Krupp zu ar­bei­ten.

Das IBS ist eine stark auf den Ar­beits­markt zu­ge­schnit­te­ne Form der aka­de­mi­schen Aus­bil­dung nach dem Prin­zip des so­ge­nann­ten „pra­xis­in­te­grie­ren­den dua­len Stu­di­ums“. Die Fach­hoch­schu­le Kiel ge­hört zu einer Reihe von Hoch­schu­len, die bun­des­weit in ver­schie­de­nen Fach­be­rei­chen duale Stu­di­en­gän­ge an­bie­ten. Die Zahl der Stu­di­en­plät­ze hängt davon ab, wie viele In­dus­trie­part­ner wie viele Aus­bil­dungs­plät­ze in Ko­ope­ra­ti­on mit Hoch­schu­len be­set­zen wol­len.

Im Ver­gleich zu üb­li­chen Stu­di­en­an­ge­bo­ten ist die Zahl der Plät­ze also eher be­grenzt. Wer sich für ein dua­les Stu­di­um in­ter­es­siert, muss – was den Stu­di­en­ort an­geht – fle­xi­bel sein. Tommy Krü­ger hatte sich bei Fir­men in ganz Deutsch­land be­wor­ben, wie er sagt: „Ich woll­te un­be­dingt so ein dua­les Stu­di­um ma­chen. Am liebs­ten auf einer Werft.“ Ur­sprüng­lich kommt Tommy Krü­ger aus Walow im Mü­ritz­kreis. Er hatte Glück: Bei HDW konn­te er im Aus­wahl­ver­fah­ren über­zeu­gen, jetzt ist er einer von zur­zeit 27 dual Stu­die­ren­den aus ver­schie­de­nen fach­li­chen Be­rei­chen auf der Werft. Neben 16 jun­gen Män­nern und Frau­en von der FH Kiel sind elf wei­te­re von der Nord­aka­de­mie Elms­horn dabei.

Zum IBS, das Tommy Krü­ger ab­sol­viert, ge­hört neben der prak­ti­schen Aus­bil­dung bei HDW ein be­son­ders in­ten­siv be­treu­tes Elek­tro­tech­nik-Stu­di­um mit re­gel­mä­ßi­gen Stu­di­en­fort­schritts­ge­sprä­chen und Se­mes­ter­tref­fen, dazu Tu­to­ri­en in Fä­chern wie Ma­the­ma­tik, Pro­gram­mie­ren oder In­for­ma­tik, die vie­len Stu­die­ren­den Pro­ble­me be­rei­ten. „Dar­über hin­aus bie­tet die FH Se­mi­na­re für die Er­lan­gung so­zia­ler Kom­pe­ten­zen an: Zu Kon­flikt­lö­sun­gen, Ver­hand­lungs­ge­sprä­chen, Ge­sprächs­füh­rung all­ge­mein und zur Zu­sam­men­ar­beit im Team“, er­läu­tert Prof. Dipl.-Ing. Man­fred Fi­scher, der das IBS an der Fach­hoch­schu­le Kiel ko­or­di­niert.

Auch von Sei­ten der Werft wird Tommy Krü­ger in­ten­siv be­treut. In der vor­le­sungs­frei­en Zeit ar­bei­tet er Voll­zeit für HDW, mit ta­rif­li­chen Leis­tun­gen, zu denen neben der mo­nat­li­chen Aus­bil­dungs­ver­gü­tung auch Ur­laub ge­hört. Die Höhe der Be­zah­lung va­ri­iert im IBS je nach Un­ter­neh­men und Aus­bil­dungs­jahr. Wäh­rend der Ba­che­lor­aus­bil­dung kann sie bei bis zu 900 Euro lie­gen.

So­fern es sich mit dem Se­mes­ter­stun­den­plan ver­ein­ba­ren lässt, ar­bei­tet Tommy Krü­ger zu­sätz­lich zur vor­le­sungs­frei­en Zeit einen Tag pro Woche auf der Werft. Das ist aber kein Muss, wie Pa­trick Schmidt, Per­so­nal­ent­wick­ler bei HDW, er­klärt: Wenn zum Bei­spiel Klau­sur­vor­be­rei­tun­gen oder Wahl­mo­du­le an­ste­hen, ge­hö­re eben die ganze Woche dem Stu­di­um. „Das spre­chen wir je­weils mit dem Fach­be­reich und den Stu­die­ren­den ab“, sagt Pa­trick Schmidt.

Auf der Werft ar­bei­tet Tommy Krü­ger über­wie­gend in der U-Boot-Fer­ti­gung. Zur­zeit hat er vor allem mit der Aus­rüs­tung von Kom­po­nen­ten zu tun – mit der Pla­nung der je­wei­li­gen Ak­ti­vi­tä­ten und der Ab­schät­zung des je­weils dafür nö­ti­gen Auf­wands. „Dafür ist viel Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen allen Be­rei­chen nötig“, er­klärt der Wahl-Kie­ler. Der­zeit ar­bei­tet er am Com­pu­ter im Büro eines In­ge­nieur­teams der Werft. Auch in an­de­ren Büros und in den Fer­ti­gungs­hal­len konn­te er schon die Ab­läu­fe im Werft­be­trieb ken­nen ler­nen. Bis heute ist Tommy Krü­ger immer wie­der mal bei tech­nisch-prak­ti­schen Vor­gän­gen in einer der U-Boot-Fer­ti­gungs­hal­len dabei. „Wenn es um etwas In­ter­es­san­tes wie den Ein­bau von Aus­fahr­ge­rä­ten geht, dann mache ich da mal mit“, sagt er. Was das IBS vor allem aus­macht, ist die enge Ver­zah­nung von theo­re­ti­scher und prak­ti­scher Aus­bil­dung. Es ge­hört an der FH Kiel zum Kon­zept, dass die IBS-Stu­die­ren­den im Be­trieb auf Pro­blem­stel­lun­gen sto­ßen, die sie an der Fach­hoch­schu­le theo­rie­be­zo­gen auf­be­rei­ten kön­nen. Tommy Krü­ger er­lebt die da­durch ent­ste­hen­de Nähe von „grau­er Theo­rie“ und Pra­xis als mo­ti­vie­rend: „So weiß ich, wofür ich im Stu­di­um etwas lerne“, sagt er.

Seit mitt­ler­wei­le gut neun Jah­ren bie­tet die FH Kiel das IBS in den Fach­be­rei­chen Ma­schi­nen­we­sen sowie In­for­ma­tik und Elek­tro­tech­nik an. Ins­ge­samt 15 Un­ter­neh­men aus Schles­wig-Hol­stein und Ham­burg ko­ope­rie­ren zur­zeit mit der Fach­hoch­schu­le. Neben HDW ge­hö­ren dazu unter an­de­rem das Me­di­zin­tech­nik­un­ter­neh­men Stry­ker, der Che­mie­kon­zern Dow, der Kie­ler Ma­schi­nen­bau­er J. P. Sauer & Sohn und die Ge­bäu­de­ma­nage­ment Schles­wig-Hol­stein GmbH (GMSH).

Zu den Zie­len der FH Kiel ge­hört es, in den kom­men­den Jah­ren die Zahl der jetzt 50 IBS-Plät­ze zu er­hö­hen. Auf der Suche nach wei­te­ren Part­ner­un­ter­neh­men kann die Fach­hoch­schu­le unter an­de­rem damit punk­ten, dass sie als Part­ne­rin in einem dua­len Stu­di­um in fi­nan­zi­el­ler Hin­sicht prak­tisch ein Schnäpp­chen ist. Denn wäh­rend in­ter­es­sier­te Fir­men bei vie­len dua­len Stu­di­en­mo­del­len mit an­de­ren Part­nern hohe Kos­ten hät­ten, weil sie den ge­sam­ten Lehr­be­trieb fi­nan­zie­ren müss­ten, ist das IBS an der FH Kiel für sie ver­gleichs­wei­se güns­tig: Neben der in­ner­be­trieb­lich an­fal­len­den Aus­bil­dungs­ver­gü­tung zahlt das Un­ter­neh­men an die FH Kiel nur eine Ge­bühr, mit der vor allem die Ex­tras fi­nan­ziert wer­den, durch die sich ein IBS von einem nor­ma­len Stu­di­um un­ter­schei­det – die Se­mi­na­re für so­zia­le Kom­pe­ten­zen zum Bei­spiel.

HDW-Per­so­nal­ent­wick­ler Pa­trick Schmidt ist vom Kon­zept über­zeugt – trotz IBS-Ge­bühr und ob­wohl IBS-Stu­die­ren­de wäh­rend der Aus­bil­dung weit­aus we­ni­ger pro­duk­ti­ve Zeit im Un­ter­neh­men ar­bei­ten als re­gu­lä­re Aus­zu­bil­den­de. Für ihn zählt, was am Ende dabei her­aus­kommt: Wis­sen­schaft­lich ge­schul­tes Per­so­nal mit in­ter­na­tio­nal an­er­kann­tem Ab­schluss, das die Pra­xis kennt und in die Ab­läu­fe des Un­ter­neh­mens be­reits ein­ge­ar­bei­tet ist. HDW hat be­reits 1999 damit be­gon­nen, in duale Aus­bil­dun­gen zu in­ves­tie­ren und baut die Zahl sei­ner dual Stu­die­ren­den seit­her ste­tig aus. Für Pa­trick Schmidt ist das vor dem Hin­ter­grund des sich immer deut­li­cher ab­zeich­nen­den künf­ti­gen Fach­kräf­te­man­gels genau die rich­ti­ge Stra­te­gie: „Ge­ra­de jetzt, wo die de­mo­gra­fi­sche Ent­wick­lung wie ein Da­mo­kles­schwert über uns hängt, ist das sinn­voll.“

 

© Fach­hoch­schu­le Kiel