Aufnahme einer Pressekonferenz, an einem Tisch an der Stirnseite sitzen zwei Männer und eine Frau. Seitlich davon ein Reporter mit einem Mikrofon    © Diakonie/J. Czok
Pressegespräch zur Studie "Armut in Schleswig-Holstein" der FH Kiel und Diakonie SH.

Diakonie SH und FH Kiel präsentieren Studie zu Armut in Schleswig-Holstein

von Friedrich Keller/Frauke Schäfer

Menschen in Armut benötigen Hilfs- und Beratungsangebote, die sich stärker an ihren tatsächlichen Bedürfnissen orientieren und einfacher zugänglich sind. Außerdem darf es zu keinen Einsparungen bei diesen Angeboten kommen. Das folgt aus der Studie „Armut in Schleswig-Holstein“ der Diakonie Schleswig-Holstein und der Fachhochschule (FH) Kiel. Die gemeinsame Studie macht konkrete Lebensgeschichten von armen Menschen im Norden sichtbar. Im Rahmen eines Symposiums heute (8.11.2023) an der Fachhochschule Kiel wurde die Studie vorgestellt und diskutiert. Mit dabei waren Vertreterinnen und Vertreter aus Wohlfahrt, Wissenschaft und Politik.

Im nördlichsten Bundesland waren laut dem Statistikportal des Bundes 2021 knapp 15,6 Prozent der Menschen von Armut betroffen oder gefährdet. Dazu zählen all diejenigen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Für die Studie „Armut in Schleswig-Holstein“ befragten die Forschenden der FH Kiel 20 Menschen in Armut in ausführlichen Interviews. Zusätzlich veranstalteten sie mit den Teilnehmenden Diskussionsrunden. Anschließend werteten die Forschenden die Antworten nach wissenschaftlichen Kriterien aus.

Die meisten Interviewten schilderten, dass biografische Brüche ihre Lebenssituation verschlechtert haben. Dazu gehörten der Verlust des Arbeitsplatzes, ein Job bedingter Wohnortwechsel, eigene Krankheiten oder Erkrankungen naher Angehöriger, der Verlust von Wohnraum sowie Trennungen oder Scheidungen. Strukturelle Umstände verstärkten diese Brüche: So können Alleinerziehende trotz einer guten Ausbildung nur in Teilzeit arbeiten, wenn es keine ausreichenden Ganztagsangebote für ihre Kinder gibt. Andere hatten aufgrund ihrer sozialen Herkunft als Jugendliche schlechtere Bildungschancen und daher später eher schlecht bezahlte Jobs. Hinzu kommen vom Strukturwandel bedingte Arbeitsplatzverluste sowie die vielen prekären Beschäftigungsverhältnisse etwa im Dienstleistungssektor.

Das Leben in Armut ist bei vielen Befragten mit großer Scham verbunden, die sie teilweise daran hindert, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus berichteten die Betroffenen über in ihren Augen bestehende Defizite bei den Beratungs- und Hilfsangeboten. So fehlten bei den Behörden immer wieder die fachlichen Grundlagen, um Armutslagen richtig einordnen zu können. Der Zugang zu Unterstützungsleistungen sei sehr bürokratisch und kompliziert. Es fehle zum Teil aber auch an gut zugänglichen begleitenden Beratungsangeboten. Gerade auf dem Land seien zum Beispiel Einrichtungen der Sozialberatung, Wohnungslosenhilfe und Schuldnerberatung angesichts mangelnder Mobilitätsangebote (ÖPNV) und eingeschränkter Öffnungszeiten schwer erreichbar. Die Befragten berichteten zudem, dass Mitarbeitende von Behörden teils würdelos mit ihnen umgegangen sind.

Vor diesem Hintergrund müssen aus Sicht der Diakonie die Beratungsangebote andauernd und auskömmlich finanziert werden; auf keinen Fall darf es in diesem Bereich zu Einsparungen kommen. Das würde die schon jetzt angespannte Lage in den Einrichtungen, die durch den Fachkräftemangel und teilweise nicht ausreichende Finanzierung verursacht wird, weiter verschärfen. Gleichzeitig sollten die Beratungsstellen ihre Erreichbarkeit und Öffnungszeiten im Dialog mit Betroffenen anpassen oder zunehmend auch mobile Angebote in den Blick nehmen. Ein stärkerer Dialog mit den Hilfesuchenden sei auch für Jobcenter und andere Behörden wünschenswert, etwa in Form von Beiräten. So könnten Menschen in Armut als Expert*innen in eigener Sache ernst genommen werden.

„Die Studie ermöglicht uns einen Blick in die persönlichen Lebensumstände von Menschen in Armut, jenseits der statistischen Erhebungen“, sagt Prof. Dr. Kim Bräuer, eine der Autor*innen. „Die biografischen Interviews gehen in die Tiefe, nicht in die Breite und lassen Raum für die jeweils eigene Erzähl- und emotionale Darstellungsweise. Somit können wir besser nachvollziehen, was Armut für die Menschen tatsächlich bedeutet und wie sie damit umgehen.“

„Die Würde des Menschen ist unantastbar, so steht es im Grundgesetz“, sagt Landespastor und Diakonievorstand Heiko Naß. „Menschen in Armut fühlen sich aber in ihrer Würde angetastet, weil sie ständig um ihre Existenz bangen müssen. Die Studie ermöglicht nun einen eindrucksvollen Einblick in die Lebenssituation der Betroffenen, vor allem, weil sie selbst zu Wort kommen. Und sie verdeutlicht: Unserer reichen Gesellschaft muss es endlich gelingen, dass alle Menschen würdevoll leben können. Dazu benötigen wir ein ausreichend berechnetes Existenzminimum, gerechte Löhne, eine gut ausgestattete Kindergrundsicherung und bezahlbaren Wohnraum. Außerdem müssen die Hilfs- und Beratungsangebote noch besser an die Bedürfnisse der Menschen in Armut angepasst werden und wir sollten eine Kultur des würdevollen Umgangs pflegen.“

Schleswig-Holsteins Sozialstaatssekretär Johannes Albig: „Schleswig-Holstein ist ein sozial starkes Land. Dennoch leben auch hier Menschen in Armut. Pro Legislatur gibt es eine Sozialberichterstattung des Landes, die hierüber Klarheit schaffen soll. Die nächste wird den Schwerpunkt Kinderarmut haben, weil das Thema extrem wichtig ist. Wir veranstalten im nächsten Jahr außerdem eine Kinderarmutskonferenz. Der Schwerpunkt ergibt sich aus der Notwendigkeit, Armut schon bei den Kleinsten möglichst zu verhindern oder ihnen einen Weg hinaus ebnen zu können. Die Perspektiven derer, die von Armut betroffen sind, sind entscheidend und diese beziehen wir auch in der Sozialberichterstattung ein, aber auch beim Erarbeiten neuer politischer Ideen. Deshalb sind Ministerin Touré und ich als Staatssekretär seit Februar 2023 unter der Überschrift ‚Schleswig-Holstein. Sozial. Stark.‘ unterwegs. Dabei treffen wir Menschen, die statistisch leider besonders von Armut betroffen sind: Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Alleinerziehende, Rentnerinnen und Rentner, Menschen, deren Biografien Brüche aufweisen. Die hier vorgestellte Studie liefert uns als Sozialministerium wichtige Impulse für unseren Anspruch, Armut auch aus landespolitischer Perspektive zu begegnen.“

 

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