Prof. Dr. Holger Thiele (links) und Prof. Dr. Torben Tiedemann© G. Krü­ger
Prof. Dr. Hol­ger Thie­le (links) und Prof. Dr. Tor­ben Tie­de­mann haben die Aus­wir­kun­gen der ge­plan­ten Fest­prei­se auf die Milch­wirt­schaft ana­ly­siert

Fach­leu­te der FH Kiel und des ife In­sti­tuts Kiel kri­ti­sie­ren ge­plan­te Än­de­run­gen der Milch­lie­fer­ver­trä­ge

von Frau­ke Schä­fer

Das Bun­des­land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um (BMEL) plant einen tief­grei­fen­den Ein­griff in die Milch­wirt­schaft: eine ver­bind­li­che Re­ge­lung für Prei­se und Lie­fer­men­gen zwi­schen Mol­ke­rei­en und Milch­bau­ern. Davon er­hofft sich die Po­li­tik eine hö­he­re Preis­sta­bi­li­tät und Stär­kung der Roh­milch­pro­du­zent*innen. Erste Er­geb­nis­se einer ak­tu­el­len Stu­die der Fach­hoch­schu­le (FH) Kiel und des ife In­sti­tuts Kiel im Rah­men des län­ger lau­fen­den FH-For­schungs­pro­jek­tes „Zu­kunft der Milch­lie­fer­ver­trä­ge“stel­len die Ef­fek­ti­vi­tät und Not­wen­dig­keit die­ses Ein­griffs in­fra­ge. An­statt die Milch­er­zeu­ger*innen zu stär­ken, könn­te die Neu­re­ge­lung deren Si­tua­ti­on ver­schlech­tern und zu einer Ver­drän­gung klei­ne­rer Milch­be­trie­be füh­ren.

Die Lage für Milch­er­zeu­ger*innen ist seit Jah­ren an­ge­spannt. Sie sind so­wohl mit stei­gen­den Kos­ten als auch mit un­si­che­ren und oft un­zu­rei­chen­den Prei­sen kon­fron­tiert. Mit einem Vier-Punk­te-Plan möch­te das Bun­des­land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um (BMEL) die Si­tua­ti­on der Milch­bau­ern in Deutsch­land ver­bes­sern. Neben der För­de­rung nach­hal­ti­ger Prak­ti­ken und der Un­ter­stüt­zung re­gio­na­ler Wert­schöp­fungs­ket­ten soll vor allem die Markt­po­si­ti­on der Milch­er­zeu­ger*innen ge­stärkt wer­den. Ge­plant ist, dass in Zu­kunft Mol­ke­rei­en Roh­milch­lie­fe­rant*innen ein schrift­li­ches Ver­trags­an­ge­bot für 80 Pro­zent ihrer künf­ti­gen Lie­fe­rung ma­chen. Laut der Stu­die von der Fach­hoch­schu­le Kiel und dem ife In­sti­tut könn­te der staat­li­che Ein­griff je­doch zu un­er­wünsch­ten Ne­ben­wir­kun­gen füh­ren.

Preis­schwan­kun­gen haben zu­ge­nom­men

Die Stu­die be­stä­tigt die hohe Vo­la­ti­li­tät auf dem Milch­markt: Zwi­schen 2017 und 2024 schwank­ten die Milch­prei­se um 29 Cent pro Ki­lo­gramm – ein deut­li­cher An­stieg ge­gen­über den Schwan­kun­gen von 8,6 Cent in den Jah­ren 2001 bis 2006. Mehr Ri­si­ko­ma­nage­ment sei zwar er­for­der­lich, die vor­ge­schla­ge­ne Ver­trags­ge­stal­tung eigne sich aber nicht dafür, er­klärt Prof. Dr. Tor­ben Tie­de­mann von der FH Kiel. „Wir haben die wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en zu Lie­fer­be­zie­hun­gen im Milch­markt ana­ly­siert und den be­trächt­li­chen Ein­fluss der in­ter­na­tio­na­len Prei­se auf die deut­schen Milch­prei­se be­rück­sich­tigt. Tat­säch­lich gibt es keine aus­rei­chen­den Grün­de, die den staat­li­chen Ein­griff in die Ver­trags­be­zie­hun­gen recht­fer­ti­gen“, so der Pro­fes­sor für Agrar­öko­no­mie.

Fest­prei­se füh­ren zu sin­ken­den Er­zeu­ger­prei­sen

Die Kie­ler For­scher*innen ana­ly­sie­ren in ihrer Stu­die zwei mög­li­che Fest­preis­mo­del­le: Fest­prei­se ohne und mit Ter­min­ge­schäf­ten. Pro­gno­se­ba­sier­te Fest­prei­se ohne Ab­si­che­rung, so die Fach­leu­te, wür­den zwangs­läu­fig einen Preis­ab­schlag er­for­dern. Die Si­mu­la­ti­ons­rech­nun­gen zei­gen, dass für das Jahr 2024 ein Milch­preis von 42 Cent/kg er­war­tet wer­den kann. Auf­grund der Un­si­cher­heit der Pro­gno­se müss­ten Mol­ke­rei­en aber einen Ri­si­ko­ab­schlag von 7 Cent be­rück­sich­ti­gen, die Milch­er­zeu­ger wür­den also nur 35 Cent pro Ki­lo­gramm er­hal­ten. Be­trü­ge der Milch­preis spä­ter tat­säch­lich 42 Cent, be­kä­men die Milch­er­zeu­ger*innen den Dif­fe­renz­be­trag nach Ab­lauf der Preis­bin­dung er­stat­tet. „Laut un­se­rer Ana­ly­se könn­ten diese Nach­zah­lun­gen in Deutsch­land ins­ge­samt etwa 881 Mil­lio­nen Euro be­tra­gen“, er­klärt Prof. Tie­de­mann. „Zudem könn­ten auf die Milch­er­zeu­ger*innen durch den Preis­ab­schlag zu­sätz­li­che Zins­kos­ten von rund 24 Mil­lio­nen Euro zu­kom­men. Der ef­fek­ti­ve Milch­preis würde also wei­ter sin­ken.“

Milch­er­zeu­ger*innen pro­fi­tie­ren nicht von ge­plan­ter Neu­re­ge­lung

Wären also Fest­preis­an­ge­bo­te, die al­lein auf Ter­min­markt­ge­schäf­ten ba­sie­ren, eine Lö­sung? Nein, sagen die Autor*innen. Denn die Ana­ly­se zeigt, dass deren Fol­ge­kos­ten oft un­ter­schätzt wür­den. Wür­den Fest­prei­se für 80 Pro­zent der ge­lie­fer­ten Milch an­ge­bo­ten, könn­ten Ab­si­che­rungs­kos­ten zwi­schen 63 und 151 Mil­lio­nen Euro ent­ste­hen. Im Durch­schnitt könn­ten also etwa 100 Mil­lio­nen Euro zu­sätz­li­che Kos­ten auf die Bran­che zu­kom­men. In ihrer Ana­ly­se gehen die Stu­di­en­au­tor*innen davon aus, dass diese nicht an die Kon­su­ment*innen wei­ter­ge­ge­ben wer­den. „Die Kon­su­ment*innen sind sehr preis­sen­si­bel und ak­zep­tie­ren Preis­auf­schlä­ge nur in ge­rin­gem Maß, selbst bei mehr Tier­wohl“, er­klärt Prof. Dr. Hol­ger Thie­le von der FH Kiel. „Wir müs­sen also davon aus­ge­hen, dass die hö­he­ren Kos­ten zu nied­ri­ge­ren Grund­prei­sen für die Roh­milch füh­ren, die Milch­er­zeu­ger*innen also we­ni­ger Geld für ihre Milch er­hal­ten.“

Mög­li­che Aus­wir­kun­gen auf Mol­ke­rei­en und den Struk­tur­wan­del

Ins­ge­samt zeigt die Ana­ly­se, dass eine Fest­le­gung von Prei­sen zu er­heb­li­chen Ab­schlä­gen füh­ren würde, ent­we­der durch Ri­si­ko­prei­se oder durch die Kos­ten für die Ab­si­che­rung an den Märk­ten. An­stel­le einer Stär­kung der Milch­er­zeu­ger*innen könn­ten die Pläne des BMEL in ihrer jet­zi­gen Form also zu einer Ver­schlech­te­rung der Si­tua­ti­on der Er­zeu­ger*innen füh­ren. Neben den fi­nan­zi­el­len Be­las­tun­gen könn­te die Neu­re­ge­lung einen Struk­tur­wan­del bei den Mol­ke­rei­en ver­stär­ken. Be­son­ders klei­ne­re und ab­ge­le­ge­ne Be­trie­be, die auf so­li­da­ri­sche Ge­nos­sen­schafts­mo­del­le an­ge­wie­sen sind, könn­ten durch in­di­vi­du­el­le Fest­prei­se be­nach­tei­ligt wer­den. „Auf Basis un­se­rer bis­he­ri­gen Er­geb­nis­se plä­die­ren wir dafür, von um­fang­rei­chen Ver­pflich­tun­gen zu Fest­preis­ver­trä­gen mit fes­ten Lie­fer­men­gen Ab­stand zu neh­men und statt­des­sen markt­ori­en­tier­te Ei­gen­lö­sun­gen im Ri­si­ko­ma­nage­ment zu för­dern“, so Prof. Thie­le.

Stär­kung der Ei­gen­ver­ant­wor­tung an­stel­le staat­li­cher Ein­grif­fe

An­stel­le staat­li­cher Ein­grif­fe emp­feh­len die Kie­ler Milch­markt­ex­pert*innen eine Stär­kung der Ei­gen­ver­ant­wor­tung der Milch­er­zeu­ger*innen. „Die Po­li­tik könn­te auf be­reits be­währ­te Preis­si­che­rungs­sys­te­me zu­rück­grei­fen und diese fi­nan­zi­ell un­ter­stüt­zen“, er­klärt Agrar­öko­nom Thie­le. „In den USA sind so­ge­nann­te Op­ti­ons­prä­mi­en Teil des Ri­si­ko­ma­nage­ments. Milch­er­zeu­ger*innen kön­nen sich gegen Preis­schwan­kun­gen ab­si­chern, indem sie das Recht er­wer­ben, Milch zu einem be­stimm­ten Preis zu ver­kau­fen oder zu kau­fen. Au­ßer­dem brau­chen wir in Deutsch­land Fi­nanz­in­sti­tu­te, die Ter­min­markt­kon­ten für Milch­er­zeu­ger be­reit­stel­len. Dies könn­te die An­pas­sungs­fä­hig­keit an Markt­ri­si­ken er­heb­lich ver­bes­sern.“ Da­ne­ben könn­ten be­reits be­stehen­de, frei­wil­li­ge Fest­preis­sys­te­me ge­stärkt wer­den. Schon jetzt bie­ten Mol­ke­rei­en bör­sen­ba­sier­te Fest­preis­sys­te­me an, die Land­wirt*innen hel­fen, einen sta­bi­len Preis für ihre Milch zu er­hal­ten. Die Fi­nan­zie­rung der Si­cher­heits­leis­tun­gen könn­te staat­li­cher­seits un­ter­stützt wer­den. Denk­bar, so die Kie­ler Agrar­öko­no­men, wäre in die­sem Zu­sam­men­hang auch die Ver­ga­be von Bürg­schaf­ten.

Die Stu­die kann unter fol­gen­dem Link her­un­ter­ge­la­den wer­den: https://​www.​fh-​kiel.​de/​fileadmin/​data/​presse/​fh-​ife-​studie_​art148__​okt2024.​pdf

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