Eine Gruppe steht zwischen zwei Rettungswagen.© RKiSH
Das Pro­jekt­team beim Be­such der In­te­grier­ten Re­gio­nal­leit­stel­le Mitte in Kiel.

FH-Stu­die­ren­de pro­gnos­ti­zie­ren Ein­satz­zah­len für Ret­tungs­dienst-Ko­ope­ra­ti­on in Schles­wig-Hol­stein

von Frau­ke Schä­fer

Die Fach­hoch­schu­le (FH) Kiel und die Ret­tungs­dienst-Ko­ope­ra­ti­on in Schles­wig-Hol­stein (RKiSH) gGmbH haben ihr Pro­jekt „Pro­gno­se 2040“ er­folg­reich ab­ge­schlos­sen. Der Trend einer stei­gen­den Nach­fra­ge nach Not­fall­ret­tungs­mit­teln setzt sich fort. Für die kom­men­den 15 Jahre pro­gnos­ti­zie­ren die Stu­die­ren­den eine er­neu­te Stei­ge­rung der Ein­sät­ze um über 50 Pro­zent. Ein neu ent­wi­ckel­tes Tool un­ter­stützt von jetzt an die RKiSH bei ihren stra­te­gi­schen Un­ter­neh­mens­pla­nun­gen.

Be­reits im ver­gan­ge­nen Win­ter­se­mes­ter star­te­ten die RKiSH und die FH Kiel ihr Pro­jekt: Unter der Lei­tung von Prof. Dr. Se­bas­ti­an Kau­manns ana­ly­sier­ten Stu­die­ren­de des Fach­be­reichs Wirt­schaft mehr als zwei Mil­lio­nen Da­ten­sät­ze zu ret­tungs­dienst­li­chen Ein­sät­zen der ver­gan­ge­nen zehn Jahre. An­schlie­ßend ver­rech­ne­ten die Stu­die­ren­den die Daten mit der Be­völ­ke­rungs­pro­gno­se des sta­tis­ti­schen Bun­des­am­tes.

Zu­nah­me äl­te­rer Pa­ti­en­ten und stei­gen­der Ein­satz­be­darf

Die ers­ten Er­kennt­nis­se der FH-Kiel-Ana­ly­se sind ein­deu­tig: Der An­teil der äl­te­ren Pa­ti­en­ten wird bis 2040 wei­ter stei­gen und die Al­ters­grup­pen zwi­schen 70 und 90 Jah­ren wer­den mehr als die Hälf­te aller Ret­tungs­dienst­ein­sät­ze aus­ma­chen. Wenn sich die Ein­satz­ent­wick­lung kon­ti­nu­ier­lich fort­setzt und sich die heu­ti­gen Rah­men­be­din­gun­gen nicht än­dern, ist mit einer deut­li­chen Stei­ge­rung zu rech­nen: Bis 2040 muss die RKiSH von 350.000 bis zu 400.000 Alar­mie­run­gen jähr­lich rech­nen, 2023 waren es noch 248.000 Ein­sät­ze. „Eine Per­son zwi­schen 90 und 95 Jah­ren be­nö­tigt durch­schnitt­lich sechs­mal häu­fi­ger den Ret­tungs­dienst als eine Per­son zwi­schen 70 und 75 Jah­ren“, er­klärt Prof. Dr. Se­bas­ti­an Kau­manns von der FH Kiel.

Neues Pro­gno­se­tool für stra­te­gi­sche Un­ter­neh­mens­pla­nung
 

Die ers­ten Pro­gno­sen ve­ri­fi­zier­te eine Stu­den­tin in ihrer Ba­che­lor­the­sis mit einer fun­dier­ten Un­ter­su­chung. Au­ßer­dem ent­warf sie ein wis­sen­schaft­li­ches Pro­gno­se­tool, das eine Neu­kal­ku­la­ti­on der Ein­satz­hoch­rech­nung mit ak­tua­li­sier­ten Daten und ver­än­der­ten Pa­ra­me­tern er­mög­licht. Das neue Pro­gno­se­tool soll eine lau­fen­de Un­ter­stüt­zung für die Un­ter­neh­mens­lei­tung der RKiSH in stra­te­gi­schen Fra­ge­stel­lun­gen wer­den. „Die Er­geb­nis­se be­ein­dru­cken uns au­ßer­or­dent­lich und un­ter­strei­chen un­se­re bis­he­ri­gen stra­te­gi­schen Maß­nah­men“, hob RKiSH-Ge­schäfts­füh­rer Mi­cha­el Reis her­vor. „Die Zah­len be­deu­ten eine enor­me Her­aus­for­de­rung für die RKiSH, denn schon heute gibt es einen stark spür­ba­ren Fach­kräf­te­man­gel im Ge­sund­heits­we­sen.“ Die RKiSH stehe vor der Auf­ga­be, ihre Ka­pa­zi­tä­ten – von Ret­tungs­wa­chen über Fahr­zeu­ge bis hin zum Per­so­nal – so aus­zu­bau­en, dass die stei­gen­de Ein­satz­men­ge wei­ter­hin ge­set­zes­kon­form ab­ge­deckt wer­den kann, so Reis. In Schles­wig-Hol­stein liegt die ge­setz­li­che Hilfs­frist bei zwölf Mi­nu­ten, und die RKiSH stre­be eine Si­cher­stel­lung die­ser Vor­ga­be an. Zudem hebt Reis die Be­deu­tung einer Re­form des Ret­tungs­we­sens her­vor, wie sie be­reits bun­des­weit dis­ku­tiert wird. „Der Schlüs­sel heißt Dif­fe­ren­zie­rung des Ret­tungs­we­sens und be­deu­tet, zu jedem Ein­satz genau die Res­sour­ce zu ent­sen­den, die für den kon­kre­ten Pa­ti­en­ten­fall er­for­der­lich ist“, er­klär­te Mi­cha­el Reis den schon seit Jah­ren in der RKiSH pro­pa­gier­ten An­satz. „Das muss in vie­len Fäl­len kein not­arzt­be­glei­te­ter In­ten­siv­trans­port in eine Spe­zi­al­kli­nik sein, manch­mal reicht eine fach­li­che am­bu­lan­te Ab­klä­rung.“

Struk­tu­rel­le Ur­sa­chen des Ein­satz­an­stiegs

Durch die Ba­che­lor­ar­beit wurde noch­mal wis­sen­schaft­lich un­ter­mau­ert: Nur rund ein Drit­tel der zu­sätz­li­chen Ein­sät­ze bis 2040 sind rein de­mo­gra­fisch und somit vom Pa­ti­en­ten­al­ter be­grün­det. Zwei Drit­tel des Wachs­tums haben einen struk­tu­rel­len Hin­ter­grund: Die Men­schen wen­den sich an den Ret­tungs­dienst aus Er­man­ge­lung von Al­ter­na­ti­ven. „Die Men­schen rufen den Ret­tungs­dienst häu­fi­ger als frü­her. Wir kön­nen zwar nur einen Zeit­raum von acht Jah­ren rück­wir­kend über­bli­cken, der auch die Co­ro­na-Pan­de­mie ein­schlie­ßt“, räumt Kau­manns ein. „Doch wenn wir davon aus­ge­hen, dass die­ser Trend an­hält, wird das ver­än­der­te Nut­zungs­ver­hal­ten der Men­schen sogar einen grö­ße­ren Ef­fekt auf die Ein­satz­zah­len haben als die Al­te­rung der Be­völ­ke­rung.“ Und hier gelte es an­zu­set­zen, fügt RKiSH-Ge­schäfts­füh­rer Mi­cha­el Reis hinzu: „Diese Nach­fra­ge­menge kann ge­stal­tet wer­den. Die RKiSH ist auf jeden Fall be­reit für eine Re­form des Ret­tungs­we­sens und hebt die in­ten­si­ve po­li­ti­sche De­bat­te hier­zu mit der Stu­die ‚Pro­gno­se 2040‘ auf eine neue Dis­kus­si­ons- und Ge­stal­tungs­ebe­ne.“

Hin­ter­grund
„Pro­gno­se 2040“ ist nicht das erste ge­mein­sa­me Pro­jekt der Ko­ope­ra­ti­ons­part­ner. 2015 be­fass­ten sich erst­mals Stu­die­ren­de des Fach­be­reichs Wirt­schaft der FH Kiel mit den Her­aus­for­de­run­gen des de­mo­gra­phi­schen Wan­dels ins­be­son­de­re für Un­ter­neh­men im Ge­sund­heits­we­sen. Unter der Lei­tung des heu­ti­gen FH-Kiel-Prä­si­den­ten Prof. Dr. Björn Chris­ten­sen ent­stan­den erste Pro­gno­se­tools für die RKiSH.

 

 

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