Person mit Rucksack blickt in die gebirgige Landschaft© Pri­vat

„Ich muss­te die Not­brem­se zie­hen“

von Julia Kö­nigs

Ab­so­lu­te Stil­le. Keine Brise, kein Vo­gel­zwit­schern. Keine Men­schen, keine Autos, kein städ­ti­scher Lärm. Gibt es einen sol­chen Ort über­haupt noch? 

Es­ther Ma­ra­ke, Stu­den­tin im Mas­ter An­ge­wand­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft am Fach­be­reich Me­di­en der FH Kiel, hat ge­fun­den, was viele Men­schen in un­se­rer über­füll­ten, hek­ti­schen Welt su­chen. Drei Wo­chen lang hat sie ihren All­tag gegen den Ca­mi­no Pri­mi­ti­vo in Spa­ni­en ein­ge­tauscht.  

Der Ca­mi­no Pri­mi­ti­vo gilt als Ge­heim­tipp unter den Ja­kobs­we­gen, da nur rund vier Pro­zent aller Pil­ger*innen ihn wäh­len. Mit 330 Ki­lo­me­tern Länge und dem Ruf, der schwers­te der Pil­ger­pfa­de zu sein, be­zeich­net man ihn auch als Exo­ten unter den Ja­kobs­we­gen. Von Ovie­do über Grado, Bor­res, Fon­sagra­da, Balei­ra und Arzùa geht es bis nach San­tia­go de Com­pos­te­la. 

Rund drei Wo­chen Zeit soll­te man ein­pla­nen, um die täg­lich wech­seln­den Hö­hen­me­ter zu­rück­zu­le­gen, die über di­ver­se Berg­ket­ten, durch Täler und über Ge­röll füh­ren. Ei­gent­lich kein Wan­der­weg, den An­fän­ger*innen wäh­len soll­ten. 

Doch die kör­per­li­chen und men­ta­len Stra­pa­zen loh­nen sich: Kei­ner der Pil­ger­we­ge in Spa­ni­en kann mit so viel ur­sprüng­li­cher Natur auf­war­ten, wie der Ca­mi­no Pri­mi­ti­vo. Fas­zi­nie­ren­de Wol­ken­spie­le di­rekt in den Berg­gip­feln, un­be­rühr­te Na­tur­pfa­de. Ruhe. Stil­le. Zeit. 

Im In­ter­view mit Julia Kö­nigs aus der viel.-Re­dak­ti­on be­rich­tet Es­ther, warum sie zu ihrer ein­ma­li­gen Reise auf­bracht, wie sie es ohne Wan­de­r­er­fah­rung ge­schafft hat, in zwölf Tagen von Ovie­do nach San­tia­go de Com­pos­te­la zu lau­fen und wel­che Lek­tio­nen sie ge­lernt hat. 

Es­ther, der Ca­mi­no Pri­mi­ti­vo wird seit dem 9. Jahr­hun­dert ge­nutzt, als der König von As­tu­ri­en von Ovie­do nach San­ta­gio de Com­pos­te­la pil­ger­te, um das Apos­tel­grab mit ei­ge­nen Augen zu sehen. Da­nach folg­ten ihm hun­der­te Pil­ger*innen, um beim Apos­tel Ja­ko­bus Hilfe und Er­leuch­tung zu er­fle­hen. Warum bist du den ur­sprüng­lichs­ten aller Ja­kobs­we­ge ge­lau­fen? 

Zum Ende des letz­ten Jah­res habe ich ge­merkt, dass ich total über­las­tet war. Das Stu­di­um, zwei Jobs, zu­sätz­li­che Auf­trä­ge, stän­dig er­reich­bar sein zu müs­sen und ein ima­gi­nä­rer To-Do-Sta­pel, der ein­fach nicht klei­ner wer­den woll­te. Gleich­zei­tig hatte ich das Ge­fühl, nicht rich­tig vor­wärts zu kom­men. Ich woll­te aus dem Ar­beits­all­tag aus­bre­chen. Ich woll­te Ver­än­de­rung, Her­aus­for­de­rung und meine Prio­ri­tä­ten neu set­zen.

Da es mei­nem Freund Ste­fan ähn­lich ging wie mir, haben wir ge­mein­sam über­legt, wie wir un­se­rer Über­be­las­tung ent­ge­gen­wir­ken kön­nen. Für uns war klar, dass uns ein Well­ness-Wo­chen­en­de oder ein All-In­clu­si­ve-Ur­laub nicht raus­brin­gen wür­den. Was würde bei uns aber dann den Pause-Knopf drü­cken, damit wir uns über nichts an­de­res Ge­dan­ken ma­chen müs­sen? Da sind wir auf den Ja­kobs­weg ge­sto­ßen. 

Aber statt den be­rühm­ten Ca­mi­no Fran­cés zu wäh­len, der von den Py­re­nä­en zum Ja­kobs­grab führt, und den die meis­ten Leute mei­nen, wenn sie vom Ja­kobs­weg reden, habt ihr euch für eine ganz an­de­re Route ent­schie­den. 

Rich­tig, für den Ca­mi­no Pri­mi­ti­vo. Das war zum einen un­se­rem Zeit­li­mit ge­schul­det, denn für viele an­de­re Ja­kobs­we­ge, die es gibt, braucht man meh­re­re Mo­na­te. 

Ste­fan stieß ir­gend­wann bei sei­ner Suche auf den Pri­mi­ti­vo und war an­ge­tan, ganz nach dem Motto 'Alles oder Nichts'. Den Pri­mi­ti­vo lau­fen nur sehr we­ni­ge, weil er nicht un­ge­fähr­lich und wirk­lich ex­trem an­stren­gend ist. Ei­gent­lich mehr etwas für Hoch­leis­tungs­sport­ler. Ich war zu­nächst sehr skep­tisch. Wir hat­ten schlie­ß­lich keine Wan­der- oder Ja­kobs­we­g­er­fah­rung. 

Nach und nach ge­fiel mir der Ge­dan­ke aber immer mehr, weil es mir wie die ul­ti­ma­ti­ve Le­bens­her­aus­for­de­rung schien. Wenn man den schwers­ten Weg der Welt be­wäl­ti­gen würde, könn­te man dann nicht alles schaf­fen?

Was meinst du mit Ja­kobs­we­g­er­fah­rung?

Wir haben auf dem Pri­mi­ti­vo viele Men­schen ken­nen­ge­lernt, die schon ei­ni­ge Ja­kobs­we­ge ge­lau­fen sind, und es waren aus­schlie­ß­lich er­fah­re­ne Pil­ger. Viele trau­en sich den Pri­mi­ti­vo wegen des Hö­hen­me­ter­ge­fäl­les nicht zu. Ins­ge­samt sind es fast 10.000 Meter An­stieg und eben­so viele im Ab­stieg. Das ist, als würde man den Mount Ever­est hoch und wie­der run­ter wan­dern. 

Die meis­ten Pil­ger star­ten mit dem Ca­mi­no Fran­cés, den auch Hape Ker­ke­ling ge­wan­dert ist, oder dem Ca­mi­no Norte, weil sie fla­cher und be­lieb­ter sind.

Wel­che Her­aus­for­de­run­gen muss­test du meis­tern?

Ste­fan ist durch seine Ar­beit als Schlag­zeug­leh­rer gut trai­niert – bei mir war es genau das Ge­gen­teil. Ich saß über­wie­gend am Schreib­tisch und habe wenig Sport ge­macht. Daher hatte ich Be­den­ken, ob ich un­se­re Reise kör­per­lich packe. Wir sind mit schwe­ren Ruck­sä­cken ge­lau­fen, mei­ner wog knapp neun Kilo. Die ers­ten Tage mit dem Ge­päck waren die Hölle! Ich hatte Mus­kel­ka­ter am gan­zen Kör­per...da­nach wurde es bes­ser, weil sich der Kör­per immer schnel­ler re­ge­ne­rier­te. 

Nach dem ers­ten Tag haben wir auch ge­merkt, dass wir Wan­der­stö­cke brau­chen. In der Her­ber­ge haben wir pro­vi­so­ri­sche Wan­der­stö­cke mit­neh­men kön­nen, die vo­ri­ge Pil­ger zu­rück­ge­las­sen hat­ten. Spä­ter auf der Reise habe ich mir dann einen die­ser pein­li­chen Wal­king­stö­cke ge­kauft, die ich ei­gent­lich nie­mals be­sit­zen woll­te. Letzt­end­lich war ich dann doch sehr dank­bar für den Stock, weil die Be­las­tung für die Knie enorm war und die Wege sehr schmal und stei­nig. Zwar hat­ten wir schon vor­beu­gend Knie­scho­ner ein­ge­packt, aber viele Wan­de­r­etap­pen waren doch ex­trem. 

Knie­scho­ner, Wan­der­stö­cke – was stand noch alles auf eurer Pack­lis­te?

Gute Wan­der­schu­he. An Klei­dung hatte ich eine Gar­ni­tur an, eine an­de­re hatte ich zum Wech­seln, zu­sätz­lich noch Schlaf­sa­chen. Wich­tig waren Ma­gne­si­um und Vit­amin­prä­pa­ra­te...und Pflas­ter! Wir hat­ten wenig Bla­sen, weil wir in sehr gute Schu­he in­ves­tiert hat­ten. Aber an Tagen, an denen es hef­tig ge­reg­net hat und die Füße in den Schu­hen nass wur­den, brauch­ten wir die Bla­sen­pflas­ter dann doch. Eine Ta­schen­lam­pe hat uns ge­hol­fen, weil wir oft mor­gens im Dun­keln ge­star­tet sind. Auch Ohr­stöp­sel waren hilf­reich, wenn wir in Mehr­bett­zim­mern über­nach­tet haben. Was wir da­ge­gen gar nicht brauch­ten waren Power­banks für un­se­re Te­le­fo­ne, weil es in jeder Her­ber­ge aus­rei­chend Steck­do­sen gab, sogar W-LAN. Wir hat­ten un­se­re Han­dys aber nur für den Not­fall mit. 

Habt ihr immer in den Her­ber­gen für Pil­ger*innen über­nach­tet? 

Es gibt öf­fent­li­che Her­ber­gen an jeder Etap­pen­sta­ti­on, wo man gegen eine Spen­de von 5 bis 10 Euro über­nach­ten kann. In man­chen Orten gibt es aber auch zu­sätz­lich pri­va­te Un­ter­künf­te, wenn zum Bei­spiel mehr Leute un­ter­wegs als Bet­ten vor­han­den sind. Dort haben wir manch­mal Dop­pel­zim­mer ge­fun­den, die sich preis­lich nicht viel von den Mehr­bett­zim­mern un­ter­schie­den haben. Wir haben meis­tens spon­tan ge­schaut, wo wir schla­fen. Es war immer etwas frei, da wir au­ßer­halb der Sai­son ge­lau­fen sind. 

Er­klä­re doch bitte kurz, was es mit den Etap­pen auf sich hat. 

Der Ca­mi­no ist in ver­schie­de­ne Sta­tio­nen zwi­schen den Orten un­ter­teilt, die sich in den Ki­lo­me­tern sehr un­ter­schei­den. Wir haben uns un­se­re an­fangs 14 Etap­pen vor­her mit einem Wan­der­füh­rer grob ein­ge­teilt. Ins­ge­samt be­trägt der Weg nach San­tia­go 330 Ki­lo­me­ter. Der Wan­der­füh­rer hat manch­mal Tage mit 18 Ki­lo­me­tern, dann wel­che mit 32 vor­ge­se­hen – an­fangs dach­te ich, dass ich das nicht packe. Nach etwa fünf Tagen auf der Wan­de­rung haben wir ge­merkt, dass wir die Zahl aber immer in­di­vi­du­ell an­ge­passt haben und wir tat­säch­lich mehr ge­schafft haben als vor­her ge­dacht. So sind wir die Stre­cke in nur zwölf Tagen ge­lau­fen. Nach San­tia­go sind wir sogar noch fünf Tage län­ger ge­lau­fen, nach Fi­nis­ter­re, Muxía und Padrón. Das waren noch­mal 170 Ki­lo­me­ter mehr – ins­ge­samt also knapp 500 Ki­lo­me­ter in 17 Tagen! Ich war selbst ziem­lich über­rascht. Ich hätte im Traum nicht ge­dacht, dass ich mal so weit lau­fen würde.

Im Schnitt sind wir zwi­schen 25 und 30 Ki­lo­me­tern pro Tag ge­lau­fen. Nur unser letz­ter Tag auf dem Pri­mi­ti­vo war eine Aus­nah­me...da sind wir 48 Ki­lo­me­ter am Stück ge­wan­dert. 

Warum das?

Wir woll­ten un­be­dingt nach San­tia­go. Die letz­te Etap­pe hat­ten wir ei­gent­lich auf zwei Tage auf­ge­teilt, sind dann aber so früh los, dass wir am frü­hen Nach­mit­tag schon 28 Ki­lo­me­ter hin­ter uns hat­ten. Nach einer Pause sind wir ein­fach wei­ter. Dann spiel­te das Wet­ter so gut mit ... der Ehr­geiz war ge­weckt. Wir haben uns Ki­lo­me­ter für Ki­lo­me­ter durch­ge­bis­sen und sind gegen 19.30 Uhr end­lich an­ge­kom­men. Und ich konn­te meine Füße nicht mehr spü­ren.

Die An­kunft in San­tia­go de Com­pos­te­la ist das große Ziel aller Pil­ger*innen – jetzt habe ich die Szene aus dem Film zum Buch „Ich bin dann mal weg“ von Hape Ker­ke­ling im Kopf. Wie habt ihr denn das Ende eurer Wan­de­rung er­lebt?

Wir hat­ten zwar kein so rie­si­ges Emp­fangs­ko­mi­tee, aber es war ein­fach sur­re­al. Alles fiel von mir ab. Wir sind von einem Berg hin­un­ter­ge­kom­men und haben die Stadt und die Kir­che schon in der Ferne ge­se­hen. Von mor­gens bis abends sind wir zwei Wo­chen nur ge­lau­fen und haben nur an die Ba­sics ge­dacht: Wo schla­fen wir, wo kön­nen wir essen, wo etwas trin­ken. Und plötz­lich hat­ten wir es ge­schafft, das woll­te erst gar nicht in mei­nen Kopf. Es waren ein­fach so un­glaub­lich viele Ein­drü­cke in so kur­zer Zeit.

Als wir in die Stadt kamen, war es nicht voll, die meis­ten Pil­ger soll­ten erst am nächs­ten Mor­gen kom­men. Um das Pil­ger­zer­ti­fi­kat zu be­kom­men, muss man sich im Pil­ger­bü­ro vor 12 Uhr mel­den, weil zu die­ser Zeit die Pil­ger­mes­se statt­fin­det. Daher sind wir gleich am nächs­ten Mor­gen hin. Und dann gab es das Sah­ne­häub­chen zum Ab­schluss un­se­rer Reise. Wir ge­hör­ten zu den ers­ten zehn An­ge­kom­me­nen. Diese ers­ten zehn be­kom­men immer ein Gra­tis-Essen im äl­tes­ten Re­stau­rant der Welt als Eh­rung aus­ge­ge­ben. 

Wie lief das ab?

Es war ein biss­chen wir das letz­te Abend­mahl, und ich fand es erst ganz ko­misch. Wir wur­den von Frem­den ge­ehrt für das Lau­fen...Wir saßen an einer lan­gen Tafel in einem super no­blen Re­stau­rant. Es gab ein lu­xu­riö­ses Drei-Gänge-Menü mit Wein. Das war der per­fek­te Ab­schluss. 

Wer einen Ja­kobs­weg wan­dert, tut dies aus den ver­schie­dens­ten Grün­den, ob re­li­gi­ös oder spi­ri­tu­ell mo­ti­viert oder als Aus­bruch aus dem All­tag. Gab es Be­geg­nun­gen mit Men­schen, die dir be­son­ders in Er­in­ne­rung ge­blie­ben sind?

Am ers­ten Tag hat­ten wir schon die Pil­ger­er­fah­rung wie aus dem Bil­der­buch. Nach 28 Ki­lo­me­tern kamen wir voll­kom­men fer­tig in der Her­ber­ge an, und so­fort saßen wir mit Men­schen aus der gan­zen Welt an einem Tisch. Ein Ita­lie­ner hat für alle ge­kocht. Ein Schot­te und seine Toch­ter sind den Ca­mi­no schon zum drit­ten Mal ge­lau­fen, weil sie Zeit zu­sam­men ver­brin­gen woll­ten. Ein Mann aus Slo­we­ni­en woll­te ein­fach mal raus. Dann war da ein Fran­zo­se, der nur ge­schwie­gen hat. Eine 72-Jäh­ri­ge aus Süd­afri­ka, die schon sehr viele Wan­de­run­gen ge­macht hat, hat aus ihrem Leben er­zählt.  

Viele Spa­ni­er sind uns be­geg­net, die zur Os­ter­zeit den Ja­kobs­weg als Glau­bens­be­kennt­nis pil­gern. Zwei Fran­zo­sen sind fast drei Mo­na­te un­ter­wegs ge­we­sen, weil sie von Se­vil­la nach San­tia­go und wie­der zu­rück wan­dern woll­ten. 

Ich kenne die Grün­de die­ser Men­schen nicht. Das ist so ein un­ge­schrie­be­nes Ge­setz auf dem Ca­mi­no: Man fragt nicht di­rekt, weil das sehr per­sön­lich ist. Manch­mal er­gibt es sich nur im Ge­spräch. 

Beim Ab­schlus­ses­sen in San­tia­go zum Bei­spiel hat jeder ein biss­chen er­zählt. Da war eine Frau aus Chile, deren Le­bens­traum es war, den Ja­kobs­weg zu lau­fen. Und ein Ös­ter­rei­cher, 76 Jahre alt, ist sei­nen zehn­ten Ca­mi­no ge­pil­gert. Er tut das, weil er sich und sein Leben re­flek­tiert und ein­fach das Pil­ger­da­sein ge­nie­ßt.  

Was war das schöns­te Er­leb­nis aus dem Ca­mi­no Pri­mi­ti­vo?

Jeder Tag hatte einen be­son­de­ren Mo­ment wie einen Son­nen­auf­gang, den fri­schen Tau im Wald oder die völ­li­ge Ruhe um uns herum. Das hat mich immer wie­der um­ge­hau­en. 

Die Kö­nigs­etap­pe war aber si­cher­lich der Hos­pi­ta­les, der höchs­te Berg auf dem Ca­mi­no. Wenn das Wet­ter nicht mit­spielt, muss man um ihn her­um­wan­dern, weil es zu ge­fähr­lich ist. Wir woll­ten aber un­be­dingt hin­auf. Mor­gens um fünf haben wir den Auf­stieg be­gon­nen. Ich hatte Sorge, dass uns etwas pas­sie­ren würde, aber dann waren wir tat­säch­lich oben. Es gab nur einen kur­zen Platz­re­gen und wenig Schnee. Es soll­te ein­fach sein, dass wir es schaf­fen. Wir hat­ten den Berg ge­zwun­gen, nichts konn­te da­nach mehr schief­ge­hen. In die­sem Mo­ment dach­te ich, dass ich auch alles an­de­re schaf­fen kann, was noch kommt. Die­ses Ge­fühl wurde für mich zum Sym­bol dafür, dass ich den nö­ti­gen Biss habe, jede Her­aus­for­de­rung pa­cken zu kön­nen. 

Die Ruhe auf dem Gip­fel war über­wäl­ti­gend, wie in einem Va­ku­um. Drei Tage spä­ter in der nächs­ten Stadt habe ich den Lärm von Men­schen und Autos, den wir sonst immer nur run­ter­dim­men, sehr hef­tig wahr­ge­nom­men. Diese Er­kennt­nis war ja auch ein Ziel der Reise. 

Jetzt bist du zu­rück. Hast du er­reicht, was du dir von der Reise er­hofft hast?

Auf den letz­ten Tagen der Wan­de­rung bin ich erst ein wenig dazu ge­kom­men, in mich zu gehen und nach­zu­den­ken. Davor war die An­stren­gung ein­fach viel zu groß. Den gro­ßen Un­ter­schied merke ich jetzt in Deutsch­land. Ich bin ge­las­se­ner, ru­hi­ger, bin viel mehr drau­ßen. Ich habe wie­der mehr Ge­spür dafür be­kom­men, was mir im Leben wich­tig ist und wie man mit schwie­ri­gen oder her­aus­for­dern­den Si­tua­tio­nen um­geht.

Ich habe mir jetzt auch be­stimm­te Zei­ten fest­ge­legt, zu denen ich für an­de­re er­reich­bar bin, weil ich mich selbst an erste Stel­le setze. Mir mehr Zeit für mich selbst zu neh­men - das war eine wich­ti­ge Er­kennt­nis. 

Die gan­zen Ein­drü­cke werde ich aber si­cher­lich noch lange ver­ar­bei­ten. 

Gibt es schon neue Rei­se­plä­ne?

Das Wan­dern hat uns schon ein biss­chen an­ge­fixt, und es gibt ein paar tolle Wege, die wir in An­griff neh­men möch­ten, wenn Zeit und Geld es er­lau­ben. Das las­sen wir aber in Ruhe auf uns zu­kom­men.  

Hast du Rat­schlä­ge für an­de­re Wan­der­fans?

Packe nicht zu viel ein, du merkst jedes Gramm. Kaufe dir eine hoch­wer­ti­ge Aus­rüs­tung! Ste­fans Ruck­sack ging gleich am ers­ten Tag ka­putt, und wir haben ihn not­dürf­tig ge­flickt, aber op­ti­mal war das nicht. Teste, ob du über­haupt mit einem Ruck­sack lange lau­fen kannst. 

Wich­tig ist auch, nicht zu schnell zu lau­fen, nur weil du viel schaf­fen willst. Wenn du ein oder zwei Stun­den schnel­ler läufst, als du ei­gent­lich kannst, macht sich das schnell be­merk­bar. Sei ehr­lich zu dir selbst, und brem­se dich aus. Manch­mal muss man not­falls auch ge­trennt lau­fen. Ich bin mei­nen ei­ge­nen Rhyth­mus ge­lau­fen, und so, dass es mir dabei gut geht. Auch wenn an­de­re Pil­ger an mir vor­bei sind, die schnel­ler sind, war das zwar eine nette Mo­ti­va­ti­on, aber ich habe mich ihnen nicht an­ge­passt, weil ich sonst ir­gend­wann nicht mehr wei­ter­ge­konnt hätte. Mein Tempo, meine Ent­schei­dung. 

Danke für diese schö­ne Me­ta­pher auf das Leben, Es­ther. Und viel Spaß bei dei­ner nächs­ten Wan­de­rung!

Fotos: Es­ther Ma­ra­ke

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