Ein Mann vor einem Bücherregal© J. Kläschen

Ma­the­ma­tik ist eine Spra­che – Wer es will, kann sie ler­nen

von Joa­chim Kläschen

Seit knapp 30 Jah­ren lehrt Prof. Dr. rer. nat. Alois Schaf­f­ar­c­zyk am Fach­be­reich Ma­schi­nen­we­sen. Er weiß, dass es in In­ge­nieur­wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en­gän­gen nicht ohne Ma­the­ma­tik- und Phy­sik-Kennt­nis­se geht. Aber er will an einem Stu­di­um In­ter­es­sier­ten auch die Angst neh­men, wegen ver­meint­lich feh­len­der Kennt­nis­se den Wunsch einer Aus­bil­dung zur In­ge­nieu­rin oder zum In­ge­nieur vor­schnell zu ver­wer­fen.

Die Frage, warum ei­ni­gen Schü­le­rin­nen und Schü­lern die Aus­ein­an­der­set­zung mit Ma­the­ma­tik und Phy­sik schwer­fällt, kann Alois Schaf­f­ar­c­zyk nicht ein­deu­tig be­ant­wor­ten. Viel­leicht ist es die Art der Wis­sens­ver­mitt­lung, viel­leicht ist es mit­un­ter auch die Abs­trakt­heit des Ge­gen­stands, viel­leicht ein feh­len­der All­tags­be­zug. Für ihn ist ‚Mathe‘ je­doch weit mehr, als ein Schul­fach wie alle an­de­ren, son­dern eine Denk­schu­le, die in vie­len Be­rei­chen des Le­bens An­wen­dung fin­den kann. „Wenn man hin­sieht, ist Mathe über­all in der Welt“, bringt er seine Ein­stel­lung auf den Punkt. „Wer ein Ver­ständ­nis für ma­the­ma­ti­sche Denk­wei­se ent­wi­ckelt, er­öff­net sich eine wert­vol­le Kom­pe­tenz, die dabei hilft, vie­les zu ver­ste­hen und Pro­ble­me zu lösen. Ent­spre­chend finde ich es scha­de, wenn in Talk­shows Gäste be­klatscht wer­den, die sich damit brüs­ten keine Ah­nung von Mathe zu haben.“

Dass man es ohne be­stimm­te Ma­the­ma­tik-Kennt­nis­se nicht zum In­ge­nieur oder zur In­ge­nieu­rin bringt, räumt Schaf­f­ar­c­zyk ein. Aber er er­gänzt: „an der FH Kiel bil­den wir In­ge­nieu­rin­nen und In­ge­nieu­re aus, und keine Ma­the­ma­ti­ker.“ An einem ein­fa­chen Bei­spiel macht er deut­lich, warum Ma­the­ma­tik bei­spiels­wei­se für Ma­schi­nen­baue­rin­nen und Ma­schi­nen­bau­er un­er­läss­lich ist: „In­ge­nieu­re haben weder die Zeit, noch die Mit­tel, auf blau­en Dunst eine Ma­schi­ne zu bauen, dann fest­zu­stel­len, dass sie nicht funk­tio­niert, und dann so lange neue Ma­schi­nen zu bauen, bis eine davon end­lich funk­tio­niert. Statt­des­sen be­rech­nen sie im Vor­feld die An­for­de­run­gen und Kon­stru­ie­ren eine trag­fä­hi­ge Lö­sung, um sich viele un­nö­ti­ge Fehl­schlä­ge zu er­spa­ren.“

Auch wenn die Aus­bil­dung und die viel­fäl­ti­gen Be­rufs­fel­der für In­ge­nieu­rin­nen und In­ge­nieu­re immer di­gi­ta­ler wer­den und Elek­tro­nik eine immer grö­ße­re Rolle spielt, heißt das nicht, dass die Be­deu­tung von Ma­the­ma­tik und Phy­sik wäh­rend der Aus­bil­dung ab­näh­me. „Auch ein Elek­tro­mo­tor ist eine Ma­schi­ne. Um sie zu ver­ste­hen, sind be­stimm­te Kennt­nis­se un­er­läss­lich. Ma­the­ma­tik ist für In­ge­nieu­rin­nen und In­ge­nieu­re wie eine Spra­che“, er­klärt Schaf­f­ar­c­zyk. „Ei­ni­gen er­schei­nen die be­nö­tig­ten Kennt­nis­se als eine Hürde, aber sie sind kein Sieb oder Selbst­zweck, son­dern wer­den tat­säch­lich im Stu­di­um und im Beruf be­nö­tigt.“

Angst vor Mathe zu haben und sich von die­ser Angst lei­ten zu las­sen, ist für Schaf­f­ar­c­zyk ein Irr­weg. „Wer im Ma­schi­nen­bau in den vier Kern­fä­chern ‚Tech­ni­sches Zeich­nen‘, ‚Ma­schi­nen­ele­men­te, ‚Tech­ni­sche Me­cha­nik‘ und ‚Pro­duk­ti­ons­tech­nik‘ zu­recht­kommt, der schei­tert nicht an Mathe“, ver­si­chert er.

Zudem bie­tet der Fach­be­reich allen die Hil­fen, um sich die be­nö­tig­ten Kennt­nis­se an­zu­eig­nen, weiß Schaf­f­ar­c­zyk: „Schon in den ers­ten Wo­chen des Stu­di­ums ler­nen die Stu­die­ren­den in klei­nen Ar­beits­grup­pen von bis zu zwölf Stu­die­ren­den. Sie lösen Auf­ga­ben, be­spre­chen ihre Pro­ble­me und ver­ste­hen schlie­ß­lich die Lö­sun­gen. Dabei kommt es we­ni­ger auf die Vor­kennt­nis­se an, als auf den Wil­len und die Be­reit­schaft der Stu­die­ren­den. Wenn der Wille da ist, hat jede und jeder eine Chan­ce. Ich sehe Ma­the­ma­tik auch als einen Denk­sport und wie in jeder Sport­art muss man trai­nie­ren, um bes­ser zu wer­den. Wir be­trei­ben an der Fach­hoch­schu­le kein Body-Buil­ding, son­dern Brain-Buil­ding. Den einen fällt das leich­ter, an­de­re müs­sen sich mehr an­stren­gen. Wich­tig ist es, das Ziel, In­ge­nieu­rin oder In­ge­nieur wer­den zu wol­len, vor Augen zu haben und es im Blick zu be­hal­ten.“

Als be­son­ders wich­ti­ge Vor­aus­set­zung, In­ge­nieu­rin oder In­ge­nieur zu wer­den, sieht Schaf­f­ar­c­zyk we­ni­ger ‚Mathe-Ta­lent‘ an, als viel­mehr die Be­reit­schaft, sich mit an­de­ren im Team zur or­ga­ni­sie­ren: „Ein Stu­di­um an der FH Kiel ist eine so­zia­le Sache und nur, wenn man mit Kom­mi­li­to­nin­nen und Kom­mi­li­to­nen zu­sam­men­ar­bei­tet, kann man Er­folg haben. Die Stu­die­ren­den hel­fen sich ge­gen­sei­tig, aber dazu ge­hört auch die Be­reit­schaft, Schwä­chen und De­fi­zi­te offen an­zu­spre­chen und vor allem auch die Fä­hig­keit, Hilfe von an­de­ren an­zu­neh­men und das nicht als Schwä­che zu sehen. Wer denkt, er könne ein Stu­di­um al­lei­ne durch­zie­hen, der macht sich das Leben un­nö­tig schwer.“

Dass Mathe nicht jedem liegt, ist Schaf­f­ar­c­zyk klar. Aber er ist sich si­cher, dass jeder, der es will, Ma­the­ma­tik im hier ge­lehr­ten Um­fang auch ver­ste­hen kann. Das nützt in sei­nen Augen nicht nur im Stu­di­um oder dem Beruf, son­dern auch im all­täg­li­chen Leben: „Man muss im Leben eben­so wenig Ma­the­ma­tik ver­ste­hen, wie man Goe­thes Faust ge­le­sen haben, ein In­stru­ment spie­len, oder eine zwei­te Fremd­spra­che spre­chen kön­nen muss. Aber wenn man sich für vie­les In­ter­es­siert und sich um eine brei­te und uni­ver­sel­le Bil­dung be­müht, hat man einen dif­fe­ren­zier­ten Blick und er­kennt Zu­sam­men­hän­ge, die an­de­ren ver­bor­gen blei­ben. Scha­den tut Mathe daher nicht.“

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