EU-Flagge© Pixa­bay

Schon wie­der eine Re­form des Ur­he­ber­rechts – muss das sein?

von Prof. Dr. Jan B. Schlü­ter

Nach­dem erst letz­tes Jahr der deut­sche Ge­setz­ge­ber das na­tio­na­le Ur­he­ber­recht zur För­de­rung der „Wis­sens­ge­sell­schaft“ re­for­miert hat, kom­men nun die ge­setz­ge­ben­den Or­ga­ne der EU mit wei­te­ren Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­gen. Muss das sein?

Die Ant­wort hängt davon ab, wel­che In­ter­es­sen es die­ses Mal zu för­dern gilt – und wie man zu ihnen steht.

Das Ur­he­ber­recht ist als im­ma­te­ri­el­les Recht ein von der Ge­sell­schaft – durch den Ge­setz­ge­ber – ver­lie­he­ner künst­li­cher Schutz zur För­de­rung künst­le­ri­scher, wis­sen­schaft­li­cher und me­di­en­wirt­schaft­li­cher In­ter­es­sen. Ohne den Schutz­an­zug des Ur­he­ber­rechts wären sol­che In­ter­es­sen ge­ra­de im di­gi­ta­len Fort­schritt, so wert­los, dass es nur Idea­lis­ten blie­be, sich mich sol­chen Din­gen zu be­schäf­ti­gen. Es ge­hört zum Wesen des Ur­he­ber­rechts, dass die­ser Schutz sich mit den tech­ni­schen und öko­no­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen der Ge­sell­schaft mit­ent­wi­ckeln muss. Es gibt aber auch ge­sell­schaft­li­che In­ter­es­sen, die sich ge­gen­über den nor­mier­ten Schutz­in­ter­es­sen der Ur­he­ber wei­ter­ent­wi­ckeln. Un­se­re Ge­wöh­nung und der Vor­teil der Nut­zung di­gi­ta­ler Me­di­en sowie die zu­neh­men­de Ver­net­zung der In­di­vi­du­en über diese Me­di­en ist eine sol­che Ent­wick­lung, die (immer wie­der) eine neue Fein­jus­tie­rung bei der Ab­wä­gung der Ur­he­ber­inter­es­sen ge­gen­über den Nut­zer­inter­es­sen er­for­dert.

Bei der letz­ten Re­form des Ur­he­ber­rechts waren die neu zu be­wer­ten­den Nut­zer­inter­es­sen, die For­men der Nut­zung von Wer­ken in der wis­sen­schaft­li­chen Lehre, die bei­spiels­wei­se ge­gen­über der Nut­zung im Schul­un­ter­richt be­nach­tei­ligt waren. Bei der EU-Richt­li­nie zur (Ver­ein­heit­li­chung der) Re­for­mie­rung na­tio­na­ler Ur­he­ber­rech­te geht es um die Be­rück­sich­ti­gung der Ur­he­ber­inter­es­sen bei der Nut­zung ihrer Werke in so­zia­len Netz­wer­ken, die zwar bis­lang schon durch ein­deu­ti­ge Re­geln ge­schützt waren, fak­tisch aber man­gels Kon­trol­le keine Be­deu­tung mehr hat­ten.

Da­ge­gen kann doch ei­gent­lich nie­mand etwas ein­wen­den – so­weit er oder sie nicht grund­sätz­lich die Ver­ge­sell­schaft­li­chung des geis­ti­gen Ei­gen­tums für die bes­se­re Lö­sung hält.

Das Pro­blem be­steht al­ler­dings darin: Die ei­gent­li­chen Ver­let­zer des Ur­he­ber­rechts sind die User, die z.B. durch die Ver­bin­dung von frem­den (und ei­ge­nen) Wer­ken und deren Ver­öf­fent­li­chung in so­zia­len Netz­wer­ken durch z.B. Video-Mash-Ups häu­fig (mal auch völ­lig un­be­darft) zum Rechts­bre­cher wer­den. Der (wirt­schaft­li­che) Vor­teil aus den User-In­hal­ten aber liegt bei Platt­for­men wie You­tube & Co.. Eine Be­stra­fung der User er­scheint daher in vie­len Fäl­len (aber durch­aus nicht in allen) „un­ge­recht“ oder un­sach­ge­mäß.

Hier ver­sucht die EU-Re­form des Ur­he­ber­rechts, eine Lö­sung zu fin­den. Sie nimmt die so­zia­len Netz­wer­ke in Ver­ant­wor­tung. Nur ! Diese Netz­wer­ke sind in ers­ter Linie öko­no­misch han­deln­de Un­ter­neh­men und keine Me­di­en, die ent­spre­chend ihrer Ver­ant­wor­tung für die Ge­sell­schaft han­deln. Ent­spre­chend wer­den sie auch ihre Ver­ant­wor­tung eher im Sinne ihrer Ei­gen­tü­mer und nicht im Sinne der Ge­sell­schaft wahr­neh­men.

Der Unmut der Re­ak­tio­nen auf die Ur­he­ber­rechts­re­form trifft also ei­gent­lich gar nicht den Ge­setz­ge­ber, der durch­aus eine sach­ge­mä­ße Er­wä­gung ver­folgt, son­dern die Re­ak­ti­on der Un­ter­neh­men auf die neuen Rah­men­be­din­gun­gen. Und öko­no­misch spre­chen sehr viele Grün­de dafür, dass die Re­ak­tio­nen der (gro­ßen) so­zia­len Netz­wer­ken be­wir­ken wer­den, dass die Viel­falt der In­for­ma­tio­nen und Mei­nun­gen in den Netz­wer­ken ver­lo­ren geht. Nur die grö­ß­ten An­bie­ter könn­ten sich Kon­troll­sys­te­me leis­ten, die hin­rei­chend genau vor­ge­hen, dass wie bis­her alle In­hal­te zu­gäng­lich blei­ben – re­du­ziert um die­je­ni­gen, die Ur­he­ber­rech­te ver­let­zen. An­de­re An­bie­ter könn­ten da­durch vom Markt ge­drängt wer­den. Oh­ne­hin schon star­ke Mo­no­po­li­sie­rungs­ten­den­zen wür­den ver­stärkt.

Dies ver­su­chen be­stimm­te Aus­schluss­kri­te­ri­en der EU-Richt­li­nie (Um­satz­kenn­zah­len, User­zah­len usw.) zu ver­hin­dern. Nicht ver­hin­dern kann eine sol­che Re­ge­lung aber, die öko­no­mi­sche Ma­xi­me nach der Lö­sung mit den ge­rings­ten Kos­ten, was be­deu­tet: im Zwei­fel lö­schen. Da die User dies­be­züg­lich keine (kaum eine) Mög­lich­keit zur Qua­li­täts­be­ur­tei­lung haben – sie kön­nen ja nicht be­ur­tei­len, was sie nicht wahr­neh­men – wären die Re­ak­tio­nen der Nach­fra­ge hier­auf öko­no­misch ge­se­hen eher be­deu­tungs­los. Der Ver­lust von In­for­ma­ti­on und Mei­nung ist aber na­tür­lich nicht im In­ter­es­se der Ge­sell­schaft.

Hat der EU-Ge­setz­ge­ber also die In­ter­es­sen der Ge­sell­schaft ge­gen­über den Ur­he­ber­inter­es­sen ver­nach­läs­sigt? Nein!

Die In­ter­es­sen der Ge­sell­schaft hat die­ser Vor­schlag zur Ur­he­ber­rechts­re­form zwar ver­nach­läs­sigt, dies aber ge­gen­über den öko­no­mi­schen In­ter­es­sen der so­zia­len Netz­wer­ke. Eben­so ver­liert die­ser Ge­set­zes­vor­schlag – wie viele an­de­ren – die Ver­ant­wor­tung der Netz­wer­ke als In­for­ma­ti­ons­quel­le und Motor einer plu­ra­lis­ti­schen Ge­sell­schaft aus den Augen. Des­halb ist der er­staun­li­che Wi­der­stand in der Ge­sell­schaft ei­gent­lich nicht über­ra­schend. Er­staun­lich ist nur, dass die­ser Wi­der­stand doch eher sel­ten ist. Vor zwei Jah­ren beim Netz­werk­durch­set­zungs­ge­setz zur Aus­ge­stal­tung der Ver­ant­wor­tung der Netz­wer­ke ge­gen­über Ehr­ver­let­zun­gen und Mei­nungs­äu­ße­rungs­de­lik­ten (und vie­les mehr) gab es dem­ge­gen­über nur einen Auf­stand in be­schränk­ten (Fach-)Krei­sen. Das da­hin­ter­ste­hen­de öko­no­mi­sche und ge­sell­schafts-po­li­ti­sche Pro­blem war je­doch das­sel­be.

Und was ist jetzt die Lö­sung?

Es gibt viele gute Lö­sungs­mög­lich­kei­ten. Die EU hat (bis­her) be­schlos­sen, es den Un­ter­neh­men zu über­las­sen mit wel­cher „Ma­nage­ment­me­tho­de“ sie ihre Ver­ant­wor­tung wahr­neh­men (Art. 13). Die EU geht sogar so weit, dass im ge­gen­wär­ti­gen Vor­schlag aus­drück­lich auf „au­to­ma­ti­sche“ Kon­troll­sys­te­me zu­rück­ge­grif­fen wer­den darf – nicht muss! Damit über­lässt sie es dem Markt, der Re­ak­ti­on von An­ge­bot und Nach­fra­ge, ob da­durch ein Ver­lust von In­for­ma­ti­ons- und Mei­nungs­viel­falt ein­tritt. In Mo­no­pol­märk­ten, in denen die Nach­fra­ge keine Mög­lich­keit zur Kon­trol­le der Qua­li­tät von Viel­falt hat, ist dies zu­min­dest ethisch „sel­ten“ eine gute Lö­sung.

Das ei­gent­li­che Pro­blem be­steht in der Art und Weise der Kon­trol­le. Sie muss die ur­he­ber­recht­lich zu­läs­si­gen In­hal­te durch­las­sen und die an­de­ren aus­fil­tern. Al­go­rith­men kön­nen das heute – zum Glück – noch nicht. Unser For­men des Aus­drucks und des Ver­ste­hens von Mei­nun­gen und In­for­ma­tio­nen unter Men­schen sind eben doch so viel­fäl­tig, dass – noch – kein Au­to­ma­tis­mus diese Form der Mensch­lich­keit ver­steht. Und beim Ur­he­ber­recht darf man nie ver­ges­sen, dass es um „geis­ti­ges“ Ei­gen­tum für die „Geis­ter“ der Ge­sell­schaft geht.

Also liegt die Lö­sung darin, eine in­di­vi­du­el­le, mensch­li­che Kon­trol­le der In­hal­te vor­zu­neh­men. Üb­ri­gens: You­tube lässt In­hal­te schon heute durch Men­schen in Mil­li­ar­den von Ein­zel­fäl­len kon­trol­lie­ren (nach­dem diese z.T. durch Al­go­rith­men „vor­sor­tiert“ wur­den). Es gibt ja schlie­ß­lich nicht nur die EU, die be­stimm­te In­hal­te auf be­stimm­ten glo­ba­len Platt­for­men kon­trol­lie­ren (las­sen) will. An­de­re Rechts­ord­nun­gen sind da durch­aus we­ni­ger „di­plo­ma­tisch“. So ge­se­hen geht es doch nur um eine An­pas­sung des Ge­schäfts­mo­dells von You­tube & Co.: In­hal­te so pu­bli­zie­ren, dass sie mit den vor­ge­ge­be­nen Rechts­nor­men im Ein­klang ste­hen und die damit ver­bun­de­nen Kos­ten ins Ver­hält­nis zu set­zen mit den wirt­schaft­li­chen Wert der Da­ten­ana­ly­se ihrer Nut­zer. An­ge­sichts der Un­ter­neh­mens­er­geb­nis­se er­scheint mir die rich­ti­ge Lö­sung ein­fach: ent­we­der You­tube kann die Stra­fen aus mil­lio­nen­fa­chen Rechts­ver­let­zun­gen ihrer Nut­zer be­zah­len oder ein ent­spre­chen­des Ma­nage­ment, das die In­hal­te kon­trol­liert, um rechts­wid­ri­ge Pu­bli­ka­tio­nen zu ver­hin­dern. Das ma­chen an­de­re Me­di­en auch. Und wenn bei­des nicht funk­tio­niert, han­delt es sich um ein rechts­wid­ri­ges Ge­schäfts­mo­dell. Das ist Dro­gen­han­del ja auch – und für des­sen öko­no­mi­sche In­ter­es­sen hat sich bis­lang auch noch kein Ge­setz­ge­ber (in der EU) ein­ge­setzt.

An­mer­kung:

Auf den wei­te­ren As­pekt, der eben­falls im Zu­sam­men­hang mit der EU-Re­form des Ur­he­ber­rechts (be­rech­tigt) dis­ku­tiert wird (Art. 11), soll hier nicht näher ein­ge­gan­gen wer­den. Dass eu­ro­pa­weit nun­mehr auch die Pu­bli­ka­ti­ons­leis­tung von Ver­le­gern einen ur­he­ber­rechts­glei­chen Schutz er­langt kann man rich­tig oder falsch fin­den. In Deutsch­land hat das dem­entspre­chen­de Leis­tungs­schutz­recht der Pres­se­ver­la­ge nur „viel Lärm um Nichts“ her­vor­ge­ru­fen. Die EU-Re­form zieht diese deut­sche Rechts­la­ge nur nach. Ist man dafür, dass die öko­no­mi­schen In­ter­es­sen der Pres­se­ver­la­ge ge­gen­über Such­ma­schi­nen und so­zia­len Netz­wer­ken zu­sätz­li­chen Schutz ver­lan­gen, dann ist diese Re­ge­lung si­cher­lich gut. Der öko­no­mi­sche Sinn je­doch ist (auch eu­ro­pa­weit) zu­min­dest zwei­fel­haft. In Län­dern in denen eine sol­che Re­ge­lung be­reits be­stand und in denen Ver­la­ge ent­spre­chend vor allem ge­gen­über dem Mark­füh­rer in Eu­ro­pa (Goog­le) vor­gin­gen, ver­schwan­den die An­ge­bo­te der Ver­la­ge (mit ent­spre­chen­den Hin­wei­sen auf deren In­hal­te) ein­fach aus den Such­ergeb­nis­sen. Mei­nes Wis­sens nach wurde bis­lang für die On­line-Nut­zung der Pu­bli­ka­ti­ons­leis­tung eines Ver­la­ges durch Such­ma­schi­nen noch nie etwas be­zahlt.

© Fach­hoch­schu­le Kiel