Mann an einem Gipfelkreuz© Görtz

Tau­sche Alpen gegen Ost­see­strand

von Frau­ke Schä­fer

Unter der Woche nach einem lan­gen Tag im Büro am Strand jog­gen, am Wo­chen­en­de in den Alpen wan­dern: So kann Pen­deln rich­tig nett sein, sagt Prof. Ste­phan Görtz. Aber zum Jah­res­en­de war Schluss mit dem Hin und Her zwi­schen Kiel und Mün­chen. Jetzt ver­misst der Pro­fes­sor für Kon­struk­ti­ven In­ge­nieur­bau zwar seine ge­lieb­ten Berge, kann sich aber noch mehr in den Auf­bau des im Herbst 2018 ge­star­te­ten Stu­di­en­gangs Bau­in­ge­nieur­we­sen hin­ein­kni­en. Warum er sich für die Pro­fes­sur an der FH Kiel ent­schie­den hat und wie es ihm in der neuen Wir­kungs­stät­te ge­fällt, hat er Pres­se­spre­che­rin Frau­ke Schä­fer ver­ra­ten.

Bei vie­len Men­schen zeich­net sich ja schon früh der spä­te­re Be­rufs­wunsch ab, trifft das auf Sie auch zu?

Ei­gent­lich nicht. Ich hatte über­legt, Phi­lo­so­phie oder Psy­cho­lo­gie zu stu­die­ren. Aber bei Psy­cho­lo­gie gab es einen NC von 1,3 oder 1,4, da hätte ich ein wenig war­ten müs­sen. Und so habe ich mich bei mei­ner Stu­di­en­wahl auch ein biss­chen von der Kon­junk­tur lei­ten las­sen. 1993 gab es ge­ra­de noch die­sen Auf­schwung Ost mit vie­len Bau­maß­nah­men. Einen Aus­schlag hat auch die Ma­the­ma­tik ge­ge­ben, Mathe hat mir immer Spaß ge­macht.

Die Ent­schei­dung scheint ja die rich­ti­ge ge­we­sen zu sein. Sie haben ihr Stu­di­um Bau­in­ge­nieur­we­sen mit „sehr gut“ ab­ge­schlos­sen und an­schlie­ßend an der RWTH Aa­chen am In­sti­tut für Mas­siv­bau „Zum Schub­riss­ver­hal­ten pro­fi­lier­ter Stahl­be­ton- und Spann­be­ton­bal­ken aus Nor­mal- und Hoch­leis­tungs­be­ton“ pro­mo­viert. Eine Uni­ver­si­tät mit einem aus­ge­zeich­ne­ten Ruf.

Und sie ist sehr gut mit der Pra­xis ver­netzt.

An­schlie­ßend haben sie für einen in­ter­na­tio­nal tä­ti­gen In­ge­nieur­kon­zern ge­ar­bei­tet mit über 500 Büros welt­weit und fast 50.000 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern. Nach vier Jah­ren waren Sie in Deutsch­land Ab­tei­lungs­lei­ter bzw. Mit­glied der Ge­schäfts­lei­tung, das klingt nach Kar­rie­re.

Tat­säch­lich hatte ich am Ende einen re­la­tiv gro­ßen Ver­ant­wor­tungs­be­reich, in der Spit­zen­zeit über 50 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter. Das war recht viel, es hat auch nicht immer alles rei­bungs­los funk­tio­niert.

Was hat Ihre Ab­tei­lung genau ge­macht?

Vor allem In­ge­nieur­bau, ein wenig Brü­cken­bau, ein wenig Tun­nel­bau und zeit­wei­se vor allem En­er­gie- und An­la­gen­bau – ei­gent­lich alles außer Hoch­bau. Aber wie in gro­ßen Kon­zer­nen üb­lich, gab es viele Um­struk­tu­rie­run­gen. Als der Ab­tei­lungs­lei­ter Hoch­bau den Kon­zern ver­ließ, habe ich die Ab­tei­lung über­gangs­wei­se zu­sätz­lich über­nom­men. Meine Mit­ar­bei­ter waren dann über vier Stand­or­te ver­teilt. Ich habe in Mün­chen ge­ar­bei­tet, von da aus in Essen einen neuen Stand­ort auf­ge­baut und hatte noch klei­ne Teams in Frank­furt und Stutt­gart. Alles an der­sel­ben Bahn­stre­cke. Ich konn­te immer in den glei­chen ICE ein­stei­gen, in Stutt­gart und Frank­furt aus­stei­gen und dann nach Mün­chen wei­ter­fah­ren.

Was war das Reiz­vol­le daran? So klingt es erst­mal nach viel Stress.

Die Si­tua­ti­on war nicht ein­fach, ich muss­te viel im­pro­vi­sie­ren, konn­te mich aber auch aus­to­ben.

Nach über sie­ben Jah­ren sind Sie ge­gan­gen, warum? 

Es gibt ja immer gute Pha­sen im Leben und es gibt auch Tief­punk­te. Wir hat­ten als Ge­samt­bü­ro in Deutsch­land zu wenig Geld ver­dient, ei­ni­ge Be­rei­che lie­fer­ten sehr schlech­te Zah­len, au­ßer­dem gab es viele ri­si­ko­rei­che Pro­jek­te. Es wurde ent­schie­den, das Un­ter­neh­men an­ders aus­zu­rich­ten, eher reine Be­ra­tungs­leis­tun­gen an­zu­bie­ten als ri­si­ko­rei­che Pla­nungs­leis­tun­gen. Das Un­ter­neh­men soll­te in Deutsch­land deut­lich ver­klei­nert wer­den, es gab viele Ent­las­sun­gen. Mit die­sen Ent­schei­dun­gen war ich nicht ein­ver­stan­den. Ich habe sel­ber 14 Mit­ar­bei­ter kün­di­gen müs­sen. Der be­ruf­li­che Tief­punkt mei­nes Le­bens. Da­nach habe ich sel­ber ge­kün­digt. Das war nicht ein­fach, ich woll­te da ei­gent­lich bis zur Rente blei­ben.

Sie haben dann drei Jahre für Le­on­hardt, Andrä und Part­ner eine neue Nie­der­las­sung in Mün­chen auf­ge­baut. Das Büro, ich habe mir das im In­ter­net mal an­ge­schaut, hat viele Wett­be­wer­be ge­won­nen und welt­weit Brü­cken ge­plant.

Le­on­hardt, Andrä und Part­ner ist tat­säch­lich in Deutsch­land im Brü­cken­bau das Non­plus­ul­tra. Wir sind mit einem gro­ßen Pro­jekt in Köln ge­star­tet, mit der Er­tüch­ti­gung einer Hän­ge­brü­cke über den Rhein. Re­la­tiv kom­pli­ziert, es han­del­te sich um eine dicht be­fah­re­ne Bun­des­stra­ße. Ich war aber eher für den kauf­män­ni­schen bzw. or­ga­ni­sa­to­ri­schen Teil des Pro­jek­tes zu­stän­dig, aber auch von der Seite her war es recht kom­plex. Aber ins­ge­samt war mein Leben deut­lich ru­hi­ger ge­wor­den. Das Büro war sehr eta­bliert, wir hat­ten viele schö­ne Pro­jek­te, da konn­te gar nichts schief­ge­hen.

Und dann wurde Ihnen lang­wei­lig?

Also lang­wei­lig würde ich jetzt nicht sagen. (denkt nach) Aber stimmt schon, manch­mal habe ich die chao­ti­sche­ren Zei­ten viel­leicht wirk­lich ein biss­chen ver­misst.

Sind des­we­gen an die FH ge­kom­men?

Nein, aber ich hatte immer mal wie­der mit dem Ge­dan­ken ge­spielt, zur Hoch­schu­le zu­rück­zu­ge­hen, und dann kam die Aus­schrei­bung in Kiel. Ich wuss­te tat­säch­lich gar nichts über die Stadt. Und dann stand ich auf Platz 1 der Be­ru­fungs­lis­te und das Reiz­vol­le war, mit an­de­ren noch ein­mal etwas kom­plett Neues auf­zu­bau­en. Das hörte sich nach einer span­nen­den Sache an.

Und, ist es span­nend?

Auf jeden Fall. Ich reise zwar nicht so viel wie frü­her, muss aber trotz­dem viel Neues or­ga­ni­sie­ren, das macht mir Spaß. Jetzt habe ich ein Se­mes­ter Lehre hin­ter mir und sehe, man­ches klappt, man­ches klappt nicht. Ich weiß, wo ich mich in den nächs­ten Jah­ren ver­bes­sern muss. Aber ich möch­te auch par­al­lel noch for­schen, gerne auch in­ter­dis­zi­pli­när mit an­de­ren. Der Fach­be­reich Me­di­en zum Bei­spiel be­fasst sich mit droh­nen­ge­stüt­zer Pho­to­gram­me­trie. Diese Ver­fah­ren könn­te man nut­zen, um zum Bei­spiel Be­stands­bau­wer­ke zu di­gi­ta­li­sie­ren und eine Schnitt­stel­le für nu­me­ri­sche Be­rech­nungs­mo­del­le zu schaf­fen. Mög­lich wäre auch, das Mo­dell durch ein fo­to­rea­lis­ti­sches Ren­de­ring zur Un­ter­stüt­zung bei der Ver­wal­tung und Be­wer­tung von Schad­stel­len zu nut­zen. Im Zuge der zu­neh­men­den Di­gi­ta­li­sie­rung wer­den sol­che Me­tho­den zu­künf­tig zum Bei­spiel  in der Er­hal­tung von Brü­cken­bau­wer­ken in­ter­es­sant. Wir haben be­reits ein klei­nes Ar­beits­team mit Kol­le­gen aus den Fach­be­rei­chen Me­di­en und In­for­ma­tik und Elek­tro­tech­nik ge­grün­det. Dar­über hin­aus haben wir Kon­takt zu einem Her­stel­ler auf­ge­nom­men, der neue Be­weh­rungs­stä­be aus fa­ser­ver­stärk­tem Kunst­stoff ent­wi­ckelt. Wir möch­ten die Trag­fä­hig­keit der Stäbe im Beton un­ter­su­chen und ma­chen hier­zu ein paar Tast­ver­su­che. Das ist ak­tu­ell noch etwas kom­pli­ziert, weil wir noch keine ei­ge­ne Ver­suchs­hal­le haben und auf die Un­ter­stüt­zung der Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen an­de­rer Fach­be­rei­che und ex­ter­ner Part­ner an­ge­wie­sen sind.

Das för­dert ja auch die Ver­net­zung, und die Ver­net­zung in der Re­gi­on ist eine Stär­ke die­ser Hoch­schu­le. 

Ja, ich bin ganz be­geis­tert, wie toll und un­kom­pli­ziert das läuft. In der Re­gi­on gibt es ein sehr hohes In­ter­es­se am Auf­bau des Stu­di­en­gangs Bau­in­ge­nieur­we­sen. Es braucht gar nicht so viele An­ru­fe, man fragt beim Fer­tig­teil­werk nach und dann pro­du­ziert es für uns Trä­ger, ein Stahl­bau­er stellt uns eine Stahl­bau­tra­ver­se zur Ver­fü­gung. Ich bin wirk­lich dank­bar und be­geis­tert, wie das alles funk­tio­niert. Auch mit den an­de­ren Fach­be­rei­chen ist die Zu­sam­men­ar­beit her­vor­ra­gend und total un­kom­pli­ziert.   

© Fach­hoch­schu­le Kiel