Ein Student und eine Studentin halten gemeinsam ein rotes Tandemrad.© H. Ohm

Tu peux par­ler Deutsch mit mir

von viel.-Re­dak­ti­on

von Jana Tresp

Die erste Zeit al­lein im Aus­land ist für Eras­mus-Stu­die­ren­de nicht immer leicht. Sie müs­sen sich in einem frem­den Land, einer frem­den Stadt, an einer frem­den Hoch­schu­le zu­recht­fin­den und ler­nen erste kul­tu­rel­le Un­ter­schie­de ken­nen. Um ihnen den Ein­stieg zu er­leich­tern, bie­tet das Zen­trum für Spra­chen und In­ter­kul­tu­rel­le Kom­pe­tenz (ZSIK) der FH Kiel seit Ok­to­ber 2010 einen In­ter­kul­tu­rel­len Kom­pe­tenz­kurs an. Die­ses ein­jäh­ri­ge Wahl­pflicht­mo­dul rich­tet sich vor allem an fran­zö­si­sche und spa­ni­sche sowie deut­sche Stu­die­ren­de des Fach­be­reichs Wirt­schaft. Von Sep­tem­ber 2012 bis Juli 2013 haben zehn fran­zö­si­sche und vier­zehn spa­ni­sche Stu­die­ren­de am so­ge­nann­ten „Tan­dem-Pro­gramm“ teil­ge­nom­men.

Mitt­woch­abend in Gaar­den – in einer klei­nen Küche han­tie­ren Tu­du­al Cornec und Fran­cois Col­let mit Back­ble­chen, Schäl­chen und Glä­sern und wit­zeln auf Fran­zö­sisch. Sie schnei­den Käse, fül­len Oli­ven in Schäl­chen und schie­ben Ba­guette in den Ofen. Im Zim­mer ne­ben­an ver­trei­ben sich Rémi Stein­my­l­ler, Mar­len Artus, Lan Pham und Li­set­te Pörsch­ke die War­te­zeit bis zum Essen mit Ge­sprä­chen – auf Deutsch. Die sechs Stu­die­ren­den sind deutsch-fran­zö­si­sche Tandem­part­ne­rin­nen und -part­ner, die sich heute Abend in der WG von Tu­du­al Cornec tref­fen. Je­weils zu zweit bil­den sie ein so­ge­nann­tes Tan­dem. Ge­mein­sam neh­men sie alle am In­ter­kul­tu­rel­len Kom­pe­tenz­kurs teil, der an der FH Kiel im Ok­to­ber 2010 von Agnès Moi­roux und José Mar­tí­nez Marín vom ZSIK der FH Kiel ins Leben ge­ru­fen wurde.

„Das Pro­gramm ist eine Mi­schung aus Pflicht­kurs und Frei­zeit­pro­gramm und soll ihnen die In­te­gra­ti­on er­leich­tern“, er­klärt Agnès Moi­roux. „Es ist ein Neh­men und Geben – sprach­lich, per­sön­lich, in­ter­kul­tu­rell.“ Jedes Jahr kom­men etwa 25 spa­ni­sche und fran­zö­si­sche Eras­mus-Stu­die­ren­de an die Fach­hoch­schu­le. Das Wahl­pflicht­mo­dul er­streckt sich über zwei Se­mes­ter und um­fasst neben dem Tan­dem eine ein­mal wö­chent­lich statt­fin­den­de Ver­an­stal­tung. Darin ar­bei­ten die Stu­die­ren­den ge­mein­sam an wis­sen­schaft­li­chen Pro­jek­ten. Au­ßer­dem tau­schen sie sich im Rah­men des Kur­ses über kul­tu­rel­le Un­ter­schie­de aus. „Wir dis­ku­tie­ren zum Bei­spiel die Frage: Was ist Pünkt­lich­keit?“, er­klärt José Mar­tí­nez Marín. Daran lie­ßen sich bei deut­schen, spa­ni­schen und fran­zö­si­schen Stu­die­ren­den schon deut­li­che Un­ter­schie­de er­ken­nen.

 

Beim ers­ten Tref­fen, das Agnès Moi­roux im ver­gan­ge­nen Sep­tem­ber zur Be­grü­ßung ar­ran­giert hatte, waren alle pünkt­lich. „Sie ließ uns einen Au­gen­blick al­lei­ne, damit wir uns zu Pär­chen zu­sam­men­fin­den konn­ten. Da kamen wir uns ein wenig wie beim Tanz­kurs vor“, er­in­nert sich Mar­len Artus, die an der FH Kiel im vier­ten Se­mes­ter BWL stu­diert. „Nach dem Motto: Willst du mit mir tan­zen? Ja … nein … viel­leicht.“ Seit­dem „tanzt“ Mar­len Artus mit Rémi Stein­my­l­ler, was sich für sie schnell als Glücks­griff her­aus­stell­te, „denn er spricht nicht nur ziem­lich gut Deutsch, son­dern ist auch ein guter Leh­rer. Ich hatte kein Fran­zö­sisch in der Schu­le, und konn­te es am An­fang noch nicht.“ Da half es, dass sie Rémi Stein­my­l­ler zur Not in ihrer Mut­ter­spra­che um Hilfe bit­ten konn­te. Mitt­ler­wei­le fühlt sie sich ge­wapp­net genug, um im Sep­tem­ber nach Frank­reich auf­zu­bre­chen. Dann geht sie mit ihrer Kom­mi­li­to­nin Li­set­te Pörsch­ke für ein Jahr zum Stu­die­ren nach Mont­pel­lier.

Rémi Stein­my­l­ler möch­te spä­ter gerne in der Schweiz ar­bei­ten und durch das Aus­lands­jahr nicht nur seine deut­schen Sprach­kennt­nis­se, son­dern auch seine Chan­cen auf dem Ar­beits­markt ver­bes­sern. Die Part­ner­schaft sei­ner „Hei­mat­hoch­schu­le“, der Uni­ver­si­té de Sa­vo­ie, mit der FH Kiel ver­schlug ihn nach Schles­wig-Hol­stein. Er wohnt im Stu­den­ten­wohn­heim Kiel-Diet­richs­dorf im Ei­chen­berg­skamp, ist aber die meis­te Zeit un­ter­wegs. Sei es zum Stu­die­ren und Ler­nen oder auch zum Tan­zen. Ge­mein­sam mit Lan Pham, der Tandem­part­ne­rin von Tu­du­al Cornec, tanzt Rémi Stein­my­l­ler seit ei­ni­ger Zeit jeden Mon­tag Rock’n’Roll. Auch sonst ist der 22-Jäh­ri­ge sehr aktiv. Da er wäh­rend sei­nes Aus­lands­jah­res nicht auf den sonn­täg­li­chen Kirch­gang ver­zich­ten woll­te, such­te er sich in Kiel eine pas­sen­de Ge­mein­de. „Das war gar nicht so ein­fach, denn ich bin ka­tho­lisch. Das scheint hier nicht so ver­brei­tet zu sein.“ In der St. Hein­rich-Kir­che bei der Forst­baum­schu­le wurde er fün­dig. Fast jeden Sonn­tag fährt er von Diet­richs­dorf hin­über in die Wik. Die Stre­cke von gut zehn Ki­lo­me­tern macht ihm nichts aus, denn „ich habe immer ein gutes Buch dabei.“

 

 

Am An­fang tra­fen sich Mar­len Artus und Rémi Stein­my­l­ler in ers­ter Linie zum Ar­bei­ten. „Wir haben uns viel in der je­weils ‚frem­den‘ Spra­che un­ter­hal­ten, aber auch Gram­ma­tik- und Schreib­übun­gen ge­macht“, er­zählt Mar­len Artus. „Ir­gend­wann haben wir an­ge­fan­gen, auch pri­vat etwas zu­sam­men zu un­ter­neh­men: Wir gehen auf Par­tys oder tref­fen uns auf einen Kaf­fee auf dem Cam­pus.“ Dass alle Tandem­part­ne­rin­nen und -part­ner zu­sam­men­kom­men, ist sel­ten der Fall. „Ein­mal haben wir für die Fran­zo­sen ein ty­pisch deut­sches Essen ge­kocht: Bir­nen, Boh­nen und Speck“, sagt Mar­len Artus. Ge­schmeckt habe es ihnen laut ei­ge­ner Aus­sa­ge „gut“. Mar­len Artus lacht: „So sind sie, die Fran­zo­sen – stets höf­lich.“ Dar­über waren sich auch alle auf der Po­di­ums­dis­kus­si­on „Vou­lez-vous Kli­schees avec moi“ einig, die die Tandem­paa­re zu­sam­men mit Agnès Moi­roux im Rah­men des ers­ten deutsch-fran­zö­si­schen Tages im Mai 2013 an der FH Kiel or­ga­ni­siert hat­ten. Neben Höf­lich­keit wur­den den Fran­zo­sen noch Kli­schees wie Spon­ta­ni­tät, Di­plo­ma­tie und Stolz zu­ge­schrie­ben, wäh­rend den Deut­schen unter an­de­rem Pünkt­lich­keit, Fleiß und Ziel­stre­big­keit an­haf­tet. Viele Vor­ur­tei­le emp­fan­den die Tandem­paa­re und Gäste der Po­di­ums­dis­kus­si­on auf­grund ei­ge­ner Er­fah­run­gen aber auch als wahr. „Klar, Aus­nah­men be­stä­ti­gen die Regel“, meint Mar­len Artus, „es gibt si­cher auch fran­zö­si­sche Deut­sche und deut­sche Fran­zo­sen.“

Um Höf­lich­keit geht es auch in Rémi Stein­my­l­lers Mas­ter­the­sis, die er zur­zeit an der Fach­hoch­schu­le Kiel schreibt. „Ich un­ter­su­che, ob höf­li­che Men­schen er­folg­rei­cher sind.“ Er und Fran­cois Col­let ma­chen einen Dop­pel­mas­ter: Am Ende haben sie einen deut­schen und einen fran­zö­si­schen Ab­schluss in der Ta­sche; und das mit ge­ra­de ein­mal 22 Jah­ren. Zu­nächst eine Über­ra­schung für die deut­schen Stu­den­tin­nen, die alle um die 25 Jahre alt und noch im Ba­che­lor­stu­di­um sind. „Aber die Fran­zo­sen ma­chen ja frü­her als wir Ab­itur. Au­ßer­dem muss­ten die deut­schen Män­ner bis vor kur­zem noch Wehr- oder Zi­vil­dienst­pflicht ma­chen“, weiß Mar­len Artus.

Neben spa­ni­schen und fran­zö­si­schen kom­men all­jähr­lich auch Aus­tausch­stu­die­ren­de aus an­de­ren Län­dern an die FH Kiel. Für sie bie­tet das ZSIK seit dem Win­ter­se­mes­ter 2012/13 eben­falls Sprachtan­dems an. „Wir möch­ten damit aber nicht nur Aus­tausch­stu­die­ren­de, son­dern alle in­ter­na­tio­na­len Stu­die­ren­den sowie die­je­ni­gen mit Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund an­spre­chen“, er­klärt Ga­brie­le Braun vom ZSIK, „um den sprach­li­chen und kul­tu­rel­len Aus­tausch auf un­se­rem Cam­pus ins­ge­samt zu för­dern und das vor­han­de­ne sprach­li­che Po­ten­zi­al der Stu­die­ren­den zu nut­zen. In­so­fern ist es denk­bar, das Tan­dem-Pro­gramm auch auf Spra­chen aus­zu­wei­ten, die nicht am ZSIK an­ge­bo­ten wer­den. Wir hat­ten bei­spiels­wei­se Nach­fra­gen zu Ara­bisch und Kur­disch.“ Der­zeit wer­den am ZSIK zehn Spra­chen ge­lehrt: Eng­lisch, Fran­zö­sisch, Spa­nisch, Dä­nisch, Schwe­disch, Chi­ne­sisch, Pol­nisch, Rus­sisch, Tür­kisch sowie Deutsch als Fremd­spra­che. „Für wel­che Spra­chen Tandem­part­ne­rin­nen und -part­ner ver­mit­telt wer­den kön­nen, ist eine Frage von An­ge­bot und Nach­fra­ge“, so Ga­brie­le Braun und er­gänzt: „Die Nach­fra­ge nach Eng­lisch ist bis­lang am stärks­ten.“

Sa­bi­ne Schütt, eben­falls vom ZSIK, nimmt die An­mel­dun­gen zum Tan­dem-Pro­gramm ent­ge­gen. Fünf Tandem­paa­re für ver­schie­de­ne Spra­chen und Län­der konn­ten be­reits er­folg­reich ver­mit­telt wer­den. „Sie sind bis­lang in kei­nen Kurs in­te­griert, also nicht mit der Ver­ga­be von Credit­points ver­knüpft. Sie ge­stal­ten ihren Aus­tausch ganz frei“, er­klärt Ga­brie­le Braun. Das ZSIK würde das An­ge­bot je­doch sehr gerne er­wei­tern. „In Zu­kunft möch­ten wir die Tandem­paa­re vor allem im Be­reich in­ter­kul­tu­rel­ler Kom­pe­tenz bes­ser be­glei­ten“, sagt ihre Kol­le­gin Vic­to­ria Re­bens­burg. „Das heißt, die Stu­die­ren­den ler­nen nicht nur die Spra­che und Kul­tur ihrer Tandem­part­ne­rin­nen oder -part­ner, son­dern ver­mit­teln selbst auch ihre ei­ge­ne und wer­den sich die­ser da­durch be­wusst.“

Die An­rech­nung von Credit­points ist, laut Ga­brie­le Braun, ein sen­si­bles Thema. „Ei­ner­seits stei­gern sie die At­trak­ti­vi­tät des Tan­dem-Pro­gramms, an­de­rer­seits gibt es be­stimmt auch viele Stu­die­ren­de, die ge­ra­de den frei­en, ei­gen­ver­ant­wort­li­chen Kon­takt su­chen.“ Zudem ist ihre An­rech­nung in den Cur­ri­cu­lae sehr un­ter­schied­lich ge­re­gelt und muss erst ein­mal ge­währ­leis­tet sein. „So­bald es in den Rah­men einer Ver­bind­lich­keit über­geht, müs­sen wir schau­en, wie groß das In­ter­es­se der Stu­die­ren­den ist.“

Bei den deutsch-fran­zö­si­schen und auch bei den deutsch-spa­ni­schen Tandem­paa­ren scheint die Ver­bin­dung von Pflicht­kurs und Frei­zeit­pro­gramm ganz gut zu funk­tio­nie­ren. Mitt­ler­wei­le duf­tet die WG nach frisch auf­ge­ba­cke­nem Brot. Als Tu­du­al Cornec und Fran­cois Col­let das Essen ser­vie­ren, müs­sen die Glä­ser und Be­cher auf dem viel zu klei­nen Tisch or­dent­lich hin- und her­ge­scho­ben wer­den. Den­noch fin­den die ty­pisch fran­zö­si­schen „Häpp­chen“ alle ihren Platz: ver­schie­de­ne Kä­se­sor­ten, wie Brie, ein­ge­leg­ter Schafs­kä­se und pi­kan­ter Hart­kä­se, au­ßer­dem grüne Wein­trau­ben, schwar­ze Oli­ven und Kräu­ter­ba­guette, dazu Rot­wein – und Pfef­fer­minz­tee für Mar­len Artus, die ein wenig er­käl­tet ist. Sie er­in­nert sich an ihren ers­ten Re­stau­rant­be­such mit Rémi Stein­my­l­ler: „Wir sind in die Klos­ter­braue­rei ge­gan­gen, so rich­tig ty­pisch deutsch.“ Wäh­rend sie sich da­mals Grün­kohl be­stell­te, ent­schied er sich für Le­ber­kä­se. An­schlie­ßend wun­der­te er sich: „Le­cker, aber was hat das mit Käse zu tun?“

Der Käse an die­sem Abend ist „echt“ und schmeckt allen. Ab­ge­se­hen von einer of­fi­zi­el­len Ab­schieds­par­ty wird das Tref­fen in der WG von Tu­du­al Cornec ver­mut­lich das letz­te sein, auf dem sich fast alle Tandem­part­ne­rin­nen und -part­ner sehen. „Die letz­ten Wo­chen bevor es wie­der zu­rück nach Frank­reich geht, sind stres­sig, weil für uns alle Klau­su­ren an­ste­hen oder Ar­bei­ten ab­ge­ge­ben wer­den müs­sen“, sagt Rémi Stein­my­l­ler. „Ja, lei­der ist un­se­re ge­mein­sa­me Zeit bald vor­bei“, be­dau­ert Mar­len Artus. In Mont­pel­lier wer­den Li­set­te Pörsch­ke und sie kei­nen der Tandem­part­ner wie­der sehen. Es sei denn, sie be­su­chen Rémi Stein­my­l­ler und Fran­cois Col­let in Cham­be­ry oder Tu­du­al Cornec in Brest. „Trotz­dem möch­ten wir in Kon­takt blei­ben“, sagt Mar­len Artus. „Wer weiß, wohin es uns nach dem Stu­di­um ver­schlägt.“ Durch das Tan­dem-Pro­gramm hätte sie bei Rémi Stein­my­l­ler nun immer einen An­lauf­punkt und er na­tür­lich auch bei ihr. Noch bis spät am Abend sit­zen die sechs Tandem­part­ne­rin­nen und -part­ner zu­sam­men und plau­dern über Gott (in Frank­reich) und die Welt an sich – auf Deutsch und auf Fran­zö­sisch.

 

© Fach­hoch­schu­le Kiel