7. November 1940 im Bundesstaat Washington, USA: In Wellen hebt sich die Fahrbahn der Tacoma-Narrows-Hängebrücke. Gleichmäßig neigt sich der rechte Fahrstreifen in die Höhe, dann der linke als bestünde das Bauwerk aus Gummi. Nach einigen Minuten dann der Kollaps: Die Seile der Hängebrücke reißen und Teile der Fahrbahn stürzen in die Meerenge Puget Sound. Wie Wissenschaftler später herausfanden, hat der Wind die Brücke in die selbstzerstörerischen Schwingungen versetzt.
Genauer gesagt Luftwirbel, weiß Dr. rer. nat. Steffen Risius, Professor für Mathematik und Aerodynamik an der Fachhochschule Kiel. „Wirbel verursachen Kräfte, die ganze Bauten zum Einsturz bringen können“, sagt der Experte. Diese „rotierenden Strömungsgebilde“ treten auf, wenn Flüssigkeiten oder Gase einen Körper umfließen. In der Luft- und Schifffahrt, der Windkraft oder eben dem Bauwesen spielen sie eine wichtige Rolle. Um zu verstehen, was passiert, muss man die Strömung sichtbar machen. Dafür gibt es verschiedene Versuchsaufbauten. Einer davon ist das FLOWlab.
Strömung simulieren und sichtbar machen
Das FLOWlab erinnert an ein langgestrecktes Aquarium, das aus zwei übereinander liegenden Kammern besteht. In der unteren versetzt ein Motor Wasser in dem gläsernen Kasten in Bewegung und erzeugt so eine Strömung. Dann wird das Wasser in die obere Kammer geleitet, wo es einen Körper umfließt. Das kann beispielsweise der zweidimensionale Querschnitt einer Tragfläche sein. Auch wenn das FLOWlab mit Wasser betrieben wird, kann man mit ihm die Strömungseigenschaften von Luft simulieren. „Das geht ganz gut“, weiß Risius. „Die Gleichungen kann man übertragen. Lediglich bei hohen Fließgeschwindigkeiten gibt es Einschränkungen, da dann beispielsweise Kompressibilitätseffekte auftreten.“

Die Idee für diesen Versuchsaufbau ist mehr als 100 Jahre alt, erklärt der Professor. „Ludwig Prandtl baute Anfang des 20. Jahrhunderts einen kleinen Wasserkanal, der die Vorlage für das FLOWlab war“. Die Strömung erzeugte der deutsche Wissenschaftler Prandtl damals von Hand mithilfe eines Schaufelrads. Ins Wasser setzte er verschiedene Körper und beobachtete, wie die Flüssigkeit sie umfloss – Eisenglimmer machte die Strömung sichtbar. Die Ergebnisse hielt Prandtl mit Langzeitbelichtungen fest.
Heutzutage setzt man dafür auf Particle Image Velocimetry, kurz PIV: Dazu wird das Wasser mit kleinen Kunststoffpartikeln versetzt. Ein Laser strahlt den umströmten Körper von oben an, und eine Kamera an der langen Seite des Umlaufkanals fotografiert den Versuch in zeitlich kurzen Abständen. So wird Unsichtbares sichtbar. „Wir haben zwei Momentaufnahmen. Dadurch, dass wir die Verschiebung der Partikel von einem Bild zum anderen betrachten, können wir Geschwindigkeit und Richtung der Strömung mithilfe einer Software berechnen“, erklärt der Professor und ergänzt: „Es geht darum, für die Studierenden grundlegende Zusammenhänge darzustellen.“ Die angehenden Ingenieur*innen visualisieren, was sie theoretisch berechnen können.
Lernen aus der Katastrophe
So ein Versuch hätte die Tacoma-Narrows-Hängebrücke wahrscheinlich vor ihrem Einsturz nach lediglich vier Monaten bewahrt. Die Überreste des Bauwerks liegen immer noch auf dem Grund der Meerenge, doch auf dem Fundament der alten Brücke steht bereits eine neue. Dass diese das gleiche Schicksal ereilt, ist unwahrscheinlich: Seit dem Einsturz testen Ingenieur*innen größere Brücken auf ihre Strömungseigenschaften – ohne die Wissenschaft undenkbar.