Einkaufswagen im Supermarkt© Pixa­bay

Wer­bung, Viel­zahl von Pro­duk­ten und faire Prei­se

von Hart­mut Ohm

Am 15.03.1962 pro­kla­mier­te US-Prä­si­dent John F. Ken­ne­dy (1917 – 1963) vor dem ame­ri­ka­ni­schen Kon­gress vier grund­le­gen­de Ver­brau­cher­rech­te. Sie be­inhal­ten im We­sent­li­chen:

  • den Schutz vor ge­sund­heits- oder le­bens­ge­fähr­den­den Waren,
  • den Schutz vor be­trü­ge­ri­schen oder ab­sicht­lich ir­re­füh­ren­den In­for­ma­tio­nen bzw. Wer­bung,
  • die Mög­lich­keit, auf eine Viel­zahl von Pro­duk­ten zu fai­ren Markt­prei­sen zu­grei­fen zu kön­nen und
  • die Ge­wiss­heit, dass Ver­brau­cher­inter­es­sen um­fäng­lich und wohl­wol­lend bei der For­mu­lie­rung von Re­gie­rungs­richt­li­ni­en be­ach­tet wer­den.[1]

Um an Ken­ne­dys Rede und die Rech­te der Ver­brau­che­rin­nen und Ver­brau­cher zu er­in­nern, wurde 1983 der in­ter­na­tio­na­le Welt­ver­brau­cher­tag ein­ge­führt, der an jedem 15. März be­gan­gen wird. Zum Welt­ver­brau­cher­tag 2019 stell­te Hart­mut Ohm Prof. Dr. Ma­nu­el Ste­ge­mann aus dem Fach­be­reich Wirt­schaft ei­ni­ge Fra­gen.

Herr Pro­fes­sor Dr. Ste­ge­mann, wann genau gilt Wer­bung als be­trü­ge­risch oder ir­re­füh­rend?

Die Frage ist sehr be­rech­tigt und gleich­zei­tig äu­ßerst kom­plex. Ver­mut­lich könn­te ein(e) Ju­rist(in) eine deut­lich um­fas­sen­de­re und kom­pe­ten­te­re Aus­sa­ge dazu tref­fen als ich. Es wird mei­nes Wis­sens im Ge­setz gegen den un­lau­te­ren Wett­be­werb (UWG) ge­re­gelt und in der Pra­xis in der Regel im Ein­zel­fall ent­schie­den, ob eine Wer­bung noch zu­läs­sig oder be­reits ir­re­füh­rend ist.

Ir­re­füh­rend ist eine Wer­bung unter an­de­rem dann, wenn sie Aus­sa­gen ent­hält, die ein­deu­tig fak­tisch zu fal­si­fi­zie­ren sind. Das trifft zum Bei­spiel hin und wie­der auf Wer­bung mit Aus­sa­gen zum Al­lein­stel­lungs­merk­mal zu. Wirbt ein Un­ter­neh­men mit der Aus­sa­ge „Die be­lieb­tes­te Piz­ze­ria in Kiel“, so muss dies im Zwei­fel nach­ge­wie­sen wer­den kön­nen. Ob als Nach­weis Be­wer­tun­gen aus Um­fra­gen oder Por­ta­len rei­chen oder ob dies über die höchs­te An­zahl an Kun­den zu er­fol­gen hat, ist genau der schma­le Grat, der mei­nes Wis­sens eher im Ein­zel­fall be­wer­tet wird.

Ir­re­füh­rend kann eine Wer­bung be­reits auch sein, wenn fak­tisch keine Aus­sa­gen zu wi­der­le­gen sind, die Wer­bung aber zur Täu­schung eines durch­schnitt­lich vor­ge­bil­de­ten Ver­brau­chers ge­eig­net ist. Wer­den bei Le­bens­mit­teln Pro­duk­te als sehr viel ge­sund­heits­för­dern­der dar­ge­stellt als sie sind, wäre das ein klas­si­scher Streit­fall. Be­son­ders streng wird dies ge­hand­habt, wenn es um Pro­duk­te für Kin­der oder um me­di­zi­ni­sche Pro­duk­te geht.

Was kön­nen die Ver­brau­cher*innen tun, wenn sie sol­che Wer­bung ent­de­cken?

In Deutsch­land haben wir für Be­schwer­den gegen Wett­be­werbs­ver­stö­ße, wor­un­ter ir­re­füh­ren­de Wer­bung zu fas­sen ist, die Wett­be­werbs­zen­tra­le. Wei­ter­hin gibt es in Deutsch­land die Ver­brau­cher­zen­tra­len. Diese sind auch lan­des­weit or­ga­ni­siert und agie­ren im staat­li­chen Auf­trag zum Wohle des Ver­brau­cher­schut­zes. Diese kön­nen dann ver­su­chen, Stra­fen gegen Un­ter­neh­men ein­zu­kla­gen.

Seit ei­ni­gen Jah­ren ist je­doch immer öfter zu be­ob­ach­ten, dass Ver­brau­cher*innen selbst die In­itia­ti­ve er­grei­fen und über so­zia­le Me­di­en gegen Wer­bung vor­ge­hen, die sie als ir­re­füh­rend, dis­kri­mi­nie­rend, se­xis­tisch oder in einer an­de­ren Form als ge­schmack­los emp­fin­den. Dies war frü­her nicht mög­lich und trifft Un­ter­neh­men zum Teil emp­find­lich. Man spricht in die­sem Zu­sam­men­hang auch häu­fig von der „neuen Macht des Kon­su­men­ten“. Ein Pro­blem ist dabei je­doch, wer in so­zia­len Me­di­en über rich­tig oder falsch, Recht oder Un­recht ent­schei­det. Den­noch ist und bleibt es ein öf­fent­lich­keits­wirk­sa­mer Weg, Un­ter­neh­men und an­de­ren Kon­su­men­ten seine Mei­nung mit­zu­tei­len.

Ken­nen Sie Bei­spie­le, bei dem die Ver­wen­dung ir­re­füh­ren­der Wer­bung mal rich­tig teuer für die Wer­ben­den wurde?

Der­ar­ti­ge Bei­spie­le kom­men vor allem aus den USA, weil dort ver­meint­lich ge­schä­dig­te Ver­brau­cher di­rekt gegen das Un­ter­neh­men kla­gen kön­nen und dies bei einer er­folg­rei­chen Klage Ent­schä­di­gun­gen für alle Käu­fer nach sich zieht. Dar­aus re­sul­tie­ren hohe und teils exis­tenz­be­dro­hen­de Stra­fen. Red Bull hat bei­spiels­wei­se vor ein paar Jah­ren ei­ni­ge Mil­lio­nen US-Dol­lar zah­len müs­sen, da die Wer­bung eine Leis­tungs­stei­ge­rung sug­ge­riert hat, die bei Ver­brau­chern aus­ge­blie­ben ist. VW hat in den USA auf­grund der fal­schen Die­sel­ver­spre­chun­gen nach bis­he­ri­gen Er­kennt­nis­sen über 20 Mil­li­ar­den Euro an Stra­fe ge­zahlt, teils an die Be­hör­den, teils an die Ver­brau­cher zur Ent­schä­di­gung oder für Rück­käu­fe von ver­kauf­ten Autos.

Wie de­fi­niert man einen „fai­ren Preis“?

Aus öko­no­mi­scher Sicht würde man ver­mut­lich sagen, dass ein fai­rer Preis der­je­ni­ge ist, bei dem An­ge­bot und Nach­fra­ge im Gleich­ge­wicht sind. Aus psy­cho­lo­gi­scher Sicht ist das kom­pli­zier­ter: hier ist oft zu be­ob­ach­ten, dass Kon­su­men­ten einem Un­ter­neh­men Ge­win­ne und eine „ge­si­cher­te Exis­tenz“ zu­ge­ste­hen. Sie er­war­ten je­doch eine dem Preis ent­spre­chen­de Ge­gen­leis­tung. Ist die­ses Ver­hält­nis aus sub­jek­ti­ver Kon­su­men­ten­sicht nicht ge­ge­ben, nimmt auch schnell die Ak­zep­tanz für die Prei­se ab. Dann hilft auch ein Ver­weis auf An­ge­bot und Nach­fra­ge nicht mehr. Pro­ble­ma­tisch ist das vor allem für Bran­chen, bei denen die Kun­den die Kos­ten für ein Pro­dukt oder eine Dienst­leis­tung ten­den­zi­ell un­ter­schät­zen, zum Bei­spiel für ein Ki­no­ti­cket. Schwie­rig ist es au­ßer­dem für Un­ter­neh­men, den Preis zu er­hö­hen: Wird eine Er­hö­hung mit stei­gen­den Kos­ten, zum Bei­spiel bei En­er­gie­prei­sen und Per­so­nal­kos­ten, be­grün­det, wird das von Kon­su­men­ten als viel fai­rer wahr­ge­nom­men als Preis­stei­ge­run­gen zur Er­rei­chung der Ge­winn­zie­le.

Kann der Staat ein­grei­fen, wenn ein Preis nicht fair ist?

Das kann er in ei­ni­gen Märk­ten durch­aus. In­wie­fern Re­gle­men­tie­run­gen sinn­voll sind, ist al­ler­dings ein sehr streit­ba­res Thema. Mir fällt da als ers­tes Bei­spiel die sog. „Miet­preis­brem­se“ ein. Der Staat greift mit einer Re­ge­lung in den Markt ein mit der Ab­sicht, Mie­ter vor einem star­ken An­stieg der Prei­se zu schüt­zen. An sich ein lo­bens­wer­ter Ge­dan­ke, nur in der Pra­xis oft leicht zu um­ge­hen. Die Miet­preis­brem­se ist ein prag­ma­ti­scher Weg, nicht allzu teuer und schnell um­setz­bar. Un­klar ist, wie ef­fek­tiv und nach­hal­tig die Wir­kung bei den Be­dürf­ti­gen an­kommt. An­de­re ar­gu­men­tie­ren gegen Re­gle­men­tie­run­gen und sehen eine nach­hal­ti­ge­re Lö­sung darin, pro­ak­ti­ver und we­ni­ger bü­ro­kra­tisch Wohn­raum zur Ver­fü­gung zu stel­len oder die In­fra­struk­tur au­ßer­halb der Bal­lungs­ge­bie­te zu stär­ken. Das wäre je­doch kom­ple­xer und teu­rer.

Kann eine „Viel­zahl von Pro­duk­ten“, wie von Ken­ne­dy ver­langt, die Ver­brau­cher*innen über­for­dern?

Ja, das pas­siert heut­zu­ta­ge in vie­len Bran­chen. Ich habe die Zei­ten von Ken­ne­dy auf­grund mei­nes Al­ters nicht mit­er­lebt. Je­doch un­ter­schie­den sich die da­ma­li­gen Märk­te von den heu­ti­gen grund­le­gend: Da­mals exis­tier­te in vie­len Be­rei­chen ein gro­ßer Nach­fra­ge­über­hang, so­dass seine For­de­rung nach mehr Pro­duk­ten und Aus­wahl für Kon­su­men­ten unter die­sem Licht sehr gut nach­voll­zieh­bar er­scheint. Heute haben wir in den meis­ten Märk­ten einen An­ge­bots­über­hang und stär­ke­re Kon­kur­renz bei einer Viel­zahl von Un­ter­neh­men: Dies kann dann sogar zu einer Über­for­de­rung von Kon­su­men­ten füh­ren und zu Un­zu­frie­den­heit mit dem Ent­schei­dungs­pro­zess. Mal fühlt sich ein Kon­su­ment ge­nö­tigt, in einer eher un­wich­ti­gen An­ge­le­gen­heit, die so­ge­nann­te  Low In­vol­vement Si­tua­ti­on, eine Ent­schei­dung mit zu vie­len Al­ter­na­ti­ven tref­fen zu müs­sen. Mal ist einem Kon­su­men­ten eine Ent­schei­dung wich­tig (High In­vol­vement), er oder sie be­kommt je­doch auf­grund der An­ge­bots­viel­falt nie das Ge­fühl, eine rich­ti­ge Ent­schei­dung tref­fen zu kön­nen. Das ist ko­gni­tiv an­stren­gend.

Al­ler­dings möch­ten Kon­su­men­ten über­wie­gend auch nicht die Ent­schei­dungs­frei­heit ver­lie­ren und nur be­stimm­te An­ge­bo­te ohne ei­ge­nen Se­lek­ti­ons­pro­zess er­hal­ten. Also ein Pa­ra­do­xon, das nicht so ein­fach auf­zu­lö­sen ist. 

Wie soll­te sich eine Ver­brau­che­rin oder ein Ver­brau­cher ver­hal­ten, wenn sie /er sich zum Bei­spiel einem Dut­zend ver­schie­de­ner Zahn­cremes ge­gen­über sieht und die Wahl schwer­fällt?

Men­schen wen­den er­folg­reich Heu­ris­ti­ken zur ko­gni­ti­ven Ent­las­tung an, um schnel­ler zu einer Ent­schei­dung zu kom­men, ins­be­son­de­re wenn diese als nicht so wich­tig ein­ge­stuft wird. Dar­un­ter fällt für die meis­ten Kon­su­men­ten auch Zahn­creme. Meine per­sön­li­che Emp­feh­lung wäre daher: Be­wusst wer­den, dass es sich um keine wich­ti­ge Ent­schei­dung han­delt, um auf­kom­men­den Stress zu ver­mei­den. Dann nach we­ni­gen Kri­te­ri­en wie Preis, ge­wünsch­ten Ei­gen­schaf­ten wie White­ning Ef­fect oder ähn­li­ches fil­tern und am Ende mög­lichst prag­ma­tisch eines der noch üb­ri­gen Pro­duk­te wäh­len.

Nach häu­fi­ge­rem Kauf der­sel­ben Zahn­creme ent­wi­ckeln viele Kon­su­men­ten üb­ri­gens ein so­ge­nann­tes ha­bitu­ier­tes Ver­hal­ten, das heißt die Zahn­creme wird fast au­to­ma­tisch ge­kauft ohne zu hin­ter­fra­gen. Das spart eben­falls ko­gni­ti­ve Res­sour­cen für wich­ti­ge­re Dinge.

Ich selbst er­tap­pe mich je­doch auch des Öf­te­ren, zu viel Zeit mit un­we­sent­li­chen Ent­schei­dun­gen zu ver­brin­gen. Eine wirk­lich ef­fek­ti­ve Me­tho­de, sich nicht vom Mar­ke­ting ver­füh­ren zu las­sen, habe ich ehr­lich ge­sagt auch für mich noch nicht ge­fun­den.

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