Eine Frau© M. Pilch

Wie passt Künst­li­che In­tel­li­genz in die Hoch­schul­bil­dung?

von Joa­chim Kläschen

Künst­li­che In­tel­li­genz (KI), Big Data und Ma­schi­nel­les Ler­nen sind Me­ga­the­men, die sich auf fast alle ge­sell­schaft­li­chen Be­rei­che aus­wir­ken. Prof. Dr. Doris We­ßels vom Fach­be­reich Wirt­schaft der FH Kiel er­forscht, wie sich Künst­li­che In­tel­li­genz im Hoch­schul­kon­text aus­wir­ken kann. Im In­ter­view mit der Cam­pus­re­dak­ti­on spricht Sie über Ihre For­schung.

Frau We­ßels, wie ist es um KI und Hoch­schu­len be­stellt?

Aus mei­ner Sicht gibt es im Zu­sam­men­spiel von KI und Hoch­schu­le ein grund­sätz­li­ches Pro­blem. Zwar wird an den Hoch­schu­len ‚Künst­li­che In­tel­li­genz‘ ge­lehrt, auch dank viele neuer KI-Pro­fes­su­ren in Deutsch­land. Aber die Aus­wir­kun­gen der KI im ei­ge­nen ‚Sys­tem Hoch­schu­le‘ wer­den lei­der eher ver­drängt und nicht aus­rei­chend the­ma­ti­siert. Das hängt damit zu­sam­men, dass diese Ver­än­de­run­gen sehr tief­grei­fend sind und das ‚Sys­tem Hoch­schu­le‘ in sei­nen Grund­fes­ten er­schüt­tern.

Mit wel­chen As­pek­ten von KI be­schäf­ti­gen Sie sich kon­kret?

Ich be­schäf­ti­ge mich seit dem Früh­jahr 2018 in mei­nen Ver­öf­fent­li­chun­gen und Vor­trä­gen sehr in­ten­siv mit KI-ge­stütz­ter Pro­duk­ti­on und Be­ar­bei­tung von Tex­ten jeg­li­cher Art. Ins­be­son­de­re be­trifft das ‚Na­tu­ral Lan­guage Ge­ne­ra­ti­on‘ (NLG) und ‚Na­tu­ral Lan­guage Pro­ces­sing‘ (NLP) sowie die Aus­wir­kun­gen auf den Bil­dungs­be­reich. Im Be­reich Jour­na­lis­mus hat der ‚Robo-Jour­na­lis­mus‘ be­reits Ein­zug ge­hal­ten. Durch KI-Al­go­rith­men er­stell­te Texte wer­den heute schon welt­weit von News-Agen­tu­ren und Zei­tungs­ver­la­gen täg­lich ein­ge­setzt. Aber ich setz­te mich auch mit der Frage aus­ein­an­der, wie es mit KI im Be­reich Bil­dung aus­sieht. Wel­che Her­aus­for­de­run­gen er­war­ten Schu­len oder auch Hoch­schu­len, wenn ihre Ler­nen­den mit der Hilfe von frei zu­gäng­li­chen KI-Werk­zeu­gen ihre Texte per Knopf­druck KI-ge­stützt schrei­ben las­sen oder vor­han­de­ne Texte mit einem Klick pla­gi­ats­si­cher mo­di­fi­zie­ren las­sen (‚Re­wri­ting‘)?

Wel­che Re­ak­tio­nen er­fah­ren Sie auf Ihre Ar­beit?

Der spon­ta­ne Im­puls vie­ler Hoch­schul­ver­tre­ter*innen, mit denen ich in den letz­ten zwei Jah­ren diese Her­aus­for­de­run­gen dis­ku­tiert habe, rei­chen von un­gläu­bi­gem Stau­nen bis hin zur For­de­rung von so­for­ti­gen Ver­bo­ten oder Re­gu­la­ri­en, damit diese KI-Werk­zeu­ge von un­se­ren Stu­die­ren­den nicht ein­ge­setzt wer­den dür­fen. Diese Re­ak­tio­nen sind zwar ver­ständ­lich, aber Ver­bo­te sind weder hilf­reich, noch sind sie er­stre­bens­wert und durch­setz­bar – und sie ste­hen kon­trär zu un­se­rem Bil­dungs­auf­trag zeit­ge­mä­ßer Lehr­in­hal­te. Die Her­aus­for­de­rung be­steht somit darin, dass wir den Ein­satz die­ser Werk­zeu­ge in un­se­re Lehre und für das Ler­nen ziel­füh­rend in­te­grie­ren müs­sen. Die Art und Weise, wie das ge­lin­gen kann, gilt es zu iden­ti­fi­zie­ren und an den Hoch­schu­len sinn­stif­tend zu eta­blie­ren. 

Wel­che po­si­ti­ven As­pek­ten von KI sehen Sie im Hoch­schul-Kon­text?

Durch den Ein­satz die­ser heute schon sehr leis­tungs­star­ken NLP-Werk­zeu­ge kön­nen schnel­ler Texte ge­ne­riert wer­den, die im Ide­al­fall auch qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ger sind. Wir wer­den nach mei­ner Ein­schät­zung in ab­seh­ba­rer Zu­kunft in­di­vi­dua­li­sier­te ‚Schreib-Bots‘ nut­zen, so wie wir heute mit grö­ß­ter Selbst­ver­ständ­lich­keit die An­nehm­lich­kei­ten an­de­rer IT-Tools wie bei­spiels­wei­se Such­ma­schi­nen, Recht­schreib­kor­rek­tu­ren und Über­set­zungs­werk­zeu­gen. Wenn meine Ein­schät­zung zu­trifft, wer­den wir zu­künf­tig einen je­der­zeit ein­satz­be­rei­ten di­gi­ta­len Ko-Autor oder eine di­gi­ta­le Ko-Au­to­rin an un­se­rer Seite haben und ‚Co-Crea­ti­on‘ in der Ver­bin­dung von Mensch und Ma­schi­ne er­le­ben. Mich fas­zi­niert diese Vor­stel­lung, ob­gleich sie sehr viele recht­li­che Fra­ge­stel­lun­gen zum Ur­he­ber­recht und zur Trans­pa­renz und Nach­voll­zieh­bar­keit des wis­sen­schaft­li­chen Ar­bei­tens auf­wirft.

Was sind Ihren Augen die grö­ß­ten Her­aus­for­de­run­gen, damit sich die KI-Ent­wick­lun­gen po­si­tiv in der Hoch­schul­bil­dung ent­fal­ten kön­nen?

Die ei­gent­li­che Her­aus­for­de­rung beim ‚Na­tu­ral Lan­guage Ge­ne­ra­ti­on/Pro­ces­sing‘ be­steht darin, die­sen hoch-dy­na­mi­schen Ver­än­de­rungs­pro­zes­se mit der glei­chen Dy­na­mik durch uns Leh­ren­de zu be­geg­nen. Vor­aus­set­zung dafür ist al­ler­dings ein Be­wusst­sein für die­ses neue ‚Pro­blem‘. Wir brau­chen drin­gend eine ta­buf­reie Dis­kus­si­on und Of­fen­heit für diese neue Her­aus­for­de­rung. Die Dring­lich­keit liegt in der dro­hen­den Ge­fahr eines Re­pu­ta­ti­ons­ver­lus­tes. Diese Ge­fahr ent­steht, wenn die Qua­li­täts­si­che­rung nicht mehr greift und schrift­li­che Ar­bei­ten wie Se­mes­ter-, Se­mi­nar- und Ab­schluss­ar­bei­ten quasi au­to­ma­tisch über KI-Tools ge­ne­riert, von den Stu­die­ren­den zur Be­ur­tei­lung ein­ge­reicht und von den Leh­ren­den als er­folg­rei­che Prü­fungs­ar­bei­ten be­wer­tet wer­den.

Er­schwe­rend kommt hinzu, dass die Ge­schwin­dig­keit der Ver­än­de­rung von Pro­zes­sen und der Grad der Di­gi­ta­li­sie­rung stän­dig zu­neh­men. Unser ‚Sys­tem Hoch­schu­le‘ muss mit­hal­ten kön­nen, damit wir in der Lehre nicht hin­ter hin­ken. Wir müs­sen ei­gent­lich Vor­rei­ter und Avant­gar­de sein und das be­deu­tet ein kon­ti­nu­ier­li­ches Ler­nen und Qua­li­fi­zie­rung der Leh­ren­den – auch im The­men­feld ‚Na­tu­ral Lan­guage Ge­ne­ra­ti­on/Pro­ces­sing‘.

Gilt auch für das Thema KI, das Ak­teu­re ge­mein­sam mehr be­wir­ken kön­nen? Sind Ko­ope­ra­tio­nen ge­plant, um schnel­ler von den Mög­lich­kei­ten zu pro­fi­tie­ren, die KI für die Hoch­schul­bil­dung bie­tet?

Ja, diese KI-in­du­zier­ten Ver­än­de­run­gen sind aus mei­ner Sicht dis­rup­tiv, weil sie das ‚Sys­tem Hoch­schu­le‘ in sei­nen Grund­fes­ten er­schüt­tern. Zwar las­sen sich die Pro­ble­me und Her­aus­for­de­run­gen recht prä­zi­se be­schrei­ben, aber lei­der fal­len die Ant­wor­ten und Lö­sungs­stra­te­gi­en nicht vom Him­mel. Wir wer­den unser Sys­tem gra­vie­rend um­bau­en müs­sen. Das kann nur mit ver­ein­ten Kräf­ten ge­lin­gen. Daher sind KI-In­itia­ti­ven in Deutsch­land sehr wich­tig und hilf­reich, damit wir wech­sel­sei­tig Ideen aus­tau­schen und ‚best prac­ti­ces‘ ent­wi­ckeln. Doch auch hier bin ich zu­ver­sicht­lich: Nach mei­nem Im­puls­vor­trag bei der Fach­ta­gung ‚KI in der Hoch­schul­leh­re‘ am 5. No­vem­ber, die von der Fern­uni­ver­si­tät Hagen or­ga­ni­siert wurde, wur­den an­schlie­ßend im Krei­se der etwa 80 Teil­neh­mer*innen viele Fra­gen und Ideen aus­ge­tauscht.

Gibt es kon­kre­te Ideen für Ko­ope­ra­tio­nen?

Bei der Ta­gung kam die For­de­rung zur Grün­dung von ‚KI-Ex­pertLabs‘ auf, die sich de­di­zier­ten ein­zel­nen Fra­ge­stel­lun­gen an­neh­men sol­len. Ich habe vor­ge­schla­gen, ein Ex­pert­Lab zum ‚Aca­de­mic Wri­ting‘ für die neue Art der Schreib­kom­pe­tenz­för­de­rung un­se­rer Ler­nen­den zu eta­blie­ren. Ge­mein­sam mit dem CAU-Wis­sen­schaft­ler Ni­co­la­us Wil­der geht es beim vir­tu­el­len Co­bur­ger Netz­wer­ken mit die­sem Thema und einem Work­shop wei­ter – dort mit dem Fokus auf die gute wis­sen­schaft­li­che Pra­xis im Zeit­al­ter Künst­li­cher In­tel­li­genz und dem Bezug zum Pro­jekt Pa­th2­In­te­gri­ty. Beim ‚Tag der Lehre‘ am 1. De­zem­ber bei uns an der FH Kiel habe ich na­tür­lich auch einen Bei­trag zu die­sem Thema ein­ge­reicht.

Wer das Leis­tungs­po­ten­zi­al von KI-Werk­zeu­gen er­le­ben möch­te soll­te sich die KI-App ‚Phi­lo­so­pher AI‘ an­se­hen. Wer Fra­gen ein­gibt, kann sich diese von der KI mit einem Klick be­ant­wor­ten las­sen. Das fas­zi­niert und er­schreckt glei­cher­ma­ßen, be­schert aber mit­un­ter auch viel Spaß!

© Fach­hoch­schu­le Kiel