eine Frau im Rollkragenpullover und Blazer steht auf vor einer grünen Statue. Ihren Arm hält sie angelehnt an diese Statue. Im Hintergurnd sieht man den Teil eines Gebäudes.© J. Schulz
Lehrt seit 2013 an der Fachhochschule Kiel: Prof. Dr. Sabine Grosser.

Wie wird man eigentlich Professor*in?: Prof. Dr. Sabine Grosser

von Mariesa Brahms

Frau Grosser, Sie haben in Kassel und Marburg Germanistik und Geschichte studiert. Später haben sie dann zusätzlich Kunst studiert – wie kam es zu dieser Entscheidung?

Geschichte und Kunst waren immer schon Themen, die mich gereizt haben. Germanistik war eher eine klassische Vernunftentscheidung. Ich musste mich für ein Zweitfach entscheiden und hatte mir dann gedacht, dass Deutsch ja immer von Nutzen wäre. Biografisch habe ich eher weniger mit Kunst zu tun. In der Schule ist der Kunstunterricht sogar öfter ausgefallen wegen Lehrermangel. Eine besondere Prägung durch mein Elternhaus gab es auch nicht. Es war ein Interesse, das ich für mich entdeckt und entwickelt habe. In Marburg gab es das Institut für Ästhetische Bildung, wo man Zusatzveranstaltungen besuchen konnte. Im Grundstudium habe ich entdeckt, dass mich die Verbindung von Sprache und Text, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede interessieren. Die Frage, wie Menschen Sprache und Bilder benutzen, die Beschreibungsmöglichkeiten, aber auch Unterschiede in den Rezeptionsprozessen von Sprache und Bildern.

Gab es einen Punkt, an welchem Sie sich bewusst entschieden haben, Professorin zu werden?

Für mich ging es immer um die Auseinandersetzung mit Inhalten und Themen. Von daher war Forschung zentral. Den Fragen nachzugehen, die einen interessieren. Das war schon ein wichtiger Aspekt für mich, der auch die Themenwahl meiner Promotion und meiner Habilitation bestimmte. Danach hat sich der Weg weiterentwickelt. Meine erste Abschlussarbeit thematisierte die Grenzen von Bild und Raum: „Bilder ohne Rahmen. Welche Bedeutung hat der Bilderrahmen für die Konstituierung unseres abendländischen Bildbegriffes?“ Was macht ein Bild aus? In einem praktischen Kunst- und Ausstellungsprojekt habe ich eben genau das untersucht und in einer theoretischen Arbeit kontextualisiert und reflektiert.

Sie waren ab 1997 fünf Jahre als Dozentin in Sri Lanka. Wie sind Sie auf diese Stelle gekommen?

Das hat sich nach meiner Promotion ergeben. Jemand hatte zu mir im Atelier während der Arbeit an meiner Abschlussarbeit gesagt, meine Arbeit erinnere ihn an Blinky Palermo, einen Schüler von Joseph Beuys. Der hat sich in den 60er Jahren in seiner künstlerischen Arbeit mit der Öffnung des Tafelbildes zum Raum beschäftigt. In meiner Dissertation habe ich mich dann mit einem Zugang zu Palermos hermetischem Werk und seinem Umgang mit dem Thema beschäftigt. Daraus entwickelte ich dann die Frage nach Bildvorstellungen anderer Kulturen. Ich wollte deswegen in eine nicht-abendländische Bild-Kultur eintauchen, um dort Erfahrungen zu sammeln. Beim DAAD gab es zu dieser Zeit eine Stelle für Kulturwissenschaftler*innen in Sri Lanka. Da habe ich mich beworben und sie letztendlich auch bekommen.

Was haben Sie dort mitgenommen?

Der gesamte Kontext von Kunst unterscheidet sich. In Sri Lanka ist der Großteil der Gesellschaft buddhistisch geprägt. Das buddhistische Denken prägt die Entwicklung der Bildsprache. Dagegen steht in unserer Kultur das Tafelbild exemplarisch für unsere Bildvorstellung, wie es sich in der Aufklärung entwickelt hat. Im Mittelpunkt steht das Individuum, das sich in Beziehung zur Welt sieht. Wie verhalte ich mich zur Welt? Wir setzen alles gerne in Rahmen, die unsere Wahrnehmung bestimmen. Denken Sie an den Bilderrahmen am Fördewanderweg: Durch den Rahmen legt man einen Ausschnitt, eine Perspektive fest. Man trifft Entscheidungen, was gehört ins Bild, was wird nicht gezeigt. Das bestimmt unsere menschliche Wahrnehmung ganz wesentlich. Und in der zeitgenössischen Kunst Sri Lankas stehen oft mehrere Dinge nebeneinander, die Bilder erscheinen uns weniger strukturiert. Sie sind weniger zentralperspektivisch geordnet. Im Buddhistischen sieht man sich eher als Teil des Ganzen. Unsere abendländische Kultur ist eher von einem linearen Denken geprägt. An dem Beispiel sieht man auch, wie Religion unsere Bildsprache beeinflusst.

Wie lässt sich das auf die Lehre beziehen?

An solchen Beispielen lassen sich ganz grundlegende transkulturelle Beobachtungen anstellen. Oder denken Sie an den populären Begriff der Achtsamkeit als ein Grundprinzip, eine achtsame Haltung gegenüber seinem Leben einzunehmen. Gemeinsam mit einem ehemaligen Studierenden von der Universität Kelaniya (Sri Lanka), Dr. Thammanawe, habe ich ein Seminarkonzept entwickelt, in dem wir die transkulturelle Prägung des Begriffs - der in seiner westlichen Rezeption vor allem durch Jon Kabat-Zinn vom Buddhismus übernommen wurde - überprüfen und der Frage nachgehen, was für eine Rolle Achtsamkeit für die Studierenden spielt und inwiefern man dieses Prinzip in der jeweiligen Rolle als Sozialarbeiter, als Sozialarbeiterin nutzen kann.

Muss man dafür ein besonderes Verständnis für Kunst haben?

Nein, sicher nicht. Dieses Krickeln zum Beispiel. Das, was jeder z. B. während des Telefonierens macht. Oder Kinder, die schon früh versuchen, irgendetwas zu malen oder mit anderen zu kommunizieren. Das sind die ersten Ausdrucks- und Kommunikationsversuche. Es geht in der Ästhetischen Bildung weniger um Kompetenzen, oder darum, Kunst zu machen. Vielmehr geht es um eigene ästhetische, praktische Erfahrungen, diese zu reflektieren und zu sehen, wie man diese als Methode einsetzen kann in den verschiedenen Feldern der Sozialen Arbeit.

Wie könnte man das machen?

Soziale Arbeit ist ebenso wie die Ästhetik ein sehr breites Feld. Ästhetische Bildungsprozesse können durch alles initiiert werden, was unsere Sinne anspricht und Bildungsprozesse anregt. Können oder Schönheitsideale spielen dabei eine untergeordnete Rolle, viel wichtiger ist Irritation. Denken Sie an Kriegsfilme zum Beispiel. Es geht um die Reaktionen, die diese in uns hervorrufen. Oder ich arbeite mit Studierenden an fotografischen Projekten. Ein Student beispielsweise hat eine Ausstellung mit Bildern gemacht, die von Obdachlosen mit Einwegkameras aufgenommen wurden und dadurch deren Perspektiven aufzeigen, die in der Ausstellung Raum bekommen und öffentlich wahrgenommen werden.

Welche Rolle spielt die Kunst für Sie im außerberuflichen Kontext?

Für mich spielt Kunst eine große Rolle. Regelmäßig besuche ich Kunstausstellungen und verfolge den aktuellen Diskurs – auch international. Die eigene Kunstpraxis ist zwar leider in den Hintergrund geraten, ich fotografiere noch gern, z. B. im Alltag oder auf Reisen. Obwohl ich ursprünglich künstlerisch aus der Malerei komme, ist Fotografie heute für mich deswegen so interessant, weil sie eine starke Unmittelbarkeit hat, dass ich einfach mein Handy nehmen und Eindrücke festhalten kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

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