Die Grafik illustriert die Kiellinie an einem sonnigen Tag.© K. Laib

„Wie in einer großen Familie“

von viel.-Redaktion

Der Grüne Kamp als funktionierendes Netzwerk für die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein

Für Fischer in Nord- und Ostsee gehört es zum Alltag: das Knüpfen von Netzen. Vielleicht haben sie das sogar in der Fischereischule der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein in Rendsburg gelernt, denn dort gibt es einen Raum, in dem sich angehende Fischwirtinnen und Fischwirte dieses Handwerk aneignen können – dick- oder dünnmaschige Netze liegen zum Üben bereit. Die Landwirtschaftskammer ist eine von fünf Einrichtungen am Grünen Kamp, die auch im übertragenen Sinne Netze knüpfen: Sie arbeitet eng mit dem Fachbereich Agrarwirtschaft der Fachhochschule Kiel, dem Bildungszentrum DEULA, der Landwirtschaftsschule und dem Bauernverband zusammen.

„Einzigartig“ findet Peter Levsen Johannsen, dass sich die wichtigsten landwirtschaftlichen Einrichtungen in Schleswig-Holstein auf dem Grünen Kamp wiederfinden. Der studierte Landwirt ist seit knapp zwei Jahren Geschäftsführer bei der Landwirtschaftskammer und hat vorher am dortigen Berufsbildungszentrum und an der Fachhochschule Kiel als Lehrbeauftragter Landwirtinnen und Landwirte ausgebildet. „Es ist schön, dass wir uns hier alle über den Weg laufen und uns meistens persönlich kennen. Das ist auch wichtig: Um gemeinsame Projekte auf den Weg zu bringen und sich zu vernetzen, reichen Kontakte per Telefon und Computer meist nicht aus, sondern es braucht auch persönliche Treffen und Gespräche.“

Obwohl alle Institutionen dieselbe Adresse haben, liegen die fünf Backsteingebäude in zwei verschiedenen Kommunen: Osterrönfeld und Rendsburg. Die Gemeindegrenze läuft quer über den Parkplatz der FH und der DEULA. Doch das stört hier niemanden, denn es sind nur wenige Schritte von einem Gebäude zum anderen. „Für uns Studierende ist die enge Zusammenarbeit mit Agrarfirmen und der Landwirtschaftskammer enorm wichtig“, betont Inga Iversen, die ihre Masterarbeit im Studiengang Agrarmanagement abgeschlossen hat. „Wir lernen hier ja manchmal schon unsere zukünftigen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber kennen.“ Sie selbst hat sich in ihrer Masterthesis auf die sogenannte Bauernhofpädagogik spezialisiert und ihre Praxiserfahrungen bei der Landwirtschaftskammer gesammelt. Bauernhofpädagogik ist vielen Menschen bekannt: Schließlich gab es „Ferien auf dem Bauernhof“ auch schon früher.

Heute gibt es moderne Konzepte dafür. Einige Höfe bieten nicht nur reine Familienurlaube an, sondern gleichzeitig auch gezielte Bildungs- und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche, damit diese die heutige Landwirtschaft hautnah kennenlernen können. Die Landwirtschaftskammer, direkte Nachbarin der FH Kiel, hat für Studierende und bereits ausgebildete Landwirtinnen und Landwirte Spezialkurse zur Bauernhofpädagogik im Programm. „Für manche Bäuerinnen und Bauern im Land sind zusätzliche Standbeine sinnvoll. Denn viele nicht so große Höfe haben sonst Probleme, wirtschaftlich zu überleben“, erklärt Prof. Dr. Martin Braatz, Dekan des Fachbereichs Agrarwirtschaft der Fachhochschule. „In Schleswig-Holstein gibt es immer weniger, aber dafür immer größere landwirtschaftliche Betriebe. Kleinere müssen sich da etwas einfallen lassen.“

Inga Iversen möchte mit ihrem Mann in Zukunft den Familienbetrieb seiner Eltern in Angeln mit 120 Hektar Ackerland, Ferkelerzeugung mit anschließender Mast und Teilhabe an einer 800-kW-Biogasanlage bewirtschaften. Sie kennt also die aufwendige Arbeit auf einem landwirtschaftlichen Betrieb. Fünf Ferienwohnungen und auch Freizeitangebote für Kinder sind zudem bereits vorhanden.

Für Prof. Braatz wird es immer wichtiger, über die moderne konventionelle Landwirtschaft aufzuklären: „Die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher wissen doch gar nicht mehr, wie es heute auf einem Bauernhof aussieht.“ Es sei schon schizophren, wenn sich jemand beim Discounter ein Hähnchen für ein paar Euro kaufe und annehme, es sei in einer kleinen Gruppe im Freien großgeworden, während es in Wirklichkeit mit 40.000 anderen Küken zusammen in einem geschlossenen Gebäude aufgewachsen sei. „Als ich zur Schule ging, kam jede und jeder Dritte in meiner Klasse vom Bauernhof, und wir spielten dort und tobten im Heu“, erinnert sich der Agrarökonom. „In der Schulzeit meiner drei Kinder gab es nur noch einen Mitschüler, dessen Eltern einen Hof betrieben.“ Auf einem modernen Bauernhof Urlaub zu machen, sei eine Möglichkeit, die Arbeit dort direkt kennenzulernen. Die Landwirtschaftskammer hilft dabei, das zu organisieren.

Mit ihr hat Frank Clausen auch in seinem Studium gute Erfahrungen gemacht. Er ist auf einem Bauernhof mit Futteranbau und 70 Milchkühen aufgewachsen, kennt also das Berufsfeld von Kindesbeinen an. „Eigentlich wollte ich nur ein zehnwöchiges Praktikum bei der Landwirtschaftskammer machen, aber es hat mir dort so gut gefallen, dass ich gleich ein ganzes Semester geblieben bin“, erzählt der 26-Jährige. In seiner vor kurzem abgeschlossenen Bachelorthesis hat er untersucht, inwieweit mehrjährige Ackergräser und Leguminosen eine Alternative zum häufig in der Öffentlichkeit umstrittenen Maisanbau darstellen können. Schon während seiner Arbeit bei der Kammer betreute er eigenständig Projekte und schrieb sogar Fachartikel für das Bauernblatt. Kein Wunder, dass er jetzt auch einen Masterabschluss im Agrarmanagement anstrebt. Ob Frank Clausen den elterlichen Hof in Wittbek bei Husum nach seinem Studium im Vollerwerb weiterbetreiben wird, weiß er noch nicht. „Uns stehen ja so viele Möglichkeiten offen: Unternehmens- oder Steuerberatung, Verwaltung, Bank, Landhandel, Berufsschulen oder halt die Landwirtschaftskammer“ sagt Clausen.

„Es ist wie in einer großen Familie“, beschreibt die 28-jährige Inga Iversen das Klima am Fachbereich Agrarwirtschaft und in der Landwirtschaftskammer. Als sie in der Kammer ihre Bachelorthesis zum Thema Urlaub auf dem Bauernhof begann, wurde sie gleich mit offenen Armen empfangen. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DEULA zeigten sich während ihres Studiums hilfsbereit und zeigten ihr zum Beispiel die unterschiedlichen Geräte für das Ausstreuen von Dünger. „Da ich nicht auf einem Hof aufgewachsen bin, war es für mich wichtig, so etwas einmal in natura zu sehen.“

Inzwischen gehört das „persönliche“ Kennenlernen der Landmaschinentechnik zum Grundstudium. „Wer hier anfängt, sollte schon ein bisschen Stallgeruch mitbringen“, sagt Prof. Braatz, „aber die meisten haben ohnehin bereits Erfahrungen in der Landwirtschaft durch ein Vorpraktikum gesammelt.“ Statistisch gesehen geht die Hälfte der Studierenden nach ihrem Abschluss direkt in die Landwirtschaft zurück – auf den elterlichen Hof oder in die Leitung eines größeren Landwirtschaftsbetriebes. Andere finden eine Stelle in der Beratung der Landwirtschaftskammer oder in anderen agrarwirtschaftlichen Institutionen.

Im Vergleich zu anderen Hochschulabsolventinnen und -absolventen haben die Agrarwirtinnen und Agrarwirte in Schleswig-Holstein offenbar beste Berufsaussichten – rund 90 Prozent wissen bei ihrer Abschlussprüfung, wo sie später arbeiten werden. „Für junge Mütter ist es aber nicht immer so einfach“, gibt Inga Iversen zu bedenken. Sie erwartet gerade ihr zweites Kind. Beim Studieren als junge Mutter hatte sie weniger Probleme: Ihre Masterarbeit konnte sie zuhause schreiben und selbst bei Aufenthalten in der Hochschule gab es Lösungen. „Auf solche Situationen sind wir inzwischen vorbereitet“, erklärt Prof. Braatz. „Unser Hausmeister hat für den Nachwuchs der Studierenden eine Wickelecke eingerichtet, und die Studierenden dürfen Babyfone mit in die Lehrveranstaltungen bringen.“

Viele Studierende nehmen in Kauf, dass sie zu ihrer Hochschule oft eine Stunde pendeln müssen. So braucht Inga Iversen für ihre Fahrt aus Angeln mindestens 45 Minuten, und auch Frank Clausen macht sich regelmäßig auf den Weg von Wittbek bei Husum nach Osterrönfeld zur Hochschule. Auch die schleswig-holsteinischen Landwirtinnen und Landwirte haben längere Wege, wenn sie zu Fachtagungen oder Beratungsterminen in die Landwirtschaftskammer kommen. Seit sechs Jahren liegt das Zentrum am Grünen Kamp in Rendsburg. Inzwischen hätten sie sich daran gewöhnt, sagt Peter Levsen Johannsen, der selbst einen Hof im Christian-Albrechts-Koog in der Nähe von Niebüll in Nordfriesland besitzt. Neben den örtlichen Repräsentantinnen und Repräsentanten in allen elf Kreisen des Landes ist die Landwirtschaftskammer mit weiteren Außendienststellen und Versuchsfeldern in der Fläche präsent. Fachleute, die sich in allen Bereichen der Landwirtschaft auskennen, sind vorrangig zentral am Standort Grüner Kamp erreichbar und können den Landwirtinnen und Landwirten ganz individuell bei ihrer Zukunftsplanung helfen. Denn gerade in ihrer Branche würde sich in den nächsten Jahren viel verändern, so Peter Levsen Johannsen. Auf der einen Seite gebe es Betriebe, die auf immer größere Produktivität und Gewinnmaximierung setzten, auf der anderen Seite solche, die von konventioneller auf ökologische Landwirtschaft umsattelten. Und wieder andere gäben ihren Hof ganz auf. Ohne individuelle Analysen eines Hofes sei es schwierig, Entscheidungen zu fällen. An dieser Stelle setze die externe und objektive Fachberatung an. Fachhochschulstudierende leisteten da jetzt schon ihren Beitrag, wenn sie in ihren wissenschaftlichen Arbeiten die Situation einzelner Höfe analysieren.

Großen Wert legt Peter Levsen Johannsen darauf, dass die Landwirtschaftskammer objektiv und nach Sachkenntnissen analysiere und berate. „Wir sind nicht politisch orientiert, sondern zur Neutralität verpflichtet und agieren mit Fachkompetenz für die Land- und Forstwirtschaft, den Gartenbau und die Fischerei“, sagt er. Politisch zu wirken sei Aufgabe der Berufsvertretungen, die im Bauernverband organisiert seien. Aber auch die finden die Landwirtinnen und Landwirte, wenn sie auf den Grünen Kamp kommen – sie haben ihren Sitz neben der Landwirtschaftskammer.

von Sigrid Werner-Ingenfeld

© Fachhochschule Kiel