Ein Frau mit vom Wind verwehtem Haar, steht im Freien und lächelt freundlich in die Kamera.© Bergmann

„Ich kann nur raten, den Schritt zu wagen und einfach loszulegen!“

von Christin Bergmann

Die Offenheit, Freundlichkeit und den Respekt voreinander, das alles schätzt die 22-jährige Ricarda von der Ahe an ihrem Ehrenamt. Seit dem Sommer 2015 gibt sie Flüchtlingen im Kieler Stadtteil Neumühlen-Dietrichsdorf Deutschunterricht. Die gebürtige Paderbornerin studiert im zweiten Jahr Soziale Arbeit am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Fachhochschule Kiel (FH Kiel). Im Interview mit Christin Bergmann erzählt von der Ahe von ihrem Engagement und den Erfahrungen, die sie tagtäglich macht.

Christin Bergmann (CB): Wie sind Sie zu Ihrem Ehrenamt gekommen?

Ricarda von der Ahe (RA): Ich habe mich schon früher kirchlich in der Kinder- und Jugendbetreuung engagiert. Als ich dann nach Kiel zog, kam ich über die Gemeinde zur Flüchtlingsarbeit. Mein Kirchenkreis hat damals ein großes Treffen initiiert, aus dem viele ehrenamtliche Gruppen hervorgingen, unter anderem auch das Team, in dem ich nun mitwirke. Gemeinsam mit dem Förderverein Stadtteilbücherei Neumühlen-Dietrichsdorf geben wir Flüchtlingen Deutschunterricht. Darüber hinaus arbeite ich in einem Begegnungscafé: Die angekommenen Frauen, Männer und Kinder können hier bei einem Kaffee Zeit zusammen verbringen, mit ihren Familien in der Heimat oder in anderen Teilen Deutschlands bzw. Europas skypen oder einfach nur mal reden. Wir organisieren außerdem auch Feste für sie wie beispielsweise das Zuckerfest, das den Fastenmonat Ramadan beendet.

CB: Wie gestalten Sie Ihren Unterricht?

RA: Die Flüchtlinge sind in zwei Gruppen unterteilt: eine, deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer Englisch sprechen und eine, in der diese Sprachkenntnisse nicht vorhanden sind, beide werden von mir geleitet. In meinem Unterricht habe ich erst einmal mit dem Alphabet begonnen, danach habe ich das Thannhauser Modell angewandt. Das dazugehörige Arbeitsbuch hat zwölf Kapitel, von der einfachen Begrüßung über die Farben bis hin zu Städten und so weiter. Im Anschluss wird es mehr um Grammatik, Schreiben und Hören gehen. Zurzeit betreue ich vier Mal die Woche zwei bis drei feste Lerngruppen, manchmal bin ich aber auch einfach nur zum Spielen mit den Kindern und jungen Erwachsenen in der Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Adolf-Reichwein-Schule.

CB: Wie sehen Ihre Lerngruppen aus?

RA: In der einen Gruppe befinden sich fünf Männer und zwei kleine Jungs, in der anderen fünf weitere männliche Erwachsene. Sie alle kommen aus Syrien. Je nachdem, ob jemand aus der Flüchtlingsunterkunft auszieht oder hinzukommt, kann die Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer meiner Kurse variieren.

CB: Wie nehmen die Flüchtlinge Ihr Angebot an?

RA: Die Flüchtlinge nehmen den Unterricht gerne an und sind dankbar für die Unterstützung bei der Integration. Für sie ist es nicht immer einfach, eine so andersartige Sprache zu erlernen – da ist viel Motivation meinerseits gefragt.

CB: Was gefällt Ihnen an Ihrer Aufgabe besonders?

RA: Ich lerne viele neue Leute und spannende fremde Kulturen kennen. Am Anfang war ich noch etwas zurückhaltend, aber alle haben mich offen empfangen und waren mir gegenüber sehr aufgeschlossen und neugierig. Im Laufe der Zeit haben wir uns gegenseitig besser kennengelernt, so ist Vertrauen entstanden. Da ist es auch kein Problem, dass wir aus zwei unterschiedlichen Religionen kommen – meine Schülerinnen und Schüler sind vor allem Muslime, ich bin Christin und wir haben viel Respekt voreinander. Ich gewinne Freundinnen und Freunde dazu und freue mich riesig, wenn Aufenthaltsgenehmigungen erteilt werden oder Familien nach Deutschland nachgeholt werden können.

CB: Wie reagieren die Flüchtlinge auf Vorurteile?

RA: Häufig bekommen sie die Reaktionen auf ihre Ankunft aus den Medien mit und wissen, dass es in Deutschland viele Menschen gibt, die sie offen willkommen heißen, aber auch einige, die ihnen skeptisch gegenüber stehen. Dafür haben sie Verständnis, weil sie sich darüber im Klaren sind, dass beide Kulturen sehr unterschiedlich sind. Dennoch sind manche Vorurteile schlichtweg falsch: Ein Teil der westlichen Gesellschaft glaubt, dass Frauen aus diesen Kulturkreisen den ganzen Tag hinter dem Herd stehen. Viele arbeiten und studieren aber mittlerweile genauso wie es Männer tun.

CB: Was hält Ihr Umfeld von Ihrem Einsatz?

RA: Ich bekomme durchweg positive Reaktionen! Ein Teil meiner Freundinnen und Freunde arbeitet sogar ebenfalls ehrenamtlich in der Flüchtlingsunterkunft. Meine Familie hatte zu Beginn Bedenken, weil sie die Situation nicht einschätzen konnte und die Menschen, mit denen ich dort arbeite, nicht kannte. Sie hat sich schlichtweg Sorgen um mich gemacht. Als sie mich das letzte Mal besucht hat, habe ich sie einfach mitgenommen und ihr alles gezeigt. Meine Eltern waren sowohl von der Unterkunft als auch der Organisation positiv überrascht und empfanden die Menschen als zuvorkommend und friedlich.

CB: Wie profitieren Sie persönlich von der Arbeit mit den Flüchtlingen?

RA: Ich merke, dass ich in den vergangenen Monaten viel offener geworden bin und eine andere Einstellungen zum Thema Vorurteile bekommen habe. Zukünftig möchte ich mir lieber immer ein eigenes Bild von einer fremden Kultur machen, als mich auf die Meinung anderer zu verlassen. Außerdem genieße ich das Hier und Jetzt und betrachte Familie, Freunde, Liebe, Menschlichkeit und Frieden als wichtigste Punkte im Leben. Durch den Deutschunterricht habe ich gelernt, auch mit Rückschlägen umzugehen und die kleinen Dinge und Erfolge zu schätzen. Ich freue mich, wenn ich helfen kann, beispielsweise beim Ausfüllen offizieller Anträge. In solchen Situationen hilft mir der Besuch des Moduls „Rechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit“ im vergangenen Semester. Darüber hinaus reflektiere ich mich selbst mehr und überlege immer wieder, ob ich meinen Unterricht oder mein Handeln verbessern kann.

CB: Welche Tipps können Sie anderen Studierenden, die sich gerne engagieren würden, geben?

RA: Ich kann nur raten, den Schritt zu wagen und einfach loszulegen! Die Arbeiterwohlfahrt oder die Kirchengemeinden suchen immer Helferinnen und Helfer, die den Flüchtlingen die Stadt zeigen, mit ihnen Deutsch sprechen und etwas unternehmen – zum Beispiel einen Besuch im Mediendom oder Computermuseum, den die FH Kiel uns angeboten hat. Eine ehrenamtliche Arbeit kann ich nur empfehlen, sie ist unheimlich bereichernd und hilft dabei, sich persönlich weiterzuentwickeln.

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