Eine Frau lehnt an einer Wand, an der ein offener Kabelschacht verläuft.© A. Diekötter

Impulse aus dem Wasser

von Martin Geist

Nah am Wasser gebaut zu haben ist schön, aber es reicht nicht. Man sollte auch etwas daraus machen. Lernen, lehren und forschen am Puls des maritimen Geschehens, im Idealfall so, dass die Unternehmen und ihre Beschäftigten an Land, aber auch die Umwelt und das Klima etwas davon haben: Auf diese Weise könnte es etwas werden. Das jedenfalls ist die Philosophie der fast noch taufrischen TransMarTech GmbH.

Kurz vor dem vergangenen Weihnachtsfest ist das maritime Technologiezentrum für Schleswig-Holstein offiziell eröffnet worden. Nicht heimlich, still und leise, aber wegen der zu dieser Zeit COVID-19-bedingten Restriktionen auf rein digitalen Kanälen. Ein Start mit echtem Klotz am Bein? Nicht wirklich, meint Nele Dageförde, seit Jahresbeginn Geschäftsführerin der TransMarTech. Ehe die Schleswig-Holsteinerin zurück an heimische Ufer kehrte, hatte sie zuletzt zwei Jahre ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen nach dem Prinzip des ,Remote Leadership’ geleitet. Alle saßen im Zweifel irgendwo, übers Netz schalteten sich die jeweiligen Teams zusammen, und es funktionierte.

Zwar unter anderen Vorzeichen ging Nele Dageförde auch ihren neuen Job überwiegend vom Homeoffice aus an. Zumal sie ohnehin einen ganzen Packen Hausaufgaben auf dem Tisch liegen hatte. Selbstauferlegte und natürlich auch vorgegebene, denn hinter einer GmbH stehen immer Gesellschafter, die ihrerseits mitreden wollen und sollen. Im Fall der TransMarTech sind das gar nicht so wenige. Mit Anteilen zwischen zehn und 21 Prozent stecken die Kieler Wirtschaftsförderungsgesellschaft KiWi, das Land Schleswig-Holstein, die Industrie- und Handelskammern Kiel, Lübeck und Flensburg in der Gesellschaft. Die größten Brocken fallen aber mit 25 Prozent den Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie mit 30 Prozent der Wirtschaft zu.

Gesellschafter und handelnde Akteure schauen in die gleiche Richtung

Beide Bereiche haben sich ihrerseits wiederum in Vereinen organisiert, sodass sich eine „durchaus komplexe Struktur“ ergibt. Das sagt Dr. Andreas Borchardt, der als Beauftragter für Technologie- und Wissenstransfer an der FH Kiel und zugleich als Vorsitzender des Fördervereins der Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus doppelt berufenem Munde spricht. Der entscheidende Vorteil besteht für ihn jedoch darin, dass Gesellschafter und die handelnden Akteure in die gleiche Richtung schauen und jeder aus seinem Wirkungszusammenhang einen Beitrag leistet.

Die KiWi zum Beispiel unterstützt den jungen Spross der regionalen Wirtschaftslandschaft inzwischen eher aus dem Hintergrund, nachdem sie anfangs maßgeblich an der Idee für ein solches Zentrum beteiligt war. Ähnlich übrigens wie das Kieler Wirtschaftsministerium, das wiederholt bemängelt hatte, dass Schleswig-Holstein als maritimer Standort deutlich zu wenig Transfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft zustande bringe und damit erhebliche ökonomische Potenziale brachlägen.

Vor allem das Maritime Cluster Norddeutschland beschäftigt sich zwar bereits mit diesem Thema, allerdings auf einer Ebene, die den Dialog und die Vernetzung fördern soll. Dagegen kümmert sich die TransMarTech nach den Worten des Kieler IHK-Präsidenten Klaus-Hinrich Vater um das, was seine Organisation „schon immer gefordert“ hat: Um ganz konkrete Projekte, in denen das, was an den Rechnern und in den Laboren der Hochschulen entsteht, zu wirtschaftlich verwertbaren Produkten und Dienstleistungen entwickelt wird.

Transfergesellschaft als „maritimer Inkubator“

Nachdem vor gut zwei Jahren Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buchholz genau dieses Anliegen formuliert hatte, kam tatsächlich Bewegung in die Sache. Gedauert hat es dann auch wegen der vielen Beteiligten doch noch eine ganze Weile, seit Oktober 2020 ist die unter dem Arbeitstitel Maritimes Technologie- und Transferzentrum aus der Taufe gehobene TransMarTech aber am Start. Wie gesagt zunächst einmal überwiegend digital, aber allemal mit mächtig Power – und einer Geschäftsführerin, die locker so viel Elan hat wie bei bewegtem Wetter die Meere um sie herum. „Machen ist wie Wollen – nur krasser.“ Diese Devise hat die Betriebswirtin unter anderem schon realisiert, indem sie zwei Unternehmen gründete, jetzt will sie als Leiterin der auf dem Seefischmarkt ansässigen Transfergesellschaft als „maritimer Inkubator“ entsprechende Wirkung entfalten.

Tatsächlich ist für Nele Dageförde das mit dem Machen und Wollen kein Spruch. „Ideen haben alle viele“, formuliert sie es so, dass man erstmal kurz darüber nachdenken muss. Das Problem ist nach ihrer Erfahrung nur, dass viele auch viele Schubladen haben, in denen diese Ideen dann ein geruhsames Dasein führen. Damit das bei der TransMarTech anders läuft, hat deren Chefin wiederum man-cherlei Ideen entwickelt. Dialog-Formate mit putzigen Namen wie Fish & Grips soll es geben. Und Workshops, die sich mit maritimem Design oder der Entwicklung von Prototypen beschäftigen. Richtungs- und zukunftsweisend soll dabei zunächst ein Workshop sein, in dem ein Bild der maritimen Wirtschaft in 20 oder 30 Jahren gezeichnet werden soll.

Stärkung für regionale Innovationsgemeinschaften

Die eine oder andere Vorstellung zur Zukunft und zum Wirken der TransMarTech gibt es freilich auch jetzt schon. Sie soll regionale Innovationsgemeinschaften stärken, die vorwiegend kleinen und mittlere Unternehmen mit Einrichtungen der Wissenschaft und Forschung zusammenbringen, dabei die Umwelt und die Reduzierung von CO2 im Auge behalten, sie soll auch eine Lobby für die Ozeane sein. Eine Lobby im Allgemeinen wie im Handfesten, etwa wenn es um Minen im Meer geht. Die Kriegshinterlassenschaften finden sich in kaum überschaubarem Ausmaß unter Wasser, gefährliche Abbauprodukte drohen ganze Ökosysteme zu schädigen, der Bedarf an Strategien und Techniken zum Umgang mit dieser Problematik ist unbestritten. Fachleute des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung, die Sonartechnik der Fachhochschule und Betriebe aus der maritimen Wirtschaft arbeiten bereits an dieser Initiative ganz im Geiste der neuen Transfergesellschaft.

„Großes Interesse“ an Kooperationen hat laut Andreas Borchardt außerdem der Deutsche Seglerverband (DSV). Die Palette reicht dabei von der autonomen Schifffahrt bis zum Recycling alter Jachten, die vielfach aus komplexen Verbundmaterialien bestehen. Katrin Birr, Geschäftsführerin der Werft Gebr. Friedrich GmbH & Co. KG und Vorsitzende des Fördervereins der Wirtschaft in der TransMarTech GmbH, sieht noch viele weitere Möglichkeiten. Die maritimen Unternehmen im Land sind aus ihrer Sicht schon jetzt „sehr aktiv und innovativ“. Mit noch engerem Kontakt zur Wissenschaft und auch mit Unterstützung der TransMarTech sei es nun möglich, umfassende Themen zu bearbeiten und so an der einen oder anderen Stelle einen echten Technologievorsprung aufzubauen.

In kleinerem Maßstab gibt es dazu eine Kooperation mit der FH Kiel, um der Besatzung von Sportbooten beim Einlaufen in den Hafen Rundum-Sorglos-Service zu bieten. Eine App soll wie ein Parkleitsystem freie Liegeplätze zeigen und zugleich die Möglich-keit bieten, eine Reparatur mit der Werft zu vereinbaren oder gern auch einen Tisch im Restaurant zu buchen.

Von Ideen über Prototypen zu Kleinserien

Von Umwelttechnik über Offshore-Energie bis zu Materialwissenschaften sind Wirtschaft und Wissenschaft im Land auch sonst breit aufgestellt. Und nicht nur aus Sicht von Birr, die aktuell knapp 20 Unternehmen in der TransMarTech vertritt, bietet das jede Menge Gelegenheiten, neu und anders über Zukunft und Strategien nachzudenken. Damit es aber nicht beim Nachdenken bleibt, hält das bislang 300 Quadratmeter große Zentrum neben Kommunikations- und Co-Working-Bereichen 140 Quadratmeter Werkstatt- und Laborflächen bereit. Die Innovativen aus dem Norden sollen damit Gelegenheit bekommen, aus ihren Ideen Prototypen und gern auch erste Kleinserien zu fertigen.

Darauf hinzuwirken, dass es in diesem Sinn ans Machen geht, ist mit die Hauptaufgabe von Geschäftsfüherin Dageförde. Die Nervensäge spielen, das will sie dazu nicht, und sie hält es auch nicht für nötig. Vielmehr versteht sie sich als „Treiberin im positiven Sinn“ und will zum Weg auf innovativen Pfaden motivie-ren, indem sie psychologisch an den Stellen kitzelt, die bei ihren Gegenübern selbst die Augen leuchten lassen.

Eine geschlossene Gesellschaft ist die TransMarTech GmbH übrigens noch nicht. Neuzugänge auf der Seite von Wissenschaft und Forschung wie der Wirtschaft sind jederzeit willkommen.

Weitere Artikel zum Gründungsgeschehen am Seefischmarkt finden sich in der aktuellen Ausgabe unseres Campusmagazins viel.

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