Ein Mann im Anzug, steht im grünen und lächelt in die Kamera.© FH Kiel

„Off­shore ist an­ders“

von Jana Tresp

„Off­shore ist an­ders“, sagt Dipl.-Ing. Peter Quell. „Wenn bei­spiels­wei­se bei der War­tung einer Off­shore-An­la­ge ein Werk­zeug­schlüs­sel run­ter­fällt, ist er weg.“ Seit dem 1. Ok­to­ber 2012 ist er Pro­fes­sor für „Off­shore-An­la­gen­tech­nik“ am Fach­be­reich Ma­schi­nen­we­sen der Fach­hoch­schu­le (FH) Kiel. Davor war Prof. Quell bei der Firma RE­power in Os­ter­rön­feld bei Rends­burg tätig.

Jana Tresp (JT): Was um­fasst die Off­shore-An­la­gen­tech­nik?

Peter Quell (PQ): Glo­bal ge­se­hen die Tech­no­lo­gi­en, die zur Nut­zung des Off­shore-Rau­mes be­nö­tigt wer­den. Seit 20 Jah­ren be­schäf­ti­ge ich mich mit Wind­ener­gie, seit zehn Jah­ren auch mit Off­shore-Wind­ener­gie. Die­ser Be­reich wird in Zu­kunft für Deutsch­land von hoher Be­deu­tung sein. Des­halb legen wir im Stu­di­en­gang Off­shore-An­la­gen­tech­nik auch einen Schwer­punkt auf die­ses Thema.

Es geht je­doch nicht nur um die Wind­kraft­an­la­gen, die vor den Küs­ten im Was­ser ste­hen. Das Stu­di­um soll die Stu­die­ren­den ins­ge­samt an die Ent­wick­lung von An­la­gen im ma­ri­ti­men Um­feld her­an­füh­ren. Dazu ge­hö­ren Schif­fe, Öl- und Gas­för­de­run­gen und eben die En­er­gie­ge­win­nung. Dabei er­gän­zen sich die The­men sehr gut: Zum Bei­spiel sind für Off­shore-Wind­ener­gie­an­la­gen große Fun­da­men­te not­wen­dig, bei denen wir auf die um­fang­rei­chen Er­fah­run­gen der Off­shore-Öl- und Gas­in­dus­trie zu­grei­fen kön­nen, weil aus die­sem Be­reich die Grün­dungs­for­men be­kannt sind. Au­ßer­dem wird eine große Flot­te an Schif­fen be­nö­tigt, um die Off­shore-An­la­gen zu er­rich­ten, in Be­trieb zu hal­ten und zu ge­ge­be­ner Zeit auch wie­der ab­zu­bau­en. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren sind bei­spiels­wei­se eine ganze Reihe von spe­zi­el­len Er­rich­tungs­schif­fen ent­wi­ckelt wor­den, so­ge­nann­te Jack-Up-Platt­for­men.

JT: Haben Sie sich von An­fang an für Wind­ener­gie in­ter­es­siert?

PQ: Auf jeden Fall. Aber als ich an­fing zu stu­die­ren, gab es noch keine dar­auf spe­zia­li­sier­ten Stu­di­en­gän­ge. Daher habe ich einen ge­wählt, der mir von den An­for­de­run­gen am pas­sends­ten er­schien: Ma­schi­nen­bau an der TU Ber­lin. Zeit­gleich hat sich die Wind­ener­gie in Deutsch­land wei­ter ent­wi­ckelt. An der TU Ber­lin gab es bei­spiels­wei­se eine Ko­ope­ra­ti­on mit der Firma Süd­wind, die in einem Kreuz­ber­ger Hin­ter­hof eine klei­ne Fer­ti­gung hatte. Dort konn­te ich mich auch phy­si­ka­lisch mit dem Thema Wind­ener­gie be­schäf­ti­gen. Dann er­brach­te Ro­bert Gasch, einer un­se­rer Pro­fes­so­ren, eine echte Pio­nier­leis­tung, indem er das Wahl­pflicht­fach Wind­ener­gie anbot.

Viele mei­ner da­ma­li­gen Kom­mi­li­to­nin­nen und Kom­mi­li­to­nen be­set­zen heute ent­schei­den­de Po­si­tio­nen in der Wind­ener­gie-In­dus­trie. Immer wie­der Schrit­te auf neues Ter­rain zu wagen, ist wich­tig – so wie die FH Kiel mit dem Stu­di­en­gang Off­shore-An­la­gen­tech­nik.

JT: Was haben Sie ge­macht, bevor Sie an die FH Kiel ge­kom­men sind?

PQ: Über ein Prak­ti­kum beim Ger­ma­ni­schen Lloyd, einer gro­ßen Ham­bur­ger Zer­ti­fi­zie­rungs­ge­sell­schaft, bin ich 1989 wäh­rend mei­nes Stu­di­ums erst­mals in Be­rüh­rung mit der Wind­ener­gie ge­kom­men. Zu der Zeit waren die An­la­gen noch viel klei­ner als heute. Der Ro­tor­durch­mes­ser be­trug 25 Meter, heute sind es 126 Meter. Es hat sich also ei­ni­ges getan.

Meine Di­plom­ar­beit habe ich beim In­ge­nieur­bü­ro ae­ro­dyn in Rends­burg ge­schrie­ben. Das Un­ter­neh­men ent­wi­ckel­te schon da­mals Wind­kraft­an­la­gen. 1997 bin ich von ae­ro­dyn zum dort aus­ge­grün­de­ten In­ge­nieur­bü­ro pro+pro ge­wech­selt, wo wir eine neue An­la­gen­ge­ne­ra­ti­on ent­wi­ckelt haben. Deren Li­zenz konn­ten wir an­schlie­ßend er­folg­reich an ver­schie­de­ne Wind­ener­gie­fir­men ver­mark­ten. Mit dem Ziel Kom­pe­ten­zen zu bün­deln, sind pro+pro sowie ei­ni­ge an­de­re nord­deut­sche In­ge­nieur­bü­ros 2001 zu RE­power ver­schmol­zen. So besaß das Un­ter­neh­men zur Grün­dungs­zeit das Know-how, Wind­kraft­an­la­gen so­wohl zu pla­nen und zu ent­wi­ckeln als auch zu pro­du­zie­ren und in­stand zu hal­ten. Bis 2011 habe ich dort den Be­reich For­schung und Ent­wick­lung ge­lei­tet. Was klein an­fing, wurde mit der Zeit immer grö­ßer – als ich bei RE­power auf­hör­te, um­fass­te die Ab­tei­lung For­schung und Ent­wick­lung 280 In­ge­nieu­rin­nen und In­ge­nieu­re. In die­sen Be­reich fällt auch die Off­shore-An­la­gen­tech­nik. RE­power ge­hört zu den Pio­nie­ren auf die­sem Ge­biet – ins­be­son­de­re im Be­reich der Gro­ß­an­la­gen. Das Un­ter­neh­men baut in hoher Stück­zahl die grö­ß­te Off­shore-An­la­ge, die es der­zeit auf dem Markt gibt: eine Sechs-Me­ga­watt-An­la­ge mit 126 Me­tern Ro­tor­durch­mes­ser.

JT: Wie kamen Sie an die FH Kiel?

PQ: Nach über 20 Jah­ren Ar­beit in der Wind­ener­gie-In­dus­trie stand für mich eine Ver­än­de­rung an. Über den Aus­tausch mit den jun­gen Men­schen in un­se­rem Un­ter­neh­men habe ich ge­merkt, dass es viele her­vor­ra­gen­de Ta­len­te gibt und dass es Spaß macht, diese auf ihrem Weg zu be­glei­ten. Ich habe Lust, mein Wis­sen und meine Er­fah­rung wei­ter­zu­ge­ben. Im Be­reich Off­shore-An­la­gen­tech­nik gibt es einen gro­ßen Be­darf an Nach­wuchs­kräf­ten, die es aus­zu­bil­den gilt.

JT: Was möch­ten Sie den Stu­die­ren­den ver­mit­teln?

PQ: Für mich steht die Ver­mitt­lung von fun­dier­tem Ba­sis­wis­sen im Vor­der­grund – die Spe­zia­li­sie­rung er­folgt meist erst im Un­ter­neh­men. Nur wer das große Ganze ver­stan­den hat, kann spä­ter auch zur ge­frag­ten Ex­per­tin oder zum ge­frag­ten Ex­per­ten in sei­nem Spe­zi­al­ge­biet wer­den. Ganz kon­kret ler­nen die Stu­die­ren­den in den ers­ten Se­mes­tern das Hand­werks­zeug, das sie brau­chen, um spä­ter auch kom­ple­xe­re Kom­po­nen­ten ver­ste­hen und ent­wi­ckeln zu kön­nen: vor allem Grund­la­gen aus den Be­rei­chen Mathe, Phy­sik, Sta­tik und Fes­tig­keits­leh­re sowie Elek­tro­tech­nik. Wir bie­ten aber auch von Be­ginn an ein off­shore-spe­zi­fi­sches Thema an, damit sie eine Ver­bin­dung zwi­schen den Grund­la­gen und dem Fach­ge­biet her­stel­len kön­nen. Eine mei­ner Vor­le­sun­gen heißt daher ‚Ein­füh­rung in die Off­shore-Wind­ener­gie‘ und star­tet be­reits im 1. Se­mes­ter.

Wir kön­nen keine Wind­müh­len vor der Küste bauen, wenn wir die­sen Be­reich nicht ver­ste­hen. Des­halb möch­te ich den Stu­die­ren­den zu­nächst einen Über­blick über die The­men Off­shore und Off­shore-Wind­ener­gie ver­schaf­fen. Sie ler­nen, wie eine Wind­kraft­an­la­ge funk­tio­niert, wie sie eine An­la­ge in 40 Meter Tiefe auf­stel­len oder wel­ches Equip­ment sie für die In­stand­hal­tung brau­chen. Einer Wind­müh­le an Land kann, ab­ge­se­hen von Wind und sehr sel­ten Erd­be­ben, nicht viel pas­sie­ren. Eine Wind­müh­le im Was­ser hin­ge­gen ist stän­di­gen Be­las­tun­gen und Be­we­gun­gen in Form von Wel­len aus­ge­setzt. Zur Ons­hore-Wind­kraft­an­la­ge kön­nen wir mit dem Auto fah­ren, die An­la­ge im Was­ser ist mit­un­ter schwer zu er­rei­chen. Daher ist es auch wich­tig, dass die Stu­die­ren­den etwas über Wet­ter- und Wit­te­rungs­be­din­gun­gen ler­nen. Or­ga­ni­sa­ti­on ist eben­falls ein ent­schei­den­des Thema. Wenn bei der War­tung einer An­la­ge ein Werk­zeug­schlüs­sel run­ter­fällt, ist er weg. Das heißt, off­shore ist an­ders.

JT: Was er­war­ten Sie vom kom­men­den Se­mes­ter?

PQ: Der Stu­di­en­gang wird sehr gut an­ge­nom­men. 36 Stu­die­ren­de haben sich ein­ge­schrie­ben, wor­über mich sehr freue. Ich glau­be, dass wir eine span­nen­de erste Phase haben wer­den. Immer wenn etwas Neues be­ginnt, be­wegt sich sehr viel und es er­ge­ben sich in­ter­es­san­te Mög­lich­kei­ten der Mit­ge­stal­tung.

Kurz­bio­gra­fie

 

seit Ok­to­ber 2012 Pro­fes­sor für ‚Off­shore An­la­gen-Tech­nik‘ am Fach­be­reich Ma­schi­nen­we­sen der Fach­hoch­schu­le Kiel

seit Mai 2012 In­ha­ber, QUELL tech­no­lo­gy GmbH

2001-2011 Di­rek­tor For­schung und Ent­wick­lung, RE­power Sys­tems SE

1997-2001 Tech­ni­scher Lei­ter, pro+pro En­er­gie­sys­te­me GmbH

1992-1997 Ent­wick­lungs­in­ge­nieur, ae­ro­dyn En­er­gie­sys­te­me GmbH

1984-1991 Stu­di­um Ma­schi­nen­bau an der TU Ber­lin

© Fach­hoch­schu­le Kiel